www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  

Übersicht

Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund

 

Mailingliste
Mail
Suche

Meldungen nach dem 9. Januar 2004


163. Prozesstag: 9. Januar 2004

Plädoyers der Verteidigung beendet

"Zum Kotzen" fand RA Eisenberg zusammenfassend die gesamte Prozessführung vor dem 2. Strafsenat des Berliner Kammergerichtes. Gemeinsam mit RA Becker setzte die Verteidigung der Angeklagten Sabine E. so heute den Schlussakkord der Plädoyers.

Zunächst trug RA Becker die Indizien für den Flickenteppich an Lügen vor, den der Kronzeuge gewoben hätte. Eine schlüssige Theorie über Motivation, Absicht und Entstehungsgeschichte seiner Aussagen könne er nicht liefern. Doch der Nachweis einer intensiven und wirksamen Bearbeitung durch das Bundeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesanwaltschaft wäre im Prozess erbracht worden. Der Kronzeuge sei als professioneller und schamloser Lügner aufgetreten. Die angebliche Rädelsführerschaft seiner Mandantin könne nicht bewiesen werden, genauso wenig wie ihre Beteiligung am Bombenbau und an dem Anschlag auf den Richter Dr. Korbmacher. RA Eisenberg legte dar, dass seine Mandantin spätestens 1988 der RZ nicht mehr angehört haben könne, eine Verjährung deshalb bereits eingetreten sei. Gegenstände fließen nicht stromaufwärts und ein unbekannter Dritter müsse den Sprengstoff im Seegraben deponiert haben, so seine abschließenden Feststellungen.

Donnerstag, den 15.01., geht es um 9:15 Uhr weiter. Womit blieb heute offen.


162. Prozesstag: 8. Januar 2004

Abrechnung mit politischer Justiz

Ein für dieses Verfahren eher ungewöhnliches Plädoyer der Verteidigung von Harald G. stand heute im Mittelpunkt des dreieinhalbstündigen Verhandlungstages. Davor verlas Rechtsanwalt Geimecke 14 Hilfsbeweisanträge. Darin beschäftigte sich die Verteidigung von Axel H. erneut mit den widersprüchlichen Aussagen des Kronzeugen zu den Anschlägen gegen Richter Korbmacher, Hollenberg, der Siegessäule, dem von ihm behaupteten Sprengstoff- und Waffendepot im MehringHof, sowie dem sogen. Waldspaziergang. Der Senat wird sich zu diesen Themen wohl noch einmal den Kopf zerbrechen müssen.

Im Verlauf des sich anschließenden Plädoyers der Verteidigung von Harald G. lies das, wie immer aufschlussreiche Minenspiel von Richter Alban den ein oder anderen Adrenalinstoß vermuten. In einem politischen Prozess – so Rechtsanwältin Studzinsky – sei die Wahrheit außer Kraft gesetzt. Daher mache es keinen Sinn erneut auf die Widersprüche, Halbwahrheiten und eindeutigen Lügen des Kronzeugen einzugehen, zumal dies in den fast 70 Beweisanträgen und Erklärungen sattsam geschehen sei. Nach einem Exkurs zu Grundsatzentscheidungen des für Asyl zuständigen 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts von 1986 sowie der Berliner Asyl- und Flüchtlingspolitik in der damaligen Zeit, befasste sich Rechtsanwältin ausführlich mit dem hiesigen Verfahren als Ausdruck politischer Justiz. Da das Plädoyer hier nachzulesen ist, entfällt ein ausführlicher Bericht.

Der Prozess wird am Freitag, den 9.1.2004 zu gewohnten Zeit fortgesetzt. Es plädiert Rechtsanwalt Becker.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


161. Prozesstag: 29.12.2003

Pakt zwischen dem Kronzeugen Mousli und Oberstaatsanwalt Monka

"Knüller gegen Bewährung"

Der heutige 161. Verhandlungstag wurde durch das Plädoyer der Verteidigung des Angeklagten Axel H. bestritten.

Wie schon in den vorangegangenen Verteidigerplädoyers, wurden auch von Rechtsanwalt von Schlieffen in detaillierter Weise die Entstehungsgeschichte des Kronzeugen und die damit in Verbindung stehenden Beschuldigungen gegen seinen Mandanten Axel H. nachgezeichnet.

Allein schon aus der dem Kronzeugen von der Bundesanwaltschaft (BAW) angedrohten "Sanktionenschere" (mehrjährige Haftstrafe oder aber Bewährungsstrafe bei der Lieferung von "Knüllern") ergebe sich die Notwendigkeit die Beschuldigungen besonders sorgfältig zu überprüfen. Auch in Bezug auf den Angeklagten Axel H. seien diese äußerst widersprüchlich und unglaubwürdig. Weitere Angaben des Kronzeugen hätten sich durch die Beweiserhebung in wichtigen Punkten als unzutreffend herausgestellt. Eine Verurteilung könne sich demzufolge nicht auf die alleinigen Angaben von Mousli stützen.

Daher forderte von Schlieffen einen Freispruch für seinen Mandanten. Da das Plädoyer hier im Wortlaut nachgelesen werden kann, wird auf eine ausführliche Wiedergabe an dieser Stelle verzichtet.

Der Prozess wird am 8.1.04 um 9.15 Uhr mit dem Plädoyer der Verteidigung des Angeklagten Harald G. fortgesetzt.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


160.Prozesstag: 19.12.2003

Keinen blauen Schimmer

Mit besonderer Spannung war das Plädoyer des Rechtsanwaltes Euler erwartet worden, ist er es doch, der nach Verhandlungen mit der Bundesanwaltschaft seinen Mandanten Rudolf S. zur weitestgehenden Aussage in diesem Verfahren bewegen und damit neben den Prozessbeobachtern vor allem die anderen Angeklagten und deren VerteidigerInnen überraschen konnte. Worauf würde denn einer, der mit der Gegenseite schon das Strafmaß ausgedealt hatte, nun noch plädieren können, fragten sich viele.

Und doch dauerte Eulers Plädoyer am vierten Jahrestag der Mehringhof-Stürmung ganze viereinhalb Stunden und war sichtlich vom Zorn des Juristen über das Plädoyer der Bundesanwaltschaft vor einer Woche getragen. Ergebnis seiner spannenden Ausführungen war eine weitere vernichtende Demontage der Aussagen des Kronzeugen, dessen Namen permanent im Munde führen zu müssen Euler "ärgerlich" nannte. Außerdem stellte Euler mehrere Hilfsanträge, um für den Fall, dass das Gericht Mousli uneingeschränkte Glaubwürdigkeit einräume, der zunächst anhand der Akten erfolgten Zerpflückung des Kronzeugen Beweise folgen zu lassen. Insbesondere die frühere Lebensgefährtin Mouslis Karmen T. solle ihm dann gegenüber gestellt werden.

In langen, ausführlichen Blöcken ging Euler auf das Lügenkonstrukt Mouslis zum Themenkomplex "Seegraben", "Decknamen-Änderung", "Anschlag Hollenberg", und "Anschlag Korbmacher" ein. Im Zusammenhang mit dem Seegraben verdeutlichte Euler die Ungeheuerlichkeiten in Mouslis Aussagen im Laufe der Jahre 1999 und 2000 mit einem Auskunftgebenden, der ein verstecktes Depot zunächst mit vollkommener Sicherheit in einem Fußball-Stadion, und dort im Strafraum lokalisiere, nach erfolgloser Suche zunächst seinen Hinweis jedoch bis zum Anstoßpunkt, dann auf das gesamte Spielfeld und schließlich gar auf ein anderes Stadion ausdehnt. Nur das Mousli nach allen immer wieder geographisch ausgedehnten und ergänzten Aussagen zum "Sprengstoff-Einwurfort" am Seegraben im Oktober 2000 wieder zu seiner allerersten Aussage zurückkam und an besagter Stelle bei späteren Spaziergängen stets den blauen Plastiksack will durch das Wasser schimmern haben sehen.

Insbesondere erzürnt und empört zeigte sich Euler über die nicht angemessene, kaltschnäuzige Missachtung der Bundesanwaltschaft für die von Euler ins Verfahren gebrachte Zeugin Barbara W. Diese völlige Unterschlagung ihres Beweiswerts gegen Mouslis Aussagen rührt nach Ansicht Eulers auch an seine Ehre als Anwalt und Verteidiger, habe er doch persönlich Aussagen zu diesem Komplex vor Gericht gemacht. Euler widmete diesem Sachverhalt eine ausführliche Erörterung.

Das Plädoyer endete mit Eulers Aufruf an das Gericht, dem Kronzeugen dessen Lügen nicht durchgehen zu lassen, und mit den Forderungen:

  1. Das Verfahren gegen seinen Mandanten wegen Rädelsführerschaft in den RZ einzustellen;
  2. Ihn zu sechs Monaten Freiheitsentzug wegen eines minderschweren Falls von Sprengstoffdelikt zu verurteilen und
  3. den Haftbefehl gegen S. aufzuheben.

Ein ausführlicher Bericht folgt in Kürze.

Am 29. Dezember 2003 geht es um 14 Uhr mit dem Plädoyer des Rechtsanwalts von Schliefen für den Angeklagten Axel H. weiter. Am 8 Januar wird voraussichtlich die Verteidigung des Angeklagten G. plädieren.

ausführlicher Bericht


159.Prozesstag: 18.12.2003

Sprengsätze für die Wahrheitsfindung

Einen "Prozess der politischen Justiz" nannte RA Kaleck für den Angeklagten Matthias B. das RZ-Verfahren zu Beginn seines Plädoyers, nach Otto Kirchheimer einen "dubiosen Abschnitt der Rechtsgeschichte" und konstatierte, das 129a- Verfahren gegen mutmaßliche einstige RZ-Mitglieder mute angesichts einer im Vergleich zu den 70-er Jahren völlig veränderten Situation anachronistisch an. Der Nimbus der Staatsschutzbehörden verblasse, doch der alte Beißreflex nach links funktioniere immer noch, wie Göteborg und Magdeburg zeigten.

Ein weiteres Mal verwies er auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg im Magdeburger Verfahren, dass der problematische Paragraph 129 a nicht bei "terroristischen Vereinigungen" greife, welche sich aufgelöst hätten, zumal ihnen eine spezifische Gefährlichkeit dann ja mangele. Die BAW habe mit dem billigen rhetorischen Trick, den Angeklagten den Willen zur Aufarbeitung der RZ-Geschichte abzusprechen, versucht, in einen politischen Diskurs dort einzusteigen, wo ihr die konkreten Verfahrensergebnisse nicht gepasst hätten.

Breit rechnete Kaleck einmal mehr mit der Kronzeugenregelung ab, die er mit dem SZ-Kommentator Heribert Prantl (8.12.03) als "gesetzliche Anstiftung zur Falschaussage" nannte. Die Geschichte und Entwicklung der Vernehmungen und Aussagen des Kronzeugen im Laufe des nun vier Jahre laufenden Verfahrens gäben all jenen Kritikern der Kronzeugenregelung recht, die darin hohe Anreize zur Lüge und eine Eigendynamik von Falschaussagen sehen. Im übrigen, das komme erschwerend hinzu, sei ein Gutteil der Vernehmungen nicht einmal durch Aktenvermerke dokumentiert und somit nicht nachvollziehbar, mithin auch kaum für eine Verurteilung zu gebrauchen, welche allein auf Tarek Mouslis Aussagen beruhen soll.

Außerdem seien die Aussagen der vernehmenden Beamten, insbesondere der beiden BKA-Beamten Schulzke und Trede nicht glaubwürdig, was Kaleck einmal mehr (u.a. im Zusammenhang mit der unendlichen Seegraben-Geschichte) nachwies. Trede hätte "objektiv die Unwahrheit" gesagt und es gebe grundsätzliche Zweifel an den Aussagen der beiden Vernehmungsbeamten und - daraus folgend - am Zustandekommen der Mousli-Aussagen, so Kaleck. Bezug nehmend auf den BAW-Vorwurf der allzu blühenden Fantasie der VerteidigerInnen, reklamierte Kaleck geradezu ein Höchstmaß an Fantasie, um dem Denken der Staatsschützer auf die Spur kommen zu können: er erinnerte im Zusammenhang mit dem Seegraben an eine Episode im Schmücker-Prozess, wo im Mittellandkanal eine Schreibmaschine gesucht und - wie bei der Seegraben-Posse beim zweiten Anlauf - auch gefunden wurde. Einmal mehr machte Kaleck auch auf das Auseinanderklaffen von echtem Täterwissen und reinem Hörensagen in den Aussagen des Kronzeugen aufmerksam und wies in für eine Verurteilung relevanten Passagen nach, dass sich Mousli auf reines Hörensagen und Wissen aus zweiter Hand bezieht.

Liebedienerei, Kumpelhaftiggkeit und unsägliche Tölpelhaftigkeit

Rechtanwältin Edith Lunnebach plädierte für ihren Mandanten Matthias B. auf Freispruch. Sie machte in einem geschliffenen Plädoyer deutlich, dass es niemandes Ernst sein könne, ihren Mandanten allein wegen der Aussagen des Kronzeugen verurteilen zu wollen. Dabei bezog sie sich u.a. auf Aussagen des Bundesgerichtshofes (BGH) in diesem Zusammenhang: Der kritischen Bewertung der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen müsse der Tatrichter danach mit besonderer Qualifikation, nämlich Kenntnissen der modernen Aussagepsychologie, nachkommen, hier seien besonders strenge Maßstäbe anzulegen. Die auf durchsichtige Weise gelenkte und, in der Dynamik von Erwartungshaltung der Behörden, Erfolgsdruck des Kronzeugen und entstehenden persönlichen Beziehungen, sich vollziehende Entwicklung seiner Aussage strotze nur so haarsträubenden Widersprüchen, von offenen Lügen und großzügig übersehenen Fehlern, denen zwingend ein Freispruch für den solchermaßen belasteten Angeklagten folgen müsse, so Frau Lunnebach.

