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7. August 2003: 136. Prozesstag
Giacometti vor dem Kammergericht
Diesmal war es einer der Verteidiger, der einen veritablen Bock
geschossen hat, und auch noch derjenige, der für den inhaltlichen
Part des 7. August verantwortlich zeichnete. RA Euler nämlich
hatte in einem Beweisantrag vom 19. Juni die Ladung einer früheren
Freundin des Kronzeugen Tarek Mousli beantragt. Die Zeugin war erschienen,
doch zur Überraschung der KollegInnen, ihrer MandantInnen,
der spärlichen ZuhörerInnenschar und des Gerichts erschien
Herr Euler nicht. Ein Anruf um 9.15 Uhr riss den Säumigen aus
Morpheus Armen, der ihn nicht etwa um die Ecke in Berlin sondern
im fernen Frankfurt umschlungen hielt. Als vier Stunden später
mit der Wiederaufnahme der Hauptverhandlung nach der Sommerpause
begonnen werden konnte, entschuldigte sich der gerade eingeflogene
RA Euler bei allen Betroffenen auf's Glaubwürdigste.
Die Zeugin, die mit Mousli fest wohl nur zu Anfang der 1980er Jahre
zusammen war, eine Freundschaft mit Unterbrechungen zu ihm jedoch
bis zu Beginn der 1990er Jahre gehabt hat, konnte einmal mehr die
zwiespältige Persönlichkeit des Kronzeugen schildern.
Er sei witzig gewesen, spontan, vital, von einnehmendem Wesen, sehr
unternehmungsfreudig und weckte auf Anhieb Sympathie. Er vermochte
stets gut, Menschen für sich einzunehmen, erinnerte sich die
heute 46-jährige Angestellte aus Westdeutschland.
Schmal wie eine Statuette
Sie dürfte einer Figur des italienischen Künstlers Alberto
Giacometti nicht unähnlich gewesen sein im späten Jahr
1987, die Angeklagte Sabine E.. Zumindest, wenn man der Zeugin des
Tages glauben darf: Sie sei damals in körperlich nicht guter
Verfassung gewesen, von Krankheit und Allergien geschwächt,
sehr zierlich, zerbrechlich, angeschlagen. Sie sei ihr in eben diesem
körperlich schlechten, geschwächten Zustand und abgemagert,
unter dem Decknamen "Chris" (den Decknamen hatte Tarek
ihr genannt) und unter Hinweis auf ihren illegalen Status im Jahre
1987 durch Mousli zugeführt worden, damit sie mit ihr gymnastische
Übungen zum Muskelaufbau und zur körperlichen Stärkung
mache. Das habe sie auch einige Male gemacht (nicht mehr als fünfmal).
Daraus habe sich auch ein privater Kontakt ergeben, nämlich
der Besuch einer Giacometti-Ausstellung im Herbst 1987 in der Neuen
Nationalgalerie. Wie es dazu gekommen sei? "Der Wunsch wurde
an mich herangetragen. Sabine E. wollte offensichtlich mal eine
Abwechslung in ihrem Lebensalltag", berichtete die Zeugin.
Danach brach der Kontakt einfach ab.
Gegenüber RA Euler beschrieb die Zeugin Sabine E. als "vom
Gesicht her hübsch" in jener Zeit und das fügte
sie auf ausdrückliche Nachfrage Eulers hinzu - ohne irgendwelche
Auffälligkeiten am Hals. Sie habe mit süddeutsch/baden-württembergischem
Akzent gesprochen. Die Zeugin sagte, sie habe damals nicht erfahren,
weshalb Frau E. illegal war.
Sie habe sich damals auch im Mehringhof bewegt und deutete auch
auf die Angeklagten G. und H., die ihr damals vom Sehen bekannt
gewesen seien. Sie konnte auf Nachfrage jedoch keine Spezifizierung
dieses "vom Sehen" machen. Sie nannte Tarek Mouslis Kampfsport-Klitsche,
in welcher sie selber von ihm trainiert wurde, und die Kneipe im
Mehringhof EX, wo sie den beiden Männern vielleicht mal begegnet
sein könnte. Stille Heiterkeit erregte die Nachfrage Eulers,
ob der weithin als Womanizer bekannte - Mousli dort denn auch
eine eigene Frauengruppe gehabt habe. Nein, die Karate-Gruppen seien
gemischte Gruppen gewesen, so die Zeugin.
