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Angeklagte

23.10.2003

In der Strafsache

gegen

Rudolf Schindler u.a.

(1) 2 StE 11/00 (4/00)

gebe ich für Herrn Schindler folgende weitere Erklärung ab:

"In der Hauptverhandlung vom 18. Januar 2002 habe ich mich zu den Umständen geäußert, unter denen Sabine Eckle und ich uns nach dem Anschlag auf Dr. Korbmacher entschlossen haben, die Arbeiten mit und in den Revolutionären Zellen zu beenden.

Ich zitiere die schriftliche Erklärung vom 18. Januar 2002, dort Seite 21 bis 23:

'Der Anschlag auf Herrn Korbmacher bedeutete für uns den Abschluss der Flüchtlingskampagne und das Ende unserer Arbeit in den RZ. Danach wurde die Pistole ins Wasser geworfen ...

Wir hatten seit längerer Zeit das Gefühl, dass die RZ politisch wie praktisch in der Luft hingen. Die Verankerung in einem sozialrevolutionären Milieu war seit langem nicht mehr gegeben, weil dieses Milieu zusehends ausgetrocknet war und von einer kulturrevolutionären Bewegung konnte im Grunde schon seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr die Rede sein. Wir waren der Meinung, man könne nicht gut als Zuspitzung einer gesellschaftlichen Bewegung agieren, die ihre Substanz verloren hatte und seit langem nicht mehr virulent war.

Die Flüchtlingskampagne war insofern eine Ausnahme, als sie nicht ein sozialrevolutionäres Projekt im eigentlichen Sinne darstellte, sondern vielmehr eine klassische Verteidigungs- und Schutzlinie für verfolgte und bedrohte Menschen aufzubauen versuchte, die sich selbst nicht helfen konnten. Sie war eine Bemühung um praktische Solidarität und schützende Parteinahme.

Deshalb hatten wir an der Flüchtlingskampagne mitarbeiten wollen. Mit ihrem Ende fielen für uns die Gründe für eine weitere Arbeit in den RZ weg.'

Über die zitierte Analyse der politischen Lage der Revolutionären Zellen haben wir selbstverständlich mit den uns bekannten weiteren Mitgliedern der Revolutionären Zellen in Berlin gesprochen und diskutiert und haben keinen Zweifel daran gelassen, dass unsere Überzeugung dahin ging, dass es für weitere Aktionen der Revolutionären Zellen weder Anlass noch Legitimation gab und dass wir daraus den Schluss zogen, diese Arbeit müsse eingestellt werden, was wir für alle an der Diskussion Beteiligten auch erkennbar umgesetzt haben. Wir forderten die Übrigen auf, die gleiche Konsequenz zu ziehen.

Alle an der Diskussion Beteiligten wussten zudem, dass wir die einzige uns zur Verfügung stehende Waffe weggeworfen hatten.

Sie wurde übrigens am Landwehrkanal von einer Brücke in Tüchern verpackt ins Wasser geworfen und muss dort heute noch liegen.

Auch aller anderen Gegenstände, die mit der Arbeit in den Revolutionären Zellen in Verbindung gestanden hatten, haben wir uns entledigt.

Ich betone noch einmal, dass wir mit dem angeblichen Verbringen von 20 kg Sprengstoff nach Berlin und einem angeblichen Sprengstoffdepot in Berlin nach dem Anschlag auf Dr. Korbmacher nichts zu tun hatten.

Den von uns eingeleiteten Diskussionsprozess haben wir natürlich mit dem Ziel geführt, andere zu überzeugen, was in Einzelfällen auch gelungen ist.

Unser damals entwickelter grundsätzlicher Perspektivenwechsel kam auch in dem von Sabine Eckle verfassten Text 'Das Spiel ist aus. Anmerkungen zur Geschlechtsdifferenz', zum Ausdruck. Er ließ für Eingeweihte keinen Zweifel an unserer Einschätzung, dass sämtliche Revolutionsentwürfe Makulatur waren und dass diese unsere Einschätzung eben auch das Ende der Revolutionären Zellen beinhaltete.