Ausführlich ging die Verteidigerin auf die einzelnen Ungeheuerlichkeiten von Vernehmungen und Aussagen des Kronzeugen ein. Insbesondere bei dem, was die Anwältin im Zusammenhang mit der Identifizierung ihres Mandanten durch Mousli an Aussagen zusammengetragen hatte, kann sich der unvoreingenommene Beobachter einmal mehr nur an den Kopf fassen. Da wirkt die Aussage der BAW in ihrem Plädoyer, Mouslis Aussagen enthielten "ausreichend viele Real-Kennzeichen", angesichts deren "skandalös dürftiger Bewertung" geradezu lächerlich.

"Bei uns im Rheinland", so führte Frau Lunnebach aus, gebe es bei Gericht eine Art Gegenprobe zu Zeugenaussagen in der Frage: "Was haben wir eigentlich ohne die Aussagen des Kronzeugen". Diese Kontrollfrage sei dem hiesigen Gericht dringend zu empfehlen, denn - so ihre Schlussfolgerung - es habe der "erkennende Senat keine ausreichende Sachkenntnis, den Sachverhalt zu bewerten". Auch sie ging noch einmal auf die Vernehmungsbeamten Schulzke ("unsägliche Tölpelhaftigkeit") und Trede sowie Mouslis Kontaktpersonen im Zeugenschutz und bei der BAW ein, sprach von deren "liebedienerischem Ansatz" nichts zu hinterfragen oder offensichtliche Unklarheiten, Widersprüche oder Falschaussagen "in kumpelhafter Weise" einfach stehen zu lassen. Dies Verhalten sei ein "Sprengsatz für die Wahrheitsfindung". Mousli habe, so Lunnebach, bis zum Schluß ein, was den Wahrheitsgehalt betrifft, wohl dosiertes, taktisches Aussageverhalten an den Tag gelegt, mithin "sein Spielchen" mit den Beamten gespielt, "überschießende Belastungstendenzen" offenbart und stets das ausgesagt, was er für die Erwartung der Vernehmenden hielt.

Rechtsanwältin Lunnebach stellte zur Untermauerung ihrer niederschmetternden Bilanz drei Hilfsbeweisanträge: Mouslis sämtliche Aussagen als - zunächst - Beschuldigter, dann gleichzeitig Zeuge und Beschuldigter und schließlich als Kronzeuge zwischen 1999 und Januar 2001 sollen vor Gericht zur Verlesung kommen, um beweisen zu können, dass er von Anfang an - was er eingestand - "kunstvoll und bewußt gelogen" hat, dann weiterhin bis zum 31.12.99 wahrheitswidrig erfunden hat und ab da quasi als Sachverständiger betrachtet und unhinterfragt gehört wurde. Zu laden sei Prof. Köhnken, forensischer Psychologe an der Uni Kiel, der anhand des Aussageverhaltens des Kronzeugen zu den Lichtbildmappen nachweisen werde, dass die Vorlage "offensichtlich nicht korrekt" vonstatten ging, die Identifizierung des vermeintlichen "Heiner" eine "suggestive Vorgeschichte" hat und der Aussagewert mithin gleich null ist.

Verlesung der Passagen aus Mouslis Aussage zum berühmten Waldspaziergang der Berliner RZ-Mitglieder, um zu beweisen, dass der Waldspaziergang eine reine Erfindung sei. In Mouslis Aussage nehmen an diesem fast schon legendären RZ-Ausflug in etlichen aufeinander folgenden Aussagen immer mehr Personen teil: was anfangs eine lauschige Vierergruppe war wächst sich im Laufe der Kronzeugenschaft geradezu zum Volkswandertag aus, der da durchs Unterholz bricht.

Am Freitag, 19. Dezember 2003 (4. Jahrestag!!!), geht es um 9.15 Uhr mit dem Plädoyer von RA Euler weiter. Das Gericht hob den Termin am 2. Januar auf. d.h. nach dem Kurztermin am 29. Dezember 2003 (Richterin Hennig: "Muss ja!") geht es dann erst am 8. Januar weiter!

Ein noch längerer Bericht entfällt.


158. Prozesstag: 11.12.2003

Strafe muß sein

Haftstrafen zwischen 2 Jahren/6 Monaten für den Angeklagten Axel H. und 4 Jahren/3 Monaten für Matthias B. forderten die Bundesanwaltschaft (BAW) beim Berliner Kammergericht. Nach fast 160 Prozesstagen hielt heute die BAW ihr Schlussplädoyer und stellte die Strafanträge für die fünf Angeklagten.

Der knapp sechsstündigen Vortrag wiederholte in allen wesentlichen Abschnitten die Anklageschrift aus dem Jahr 2000. Die Aussagen des Kronzeugen Mousli im Prozess wurden von den Bundesanwälten Bruns und Walenta durchgängig als glaubwürdig, schlüssig und wahrheitsgetreu bewertetet. Sie würden sich widerspruchsfrei in den gesamten Geschehnisablauf einpassen und die tatsächlichen Tathergängen widerspiegeln.

Die Beweisführung der Verteidigung, dem Kronzeugen Falschaussagen nachzuweisen, sei auf ganzer Linie gescheitert. Keine einzige Erkenntnis in dem Verfahren hätte seine Aussagen auch nur ansatzweise erschüttern können. Im Gegenteil, die Vernehmungen vieler anderer Zeugen könnten als Bestätigung interpretiert werden. Die ständigen Beschwerden über fehlende Prozessunterlagen und weitere verdeckte Ermittlungsergebnisse durch die Verteidigung wären einer reinen Verschwörungstheorie entsprungen. Die Inhalte der Einlassungen einiger Angeklagte während des Prozesses bestünden aus Schutzbehauptungen und würden so den Angaben des einzigen Zeugen nicht widersprechen können. Bei der unterschiedlichen Strafzumessung flossen u.a. die Koperationswilligkeit mit der Justiz, die Rädelsführerschaft, die Abkehr von militanter Politik, das Lebensalter und ein bundesanwaltschaftlich selbstgebasteltes Persönlichkeitsprofil der TäterIn ein. Die Haftbefehle seien aufzuheben, u.a. weil diese Angeklagten inzwischen in die Mitte unserer bürgerlichen Gesellschaft zurückgefunden hätten.

Am Do., den 18.12., wird der Prozess mit dem ersten Plädoyer der Verteidigung um 9:15 Uhr fortgesetzt.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


157. Prozesstag: 05.12.2003

Pausenclown: Plädoyer der Bundesanwaltschaft hat begonnen

Erneut wurden von der Verteidigung Beweisanträge gestellt und Gegendarstellungen abgegeben, die - nach einer Pause (9.40-11.10 Uhr) - von der Bundesanwaltschaft negativ kommentiert und - nach einer Pause (11.20-11.40 Uhr) - entsprechend vom Senat abgelehnt wurden (so auch alle vom gestrigen Prozesstag); keine einzige beantragte Zeugenbefragung wurde zugelassen.

Nach einer Pause (11.45-12.05 Uhr) beschloss die Vorsitzende Richterin Hennig, die Mittagspause eintreten zu lassen (bis 13.00 Uhr); ssnicht jedoch, ohne mitzuteilen, dass sie danach noch einige Dokumente zu verlesen und dann die Beweisaufnahme zu schließen gedenke; sodann solle die Bundesanwaltschaft (BAW) mit ihrem Plädoyer beginnen.

Bundesanwalt Bruns, der darauf verwies, sein Plädoyer würde "netto sechs Stunden" umfassen, und er würde "lieber erst am kommenden Donnerstag" plädieren, hatte angesichts der Widerworte der Vorsitzenden Richterin aber "keinen Arsch in der Hose", wie ihm ein Anwalt zuwarf.

So wurde die Sitzung um 13.10 Uhr mit der Verlesung von Dokumenten zur Mitgliedschaft des Angeklagten Rudolf S., zwei Anwesenheitslisten von Genossenschaftssitzungen sowie - nach einer Pause (13.35-13.45) - den Strafregisterauszügen aller Angeklagten wieder aufgenommen, worauf der Bundesanwalt nun doch noch heute den Pausenclown geben musste.

"Hohes Gericht, meine Damen und Herren, der Mythos der terroristischen Organisation ‚Revolutionäre Zellen' ist verblasst, die RZ ist weitgehend von selbst dahingeschieden", mit diesen Worten begann Bundesanwalt Bruns sein Plädoyer. Das Ende der RZ habe zum einen an "der personeller Überalterung", vor allem aber daran gelegen, dass "die RZ ihren Auftrag, viele Revolutionäre Zellen zu schaffen und massenhaft Widerstand zu organisieren", nicht habe umsetzen können; sie habe es nicht geschafft, "Nachwuchs rekrutieren" zu können. Das zeige sich bereits bei Tarek Mousli, dieser habe auch nichts mit "der Plattitüde vom Verrat" zu tun, sondern sei vielmehr das "Symbol für das Versagen der Stadtguerilla."

In den verbleibenden etwa 30 Minuten beschwerte sich Bruns sodann über die fehlende Bereitschaft der Angeklagten, (mit ihm) über die politischen Überzeugungen und die ideologische Aufarbeitung der RZ zu diskutieren. Statt "das Wagnis der historischen Aufarbeitung einzugehen", hätten sich die Angeklagten mit Unterstützung ihrer Anwälte "wie eine Autoschieberbande verhalten" und lediglich "opportunistisch taktiert."

Umfangreich und zustimmend zitierte Bruns sodann aus dem im Internet dokumentierten Papier des, so Bruns, "in Sachen Terrorismus ja nicht gerade unerfahrenen Klaus Viehmann", der richtig geschrieben habe, dass die Angeklagten "auf eine politische Dimension" in diesem Verfahren verzichtet hätten. Wenn es sich aber, so der Bundesanwalt, "bei den RZ um mehr als um eine Erscheinungsform von Organisierter Kriminalität gehandelt haben soll", dann hätte es politischer Erklärungen bedurft.

Dafür seien auch die Voraussetzungen angesichts "einer - nennen wir es mal - politisch interessierten Öffentlichkeit" gegeben gewesen und "angesichts von anwesenden Bundestagsabgeordneten und Vertretern internationaler Menschenrechtsorganisationen" habe es ja durchaus "auch ein Forum" gegeben. Doch, so Bruns, "selbst denjenigen Angeklagten, die Einlassungen gemacht haben, war nicht daran gelegen, über empfangene Huldigungen der interessierten Öffentlichkeit hinaus, Stellung zu beziehen." Aus ihrer "bürgerlichen Idylle", in der sie sich eingerichtet hätten, wollten sie nicht mehr hinaus; so haben die Einlassungen der Angeklagten zu ihren Taten (bei ihm) nicht einmal den Eindruck "einer Jugendsünde", sondern lediglich den Eindruck eines "peinlichen Irrtums" hinterlassen.

Sodann setzte Bruns sich mit der - offenbar wieder von einer interessierten Öffentlichkeit kolportierten - "Losung vom Terroristenprozess" und dem "Senat als willfährigem Erfüllungsgehilfen der Bundesanwaltschaft" auseinander. Diese Haltung der Angeklagten haben sich die Anwälte, so Bruns, teilweise zu Eigen gemacht und dabei "mit zum Teil unerträglichen Anwürfen gegen den Senat" gearbeitet. Von der Klage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof und dem "Anwurf rechtsstaatswidriger Anklagen" werde "nichts übrig" bleiben; wenn von Verteidigung und Angeklagten trotzdem an dieser Formulierung und Haltung festgehalten wird, dann sei der Grund dafür, "die mögliche Verurteilung der Angeklagten als Willkürurteil darstellen zu können."

Zwar habe es Fehler und Pannen auf allen Seiten gegeben, "auch auf Seiten der Bundesanwaltschaft", so Bruns, "das ist einzugestehen". Von absichtsvollen Unterschlagungen und dergleichen mehr könne aber keine Rede sein. Der "seitens der interessierten Öffentlichkeit" gemachte Vorwurf des "unbedingten Verfolgungswillens" der Bundesanwaltschaft liege "nicht nahe"; vielmehr sei Strafverfolgung bei Schusswaffengebrauch und Sprengstoff - unabhängig von politischen Richtungen - notwendig.

Abschließend wandte sich Bruns der "Kronzeugenproblematik" zu, die zwar "formal keine Anwendung fand." Es sei "aber nicht zu verkennen, dass für Tarek Mousli ein starkes Motiv bestand, ein Geständnis abzulegen." Die Aussage sei "aber daher nicht als unverwertbar anzusehen", vielmehr sei die Aussage für Mousli mit vielen biographischen Brüchen verbunden und stelle bedeutende Einschnitte für sein weiteres Leben dar. "Angesichts einer Alimentierung auf Sozialhilfeniveau" sei von finanziellen Anreizen nicht auszugehen. Gleichwohl seien seine Vorwürfe mit besonderer Sorgfalt geprüft worden, und die Aussagen von Tarek Mousli hätten sich in wesentlichen Punkten bestätigt. Es gehe darum, dass von den Angeklagten kriminelles Unrecht begangen wurde, "und sie werden sich dafür zu verantworten haben."

