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18.03.2004: 174. Prozesstag
Kurzer Prozess: Am Ende gibt's mehrjährige Haftstrafen
Heute machte der 1. Strafsenat kurzen Prozess. Überraschend verkündete
er die Urteile in Sachen Berliner RZ. Wenig überraschend war dagegen
der Tenor der Urteile: Der Kronzeuge Tarek Mousli ist in allen Punkten
glaubwürdig, die Anklage der Bundesanwaltschaft (BAW) stimmig und
die fünf Angeklagten deshalb ohne Zweifel zu verurteilen.
Weder sei Tarek Mousli von den Ermittlungsbehörden massiv unter
Druck gesetzt worden (Stichwort: Knüller), noch habe er irgendeinen
Grund gehabt, falsche Beschuldigungen auszusprechen. Die Einlassungen
der Angeklagten hätten dessen Glaubwürdigkeit nicht erschüttert,
sondern im Gegenteil bestärkt. Seine Angaben seien glaubhaft und
nachvollziehbar.
Kein Wunder also, dass die mündliche Urteilsbegründung im Kern
wie die Wiederholung der Anklage klang: Es gab zwei Zellen in Berlin.
Alle Angeklagten waren an den Knieschussattentaten auf Hollenberg
und Korbmacher beteiligt, Schindler hat jeweils geschossen. Alle
Angeklagten haben den Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle
für Asylbewerber 1987 durchgeführt; auch Harald Glöde war an der
Vorbereitung beteiligt. Im Mehringhof gab es eine Sprengstoffdepot
der RZ; wo ist nicht ganz klar, mögliche Verstecke sind aber reichlich
vorhanden. Betreut wurde es von Lothar E., später von Axel Haug.
Sabine Eckle und Rudolf Schindler waren langjährige und führende
Mitglieder der RZ, die Mitte der 1980er Jahre nach Berlin gekommen
sind. Führendes Mitglied war auch Matthias Borgmann. Ende der 1980er
Jahre hat es ein gemeinsames Treffen der beiden Berliner Zellen
gegeben, bei dem Mousli alle Berliner RZ-Militante außer "Toni"
gesehen hat. Anfang der 1990er Jahre haben Eckle und Schindler der
RZ den Rücken gekehrt. Noch während der Existenz zweier Zellen wurde
der Anschlag auf die Siegessäule diskutiert, der dann später von
den Rest-Mitgliedern Matthias Borgmann, Axel Haug, Harald Glöde
und Lothar E. ausgeführt wurde, was gleichzeitig Ergebnis der Neubestimmung
der RZ-Politik gewesen ist, wie sie Sabine Ekle in ihrem Papier
"Was ist das Patriarchat" eingeleitet hat. 1995 versuchte
Harald Glöde, der dem Koordinierungsausschuss anhörte, der u.a.
Gelder an die RZ-Illegalen verteilte, Mousli wieder für die RZ zu
gewinnen. Nach Auflösung des Sprengstoffdepots war auch er es, der
Mousli bat, den Sprengstoff kurzfristig zwischenzulagern. Nachdem
Teile des Sprengstoffs aus Mouslis Keller geklaut worden war, entsorgte
er den Rest unmittelbar danach in einem Seegraben in Norden Berlins.
Erst 1998 ist dem BKA aufgefallen, dass der 1995 bei den Berliner
Kleinkriminellen gefundene Sprengstoff aus Mouslis Keller etwas
mit der RZ zu tun habe.
Dass der Sprengstoff weit weg von der von Mousli angegebenen Einwurfstelle,
entgegen der Fließrichtung des Seegrabens gefunden wurde; dass trotz
zweimaliger intensiver Suche im Mehringhof nach dem Sprengstoffdepot
dort nichts gefunden wurde; dass die Zeugin Barbara W. aussagte,
sie und nicht Schindler habe auf Hollenberg geschossen; dass die
"Fülle von Täterwissen", die das Gericht dem Kronzeugen
zu schrieb, etwa im Fall der Siegessäule nicht über das Hinausreichte,
was in der Zeitung zu lesen war; dass der von ihm beschriebene Aufbau
eines Sprengsatzes nicht mit den Tatortermittlungsergebnissen des
BKA in Übereinstimmung zu bringen ist; all das und die vielen Widersprüche
und nachgewiesenen Lügen des Kronzeugen zählte für den Senat nicht.