In der Erklärung vom 18. Januar 2002 hieß es dazu:

Sabine Eckle hatte 1987 einen grundlegenden Text mit dem Titel: 'Das Spiel ist aus. Anmerkungen zur Geschlechtsdifferenz' geschrieben, der in den RZ auf scharfe Kritik gestoßen war. Es war kein Papier des bewaffneten Kampfes, sondern eines über dessen Ende. Ich zitiere: Wir blicken in das gleiche Gedankengebäude, nur der Besitzer hat gewechselt. Der revolutionäre Mann verkündet pathetisch das Reich der Freiheit, der Gleichheit, das Ende aller Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Das Ende der Ausbeutung existentieller Frauenarbeit durch den Mann kann er damit unmöglich meinen, denn dieses Ende zerreißt alle bisherigen Revolutionsentwürfe als Makulatur, entlarvt sie als das, was sie sind, männliche linke Herrschaftsidylle.'

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass alle früheren Texte der Revolutionären Zellen sich insofern glichen, als dass sie sich mit bewaffnetem Kampf und adäquaten Widerstandsformen beschäftigten. Ganz anders der 1987 von Sabine Eckle geschriebene Text 'Das Spiel ist aus', der zwar im Februar 1989 unter dem Titel 'Was ist das Patriarchat?' von den 'Revolutionären Zellen' veröffentlicht worden ist, aber mit dem Geist früherer Texte nichts zu tun hatte, denn er bezeugte die Distanz und die geistige Entfernung Sabine Eckle's vom bewaffneten Kampf der Revolutionären Zellen und deren weiblicher Formation, die offensichtlich nicht mehr Inhalt ihres Denkens waren und folglich im Text auch nicht mehr erschienen. Hier ging es nicht um eine 'Manöverkritik', die einherging mit dem Beklagen mangelnder Resonanz oder politischer Fehler, sondern um eine grundsätzliche Infragestellung des Konzeptes bewaffneten Kampfes überhaupt, der - so die Erkenntnis des Textes von Sabine Eckle - auf die Frage der Geschlechtsdifferenz keine Antwort sein kann, sondern zur 'Makulatur' erklärt wurde. Wenn Sabine Eckle formulierte, dass das Verhältnis zur Geschlechtsdifferenz für die Menschheitsgeschichte viel grundlegender ist als jedes politische und soziale Verhältnis, das sich darüber stülpt, folgt daraus, dass es als primäres 'Binnenverhältnis' zwischen den Geschlechtern auch nicht durch Bomben und Attentate kritisiert und geändert werden kann, sondern nur durch eine geistige und kulturelle Umwertung der Werte.

Dass dieser von Sabine Eckle formulierte Text von anderen tatsächlich als Absage an den bewaffneten Kampf verstanden worden ist, ergibt sich aus folgender Kommentierung in der 1992 veröffentlichten Auflösungserklärung 'Das Ende unserer Politik':

'Das einzige Papier, das in diesem Zusammenhang veröffentlicht wurde - 'Was ist das Patriarchat', fiel internen Spannungen zum Opfer ... Kurzum: In der bisherigen Entwicklung der RZ-internen Patriarchatsdiskussion, an deren männlichem Elend wir mitverantwortlich sidn, erkennen wir keinen politikfähigen Ansatz. Wenn dann noch der Mann als Täter in den Vordergrund rückt, Kontemplation Politik ersetzt und im 'Verzicht auf männliche Definitionsmacht' politische Enthaltsamkeit geübt wird, begreifen wir die ganze Richtung eher als Selbstentmündigung und Entpolitisierung denn als Beitrag zur Neubestimmung sozial revolutionärer Politik.'

Dieses Zitat aus der Auflösungserklärung von 1992 belegt, dass der Text 'Das Spiel ist aus' von 1987 grundsätzlicher und weitreichender war als alle folgenden Selbstkritiken und daher konsequenterweise zur Auflösung der Berliner Gruppe 1987/1988 führte.

Da wir kein offizieller Verein waren, konnten wir keinen Auflösungsantrag stellen, um unsere Haltung zu dokumentieren. Unser konsequent durchgehaltener Ausstieg konnte und sollte aber genau so verstanden werden. Er ist auch so verstanden worden. Schließlich sind die anderen uns gefolgt."

Euler, Rechtsanwalt

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