Zusammengefasst: Bundesanwalt Bruns vermisst die politische und ideologische Auseinandersetzung sowie Aufarbeitung der Geschichte der RZ, ist offensichtlich einer Meinung mit Klaus Viehmann und offenbar auch für die Erhöhung der Sozialhilfe auf 2.400 DM (ca. 1.200 Euro) monatlich plus Pkw und regelmäßig bezahlter Telefonrechnung. In Sachen Beweisausführungen wird es in der nächsten Woche kleinlauter zugehen.

Bruns bat hier, seine wegweisenden Ausführungen vorerst beenden zu dürfen; der Prozess wird mit der weiteren Verlesung des Plädoyers durch die Bundesanwaltschaft am kommenden

Donnerstag, 11. Dezember 2003 um 9.15 Uhr fortgesetzt.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


156. Prozesstag: 4.12.2003

Für die einen Prozessverschleppung, für die anderen ein kapitaler Verfahrensverstoß

Laut Bundesanwaltschaft (BAW) und dem Senat fußten der Haftbefehl gegen den Angeklagten Axel H. und der Durchsuchungsbeschluss für den Mehringhof im Dezember 1999 auf nicht beweisbare Behauptungen bzw. eine missverständliche Beweislage (vgl. 154. Prozesstag). Jedenfalls soll es keine Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli aus dieser Zeit geben, in der er davon gesprochen habe, dass im Mehringhof der Sitz eines ominösen "Koordinierungsausschusses" war, der Gelder an aktive und untergetauchte RZ-Militante verteilt habe, und dem Axel H. angehört haben soll.

Für die BAW und das Gericht ist dieser Umstand nicht weiter von Bedeutung. Anders sieht dies die Verteidigung, die mit entsprechenden Beweisanträgen Aufklärung verlangt. Ein Beweisantrag auf Ladung des BKA-Beamten Weidebach und Verlesung einer Seite von www.freilassung.de der Verteidigung von Harald G. vom letzten Verhandlungstag wurde heute jedoch nach einer entsprechenden Stellungnahme der BAW abgelehnt. Der Antrag sei unbegründet, so Bundesanwalt Bruns, zudem zeigten die Umstände der Antragsstellung, dass es der Verteidigung nur um Prozessverschleppung ginge. Der Senat bezog sich in seinem ablehnenden Beschluss ausdrücklich auf die BAW-Stellungnahme, "die er sich der Sache nach zu eigen macht", wie das Gericht bekundete.

Die Verteidigung von Axel H. beantragte daraufhin die Ladung von Bundesanwalt Griesbaum, der den Haftbefehl gegen ihren Mandanten damals beim Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) angefordert hatte. Sollte sich dabei herausstellen, dass der Haftbefehl auf Grund willkürlicher Mutmaßungen beantragt worden sei, wäre damit ein schwerwiegender Verfahrensverstoß gegeben, der einem rechtstaatlichen fairen Verfahren widerspreche. Laut Rechtssprechung habe ein solcher Verstoß Einfluss auf die Strafzumessung.

Nach einer der zahlreichen Unterbrechungen, die die heutige Hauptverhandlung erneut prägten, erklärte die BAW, der Antrag sei zurückzuweisen. Er sei unbegründet und die in Beweis gestellten Tatsachen seien aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung, so Bundesanwalt Bruns. Ausdrücklich wies die BAW daraufhin, dass selbst wenn ein Verfahrensverstoß vorliegen würde, dies keine Relevanz habe, da die Behauptung, Axel H. sei Mitglied im "Koordinierungsausschuss" gewesen, weder Eingang in die Anklage gefunden habe, noch Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sei.

Dass der Haftbefehl gegen Axel H. durch unrichtige Angaben der BAW erschlichen wurde und ein solches rechtstaatswidrige Verhalten der Ermittlungsbehörden rechtlich relevant sei, ist für die Verteidigung von Sabine E. zwar offensichtlich - für Bundesanwalt Bruns ist diese Aussage allerdings eine "Unverschämtheit". Wie dieses das Gericht sieht, erfährt man morgen, wenn der Prozess wie gewohnt um 9.15 Uhr fortgesetzt wird.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


155. Prozesstag: 28.11.2003

Tag der Unterbrechungen

Insgesamt sieben Beratungspausen und sonstige Unterbrechungen prägten den heutigen Verhandlungstag und ließen die reine Verhandlungszeit mal wieder auf ca. eine halbe Stunde schrumpfen.

Zu Beginn wollte Rechtsanwalt Becker von der Vorsitzenden Richterin wissen, ob sie in Vorbereitung des Gerichtsbeschlusses vom 27. November mit dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Dr. Wolst und Bundesanwalt Monka gesprochen hätte, und ob die Begründung des Kammergerichts, beide seien bei der Antragstellung bzw. bei der richterlichen Ausstellung von Durchsuchungsbeschlüssen einem Irrtum unterlegen (vgl. 154. Prozesstag), auf deren eigenen Angaben beruhen würden. Dies wurde von der Vorsitzenden mit einem knappen "Nein" beantwortet und ein diesbezüglicher Protokollierungsantrag wurde ebenfalls abgelehnt.

Die Anträge vom Vortag (vgl. 154. Prozesstag) wurden mit der zur Routine gewordenen Abfolge von bundesanwaltschaftlicher Stellungnahme und sich darauf stützender richterlicher Ablehnung zurückgewiesen. So wird der Zeuge Tarek Mousli keinen begleiteten Ausflug in die Oranienstrasse machen müssen, um dort die angeblich von ihm häufig aufgesuchte Konspirative Wohnung zu lokalisieren. Auch der Antrag auf Vernehmung zweier BKA-Beamten zu Tarek Mouslis Aussagen über den angeblichen "Koordinierungsausschuss", die sich nicht in den Akten befinden, wurde vom Gericht abgelehnt.

Allerdings versuchte die Verteidigung des Angeklagten Harald G. mit einem erneuten Antrag, den angeblich nicht auffindbaren Aussagen Tarek Mouslis doch noch auf die Spur zu kommen. Da die BAW sich nicht kurzfristig in der Lage sah, eine Stellungnahme dazu abzugeben, wurde vertagt auf Donnerstag den 4.12. um 9.15 Uhr.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


154. Prozesstag: 27.11.2003

Alles nur ein Missverständnis

"Alles nur ein Missverständnis", so das Kammergericht heute, weshalb auch der Beweisantrag der Verteidigung von Harald G. vom letzten Verhandlungstag (vgl. 153. Prozesstag) abgelehnt wurde, mit dem erneut einer Lüge des Kronzeugen Tarek Mousli auf die Spur gekommen werden sollte. Mousli hatte bei einer Vernehmungen im November/Dezember 1999 - die sich allerdings "nicht in den hiesigen Akten befindet", so die Verteidigung - behauptet, Axel H. sei Mitglied in einem so genannten Koordinierungsausschuss gewesen, der Gelder an Illegale der RZ verteilt und seinen Sitz im Berliner Mehringhof gehabt habe. Diese Aussage fand dann auch Eingang in die Durchsuchungsbeschlüsse für die Razzia im Mehrinhof und die Wohnung von Axel H. sowie in dessen Haftbefehl vom Dezember 1999. Kurze Zeit später hat Mousli diese Aussage revidiert, und angegeben, der Ausschuss habe in einer WG in Berlin-Kreuzberg getagt. Zum gleichen Thema gab es einen weiteren Beweisantrag.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) wusste heute lediglich zu berichten, eine Aussage Mouslis zum "Koordinierungsausschuss" im Mehringhof sei "hier nicht bekannt". So sah es auch das Gericht - "nach Recherchen des Senats und der Bundesanwaltschaft". Bleibt also die Frage, wie eine solche Behauptung in den Haftbefehl und die Durchsuchungsbeschlüsse eines Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs kommt, unbeantwortet im Raum stehen. War halt alles nur ein Missverständnis.

Da Rechtsanwalt Johnny Eisenberg heute den Beweisantrag stellte, die Prozessbeteiligten sollten mit Tarek Mousli einen Ausflug in die Oranienstraße machen, wo der Kronzeuge die Hausnummer 7 als Ort einer angeblichen Konspirativen RZ-Wohung identifizieren würde, wurde gegen Mittag die Hauptverhandlung unterbrochen. Die BAW wollte für eine Stellungnahme bis 14 Uhr Zeit haben, was aber bei Gericht auf wenig Gegenliebe stieß.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


153. Prozesstag: 20.11.2003

Ermüdende Macht-Spielchen des Senats

Da will jemand zum Ende kommen - koste es was es wolle. Der 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin unter Vorsitz der ehrwürdigen Richterin Gisela Hennig machte heute erneut kurzen Prozess mit den Beweisanträgen der Verteidigung. Aber Vorsicht, wer jetzt meint, es habe mal wieder nur einen kurzen Prozesstag gegeben, der/die liegt total daneben.

Bevor der Senat zur Tat schritt, kam wie gewohnt die Bundesanwaltschaft (BAW) mit sachdienlichen Hinweisen zum Zuge. Der Antrag der Verteidigung von Harald G. vom letzten Verhandlungstag auf Ladung von BKA-Beamten, die bestätigen würden, dass die BAW zeitnah über die Ermittlungsergebnissen zu der angeblichen konspirativen Wohnung in der Kreuzberger Oranienstraße unterrichtet worden sei, sei zurück zuweisen. (vgl. 144.Prozesstag) Bei dem Antrag handele es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Nachzugehen die Aufklärungspflicht nicht gebiete. Neben dieser Standardformulierung beschied die BAW dem Antrag zudem, er sei aus der Luft gegriffen, bloße Mutmaßung und ohne tatsächlichen Anhaltspunkt. Kein Wunder: Waren den übrigen Prozessbeteiligten doch diese Ermittlungen erst im März 2003 bekannt gemacht worden. An einem erneuter Nachweis der massiven Aktenmanipulation kann der BAW wahrlich nicht gelegen sein, also galt das Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.

Auch die Gegendarstellung zu einem Gerichtsbeschluss vom 4. September und dem damit verbundenen Antrag der Anwältinnen von Harald G. auf Ladung der Verfassungsschützer, die zwischen April und September 2000 Gespräche mit Tarek Mousli geführt haben, fand keine Gnade in den Augen der Bundesanwälte Bruns und Wallenta. Die Verteidigung hatte erneut das Gericht aufgefordert, nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlins (vgl. Extra-Meldung vom 18.8.2003) die Protokolle dieser Gespräche anzufordern. Zusammen mit den zu ladenden VS-Zeugen sollte damit nachgewiesen werden, wie der Kronzeuge mit Informationen gefüttert wurde, die er dann bei Vernehmungen durch das BKA bereitwillig wiederkäute. Das Urteil der BAW: "Die unter Beweis gestellten Tatsachen sind für die Schuld- und Straffrage ohne Bedeutung." Ob Mousli "Erinnerungshilfen" erhalten habe, sei "für dieses Verfahren" nicht von Belang.

So kundig gemacht, schritt der Senat zur Verkündigung seiner Beschlüsse. Anlass, seinen Beschluss vom 4. September zu korrigieren, sah das Gericht nicht, da das VG-Urteil nicht rechtskräftig sei. Das Verwaltungsgericht hatte im August die so genannte Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums (BMI) für rechtswidrig erklärt, durch die weite Teile der Gesprächsprotokolle lediglich geschwärzt herausgegeben worden waren. Das BMI hat bislang keine Rechtsmittel gegen diese Entscheidung eingelegt, was zwar nicht so recht zur Begründung des Senats passt, aber ihn nicht weiter stört. Die VS-Männer erklärte das Gericht kurzer Hand zu unerreichbaren Zeugen; dass deren Namen genannte werden würde, sei nicht zu erwarten. Außerdem sei die Aufklärung der Frage, ob der Kronzeuge präpariert worden sei, "aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung", denn - so die Mannen um Frau Hennig - entspricht es der allgemeinen Erfahrung, dass Erinnerungen wiederkehren.

Dass Mousli sich in seinem Prozess im Dezember 2001 darauf festgelegt habe, dass eine konspirative Wohnung der RZ von Wolfgang B. in der Oranienstraße 7 oder 9 zur Verfügung gestellt worden sei, so der Senat, sei "eine aufs gerade wohl ins Blaue gestellte Behauptung" , deshalb: Antrag abgelehnt. Und von Aktenmanipulation bzw. -zurückhaltung könne keine Rede sein, denn "maßgeblich ist allein, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungsergebnisse dem Gericht vorgelegt hat". Was macht da schon eine "Verzögerung" von zwei Jahren.

Doch die Verteidigung lässt sich nicht entmutigen. Die Anwältinnen von Harald G. legten gleich mit zwei weiteren Beweisanträgen nach. In dem einen wurde beantragt, die Ermittlungsakten zum so genannten Koordinierungsausschuss bei zuziehen. Laut Mousli soll dieser Ausschuss seinen Sitz im Mehringhof gehabt haben und sei zuständig gewesen für die Verteilung von Geldern an aktive und untergetauchte Mitglieder der Revolutionären Zellen. Diese Aussage fand Eingang in den Haftbefehl für Axel H. und in den Beschluss zur Durchsuchung des Mehringhof im Dezember 1999. Später wurde Mousli vom VS der Tipp gegeben, sich vielleicht nicht so sehr auf das Alternativzentrum in Kreuzberg, sondern besser auf eine WG in der Skalitzer Straße im selben Bezirk zu kaprizieren. Eingang in das Verfahren hat dieser Umstand bislang nicht gefunden; da die Ermittlungen andauerten, wurden entsprechende Akten nicht überreicht. In den Augen der Verteidigung ein weiterer Beweis, dass "mit Kalkül die Angeklagten entlastende Ermittlungen in Strukturakten abgelegt" wurden.