Kein Wunder, dass er auch kein Wort darüber verlor, inwieweit der
Kronzeuge von den Ermittlungsbehörden mit Informationen gefüttert
und gezielt gelenkt wurde. Kein Wort zu den dubiosen Ermittlungsmethoden
und dem Vorgehen der Bundesanwaltschaft, die Beweismittel zurückhielt
und entlastende Ermittlungsergebnisse unter den Tisch fallen ließ.
Und wie sich der Senat bei der Urteilsbegründung den Vorgaben der
Bundesanwaltschaft fügte, so folgte sie auch beim Strafmaß den Anträgen
der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts - mit einer Ausnahme:
Für Axel Haug gab es drei Monate mehr. Als "untergeordnete
Gefolgsleute" bekamen er und Harald Glöde zwei Jahre und zehn
Monate bzw. zwei Jahre und neun Monate. Die teilgeständigen Sabine
Eckle und Rudolf Schindler wurden zu drei Jahren und neun Monaten
verurteilt. Die mit vier Jahren und drei Monaten höchste Strafe
erhielt Matthias Borgmann. Die Haftbefehle gegen alle Angeklagten
wurden aufgehoben.
"Das ist ein Urteil, als hätte es keine dreijährige Beweisaufnahme
gegeben, und es macht deutlich, dass eine Verurteilung von Anfang
an vorgesehen war", so Verteidigerin Silke Studzinsky. Ein
Teil der Angeklagten will gegen das Urteil in Revision gehen.
ausführlicher
Prozessbericht
11. März 2004: 173. Prozesstag
Keine Gnade - es geht weiter
Der Strafsenat des Kammergerichtes ist heute wieder in die Beweisaufnahme
eingetreten. Zunächst wurden die Zweitplädoyers durch die Verteidigung
fortgesetzt. Dann folgten verschiedene Anträge der Anwälte Geimecke
und Euler, u.a. auf erneuten Eintritt in die Beweisaufnahme. Zunächst
wies das Gericht dieses Ansinnen - bevor überhaupt eine Begründung
vorgetragen werden konnte - rigoros zurück. Erst gegen Ende des
knapp einstündigen Prozesstages änderte die Vorsitzende Richterin
Henning ihre Meinung. So konnte die Bundesanwaltschaft mit einer
phantasievollen Ablehnung eines vorangegangenen Hilfsbeweisantrages
für anhaltende Heiterkeit im Gerichtssaal sorgen.
Es geht also weiter und zwar am 18. März 2004 um 9:15 Uhr an gleicher
Stelle.
ausführlicher
Prozessbericht
04.03.2004: 172. Prozesstag
Schluss mit Lustig - Beweisaufnahme geschlossen
Jetzt neigt sich das Verfahren seinem Ende zu. Heute wurden die
letzten Beweisanträge vom Senat vom Tisch gewischt. Egal ob es sich
um massive Verfahrensfehler (Unterschlagung von Aktenmaterial),
die Einholung weiterer Gutachten (der Senat besitzt eben Sachkunde
genug) oder die Vernehmung von Zeugen (was die zu sagen hätten,
sei ohnehin offenkundig) handelte – alles unerheblich und deshalb
abzulehnen. Das Motte des Senats heute: Wir machen den Weg frei!
So konnte im Anschluss die Bundesanwaltschaft aus ihrer Sicht die
wieder aufgenommene Beweisaufnahme der letzten Verhandlungstage
bilanzieren. Wenig überraschend, wie von Bundesanwalt Bruns selbst
eingestanden, sah sie sich (und ihren Kronzeugen) in allen Fragen
bestätigt. Ob Mehringhof-Depot, Patriarchatspapier oder "Seegraben-Problematik"
– in dubio contra reo. Laut BAW gab es also im Mehringhof ein Sprengstoff-
und Waffendepot der RZ. Wenn nicht im Garagenraum, dann eben anderswo,
denn - wie wusste Bruns zu schlussfolgern – hätte die Zeugenvernehmungen
ergeben, dass es dort eine Vielzahl von Verstecken gäbe. Spricht
sich hier die BAW für eine großzügige Bewertung aus, soll dies für
das Patriarchats-Papier von Sabine E. nicht gelten, denn so Bruns:
"Wer Ausstieg meint, schreibt das Wort 'Ausstieg' auch hinein".
Der selbst ernannte RZ-Intimus weiter: "Wie ein Ausstiegspapier
aussieht, zeigt das Papier 'Das Ende unserer Politik'." Und auch
beim Seegraben alles im Lot. Der Versuch der Verteidigung nachzuweisen,
dass Mousli keineswegs 1995 dort Sprengstoff versenkt hat, sei kläglich
gescheitert. Da half es der Gutachterin Dr. Kasten auch nicht, dass
sie sich am 170. Verhandlungstag dagegen verwahrt hatte, ihrem Gutachten
irgendwelchen Beweiswert zu zusprechen. Auch heute scherte das Bruns
nicht, und so wurde aus ihrem Gutachten zur Häufigkeit des Algenvorkommens
auf dem Sprengstoffpaket aus dem Seegraben der unumstößlichen Nachweis,
dass der Sprengstoff dort Jahre gelegt hat.
Die Verteidigung zeigte sich angesichts dieser Ausführungen verständlicher
Wiese etwas wortkarg. Es sei "nicht lohnenswert", so Rechtsanwältin
Lunnebach, auf Bruns einzugehen. "Die Bundesanwaltschaft ist in
allen Fragen fest an Mousli gekettet und nicht mehr in der Lage,
objektiv zu urteilen." Dieser Bewertung schlossen sich in ähnlicher
Weise die VerteidigerInnen von Harald G. und Sabine E. an. Kommenden
Donnerstag folgen dann noch die Schlussvorträge von Rechtsanwalt
Euler und der Verteidigung von Axel H.. Ob der Senat dann tags darauf
sein Urteil spricht, oder ob er zumindest die obligatorische Schamfrist
von einer Woche einhält, war heute nicht zu erfahren. Dass die Urteile
schön längst gefällt sind, daran kann kein Zweifel bestehen. Also
handelt es sich eher um eine Frage des Stils. Doch wie heißt es
so schön: Ist der Ruf erst einmal ruiniert, dann lebt es sich ganz
ungeniert. Also lassen wir uns überraschen.
ausführlicher
Prozessbericht
26.02.2004: 171. Prozesstag
Herrn Graf von Schlieffens Gespür für die Strafprozessordnung
Geschlagene 15 Minuten dauerte der heutige Termin der Hauptverhandlung.
Angeblich aus Rücksicht auf den angeschlagenen Gesundheitszustands
von Sabine E., wie die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig weiß
machen wollte. Allerdings wurde auf den Gerichtsfluren gemunkelt,
der Saal 500 des Kriminalgericht Moabit sei bereits für 11 Uhr
anderweitig vergeben. Wie auch immer - mit Verhandlungsschluss um
9.30 Uhr lag der Senat gut in der Zeit. Die Viertelstunde Verhandlungsdauer
reichte für zwei Beschlüsse des Senats, zwei Beweisanträge
der Verteidigung und eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft sowieso
dicke aus. Abgelehnt wurden ein Beweisantrag von Rechtsanwältin
Lunnebach und ein Antrag der Verteidigung von Rudolf Sch.. Lautete
im einen Fall die Begründung, es gäbe keinen Widerspruch
in der Aussage des Kronzeugen in der Hauptverhandlung und seiner
Version in einer Vernehmung, weshalb die Verlesung von entsprechenden
Passagen aus dem Vernehmungsprotokollen nicht notwendig sei, sprach
sich im anderen Fall der Senat die erforderliche Sachkunde einfach
selbst zu und lehnte die Bestellung eines Sachverständigen
ab.
Zuvor hatte Rechtsanwältin Lunnebach beantragt, es soll protokolliert
werden, dass der Kronzeuge Mousli bei seinem letzten Auftritt vor
Gericht die Paraphierung und den Wahrheitsgehalt seiner polizeilichen
und richterlichen Vernehmungen bestätigt hatte. Dies habe keine
Beweisbedeutung, meinet die Bundesanwaltschaft in ihrer anschließenden
Stellungnahme keck. Eine Ad-hoc-Stellungnahme zu dem am Ende von
Rechtsanwalt von Schlieffen gestellten Beweisantrag traute sich
Bundesanwalt Bruns dann allerdings doch nicht zu. Die Verteidigung
von Axel H. hatte die Beiziehung aller Oberservationsvorgänge
verlangt, aus denen Mousli in einer Vernehmung im November 1999
vorgehalten worden war.