Der zweite Antrag handelte mal wieder von dem Sprengstoff, der in Mouslis Keller eine Woche gelagert gewesen sein soll, bevor er von zwei Kleinkriminellen 1995 geklaut wurde. (vgl. 59. Prozesstag) 1998 wurden durch entsprechende Wischproben aus dem Keller Rückstände von gewerblichen Sprengstoff nachgewiesen. Ob hier alles mit rechten Dingen zu ging, will die Verteidigung in Erfahrung bringen, zumal es in den Jahren 1995 und 1996 zu Überschwemmungen durch Rohrbruch in den Keller gekommen ist. Nach der Überschwemmung des Kellers dürften, so die Verteidigung, allerdings schwerlich im Jahr 1998 aus einer einwöchigen Lagerung im Jahr 1995 Rückstände nachweisbar gewesen sein.

An dieser Stelle wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Ein Blick auf Uhr verriet, es war 10.29 Uhr. Weiter gehen sollte es um 15 Uhr. Der Senat hoffte, dass die BAW dann ihre Stellungnahmen zu den beiden Anträgen abgegeben könnte. Diese hatte aber schon mal vorsorglich angedeutet, bei ihr könne es länger dauern, werde ihr doch zum wiederholten Male doppelte und dreifache Aktenführung vorgeworfen und deshalb müsse man erst mal in die Akten schauen. Aber das Gericht wollte nicht hören, sondern sich die Freude machen, die Angeklagten ein bisschen zu schikanieren. Also ging es um 15 Uhr weiter. Der Senat erklärte sich flugs für sachkundig genug, um die Frage beurteilen zu können, ob nach drei Jahren, zwei Überschwemmung und bei einwöchiger Lagerung von Sprengstoff in einer Tasche, die auf Kisten abgelegt war, Bestandteile von gewerblichem Sprengstoff auf dem Kellerboden nachgewiesen werden kann. Bei dem zweiten Antrag wurde des Senat von der BAW allerdings im Stich gelassen. Sie hatte die entsprechende Fundstelle in den Akten auch nicht herausbekommen. Also erfolgte um 15.14 Uhr eine erneute Unterbrechung der Hauptverhandlung. Erst gegen 16.30 Uhr sah sich der Senat gemüßigt, der Sache ein Ende zu setzen. Nachdem die BAW zugesichert hatte, sie könne die Akten bis morgen um 11 Uhr beschaffen, vertagte sich das Gericht. Es war 16.32 Uhr. Verhandlungsdauer brutto: sieben Stunden, netto: 56 Minuten. Und da sage noch einer, dieses Gericht lege sich nicht ins Zeug.

Der Prozess wird morgen, Freitag, 21. November, um 11 Uhr fortgesetzt.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


 

152. Prozesstag: 14.11.2003

Bald Schluss mit lustig?

Das Kammergericht will die Beweisaufnahme zügig beenden. Nächste Woche könnten bereits die ersten Plädoyers gehalten werden. Diese Absicht unterstrichen heute die RichterInnen durch postwendend erlassene Ablehnungsbeschlüsse von Beweisanträgen der Verteidigung, wie in einem Schnellverfahren. Der Antrag von RAin Lunnebach sollte die Hypothese der Bundesanwälte (BAW) erschüttern, der angeblich in Salzhemmendorf entwendete Sprengstoff Gelamon 40 sei ausschließlich bei den vermuteten Anschlägen der sogenannten RZ verwendet worden. RAin Würdinger wollte durch eine Zeugenaussage beweisen, dass der Kronlügner Mousli bei seinen Angaben über Herkunft und Verwendung von größeren Geldbeträgen seinem Namen alle Ehre gemacht hat. Beides Mal entschied das Gericht, jeweils auf Vorlage der BAW, die Beweiserhebung sei aus tatsächlichen Gründen nicht erforderlich. Zwei weitere Anträge der Verteidigerin des Angeklagten Harald G. folgten. Einer zielte auf die Behauptung des Tarek Mousli zu einer angeblich existierende Konspirativen Wohnung in der Oranienstr. in Berlin - Kreuzberg. Mit dem anderen solle bewiesen werden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Aussagen des Kronlügners bei seinen Vernehmungen vorsätzlich manipuliert hat. Die umfangreichen und ausführlichen Begründungen der Beweisanträge brachten die Ablehnungsrituale doch etwas ins Stocken. Jedenfalls bis Do., den 20.11. um 9:15 Uhr. Dann heißt es wieder, ' es ergeht der folgende Beschluss: der Antrag der Verteidigung wird abgelehnt......'

ausführlicher Bericht


151.Prozesstag: 13.11.2003

Über das "historische Verfallsdatum" des Besten

Anfangs schien sich dieser Verhandlungstag auf eine etwas länger andauernde Verleserunde, zum Thema Auflösung bzw. Nicht- Existenz der Berliner RZ und entsprechende Anwendbarkeit einer Regelung des §129a StGB in einem derartigen Fall, zu beschränken, am Ende allerdings kam noch eine Überraschung.

Den Beginn der Lesestunde machte die Angeklagte Sabine E. mit einer längeren Erklärung, in der sie der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft (BAW) vom 30. Oktober (vgl. 149. Prozesstag) ihre eigene Interpretation über den Inhalt und die Zielsetzung des Papiers "Das Spiel ist aus. Anmerkungen zur Geschlechterdifferenz" (auch unter dem Titel "Was ist das Patriarchat" bekannt) entgegen zu setzen versuchte. Im Kern ging es darum, noch einmal zu betonen, wie sehr sie und ihr Ehemann Rudolf Sch. sich bereits 1987, nach dem Knieschussattentat auf den Asylrichter Dr. Korbmacher, für die Auflösung der RZ eingesetzt haben, deren "historisches Verfallsdatum" sie damals schon erkannt hätten.

"Ich habe mein Bestes getan und wir sind nicht für Leute verantwortlich, die partout nicht aus ihrem sozialrevolutionären Denkschema herauskamen." Ob ihre philosophischen Ausführungen zur Geschlechterdifferenz und ihr historischer Ausflug in die Zeit der Aufklärung im 17. und 19. Jahrhundert, um nur einige Beispiele zu nennen, den Adressaten, die BAW und das Kammergericht, erreicht haben und entsprechend honoriert werden, dürfte allerdings sehr zweifelhaft sein.

Der Angeklagten Sabine E. folgte als Vorlesender ihr Verteidiger Rechtsanwalt Nicolas Becker, der in, für dieses Gerichtsverfahren ungewöhnlich selbstkritischer Art, feststellte, "alle Verfahrensbeteiligten müssten eigentlich ehrlicherweise ein peinliches Versehen eingestehen, nämlich dass sie die Norm des §129 Abs. 6 letzter Satz StGB mit ihrem Verweis auf §129a StGB übersehen haben ... Erst der Beschluss des OLG Naumburg , die anschließende aufgeschreckte Reaktion BA Griesbaums sowie die letztlich bloß dialogische Zwischenentscheidung des BGH haben den §129 Abs. 6 auf die Tagesordnung gesetzt." (vgl. Stellungnahme von heute) Ergänzend zu den philosophischen Ausführungen seiner Mandantin versuchte RA Becker die BAW und deren Interpretation des §129a mit einer ausführlichen juristischen Argumentation zu widerlegen und insbesondere auf den "optimalen Einsatz" seiner Mandantin für eine Auflösung zu verweisen.

Als nächstes verlas RA Dr. Stefan König den Antrag als Sachverständigen Prof. Dr. Herfried Münkler zu laden, der aus der Analyse des Textes "Das Spiel ist aus" zur Schlussfolgerung kommen werde, dass der Text sich sehr deutlich von anderen RZ-Papieren unterscheiden würde und nur als ein "Auflösungspapier" bewertet werden könnte. Die allgemeine Vorlesestunde wurde dann fortgesetzt durch Richter Alban, der verschiedene RZ-Diskussionstexte aus dem Jahre 1992 vortragen durfte. Angefangen von "Wenn die Nacht am tiefsten ... ist der Tag am nächsten" über "Tendenz für eine internationale soziale Revolution" bis zu "Wir müssen so radikal sein, wie die Wirklichkeit" sowie der dazugehörigen Vorbemerkung aus den "Früchten des Zorns". (alle Texte sind unter www.freilassung.de nachzulesen) Auch die Erklärung von RZ zu den Anschlägen 1993 auf Bundesgrenzschutz-Einrichtungen in Frankfurt/Oder und Rothenburg mussten sich die Prozessbeteiligten noch anhören. Danach attestierte die BAW den Richter dieses Strafsenats noch genügend Sachkunde in Sachen RZ, die sie in immerhin 150 Verhandlungstagen gewonnen hätten, weswegen der heutige Antrag auf Ladung eines Sachverständigen abzulehnen sei. Ob die BAW an einem Verhandlungstag gefehlt hat oder schlicht nicht richtig zählen kann, wurde von OstA Bruns nicht beantwortet, da selbst der Senat auf 151 Verhandlungstagen bestand.

Die ruhige Vorlesestimmung wurde jäh unterbrochen, als die Vorsitzende für alle überraschend ihr Vorhaben ankündigte, den heutigen Verhandlungstag für zwei Stunden zu unterbrechen, danach Beschlüsse zu verkünden und am morgigen Freitag noch diverse Schriftstücke zu verlesen, um damit die Beweisaufnahme abzuschließen.

Vorschläge von RA Johnny Eisenberg, die Beschlüsse doch vielleicht erst morgen zu verkünden, um damit ein Wiedererscheinen am heutigen Tag überflüssig zu machen, wurden in der bekannt charmanten Art der Vorsitzenden ("Das wird heute gemacht") und mit der ihr eigenen überzeugenden Argumentationsweise ("Ich muss das nicht begründen") beschieden.

Also wurden dann nach zwei Stunden Mittagspause noch zehn Minuten lang drei Beschlüsse verlesen, bevor das Ende für den heutigen Verhandlungstag verkündet wurde. Der Antrag des RA König wurde mit dem Verweis auf die Sachkunde des Senats abgelehnt, der Antrag von RA Eisenberg hinsichtlich der Anwendung eines persönlichen Strafaufhebungsgrundes nach §129a Abs. 5 i.V.m. §129 Abs. 6wurde abgelehnt, da die Einlassung der Angeklagten nicht geeignet seien, "ein auf das Nichtfortbestehen der Berliner RZ zielendes freiwilliges und ernsthaftes Bemühen zu belegen". Der ebenfalls auf die Strafaufhebung nach §129a zielende Antrag von RA Kaleck wurde ebenfalls abgelehnt, da "es der Beurteilung des Senats (unterliegt), ob den Angeklagten der Strafaufhebungsgrund nach §129a zur Seite steht. Die Auflösung der Berliner RZ oder Einstellung ihrer Aktivitäten allein sagt darüber ohnehin nichts aus".

Der Prozess wird morgen, Freitag, 14. November, zur gewohnten Stunde (9.15 Uhr fortgesetzt).

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


150. Prozesstag: 06.11.2003

RZ eine 'Schläfer'- Vereinigung?

Mit einer Lehrstunde zur Geschichte der Revolutionären Zellen aus Sicht des Verfassungsschutzes entledigte sich heute das Kammergericht seiner Sachaufklärungspflicht. Schließlich ist in den §§ 129 u. 129a eine Strafaufhebung vorgesehen, wenn die inkriminierte Terroristische Vereinigung sich bereits aufgelöst hatte.

Von einem diesbezüglichen Beschluss des OLG Naumburg und entsprechenden Anträgen der Verteidigung offensichtlich aufgeschreckt, wurde aus Berichten des Bundes- bzw. des Landesamtes (Berlin) für Verfassungsschutz der Jahre 1992 bis 1998 zitiert. Die Berliner VerfassungsschützerInnen ordneten im Juni 1991 einen letzten Anschlag den RZ zu. Danach folgten ausschließlich Mutmaßungen über die weitere Existenz dieser Gruppierung. Der TäterInnenkreis wäre ohnehin schwierig einzugrenzen bei diesem 'Feierabendterrorismus', jammerten die ErmittlerInnen. Offenbar zur Erhaltung ihrer Arbeitsplätze wurde gebetsmühlenartig bis 1996 über ein weiterhin bestehendes theoretisches Gefährdungspotenzial fabuliert.

Das Bundesamt will ebenfalls eine grundlegende Konzeptdiskussion seit 1992 bei den RZ verfolgt und Kenntnis von einem Auflösungsbeschluß haben. Aber erst 1994, mit einem Anschlag auf einen Fahrkartenschalter in Frankfurt/M., wurden den RZ bzw. sogenannter 'Nachahmer- oder Resonanzgruppen' die letzte Aktivität zugeordnet.

Abschließend reagiert RA Kaleck auf eine Stellungnahme der Bundesanwälte (BAW) vom vorangehenden Verhandlungstag. Das bereits oben erwähnte Urteil mag der BAW in ihrem unbedingten Verurteilungswillen hinderlich sein, doch das dürfe kein Grund sein, diese erste richterliche Entscheidung zur Strafaufhebung und die Schlußfolgerungen für dieses Verfahren schlichtweg zu ignorieren.