Wie von Schlieffen betonte, sei die Beiziehung "unabhängig
von ihrem möglichen Beweiswert oder Aufklärungsgehalt"
geboten, da es sich um einen Aktenbestandteil handele, der von der
Bundesanwaltschaft gemäß § 199 Abs.2 Satz 2 StPO
mit der Anklage hätte vorgelegt werden müssen. Er erinnerte
daran, dass die Bundesanwaltschaft in diesem Fall erneut "ihrer
Verpflichtung zur Vorlage des vollständigen Akten- und Beweismaterials"
nicht nachgekommen sei. Gleichzeitig wies er den Senat darauf hin,
dass er, um "die Waffengleichheit im Verfahren wiederherzustellen",
die Akten auf Antrag der Verteidigung beiziehen müsse.
"Im Interesse ihrer Gesundheit", so die Vorsitzende Richterin noch
vor der Wortmeldung von Schlieffens etwas voreilig in Richtung von
Sabine E., "hebe ich den Termin auf." Ob es nächste Woche weitergeht,
ist unklar. Wie Hennig deutlich machte, hängt dies vom Gesundheitszustand
von Sabine E. ab. Offiziell wurde zwar die Fortsetzung der Hauptverhandlung
für den 4. und 5. März anberaumt, doch signalisierte der
Senat seine Bereitschaft, die Termine auch ausfallen zu lassen,
falls Sabine E. bis spätestens Mittwoch eine entsprechenden
Wunsch äußern sollte.
Ein ausführlicher Bericht entfällt.
20.02.2004: 170. Prozesstag
"Babyblauer Bereich"
Krankheitsbedingt, Sabine E. quälte eine schwere Erkältung und
Migräne, war der heutige Prozesstag kurz.
Rechtsanwalt Eisenberg, der, wie er sagte, "ja eigentlich gegen
die erneute Vernehmung des Kronzeugen Mousli" war, rekapitulierte
die Ergebnisse der Vernehmung Mouslis vom 168. Prozesstag. Er forderte,
da erwiesen sei, dass Mousli auch in diesem Fall gelogen habe, die
Abtrennung des Verfahrens seiner Mandantin und deren zügige Aburteilung,
um dem "unappetitlichern Schauspiel hier nicht länger beiwohnen
zu müssen".
Aus der Befragung Mouslis sei zweifelsfrei hervorgegangen, dass
der von Sabine E. verfasste Text als Ende ihres Engagements in den
RZ zu lesen sei. Darüber hinaus sei auch deutlich geworden, dass
Mousli in Hinblick auf den angeblichen Waldspaziergang gelogen hat.
Dies sei nicht zuletzt deswegen klar geworden, weil Mousli allen
Ernstes behauptet, die Berliner RZ-Gruppen hätten sich erst zwei
Jahre nach den Angriffen der Polizei auf die Strukturen der RZ in
Westdeutschland Ende 1987 zu einem Waldspaziergang getroffen, um
dort über "Sicherheitserwägungen" zu sprechen.
Sodann wurde als Zeugin erneut die Biologin Dr.in Kasten (38) zu
ihren Gutachten hinsichtlich des Algenbewuchses auf dem Sprengstoffpaket
aus dem Seegraben befragt. Während Bundesanwaltschaft und der heute
wieder besonders penetrant auftretende Richter Alban der Verteidigerin
Lunnebach unterstellten, sie habe die Gutachterin vor deren ergänzender
Expertise heimlich gebrieft, bemühte sich diese vielmehr als ökologische
Biologin zu erläutern, was sie vor allem an der erneuten Ladung
irritiert habe: "Ich bin nicht der Meinung, dass meine hier vorgelegten
Ergebnisse gerichtsrelevant gewesen sind. Ich kann im Rahmen meiner
Forschungsergebnisse nicht sagen, ob das Paket zwei Monate oder
vier Jahre im Wasser gelegen hat. Es ist mir egal, ob das der Verteidigung
nützt oder der Bundesanwaltschaft. In der Ökologie muss man Daten
interpretieren, und das geht angesichts der Datenqualität hier nicht."
Das sei weder - wie sie auf mehrfache Nachfragen betonte - mit
den statistischen Methoden des Sörensen- Index, der Jaccardschen
Zahlen noch des Reukonen- Index möglich gewesen, weil das Ausgangswissen
und -material zu dürftig gewesen sei bzw. das Material bereits zu
lang gelagert und behandelt worden war.
Wir ersparen der geschätzten LeserInnenschaft die weiteren Angriffe
des Richter Alban gegen die als Gutachterin geladene Zeugin, die
diese quasi zur Angeklagten machten, ebenso, wie weitere statistische
Details und Interpretationsnotwendigkeiten aus der Ökologie: Dr.in
Kasten erläuterte dies am Richtertisch mehrfach, um erneut zu bekunden,
dass sie sich angesichts der Ergebnisse gewundert habe, dass die
Daten im Plädoyer der Bundesanwaltschaft überhaupt Verwendung fanden.
Das gelte für alle ihre statistischen Befunde, auch für die, wie
sie auf Nachfragen bekundete, "im babyblauen Bereich" (Lunnebach).
Ein ausführlicher Bericht entfällt.
13.02.2004: 169. Prozesstag
Mousli das letzte Mal im Zeugenstand?
Der heutige Prozesstag wurde mit der weiteren
Befragung des Kronzeugen Mousli bestritten. Es sieht ganz danach
aus, als wäre dies sein letzter Auftritt vor diesem Gericht
gewesen.
Auf Antrag der Verteidigung wurden Mousli von
der Vorsitzenden Richterin ausgesuchte Passagen aus seinen insgesamt
59 Befragungen durch das Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesstaatsanwaltschaft
(BAW) vorgehalten. Erneut reihten sich so Ungereimtheiten, Widersprüche
und ausgemachte Lügereien aneinander. Die Rolle des Bundesamts
für Verfassungsschutzes (BfV) in der Genese der Aussagen des
Kronzeugen, blieb dabei allerdings weiterhin im Dunkeln. Mousli
konnte sich partout nicht mehr erinnern, mit welchen Informationen
er wann durch Kontakte zu Beamten des BfV gefüttert worden war
und wie diese in seine Aussagen eingeflossen waren. Auf Antrag
der Verteidigung bestätigte Mousli, dass die gesamten Protokolle
seiner Vernehmungen von ihm persönlich unterschrieben worden
waren und damit dem entsprächen, was er damals ausgesagt habe.
Zum Abschluss des heutigen Verhandlungstages,
verlas die Richterin auf einen weiteren Antrag der Verteidigung
aller handschriftlicher Erklärungen und Aufzeichnungen, die
vom Kronzeugen gemacht wurden und dem Bundeskriminalamt (BKA)
übergeben worden waren.
Der Prozess wird am 20.02. zur gewohnten Zeit
fortgesetzt.
ausführlicher
Prozessbericht
12.02.2004: 168. Prozesstag
Weitgehende Selbstdemontage des Kronzeugen (to be
continued)
Das war kein guter Tag für die Bundesanwaltschaft,
und es war kein guter Tag für den Kronzeugen Mousli. Ob sich
das für die Angeklagten positiv auswirken wird, bleibt aber
weiter offen.
Hatte Mousli immer behauptet, er habe seinen "Freund"
Lothar E. bis Dezember 1999 nicht belasten wollen, wurde heute klar,
dass selbst das gelogen ist. Vielmehr hatte er diesen gegenüber
dem BKA schon vorher bezichtigt, organisiert Scheinehen anzubahnen;
ob unentgeltlich, so Mousli, wisse er nicht.
Im Verlauf der zeitweise hochemotionalen und immer
wieder unterbrochenen Verhandlung stellte sich erneut heraus, dass
Mousli im Grunde keinen blassen Schimmer zu einem angeblichen Sprengstoffdepot
im MehringHof und noch weniger zu dessen angeblichen "Betreuern"
hatte. Über die Stationen 30. November, 7., 16., und 30. Dezember,
2. und 19. Januar 2000 sowie 15. und 21. März 2000 wurde so
aus einem Depot vom Hörensagen im MehringHof das garantiert
im Aufzugschacht gegenüber der Kneipe "Ex" befindliche
und von den Angeklagten Axel H. und Lothar E. betreute Waffen- und
Sprengstofflager unter einer Metallplatte, dessen Örtlichkeiten
Mousli "genau kannte".
Gut vorbereitet und offensichtlich eintrainiert zeigte
sich Mousli, als es darum ging, die besondere Gefährlichkeit
von Sabine E., Rudolf Sch. und - ungefragt - Matthias B. zu behaupten.