Nächste Verhandlung: Do., 13. November 2003 um 9:15 Uhr.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


149. Prozesstag: 30.10.2003

Gesinnungsjustiz in Reinform

"Hoher Senat, meine Damen und Herren", so förmlich hob Bundesanwalt Bruns heute an, als er die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft (BAW) zu den Beweisanträgen der Verteidigung vortrug, mit denen der Frage nachgegangen werden soll, ob nach Auflösung der RZ überhaupt eine Verurteilung der Angeklagten nach §129a möglich ist. Man war also vorgewarnt - und das war auch gut so, denn was folgte, war eine absurde Textexegese der BAW, mit dem alleinigen Ziel die andauernde Gefährlichkeit der "Revolutionären Zellen" im allgemeinen und der Angeklagten im besonderen Jahre nach dem letzten Anschlag der RZ und der Anfang der 1990er Jahre geführten Auflösungsdiskussion zu belegen.

Obwohl alle Welt davon ausgeht, dass die "Revolutionären Zellen" Geschichte sind, und selbst in der Anklage zum hiesigen Prozess von der "Selbstauflösung der 'Berliner Zelle' im Jahre 1995" die Rede ist, wurde diese "gesicherte Lebenserkenntnis" nach mehr als eineinhalb Jahren zum Gegenstand der Hauptverhandlung - aus gutem Grund (s.u.). Um aus "berufenen Mund" eine Bestätigung für die erfolgte Einstellung der Aktivitäten in Berlin zu erhalten, beantragte die Verteidigung die Ladung u.a. des Berliner Innensenators, des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes bzw. des Berliner Verfassungsschutzes sowie von verschiedenen, zum Teil noch aktiven Leitern des polizeilichen Staatsschutzes und anderer Dienste. (vgl. 146. und 148. Prozesstag)

Für die BAW, so war heute zumindest den Ausführungen von Bundesanwalt Bruns zu entnehmen, ist allerdings die "unter Beweis gestellte Tatsache (also die Auflösung der Berliner RZ) ohne Bedeutung". Vor dem Hintergrund einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg eine durchaus gewagte These. Hatten doch die Naumburger Richter im August in einer Haftsache doch entschieden, dass die drei zur Zeit wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" vor Gericht stehende Magdeburger Antifaschisten nicht nach §129a zu verurteilen seien, da sich die unterstellte Vereinigung bereits aufgelöst habe und seit geraumer Zeit nicht mehr in Erscheinung getreten sei. Der/die JuristIn spricht hierbei von einem "persönlichen Strafaufhebungsgrund". Der Bundesgerichtshof hob zwar den Beschluss des OLG Naumburg auf, allerdings nur, weil er die zweifelsfreie Auflösung in der Beweisaufnahme festgestellt sehen wollte.

Einen "persönlichen Strafaufhebungsgrund" sah Bundesanwalt Bruns also für die Angeklagten im RZ-Verfahren nicht gegeben, und in Richtung des Senats mahnte er an, diese Schlussfolgerung dürfe auch "keinesfalls gezogen werden". Und warum? Nach "herrschender und zutreffender Meinung", so jedenfalls Bruns, sei Voraussetzung für einen Strafaufhebungsgrund, das "freiwillige und ernsthafte Bemühen" und die "aktive Verhinderungstätigkeit des Täters". Bezeichnend, dass er im weiteren - entgegen üblicher Gepflogenheit - keine einzige Kommentierung zur Illustration und Unterfütterung seiner Behauptung anführte, wenn auch kaum verwunderlich, fällt diese doch mehrheitlich ganz anders aus. (vgl. Antrag der Verteidigung von Matthias B.) Weder eine "qualifizierte, aktive Verhinderungstätigkeit, die zumindest subjektiv optimal sei muss", sah Bruns bei den Angeklagten, noch habe die Beweisaufnahme Anhaltspunkte gegeben, "dass einer der Angeklagten nach §129a Abs.5 i.V.m. §129 Abs. 6 ernsthafte Aktivitäten entwickelt hat".

Was tun, wenn man die unumstößliche Tatsache, dass die RZ seit Jahren nicht mehr aktiv sind, nicht einfach aus der Welt schaffen kann? Was tun, wenn die "Beseitigung des durch eine terroristische Vereinigung bewirkten hohen Gefährlichkeitspotentials" (OLG Naumburg) längst eingetreten ist und somit der Strafaufhebungsgrund greift? Man behauptet einfach dreist das Gegenteil, so auch Bundesanwalt Bruns für die Zeit nach dem Ausstieg von Sabine E. und Rudolf Sch.: "Die Berliner RZ hat mit dem personellen und sachlichem Bestand weiter gewirkt." Sabine E., Rudolf Sch. und Matthias B. hätten sich nie von militanter Politik distanziert, ihr Verhalten sie lediglich "ein persönliches Zurückgehen in die Legalität". Die Erklärung von Rudolf Sch., dass von Sabine E. Ende der 1980er Jahre verfasste Papier "Was ist das Patriarchat" sei eine Abrechnung mit Konzepten militanter Politik und dokumentiere einen "grundsätzlichen Perspektivenwechsel", sei nicht glaubhaft. (Die Prozessbeteiligten hatten im Anschluss an die Ausführungen der BAW die Gelegenheit, sich von diesem Papier selbst ein Bild zu machen - dank des besitzenden Richters Hanschke, der zum Vorlesen verdonnert worden war.) Fleißig hatte Bundesanwalt Bruns für seine Stellungnahme die Papiere aus dem RZ-Zusammenhang studiert, die Anfang der 1990er Jahre erschienen sind und den Auflösungsprozess nach außen hin dokumentierten. Auf Grund seiner Lektüre kam er zu der Einschätzung, dass Papier von Sabine E. hätte ganz im Gegenteil den Anstoß zu einer neuen RZ-Kampagne geben sollen. Zwar hat es nie eine anti-patriarchale RZ-Kampagne gegeben, was ja - wenn diese Interpretation einer "radikalen Neubestimmung" zutreffen sollte - wiederum ein Indiz für die erfolgte Auflösung wäre, doch solche dialektischen Feinheiten interessieren einen Bundesanwalt nicht, gibt es da ja immer noch den Kronzeugen, auf den man sich in der Not stützen kann. Und so wurde flugs noch eine entsprechende Aussage Tarek Mouslis aus dem Hut gezaubert.

Und weil die Lage für die BAW ernst ist und viel auf dem Spiel steht, fehlt in den Ausführungen auch nicht der Verweis auf das Knieschussattentat auf den Verwaltungsrichter Dr. Korbmacher 1987, lies: der Appell an den Senat zur Klassensolidarität, zumal das Opfer ja einer aus den eigenen Richter-Reihen war. Beinahe genüsslich zitierte Bruns aus der Anschlagserklärung, um anschließend feststellen zu können, wer solche "Hasstiraden" zu verantworten habe, könne nicht glaubhaft von einem zeitgleich einsetzenden "Perspektivwechsel" reden, der dann zum Ausstieg aus der RZ geführt habe, wie es Rudolf Sch. in seiner persönlichen Erklärung vom letzten Verhandlungstag getan hat.

Hätte es noch eines Beweises bedurft, die Bundesanwaltschaft hätte nicht deutlicher dokumentieren können, was für ein Verfahren sie hier betreibt und welchen Charakter dieser Prozess hat. Die Angeklagten sind politische Gegner, die zu bekämpfen sind, der Prozess ist ein politischer Prozess, in dessen Zentrum die politische Gesinnung der Angeklagten steht. Dem gemäß kann es aus Sicht der BAW Strafaufhebung auch nur für den/die geben, der/die kapituliert und öffentlich von seiner politischen Überzeugung abschwört.

Mit einer Entscheidung des Senats zu den Beweisanträgen der Verteidigung ist frühestens kommenden Donnerstag (6.11.) zu rechnen. Die beiden Verteidiger Kaleck und Becker kündigten jedenfalls eine Stellungnahme zu den Ausführungen der BAW an, die eventuell die Zeitplanung des Senats zunichte machen könnten. Die morgige Hauptverhandlung wurde aufgehoben.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


148. Prozesstag: 23.10.2003

Die RZ gibt's schon lange nicht mehr

Nur auf Grund einer halbstündigen Unterbrechung - Rechtsanwalt Eisenberg hatte sich verspätet -, wurde heute bis 10.15 Uhr verhandelt. Erneut ging es kurz und knapp zur Sache.

Rechtsanwalt Eisenberg stellte einen Beweisantrag, der darauf abzielte, den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und den Anfang der 1990er Jahre amtierenden Leiter des Berliner Staatsschutzes zu laden. Beide Herrn sollen bekunden, dass alle relevanten Sicherheitsbehörden bereits 1991 davon ausgegangen sind, dass sich die Berliner Revolutionären Zellen (oder Zelle?) (RZ) aufgelöst haben, und dass das so genannte Patriarchatspapier als Auflösungspapier angesehen worden ist. Zudem versuchte Rechtsanwalt Becker, den Senat dazu zu bewegen, eine Erklärung abzugeben, dass auch die Kammer grundsätzlich davon ausgehe, dass die RZ nicht mehr existiere. Doch auf den Stühlen des Senats bewegte sich nichts.

Dafür gab Rechtsanwalt Euler im Namen seines Mandanten Rudolf Sch. eine Erklärung ab. In dieser erklärte Rudolf Sch. erneut, dass bei ihm und seiner Frau Sabine E. nach dem Anschlag auf Korbmacher und mit Beendigung der RZ-Flüchtlingskampagne ein grundsätzlicher Perspektivwechsel eingesetzt habe. Die Pistole, die für das Attentat auf Korbmacher benutzt worden sei, habe man in ein Tuch eingewickelt und von einer Brücke in den Landwehrkanal geworfen. Sabine E. habe diesen Perspektivwechsel zudem in dem von ihr 1987 verfassten Patriarchatspapier, das im Februar 1989 veröffentlicht worden ist, umfänglich begründet. "Da wir kein offizieller Verein waren", so Rudolf Sch., "konnten wir keinen Auflösungsantrag stellen, um unsere Haltung zu dokumentieren. Unser konsequent durchgehaltener Ausstieg konnte und sollte aber genau so verstanden werden. Er ist auch so verstanden worden. Schließlich sind die anderen uns gefolgt."

Auf die Frage, wann von der Bundesanwaltschaft eine Stellungnahme auf den Antrag von Rechtsanwalt Kaleck vom vorhergehenden Prozesstag zu erwarten sei, erklärte Bundesanwalt Bruns, nachdem er seinen vorschnellen Gehilfen Walenta zurechtgewiesen hatte, die ganze Sache sei in Vorbereitung. Man habe die für heute angekündigte Erklärung von Rudolf Sch. abwarten wollen, um die Sache "ganzheitlich" abarbeiten zu können. Vielleicht bringt ja diese ganzheitliche Methode wieder mehr Spannung in den Prozess.

Der nächste Prozesstag findet am 30.10.2003 statt.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


147. Prozesstag: 16.10.2003

Das Kammergericht wirkt angeschlagen...

Der Beweisantrag der Verteidigung vom letzten Verhandlungstag (146) hat offenbar Spuren hinterlassen. Das Kammergericht hatte heute nur Luft für eine 20minütige, kurzatmige Verlesung dreier Dokumente.

Der Antrag von RA Kaleck vom 13.10. scheint die KammerrichterInnen doch nachhaltig zu beschäftigen. Immerhin steht u.a. ihre gerichtliche Zuständigkeit und die Zulässigkeit der Anklage für das gesamte Verfahren mehr als nur in Frage. So diente die heutige Kurzlesung des Beisitzende Richters Hanschke ausschließlich der Fristwahrung und als Atempause in der Kammer.

Die vorgetragenen bzw. in Augenschein genommenen Schriften bestanden z.B. aus einem vergleichenden Gutachten des Bundeskriminalamtes von 1987. Die Ähnlichkeiten der bei den Anschlägen auf die Beamten Hollenberg und Korbmacher verwendeten Waffen wurde untersucht. Mehr Aufschluß bot dagegen das verlesene politische Bekennerschreiben zu dem Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber aus dem selben Jahr. Die damalige Asyl- und Abschiebepolitik wird darin beschrieben, wie auch die mangelhafte Versorgung der Asylsuchenden in Zusammenarbeit mit dem DRK. Der Vereinsregisterauszug der Forschungsstelle für Flucht und Migration e.V. aus dem Jahr 1995 bildete den trefflichen Abschluß.

Einen ausführlichen Bericht wollen wir heute niemanden zumuten.

Nächster Auftritt: Donnerstag, der 23.10., um 9:15 Uhr

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


13.10.2003: 146. Prozesstag:

RZ war bereits aufgelöst - Kammergericht daher gar nicht zuständig

Am heutigen Prozesstag wurden zwei Anträge verlesen und die Umhüllungen des in Kempen gefundenen Sprengstoff Gelamon 40 in Augenschein genommen.

Bundesanwalt Wallenta verlas den Antrag der Bundesanwaltschaft (BAW), den Antrag der Verteidigung Borgmann vom 2. Oktober 2003 zurückzuweisen; die Verteidigung hatte gefordert, Zeugen zu laden, um klären zu lassen, ob es sich bei dem am 1. Mai 1998 in Kempen gefundenen Sprengstoff um denjenigen handele, der am 25. August 1999 im Berliner Seegraben gefunden wurde.

Die Inaugenscheinnahme der von der BAW Sprengstoffumhüllungen ergab, dass drei die Chargennummer 00573-3 trugen, zwei weitere zwar unleserlich seien, aber sicher ausgeschlossen werden könne, dass es sich um eine Nummer mit der Endziffer "1" handele. Mithin könne, so das Kammergericht nach einer Beratungspause von 25 Minuten, ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Sprengstoff aus Kempen um eben jenem aus dem Berliner Seegraben gehandelt habe, der erst nach mehreren Versuchen dort "gefunden" wurde; die Klärung war notwendig geworden, nachdem der als Zeuge vernommene Bunddesanwalt Griesbaum nicht ausschließen konnte, dass es sich um die Endziffer "1" gehandelt habe.