Dass, wie E. und Sch. in ihren Einlassungen erläutert hatten,
mit dem Ende der Flüchtlingskampagne auch das Projekt RZ für
sie erledigt war, bezeichnete Mousli als "Quatsch". Das
Anfang 1988 in der Berliner RZ diskutierte Papier "Das Spiel
ist aus" (1989 veröffentlicht als "Was
ist das Patriarchat") sei von Sabine E. geschrieben und
in der Gruppe kontrovers diskutiert worden. Welche Kontroversen,
konnte er angeblich nicht erinnern. Laut Mousli zielte es jedoch
nicht auf eine Beendigung einer bewaffneten, revolutionären
Politik, sondern "im Gegenteil, als ich das äußerte,
wurde ich von Judith [angeblicher Deckname von Sabine E.] beschimpft."
Nachdem Rechtsanwalt Eisenberg gegen den erbitterten
Widerstand und die sichtliche Empörung der Bundesanwaltschaft
beim Kammergericht den Vorhalt des Papiers in einzelnen Abschnitten
durchsetzen konnte, war auch mit dieser Behauptung Schluss. Mousli
konnte weder dem Text inhaltlich folgen, noch darstellen, worin
die Kontroversen bestanden haben sollen. Wie er aus dem Papier habe
schließen können, dass es sich um eine neue Linie im
bewaffneten Kampf, das Ziel einer neuen revolutionären Perspektive
und um die Fortsetzung der RZ handele, konnte er auch auf wiederholte
Nachfrage ebenfalls nicht erklären. Skrupel- wie ausweglos
musste Mousli schließlich auf die Frage nach der revolutionären
Perspektive angesichts des Papiers schließlich eingestehen,
"das haben wir uns auch gefragt", um dann frech fort zu
fahren, es sei die "Grundlagendiskussion für die Fortführung
der Vereinspolitik" gewesen.
Das Verfahren wird am Freitag, 13. Februar 2004 um
9.15 Uhr mit der Vernehmung Mouslis fortgesetzt.
ausführlicher
Prozessbericht
09.02.2004: 167. Prozesstag
Hier sage ich nichts
Lothar E. (50), selbstständiger Handwerker aus Yellowknife/Kanada,
war heute als Zeuge geladen. "Sie wissen, um was es sich heute hier
handelt", so die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig in ihrer unnachahmlichen
Art. Lothar E. wusste es. Als ebenfalls vom Kronzeugen Mousli Beschuldigter,
der vor einigen Monaten erst von den kanadischen Behörden an die
BRD ausgeliefert worden war und gegen den die Bundesanwaltschaft
Mitte Januar Anklage erhoben hat, machte er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht
gebrauch. Daran änderte auch die - eigentlich unverschämte - Frage
von Hennig nichts, ob er den vorhabe zu lügen, wenn er nicht mehr
an die Wahrheitspflicht als Zeuge gebunden sei. Denn wie dem Senat
"gerichtsbekannt" geworden sei, sei für kommenden Mittwoch ein Treffen
zwischen Mitgliedern des zuständigen 2. Strafsenats des Kammergerichts
Berlin, der BAW und seinen Verteidigern zwecks Verfahrensabsprache
geplant, bei dem auch eine Einlassung von Lothar E. zur Sprache
kommen soll.
In den rund zehn Minuten der heutigen Hauptverhandlung verkündete
der Senat noch zwei Beschlüsse, mit denen Beweisanträge der Verteidigung
von Rudolf Sch. und der Anwälte von Matthias B. ablehnt wurden,
außerdem wurde auf Antrag der Verteidigung von Rudolf Sch. ein Foto
von Sabine E. und eine Phantomzeichnung der Schützin beim Korbmacher-Anschlag,
also von Barbara v. W., in Augenschein genommen. Die Gegenüberstellung
von Mousli und seiner ehemaligen Lebensgefährtin Karmen T. wurden
ebenso abgelehnt wie die Befragung weiterer Zeugen, um zu klären,
ob Mousli ein Sprengstoffpaket wirklich bereits 1995 in einem Seegraben
im Norden Berlin versenkt haben kann. Da sich der Senat selbst genügend
Sachkenntnis bescheinigte, wurde auch die Ladung des forensisch
tätigen Aussagepsychologen Prof. Günter Köhnken negativ beschieden,
der zur suggestiven Vorgeschichte der Vernehmung von Mousli am 27.1.2000
und der sich daraus ergebenden aussagekräftigen Bedeutung Stellung
nehmen sollte.
Der Prozess wird am Donnerstag, 12.2., um 9.15 Uhr in Anwesenheit
des Kronzeugen fortgesetzt.
Ein ausführlicher Bericht entfällt.
30.01.2004: 166. Prozesstag
Die Winterferien stehen kurz bevor
Für ca. 15 Minuten netto wurde heute im Saal 500
beim Berliner Kammergericht verhandelt. Zunächst verkündete
das Gericht einige Beschlüsse zu Anträgen, die die Verteidigung
Axel H. am 8.1.04, im Zusammenhang mit der von Mousli behaupteten
Beteiligung an Anschlägen von Axel H., gestellt hatte. Zwar
wurde den Anträgen auf Ladung von diversen Vernehmungsbeamten
und der Verlesung von handschriftlichen Notitzen von Mousli
nicht stattgegeben. Immerhin verkündete der Senat, dass Mousli
erneut zu diesen Fragen gehört werde soll. Abgelehnt wurde ein
weiterer Antrag der Verteidigerin von Harald G., Silke Studzinsky,
die das Gericht aufforderte, Mousli nicht am 12. und 13. Februar
sondern zu einem späteren Zeitpunkt zu laden, da sie zu diesem
Zeitpunkt in Urlaub sei. Für solche Fälle seien jedem der Angeklagten
zwei Pflichverteidiger gestellt worden, so die Begründung der
Ablehnung. Rechtsanwalt König wollte am Ende des Prozesstages
von der Vorsitzenden Richterin wissen, zu welchem Zweck denn
nun Lothar Ebke für den 9. Februar geladen sei. "Dazu gebe ich
keine Erklärung ab", so Frau Hennig, die damit das Ende des
Verhandlungstages verkündete.
Der Prozess wird am Montag, den 9. Februar um
14:00 Uhr fortgesetzt.
Ein ausführlicher Bericht entfällt.
22.01.2004: 165. Prozesstag
Das 'Ding' bleibt zusammen
Keine neuen Erkenntnisse durch zwei Zeugen zum angeblichen
Sprengstofflager im Berliner Mehringhof.
Zunächst beantragte RA Eisenberg aber die Abtrennung
und Beendigung des Verfahrens gegen die Angeklagte Sabine E..
Der Kronzeuge würde doch fortgesetzt lügen und die Höchststrafe
für sie wäre ohnehin längst vereinbart. "Das Ding bleibt
zusammen" erwiderte die Bundesanwaltschaft und entsprechend
kurz und knapp entschied auch die Kammer.
Dem Polizist Michael Mocken aus Erkelenz war bei
der Durchsuchung eines Garagenraumes im Mehringhof nichts Auffälliges
in Erinnerung. Weder Schächte, Eisenplatten noch Sprengstoffverstecke
seien gefunden worden. Uta K., ab 1987 Hausmeisterin in derselben
Immobilie, bestätigte ihre früheren Aussagen. Im Aufzugsschacht
wären außer einem Estrich und einer stationären Pumpe keine Umbauten
vorgenommen worden. Der sog. Stromraum in dem Objekt wäre weder
grundwassergefährdet noch anderweitig ständig überflutet gewesen,
ein Umbau der Stromanschlüsse wäre erst später erfolgt.
RAin Lunnebach will das Gutachten über die Häufigkeit
des Algenvorkommens beim Sprengstoff-Fund im Seegraben widerlegen.
Ein Professor für Statistik würde die wissenschaftliche Unhaltbarkeit
der damals vertretenen Thesen nachweisen. Der Kommentar von Richter
Alban: "Wenn's jemand nicht bringt, muss nachgebessert werden...".
Wie wahr!
Ein ausführlicher Bericht entfällt mangels Masse.
15.01.2004: 164. Prozesstag
Beweisaufnahme geht weiter
Ach wie schön ist Moabit!? Nachdem letzte Woche
durch die beiden Anwälte von Sabine E. der Reigen der Plädoyers
abgeschlossen worden war, hatte das Kammergericht für heute
zwei Zeugen geladen, mit anderen Worten: Die Beweisaufnahme
ist wieder eröffnet. Und sie begann im gewohnten, alten Trott.
Nach etwas mehr als einer Stunde durften die Prozessbeteiligten
den Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit wieder verlassen.