In einem weiteren umfangreichen Antrag (siehe hier), der auf einem Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg (OLG) in einer anderen Strafsache beruht, beantragte der Verteidiger Wolfgang Kaleck die Ladung zweier weiterer Zeugen. Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting und Claudia Schmid, Leiterin der Abteilung II des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz seien "als sachverständige Zeugen zu laden und zu vernehmen und zwar zum Beweis der Tatsache, dass die Berliner Sicherheitsbehörden sichere Erkenntnisse darüber haben, dass sich die 'Berliner Zelle' der 'Revolutionären Zellen' spätestens im Jahre 1995, möglicherweise sogar früher, selbst aufgelöst hat."

Das Kammergericht, sichtlich überrascht von diesem Antrag, wird nun zunächst entscheiden müssen, ob es diesem Antrag in höchst heikler Sache zustimmt. Die Vernehmung der beiden "sachverständigen Zeugen", könnte letztlich dazu führen, dass das Kammergericht irrtümlich die Zuständigkeit für dieses Verfahren gehabt hat, denn eine Anklage wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" wäre nach Auffassung des OLG Naumburg nach Auflösung einer solchen Organisation gar nicht möglich gewesen - völlig unabhängig davon, so die Verteidigung, ob man den unglaubwürdigen Äußerungen des Kronzeugen Mousli Glauben schenke oder nicht.

Die meisten VerteidigerInnen schlossen sich dem Antrag an, Rechtsanwalt Becker kündigte für seine Mandantin einen eigenständigen Antrag an, der sich insbesondere auch mit der Frage auseinandersetzen werde, ob überhaupt bis 1995 eine "Berliner Zelle" habe bestehen können.

Der Prozess wird am Donnerstag, 16. Oktober um 09.15 Uhr fortgesetzt, der darauffolgende Freitag (17.10.) ist aufgehoben.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


02.10.2003: 145. Prozesstag:

Sehr langes Wochenende und ein Vorschlag...

Am heutigen, recht regnerischen Prozesstag erklärte die Vorsitzende Richterin am Kammergericht, Gisela Hennig, sie habe die Schnauze voll; was damals eigentlich wirklich passiert sei, interessiere sie ohnehin nicht und, ehrlich gesagt, aus diesem Quatsch von Deutscher Einheit am 3. Oktober sollte man wenigstens ein langes Wochenende machen. Für heute sei Schluss, und am Montag, 13. Oktober würde sie die ganze Geschichte hier einstellen. Wer Lust habe, könne um 14.00 Uhr kommen, sie würde kochen: Bis dahin bleibe der Laden hier dicht.

Na ja, so war es nicht, sondern:

Der Beisitzende Richter Hanschke musste den Beschluss des Kammergerichts verlesen, dass die Anträge der Verteidigung Glöde (siehe hier) und Schindler vom 18. September 2003 , die sich auf Mouslis Lügen in Zusammenhang mit seinem Finanzgebaren bezogen, abgelehnt werden, weil das Gericht keinen Bezug zu fehlender Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Mousli erkennen könne (5 Minuten).

Hennig verlas sodann ein Schreiben von Rechtsanwalt Kliesing, der den in kanadischer Auslieferungshaft sitzenden Lothar Ebke in Berlin vertritt; danach werde Lothar umfassend von seinem Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch machen (2 Minuten).

Die Verteidigung Borgmann stellte sodann den Antrag, im Zusammenhang mit einem Sprengstofffund in Kempen am 1. Mai 1998 verschiedene Zeugen, unter ihnen auch den ehemaligen Bundesanwalt Krantz, zu laden. In Kempen waren bei der Durchsuchung einer Ladenwohnung fünf Patronen Gelamon 40 gefunden worden, die - nach Aussagen von Bundesanwalt Griesbaum am 25. September 2003 vor dem Berliner Kammergericht - dieselben Chargennummern hatten, wie die erst am 25. August 1999 im Berliner Seegraben gefundenen 24 Patronen Sprengstoff. Zu klären wären also dringend die Widersprüche (4,5 Minuten).

Die Vorsitzende Richterin beendete den heutigen Termin und vertagte (0,5 Minuten).

Nach 12 Minuten war damit der heutige Prozesstag beendet. Weiter geht es am Montag, 13. Oktober, 14.00 Uhr im Kammergericht (Geschirr nicht vergessen, wg. Sicherheit und so, bitte Plastikbesteck!)

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


25.09.2003: 144. Prozesstag

Bundesanwalt Griesbaum macht keine gute Figur

Der bislang wohl längste Prozesstag in diesem Jahr (die Hauptverhandlung dauerte bis gegen 13.00 Uhr) stand ganz im Zeichen der Befragung von Bundesanwalt Griesbaum. Mit einer erweiterten Aussagegenehmigung des Generalbundesanwalts ausgestattet - die ihn allerdings wie am letzten Verhandlungstag nicht daran hinderte, immer wieder die Beantwortung von Fragen mit Verweis auf diese Genehmigung zu verweigern - äußerte er sich zu den Ermittlungen zu den vom Kronzeugen Tarek Mousli in der Oranienstraße behaupteten Konspirativen Wohnungen (KW) und zu einem Sprengstofffund in Kempen (NRW) im Mai 1998, der nur durch Zufall den Prozessbeteiligten bekannt geworden war. Bei beiden Punkten zeigte sich Griesbaum wenig aussagefreudig. Immer wieder wurde die Befragung von Erörterungen um den Umfang der Aussagegenehmigung unterbrochen.

Ob Mousli mit den Ermittlungsergebnissen des BKA zu den KW in der Oranienstraße konfrontiert wurde, wusste der Bundesanwalt nicht zu sagen. Auskunft konnte er auch nicht darüber geben, warum ein entsprechender Vermerk zu diesen Ermittlungen vom 10. April 2001 nicht zu den Verfahrensakten gelangt ist. Die Erklärung von Bundesanwalt Bruns, diese "fehlerhafte Handhabung des BKA", stehe u.a. im Zusammenhang mit den immerhin fünf Monate später eingetretenen Anschlägen vom 11. September 2001 - , hielt er allerdings auch heute noch "für nachvollziehbar".

Zum Sprengstofffund äußerte sich der Referatsleiter der Bundesanwaltschaft (BAW) ebenfalls nur sehr zögerlich - vor allem verweigerte er alle Aussagen, die sich konkret auf Ermittlungsschritte bezogen. So schilderte er zwar detailliert die Herkunft und den Verbleib des Sprengstoffes - so die entsprechende Formulierung des Beweisthemas, legte es allerdings sehr eng aus: Herkunft - Sprengstoff der Sorte Gelamon 40, der aus einem Diebstahl in Salzhemmendorf 1987 stammen soll. Verbleib: Weil "handhabungsunsicher" kurz nach dem Fund vernichtet. Mehr war aus ihm nicht herauszuholen. Und warum dieser Sprengstofffund nirgendwo in den Verfahrensakten auftaucht, dazu konnte er natürlich auch nichts sagen.

Weil "die in Beweis gestellten Tatsache ohne Bedeutung" seinen, beantragte seine Kollegen die Beweisanträge der Verteidigung von Rudolf Sch. und Harald G. vom letzten Verhandlungstag abzulehnen. Am Ende der Hauptverhandlung gab die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig bekannt, dass die Verteidigung des in kanadischer Auslieferungshaft sitzenden Lothar E. mitgeteilt habe, sie habe ihren Mandanten über die Anfrage des Senats informiert und werde in den nächsten Tagen mitteilen, ob Lothar E. bei einer Zeugenbefragung von seinem Aussageverweigerungsrecht gebrauch machen werde.

Die morgige Hauptverhandlung wurde aufgehoben. Der Prozess wird am Donnerstag, 2. Oktober, um 9.15 fortgesetzt.

ausführlicher Bericht


143. Prozesstag: 18.09.2003

Finanzjongleur Mousli und ein erneut belogenes Kammergericht

Am heutigen Prozesstag waren wieder einmal die seinerzeit ermittelnden Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft, der 55-jährige Bundesanwalt Griesbaum und sein Kollege Monka (39), diesmal zum Thema angebliche konspirative Wohnungen in der Kreuzberger Oranienstraße geladen. Sie wurden zu Widersprüchen befragt, die sich aus dem Aussageverhalten Mouslis in den vergangenen Wochen und Monaten sowie aus der fehlenden Dokumentation polizeilich- bundesanwaltschaftlicher Arbeit ergeben hatten, und sollten vor allem die Frage klären, von wem innerhalb der BAW ein Ermittlungsauftrag an das Bundeskriminalamt (BKA) ergangen war, zu angeblichen konspirativen Wohnungen in der Kreuzberger Oranienstraße zu ermitteln. Ein solcher Auftrag, das geht aus einem im März 2003 aufgetauchten Schreiben hervor, muss bereits am 10. April 2001 erteilt worden sein, ist aber weder dem Kammergericht noch der Verteidigung bekannt gemacht worden, sondern diesen durch einen Zufall zur Kenntnis gelangt.

Beide verweigerten die Aussage in Hinblick auf ihre Aussagegenehmigung, betonten, sie könnten sich nicht erinnern oder seien nicht mehr zuständig. Auch zu etwaigen Ermittlungsergebnissen in Hinblick auf konspirative Wohnungen machten sie keine Angaben und waren ebenfalls nicht bereit, dazu Stellung zu nehmen, ob die diesbezüglichen Ermittlungen abgeschlossen seien. Erwartungsgemäß konnten sich die beiden Beamten wahlweise auch sonst "nicht erinnern" oder waren der Auffassung, sie hätten für diesen oder jenen Fragekomplex "keine Aussagegenehmigung." Insbesondere Griesbaum mobilisierte seine gesamte Arroganz, wenn er Aussagen verweigerte. Ohnehin, so betonte Monka, habe man sich "um Widersprüche bei den Aussagen von Mousli", die schon in dessen Hauptverhandlung im Dezember 2000 aufgetaucht waren, "nicht gekümmert, weil im Kern alles auf Linie" war.

In einem umfassenden Beweisantrag der Verteidigerinnen Andrea Würdinger und Silke Studzinsky, der auf der Auswertung von Telefonüberwachungsbändern basiert, die - wir erinnern uns - zum Teil von der BAW unterschlagen worden waren, ging es um Mouslis Finanzgebaren. Aus dem Inhalt der Bänder zeichneten die Anwältinnen detailliert nach, dass Mousli nicht nur seine damaligen Kollegen im Kampfsportstudio, sondern auch seine Freundin belogen hatte. Denn nach den anwaltlichen Auswertungen der Telefonprotokolle hat der Kronzeuge nicht nur zugesagtes Geld an Kunden seines Sportstudios nicht zurückgezahlt, sondern offenbar für sich selbst eine Summe von mindestens 7.000 DM verbraucht; darüber hinaus hat Mousli das Kammergericht in Hinblick auf seine finanzielle Situation systematisch und wiederholt belogen.

Bereits nach der Hauptverhandlung, die von permanenten Unterbrechungen gekennzeichnet war, gab die Vorsitzende Richterin, Gisela Hennig, zur Kenntnis, sie habe die Verteidigung des seit vergangenen Freitag in kanadischer Auslieferungshaft sitzenden Lothar Ebke gebeten, ihr mitzuteilen, ob dieser beabsichtige, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Bundesanwalt Bruns machte auf Nachfrage deutlich, dass er mit der Überstellung aus Kanada etwa Mitte Oktober rechne; nach seinen Angaben sei noch unklar, wo Lothar in Haft genommen werden soll.

Der Prozess wird am Donnerstag, 25. September 2003 um 9.15 Uhr fortgesetzt.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


142. Prozesstag: 11.09.2003

Beweisaufnahme wird beendet

Die Vorsitzende Richterin kündigte für den 25. September 2003 die Schließung der Beweisaufnahme in diesem Verfahren an. Um die gerichtliche Terminplanung nicht zu gefährden, hagelte es heute Ablehnungsbeschlüsse von Beweisanträgen der Verteidigung.

Genauere Auskünfte über widersprüchlich dargestellten Geldtransaktionen und die undurchsichtige finanzielle Lage des Kronzeugen werden weder von der Deutschen Bank, vom damaligen Geschäftspartner, von Mitschnitten der Telefonüberwachung noch von Richtern in seinem eigenen Prozess eingeholt. Der Kronzeuge hätte zu diesem Komplex so vage und unschlüssige Angaben gemacht, dass selbst eine Widerlegung einzelner getätigter Aussagen das Gericht nicht zu einer negativen Schlussfolgerung über die Glaubwürdigkeit Mouslis veranlassen würde. Er hätte sich damals schließlich in einer 'angespannten' Situation befunden.

Die Beiziehung weiterer vorhandener 'Strukturakten' beim Bundeskriminalamt (BKA) bzw. der Bundesanwaltschaft (BAW) wurde als 'verfahrensfremd' tituliert. Das Gericht vertraut weiterhin der BAW, die nach sorgfältiger Prüfung alle prozessrelevante Akten und Auskünfte eingebracht hätte.