Und auch noch die - nennen wir es - Unzulänglichkeit
des Senats in Punkto Verfahrensführung war im neuen Jahr wie
gehabt: "Mit dem neuen Briefzustelldienst sind kurzfristige
Ladungen anscheinend nicht möglich", zeigte sich die Vorsitzende
Richterin Gisela Hennig scheinbar interessiert und um Abhilfe
besorgt. Als wäre es nicht bezeichnend für diesen Senat, dass
er ernsthaft glaubt, wenn er Montags per Post eine Ladung verschickt,
sei es selbstverständlich, dass ZeugInnen wenige Tage später
(konkret: am Donnerstag) springen. Weil die Zeugin jedoch wenig
überraschend wegen der kurzfristigen Ladung aus terminlichen
Gründen nicht vor Gericht erscheinen konnte, begann die Hauptverhandlung
erst um 10 Uhr mit Erscheinen des zweiten Zeugen - ihm hatte
das Gericht immerhin die Ladung per Fax zugestellt.
Die Ladung geht zurück auf einen Hilfsbeweisantrag
der Verteidigung von Axel H., den Rechtsanwalt von Schliefen
am Tag seines Plädoyers gestellt hatte, für den Fall, dass sein
Mandant wegen der "Verwaltung" eines laut Kronzeugen im Mehringhof
untergebrachten Sprengstoff- und Waffendepots der RZ verurteilt
werden sollte.
Bei dem Zeugen handelte es sich um Arno R. (53),
der in dem im Mehringhof ansässigen Grafikbetrieb Graf Druckula
arbeitet. Die Firma nutzte seit Anfang der 1980er Jahren den
so genannten Garagenraum, der im Plädoyer der Bundesanwaltschaft
(BAW) zu dem Ort mutierte, in dem das angebliche Sprengstoff-
und Waffendepot in einem Schacht untergebracht gewesen sein
soll.
Ein Schacht existiert dort, wie Arno R. einräumte.
In seinen weiteren Ausführungen musste er allerdings die Bundesanwaltschaft
enttäuschen, und verwies deren neue Theorie zum angeblichen
RZ-Sprengstoffdepot somit ins Reich der Fantasie. Denn wie der
Grafiker glaubhaft versicherte, war dieser Schacht von einer
metallenen Platte bedeckt, auf der Regale, die der Lagerung
u.a. von Papier dienten, und seit ca. 1984 bis 1992 eine tonnenschwere
Schneidemaschine standen. Auch verneinte er, dass Axel H. ebenso
wenig wie Lothar E., gegen den im übrigen die BAW am Montag
Anklage vor dem Kammergericht erhoben hat, in ihrer Funktion
als Hausmeister im Mehringhof freien Zugang zu diesem Raum gehabt
hätten. Der Raum sei mit einem Vorhängeschloss gesichert gewesen;
Schlüssel hätten nur die beiden Mieter Graf Druckula und der
Buchladen Schwarze Risse besäßen; der Raum sei nicht mit dem
Generalschlüssel der Schließanlage des Mehringhof zu öffnen
gewesen. Um auf Nummer sicher zu gehen, wurde der Zeuge zum
Abschluss noch von Rechtsanwalt Euler - nicht ohne die Vorwarnung
voranzustellen, der Zeuge solle sich über diese Frage nicht
wundern - befragt, ob in diesem Raum jemals ein Lift oder Aufzug
installiert gewesen sei. Verdutzt verneinte Arno R..
Zur Überraschung der Prozessbeteiligten verkündete
die Vorsitzende Hennig anschließend, dass wahrscheinlich bereits
nächste Woche Tarek Mousli erneut in den Zeugenstand gerufen
wird. Zuvor waren die Beweisanträge der Verteidigung von Axel
H. und Matthias B., mit denen die Ladung zahlreicher Vernehmungsbeamter
gefordert worden war, unisono mit der Begründung abgelehnt worden,
die Beweismittel seien ungeeignet bzw. unzulässig, zudem werde
der Verteidigung die Befragung des Kronzeugen ermöglicht werden.
Zum weiteren Verlauf des Prozesses wollte bzw.
konnte der Senat keine Angaben machen. Nur soviel ist klar,
die Hauptverhandlung wird am kommenden Donnerstag, 22. Januar,
um 9.15 Uhr fortgesetzt. Geplant ist auch, dass nächste Woche
der Termin am Freitag ausnahmsweise nicht aufgehoben wird. Mutmaßlich,
weil dann der Kronzeuge seine wohl letzten Auftritt in diesem
Verfahren haben wird.
[ Tarek Mousli wird nun doch frühestens zum
29.01.2004 geladen.]
Ein ausführlicher Bericht entfällt.
Meldungen der Prozesstage
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