Die erneute Vernehmung von BKA-Beamten zu Mousli's diversen Aussagen zur angeblichen von B. überlassenen konspirativen Wohnung (KW) in der Oranienstr., sowie die Einvernahme von Hausverwaltung und AnwohnerInnen werden wir auch nicht erleben. Der Kronzeuge hätte nur die 'Zur- Verfügung- Stellung' der besagten Räume behauptet. Dies könne auch ohne jegliche vertragliche Bindung oder eigenen Anwesenheit geschehen sein. Deshalb bräuchten keine weiteren ZeugInnen vernommen zu werden und die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen könne dadurch ohnehin nicht erschüttert werden. Das gilt auch für die frühere Nennung der konkreten Hausnummer 7 oder 9 für die KW durch Mousli. Die dafür von der Verteidigung beigebrachten Zeuginnen wären unglaubwürdig und die früheren Aussagen des Kronzeugen in dem gegen ihn selber geführten Prozess wären eigentlich nicht verwertbar. Was stört mich mein Geschwätz von gestern? Nur RA Euler wurde heute ganz sanft vom Schwert der Justitia berührt: die von ihm gewünschte Vorladung des damaligen Sitzungsvertreters der BAW Griesbaum zu diesem Thema wurde wundersam erhört.

Vom Einsturz des turmhohen Lügengebäudes in diesem Prozess war auch an diesem 11.09.2003 nichts zu spüren. Vermutlich auch nicht am nächsten Verhandlungstag, den 18.09.03 um 9:15 Uhr.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


141. Prozesstag: 04. September 2003

Reiche Ernte - Aussetzungsantrag abgelehnt

Anscheinend kann es im Berliner RZ-Prozess derzeit nur noch darum gehen, "in den Genuss revisionsrechtlicher Früchte zu gelangen", wie es Rechtsanwalt Johnny Eisenberg heute in seiner unnachahmlichen Art ausdrückte. Dass dem Senat an einer "richtigen" Verhandlung nicht mehr gelegen ist - trotz gegenteiliger Bekundung -, zeigt heute nicht nur die Prozessdauer von nicht einmal dreißig Minuten. Deutlich wurde dies auch an der Nonchalance, mit der der 1. Strafsenat den Aussetzungsantrag der Verteidigung von Harald G. vom 28. August ablehnte.

Nachdem eine so genannte Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums (BMI) über die geschwärzten Passagen der Gesprächsprotokolle zwischen dem Verfassungsschutz und dem Kronzeugen Tarek Mousli vom Verwaltungsgericht (VG) als rechtswidrig aufgehoben worden war (vgl. Extra-Meldung vom 18.8.2003), hatte die Verteidigung beantragt, das Verfahren bis zur Übermittlung der ungeschwärzten Protokolle auszusetzen. (vgl. 140. Prozesstag) Der Senat allerdings konnte keine "maßgeblich veränderte" Sachlage erkennen, die eine Revision seines Beschlusses vom 4. Juli notwendig machen würde, in dem er bereits das erste Mal eine Aussetzung in diesem Zusammenhang abgelehnt hatte.

Als habe man damals nicht das Gegenteil behauptet, tat man heute so, als hätten am "Ausgang des Hauptverfahrens (vor dem Verwaltungsgericht) kaum Zweifel" bestehen können. (vgl. 134. Prozessbericht) Gleichzeitig verwies der Senat darauf, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei, und es deshalb weder den Senat noch andere Behörden binden würde. Zudem sei das BMI sowieso nur dazu verpflichtet, eine neue Sperrerklärung zu formulieren, die dann allerdings den vom VG benannten Kriterien entsprechen müsste, wenn es weiterhin auf eine lediglich zensierte Weitergabe der Gesprächsprotokolle bestehe. Aber ohnehin habe man mit dem Beschluss vom 4. Juli bereits eine ausreichende Abwägung zwischen den Belangen "der Wahrheitsermittlung und der Verfahrensbeschleunigung" vorgenommen, die auch nicht nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu revidieren sei. Gleiches gelte für die vom Senat unterstellte geringe Beweisbedeutung der Gesprächsprotokolle. Insofern lehnte der Senat es auch ab, beim Bundesamt für Verfassungsschutz erneut auf Herausgabe der ungeschwärzten Protokolle vorstellig zu werden.

Die Angeklagten und die Verteidigung nahmen - Kummer gewohnt? - die Beschlussverkündung kommentarlos hin. Lediglich die Mikrophonanlage im Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit hob zu einem minutenwährende Protestpfeifen an - so könnte man zumindest den Ausfall der Technik interpretieren, wäre man nicht frei von metaphysischen Anwandlungen.

Die in der Folge abgeschaltete Verstärkeranlage hinderte Rechtsanwalt Eisenberg ("Bei mir geht's auch ohne Mikrophon bekanntlich!") nicht daran, einen Brief von Mouslis Zeugenbeistand an das Gericht zum Thema zu machen. Mit diesem Brief informiert Rechtsanwalt Birkhoff den Senat, dass sein Mandanten sich jetzt sicher sei, dass alle Einzahlungen für einen später abgesagten Kinderlehrgang in Oberoderwitz an die Eltern zurückgezahlt wurden.

Nicht alleine der Inhalt des Schreibens, vor allem die Art und Weise seines Zustandekommens war Anlass für Rechtsanwalt Eisenberg zur Frage, "ob der Inhalt der Hauptverhandlung Tarek Mousli oder seinem Zeugenbeistand von der Bundesanwaltschaft oder den Senat kommuniziert wird". Der Senat wies dies natürlich weit von sich. Und auch die BAW gab sich wie die Unschuld vom Land: "Es ist eine Frechheit, das gefragt zu werden", so Bundesanwalt Wallenta. Der dann allerdings nicht einmal Manns genug war, zu seiner Aussage zu stehen, sondern seinen Adlatus mit der Bemerkung vorschickte, nicht die Frage als solche, der Unterton sei eine Frechheit.

Keine gute Figur machte Wallenta auch bei der anschließenden Stellungnahme der Bundesanwaltschaft (BAW) zu dem Beweisantrag der Verteidigung von Harald G. in Sachen Kinderlehrgang Oberoderwitz, mit dem Mousli eine weitere Falschaussage nachgewiesen werden soll. (vgl. 140. Prozesstag) Die Stellungnahme war offensichtlich noch in Unkenntnis des Briefes von Birkhoff verfasst worden. Die Angaben Mouslis in der Hauptverhandlung seien alle unter "Erinnerungsvorbehalt" gemacht worden, behauptete Wallenta ahnungslos, also keinen Pfifferling wert. Außerdem seien "die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung ohne Bedeutung". Und selbst wenn sich erweisen würde, dass Mousli vor Gericht gelogen habe, gab sich die BAW überzeugt: Der Senat wird daraus nicht den Schluss ziehen, "dass der Zeuge generell unglaubwürdig ist". So einfach geht das.

Vor dem Hintergrund des sich aus dem Schreiben von Mouslis Zeugenbeistands neu ergebenden Sachverhalts, tauchte die Frage auf, ob das Gericht eine erneute Zeugenladung Mouslis vorsehe. "Bisher nicht", so die knappe Antwort der Vorsitzenden Richterin. Und trotz ihrer Ankündigung, man werde über Beweisanträge noch am selben Tag entscheiden, gab sie trotz einwöchiger Verspätung bekannt, dass heute kein Beschluss über den Antrag vom 28. August gefällt werde. "Wir haben zwar einen gefertigt, wollen ihn aber noch einmal überdenken", bekannte die Vorsitzende Richterin. Ob dadurch der Genuss weiterer revisionsrechtlicher Früchte verhindert werden sollte, wird sich also erst an den nächsten Verhandlungstagen zeigen.

Auch wenn die BAW erneut gezeigt hat, dass für sie die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen nur von untergeordneter Bedeutung ist, lässt die Verteidigung an diesem Punkt nicht locker. Dieses Mal war es Rechtsanwalt Dr. König der im Namen seines Kollegen Euler mit einem Beweisantrag am Ball bleib. Gefordert wurde die Ladung und Befragung des Richters am Kammergericht Scharf gefordert, der bestätigen wird, dass Mousli in seinem Prozess im Dezember 2000 ausgesagt hat, er habe während seines Studiums in Kiel von Gelegenheitsarbeiten und einem Erbe von 10.000 bis 15.000 DM gelebt. Drei Jahre später, im August 2003, stellt sich die Sache allerdings anders dar: So hat die Zeugin H. am 7. August ausgesagt, Mousli habe in dieser Zeit ein Erbe von rund 100.000 DM angetreten. Mit dieser Aussage konfrontiert, hatte Mousli in der Hauptverhandlung am 15. August diese bis dahin nicht erwähnte Erbschaft bestätigt und sogar von "etwas mehr als 100.000 Mark" gesprochen. Laut Mouslis Mutter in einer Vernehmung vom 10.8.1999 hat das Erbe rund 180.000 Mark betragen - also "tatsächlich etwas mehr", wie es Euler charmant formulierte. Die Verteidigung will mit diesem Antrag beweisen, wie taktisch und auf den eigenen Vorteil bedacht der Kronzeuge mit der Wahrheit umgeht, wie er es "mit der Wahrheit nicht nur nicht genau nimmt, sondern 'seine' Wahrheit" den Umständen entsprechende "variiert".

Ob die Verteidigung mit diesem Beweisgegenstand beim Senat Erfolg hat, oder ob es wieder nur reicht, um die Genusssucht in Sachen Revision zu befriedigen, blieb heute offen - und auch morgen ist keine Antwort auf diese Frage zu erwarten. Die Hauptverhandlung am Freitag wurde aufgehoben. Weiter geht's am 11. September um 9.15 Uhr.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


28.08.2003: 140. Prozesstag

Beschleunigung, komme was da wolle

Zwei Themenkomplexe waren heute Gegenstand der Hauptverhandlung: zum einen das Finanzgebaren des Kronzeugen Tarek Mousli, zum anderen seine Kontakte mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und daraus zu ziehende Folgen (im weitesten Sinne) für den Prozess.

Welche Restschuld, von wem und wann bei der Mitsubishi Kredit Bank (MKG) beglichen wurde, darüber gab eine Mitarbeiterin der MKG Auskunft. Hintergrund ist der Verkauf des Pkw von Mousli Anfang 2000, mit dessen Erlös (ca. 8.000 DM) nach Auskunft des Kronzeugen angeblich privaten Schulden teilweise beglichen worden sein sollen. Am vorletzten Verhandlungstag hat Mousli hierzu nur ausweichend Antwort gegeben. Auch hatte er sich geweigert, diejenige Person zu benennen, von der er die "Zuwendung" zur Begleichung der Restschuld bei der MKG von rund 18.500 DM bekommen hat. Heute stellte sich zumindest heraus, dass dieser Betrag mittels einer Überweisung vom Konto seiner Lebensgefährtin Janette O. Mitte April 2000 bei der MKG eingegangen ist, woraufhin der Fahrzeugbrief an einen von Mousli benannten Rechtsanwalt übergeben wurde.

Abgelehnt wurde vom Kammergericht der Beweisantrag der Verteidigung vom Matthias B. vom 21. August, die Verfassungsschützer als Zeugen zu laden, die im April 2000 Gespräche mit Mousli geführt hatten. Zuvor hatte die BAW ein entsprechende Stellungnahme zu diesem Beweisantrag abgegeben und dabei unterstellt, der Antrag habe lediglich den Zweck, "blindlings nach neuem Verteidigungsmaterial" zu suchen.

Was dann folgte, war ein weiteres Beispiel dafür, wie nach Ansicht des Kammergerichts ein faires Verfahren aussieht. Die BAW-Stellungnahme lag dem Senat seit Dienstag vor, der eigene Beschluss war bereits formuliert. Die Verteidigung hingegen erhielt erst heute eine Kopie der BAW-Stellungnahmen. Gleichwohl wollte der Senat Rechtsanwalt Kaleck zwingen, eine von ihm angekündigte schriftliche Gegenstellungnahme in einer mehrstündigen Prozessunterbrechung zu formulieren, da man ja nun "richtig" verhandeln wolle, wie es die Vorsitzende Richterin Hennig ausdrückte. Rechtsanwalt Kaleck zog es unter diesen Bedingungen vor, nicht zu einer Nachbesserung des nach dem Disput tatsächlich verkündeten Ablehnungsbeschlusses beizutragen, sondern behielt sich vor, anderweitig das Anliegen erneut in die Hauptverhandlung einzuführen.

Den Verbleib von rund 12.000 DM von einem Konto Mouslis beantragte die Verteidigung von Harald G. durch Ladung dreier Zeugen, Verlesung von Protokollen diverser Telefonüberwachungen und Auskunft der Konto führenden Bank aufzuklären. Auf das entsprechende Konto, das als Alleininhaber von Mousli geführt wurde, wurden 1999 Teilnahmebeiträge für einen dann abgesagten Kinderkaratelehrgang in Höhe von 14.000 DM eingezahlt, von denen lediglich später 2.000 DM erstattet worden waren.

Ebenfalls von der Verteidigung von Harald G. wurde heute der bereits angekündigte Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung gestellt. Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin am 18. August die Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums hinsichtlich der geschwärzten Stellen der Gesprächsprotokolle zwischen dem BfV und Mousli als rechtwidrig aufgehoben hat, forderte die Verteidigung den Senat auf, die ungeschwärzten Protokolle vom BfV anzufordern und den Prozess bis zur Herausgabe dieser Unterlagen auszusetzen.

Die während der Hauptverhandlung angekündigte morgige Fortsetzung wurde am Nachmittag zurückgezogen. Weiter geht es also am Donnerstag, 4. September, um 9.15 Uhr.

ausführlicher Bericht


21.08.2003: 139. Prozesstag

Bundesanwalt Bruns erkennt "abenteuerliche Verrohung der Sitten"

Eine Zeugin, ein Antrag der Verteidigung, ein Beschluss des Senats und eine Erklärung des Angeklagten Rudolf Sch. - so sah das (Kurz-)Programm der heutigen Hauptverhandlung aus.

Die Zeugin Anna-Magdalena W. (55), eine "preisgekrönte Stenografin" alter Schule, war im Dezember 2000 von der Verteidigung im hiesigen RZ-Verfahren beauftragt worden, die Aussagen von Tarek Mousli in dem gegen ihn gerichteten Strafprozess zu protokollieren. Laut der von der Zeugin abgelieferten Reinschrift ihrer stenografischen Notizen hatte Mousli am zweiten Verhandlungstag zu zwei Wohnungen in Berlin-Kreuzberg ausgesagt, in denen Ende der 1980er Jahre konspirative Treffen der Berliner RZ stattgefunden haben sollen. In seiner damaligen Aussage hat er sich bei einer der Wohnungen in der Oranienstraße auf die Hausnummern 7 oder 9 festgelegt. Inzwischen ist jedoch festgestellt, dass die Person, von der Mousli behauptet, er habe zum damaligen Zeitpunkt in dem bezeichneten Haus gewohnt und die Wohnung für Treffen zur Verfügung gestellt, dort erst ab November 1989 polizeilich gemeldet war.

Rechtsanwältin Edith Lunnebach stellte für ihren Mandanten Matthias B. einen Beweisantrag, in dem gefordert wurde, die Beamten des Bundesverfassungsschutz (BfV) zu laden, die Mousli nachweislich bei verschiedenen Gelegenheiten besucht hatten. Die Verteidigung möchte durch die Einvernahme der Zeugen klären, vor welchem Hintergrund Mousli zu verschiedenen Sachverhalten Inhalte vermittelt wurden. Dass schon allein auf Grund der zum Teil geschwärzten Gesprächsprotokolle des BfV deutlich wird, wie sehr der Kronzeuge durch Gespräche mit den Verfassungsschützern inhaltlich gefüttert wurde, hatte schließlich auch das Berliner Verwaltungsgericht am vergangenen Monatag dazu bewogen, die entsprechende Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums als rechtswidrig zu erklären. Die Verteidigung von Harald G., deren Klage vor dem Verwaltungsgericht stattgegeben worden war, kündigte für den kommenden Prozesstag einen erneuten Aussetzungsantrag an. In einem Gerichtsbeschluss zurückgewiesen wurde der Beweisantrag der Verteidigung von Matthias B. vom 27.6.2003, mit dem die Ladung des BfV-Präsidenten erreicht werden sollte. Der Antrag sei "spekulativ" und für eine "Sachaufklärung nicht dienlich", so das Gericht. Erneut wurde damit deutlich, dass der Senat offensichtlich ohne Wenn und Aber an den Aussagen des Kronzeugen festhält.

Für einige Aufregung bei der Bundesstaatsanwaltschaft (BAW) sorgte zum Abschluss der rund zweistündigen Verhandlung eine Erklärung von Rudolf Sch.. Darin hob er hervor, dass durch die Zeugin Irmgard H. zum wiederholten Male der schlechte Gesundheitszustand von Sabine E. in den 1980er Jahren deutlich geworden sei. Mousli hätte jedoch von Sabine E. für diese Zeit ein völlig anderes Bild gemalt, an dem er nun festhalten müsse, auch wenn mehrere Zeugen von Gegenteil berichtet hätten. Die Erklärung schließt mit dem Satz: "… man kann Tarek Mousli nichts glauben, es sei denn seine Angaben sind überprüfbar und verifiziert worden. Wenn man ihm einfach nur glaubt, macht man sich zu einem Idioten."

Insbesondere Bundesanwalt Bruns empörte sich über diesen Abschlusssatz. Er wertete diese Aussage als Indiz, dass in diesem Verfahren eine "abenteuerliche Verlotterung der Sitten" heraufziehen. Immerhin habe die BAW ja auf Grundlage der Aussagen von Mousli eine Anklageschrift verfasst. Die offensichtliche Betroffenheit von Bundesanwalt Bruns konnte dann auch Rechtsanwalt Euler nicht mehr auffangen, der sich redlich bemühte, den Inhalt des Satzes noch einmal in Ruhe vorzutragen. Schließlich - so Euler - werde darin ja nur derjenige als Idiot bezeichnet, der die Aussagen des Kronzeugen ungeprüft übernehme.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


15. August 2003: 138. Prozesstag

Kunsthaar, Konten und Kredite

Fast war der Tag herbei gesehnt worden, wo es ein Wiedersehen mit dem Kronzeugen geben würde, um mal allerlei Ungereimtheiten, Verkürzungen und offensichtliche Lügen in seinen Aussagen mit ihm durch zu sprechen. Doch der Auftritt Tarek Mouslis blieb deutlich hinter den Erwartungen der ZuschauerInnen zurück. Ob es an seinem neuen Lebenswandel liegt, fragten sich besorgte Stammgäste. Er sieht nicht gut aus, der Kronzeuge, mit seinem schlecht gescheitelten Kunsthaar-Toupet und scheint auch körperlich deutlich abzubauen. Vorbei die Tage des Kraft strotzenden Kampfsport-Profis und smarten Ex-Revolutionär. Eher blass schlich er mit seinen Bodyguards herein und wo seine diensteifrige Eilfertigkeit schon früher nur schwer erträglich war, wirkte sie jetzt fast schon verbiestert, bitter und verkniffen.

Und zur Sache war kaum mehr aus ihm heraus zu holen als schon bei früheren Vernehmungen - immer wenn's ernst wird, werden Erinnerungslücken oder Belange des Zeugenschutzes in Anschlag gebracht.

Zunächst sollte Mousli zur Frage der konspirativen Wohnungen (KW) jene Lichtbilder identifizieren, die ihm vom BKA vorgelegt worden waren.

Weiter sollte den - gelinde gesagt - widersprüchlichen Aussagen Mouslis zu seinen finanziellen Verhältnissen vor, während und nach seiner Verhaftung 1999 auf den Grund gegangen werden. Dabei ging es um den Verkauf eines Firmen-Fahrzeugs von Mouslis einstigem Fitnessstudio, aus dessen Erlös er Schulden bezahlt haben will.

Mousli wurde auch mit den Aussagen einer früheren Lebensgefährtin konfrontiert, die vor einer Woche ausgesagt hat. Dabei war unklar, inwieweit sich Mousli über die Hinweise aus dem hiesigen Kurzbericht (136. Prozesstag) und einem knappen Ladungstext hinaus, hatte vorbereiten können. Er stellte in seiner Aussage hierzu in Abrede, dass er je für die Bestrafung verantwortlicher Beamter und Politiker etwa mittels Anschlägen als moralisch gerechtfertigt plädiert habe. Auch habe er nach 1986 an keiner gewalttätigen Demo teilgenommen.

Zum für den Kronzeugen desaströsen Themenkomplex Sprengstoff-Depot im Mehringhof bot Richter Alban Mousli die Version an, dass das Lager mit 20 Kilo Sprengstoff, einer MP und etlichen Pistolen möglicherweise mal verlegt worden sein könnte.

Gerd Albartus, so ging das Themenhopping weiter, sei nie Mitglied einer der Berliner RZ-Zellen gewesen, sondern habe - als "Springer" - an deren Diskussionen etwa über die Flüchtlingskampagne oder den (missglückten, weil tödlichen) Anschlag auf den hessischen Wirtschaftsminister Hans-Herbert Karry teilgenommen, so der Kronzeuge.

Auch dass er mal in den 1970er Jahren über 100.000 Mark geerbt habe, gestand er ein. Er will sich ein Auto gekauft, jedoch auch gespendet und gut gelebt haben. Und er blieb dabei, dass seine psychisch kranke Schwester aus Deutschland ausgewiesen worden sei.

Vorhalte aus den berühmten geschwärzten Verfassungsschutz-Protokollen, die RA Kaleck lancierte, erbrachten kein befriedigendes Ergebnis. (Über die Herausgabe der ungeschwärzten VS-Mitschriften von Mousli-Vernehmungen wird übrigens am kommenden Montag, 18. August 2003, um 11 Uhr vor dem Verwaltungsgericht in der Kirchstraße 7, Berlin-Moabit entschieden).

Und ob Mousli seinem verstorbenen Freund "Roger" um 60.000 Mark erleichtert hat unter Vortäuschung einer finanziellen Notlage des "Vereins" (= RZ), blieb ebenso ungeklärt wie andere brisante Fragen zum Finanzgebaren des Kronzeugen.

Bonmot des Tages

Nachdem BAW und Richter Alban mal wieder respektlose Bemerkungen in die Zeugenbefragung von RA Kaleck gefaucht hatten, entgegnete dieser entnervt: "Ja genau, auf diese Muppet- Show- Einlage habe ich noch gewartet".

Der Prozess wird am kommenden Donnerstag, 21. August 2003, wie stets um 9.15 fortgesetzt.

ausführlicher Bericht


14. August 2003: 137. Prozesstag

Wer schreibt ist klüger!

Der Kronzeuge hatte doch im Dezember 2000 die Existenz einer 'konspirativen Wohnung' der RZ in der Oranienstraße 7 oder 9 (Berlin-Kreuzberg) vor Gericht ausdrücklich behauptet. Das bestätigte heute die Zeugin Ute L. aus Berlin anhand ihrer Mitschriften im Prozess gegen Tarek Mousli selbst vom 11.12.00. Auch für diese Bezichtigung des Kronzeugen konnten bis heute keinerlei Beweise erbracht werden. So wundert es nicht, dass sich inzwischen weder Zeuge Mousli noch das Gericht an diese Aussage haben erinnern wollen. Die schriftlichen Protokolle der Zeugin wurden dem Kammergericht nun als Beweis dafür übergeben, nachdem die Richter Fechner und Alban versuchten ihr eine parteiliche Gefälligkeitsaussage zu unterstellen. Auch für Bundesanwalt Bruns schien es schwer nachvollziehbar, was Nichtbetroffene bewegen könnte Aufzeichnungen anzufertigen und diese dann noch aufzubewahren.

Die erneute Ladung der Ermittlungsführer Schulzke und Trede lehnte das Gericht als unbegründet ab.

RA Euler fasste die Aussagen der Zeugin H. vom letzten Verhandlungstag (136.) zusammen: Mousli's Behauptungen über seine eigene Schwester, seine persönliche Einstellung zur Gewaltanwendung und den Verbleib von DM 100.000,- auf seinem Konto wären widerlegt worden. Auch diese Zeugin hätte die Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen bewiesen.

Nächste Aufführung ist am 15.08.03 um 9:15 Uhr. Der Kronlügner ist anwesend.

Ein ausführlicher Bericht entfällt.


7. August 2003: 136. Prozesstag:

Die Mütter aller Schlachten

Diesmal war es einer der Verteidiger, der einen veritablen Bock geschossen hat, und auch noch derjenige, der für den inhaltlichen Part des heutigen Tages verantwortlich zeichnete.

RA Euler nämlich hatte in einem Beweisantrag vom 19. Juni die Ladung einer früheren Freundin des Kronzeugen Tarek Mousli beantragt. Die Zeugin war erschienen, doch zur Überraschung der KollegInnen, ihrer MandantInnen und des Gerichts erschien Herr Euler nicht um 9.15 Uhr.

Ein Anruf per Mobiltelefon riss den Säumigen aus Morpheus Armen, der ihn nicht etwa um die Ecke sondern im fernen Frankfurt umschlungen hielt. Als vier Stunden später mit der Wiederaufnahme der Hauptverhandlung nach der Sommerpause begonnen werden konnte, entschuldigte sich der gerade eingeflogene RA Euler bei allen Betroffenen auf's Glaubwürdigste.

Die Zeugin, die mit Mousli fest wohl nur zu Anfang der 1980er Jahre zusammen war, eine Freundschaft mit Unterbrechungen zu ihm jedoch bis zum Beginn der 1990er Jahre gehabt hat, konnte einmal mehr die zwiespältige Persönlichkeit des Kronzeugen schildern. Er sei witzig gewesen, spontan, vital, von einnehmendem Wesen, sehr unternehmungsfreudig und weckte auf Anhieb Sympathie. Er vermochte stets gut Menschen für sich einzunehmen, erinnerte sich die heute 46-jährige Angestellte aus Westdeutschland. Des weiteren bestätigte sie im wesentlichen die im Beweisantrag enthaltenen Behauptungen. (Ausführlicher Bericht folgt) Wortwechsel des Tages zwischen RAen und der Zeugin: RA Becker: "Hat er denn je von solchen Demos, an denen er teilgenommen hat, erzählt? So ungefähr wie unsere Großväter von der Schlacht von Sedan erzählt haben?" - Zeugin: "Ja, von der Schlacht von Brokdorf hat er schon erzählt. (....) Einmal soll er da auch irgendwie in einem Kessel gewesen sein." RA Eisenberg: "Stalingrad?"

Den Richtern war die Tatsache, dass vier RAInnen die Zeugin im Laufe des Verfahrens kontaktiert hatten, Grund zu misstrauischer Nachfrage, den vier Beargwöhnten zu Richtigstellungen.

Es gab noch Beweisanträge zur Telefonüberwachung einer weiteren Mousli-Freundin und dem Verkauf des Autos des damals frisch inhaftierten Kronzeugen; zu Aussagen des BKA-Beamten Schulzke und deren Fragwürdigkeit im Bezug auf die Gelamon-40-Funde in Salzhemmendorf und Kempen; sowie auf Ladung einer Zeugin der Hauptverhandlung gegen Mousli, in welcher er Aussagen zu konspirativen Wohnungen in Kreuzberg gemacht hatte.

ausführlicher Bericht


Meldungen der Prozesstage 101 - 135

Suche     Mail
http://www.freilassung.de/prozess/ticker/meldung/meldung.htm