Die Mütter aller Schlachten
Mousli habe sie in die Diskussionen der autonomen HausbesetzerInnenszene
in Berlin mit einbezogen, in welcher damals die Gewaltfrage mit
allen Facetten und Konsequenzen durchdekliniert wurde. Es gab auch
jede Menge Demonstrationen nicht nur in Berlin, an denen Mousli
teilnahm. Mousli sei damals durchaus ein Anhänger jener Sichtweise
gewesen, dass politisch Verantwortliche, die Menschen Leid angetan
hätten, auch persönlich und körperlich bestraft werden
könnten "durch Attentate oder wie man das nennt"(Zeugin)
- und dass das moralisch gerechtfertigt sei. "Carrero Blanco",
kommentierte RA Eisenberg lautstark (er bezog sich damit auf General
Francos designierten Nachfolger Carrero Blanco, dessen Ermordung
durch die ETA 1973 für kontroverse Einschätzungen gesorgt
hatte
von wegen Tyrannenmord usw.) Damals sei, so die Zeugin, auch
radikaleres Gedankengut im Umlauf gewesen, auch bei Mousli. Auch
die Anschläge der RZ seien damals heiß diskutiert und
der Frage nachgegangen worden, ob das so in Ordnung gehe. Ob sie
mit Mousli über RZ-Anschläge diskutiert habe, konnte die
Zeugin nicht mehr sagen. Auch ob sie auf Bitten von Richter Alban
- den Inhalt dieser Diskussionen noch präzisieren könne,
verneinte die Zeugin.
In diesem Zusammenhang der Wortwechsel des Tages zwischen RAen
und der Zeugin:
RA Becker: "Hat er denn je von solchen Demos, an denen er
teilgenommen hat, erzählt? So ungefähr wie unsere Großväter
von der Schlacht von Sedan erzählt haben?"
Zeugin: "Ja, von der Schlacht von Brokdorf hat er schon erzählt.
(....) Einmal soll er da auch irgendwie in einem Kessel gewesen
sein."
RA Eisenberg: "Stalingrad?"
Erbe verjubelt
Zu den Familienverhältnissen Mouslis gefragt, den sie Anfang
der 1980er Jahre kennen gelernt hatte, berichtete die Zeugin folgendes:
Sie habe ihn 1983 in Berlin oder Kiel, wo er damals noch wohnte
und als Student eingeschrieben war, getroffen. Er habe ihrer Erinnerung
nach formal Informatik studiert, jedoch nicht aktiv, sondern sich
zusehends nach Berlin orientiert, wo der autonome Häuserkampf
tobte. Seinen Unterhalt habe er sich als Fotosetzer, selbständig
und in diversen Firmen, verdient. Mousli habe zwar mal 100.000 Mark
von seinem tödlich verunglückten Vater ererbt, diese jedoch
innerhalb kürzester Zeit verjubelt. Nach dem Tod des Vaters
in Saudi-Arabien sei der damals 5-6-jährige Tarek mit seiner
Mutter, einer Deutschen, und zwei älteren Geschwistern, einem
Bruder und einer Schwester, nach Deutschland gezogen. Die Kinder
wuchsen dann im Internat auf. Er soll stets ein schlechtes Verhältnis
zu seiner Mutter gehabt haben, von der er behauptet habe, sie schulde
ihm noch weiteres Geld aus der Erbschaft. Ob sie wisse, wie Mousli
denn diese 100.000 Mark "unter die Leute gebracht" hätte,
wollte RA Euler wissen. Nur vom Hörensagen wisse sie, dass
er sich ein Auto gekauft und auf großem Fuß gelebt habe,
gab die Zeugin an.
Dass die psychisch kranke Schwester Mouslis nicht freiwillig irgendwann
in das Herkunftsland des Vaters, Saudi-Arabien, "verbracht"
wurde, konnte die Zeugin bestätigen. Nicht aber Mouslis Behauptung,
sie sei nach gescheitertem Asylantrag abgeschoben worden.
RA Euler wollte von der Zeugin noch wissen, wie Mousli es denn
mit der Wahrheit gehalten habe. Er sei sicherlich jemand gewesen,
der die Dinge vor allem im Streit gern zu seinen Gunsten auslegte,
antwortete die Zeugin. Konkrete Beispiele, die dies illustrieren
könnten, fielen ihr ebenso wenig ein wie die Namen von guten
Freunden Mouslis aus Sport, Politik und Wohngemeinschaften. Einzig
den Namen Lothar Ebke konnte sie nennen.
Eine Traube Wissbegieriger
Den Richtern war die Tatsache, dass vier VerteidigerInnen die Zeugin
im Laufe des Verfahrens kontaktiert hatten, Grund zu misstrauischer
Nachfrage, den Angesprochenen zu Richtigstellungen. Im Laufe der
Verhandlung hatte sich nämlich auf spitze Nachfragen von Richter
Alban heraus gestellt, dass die Zeugin mit vier der VerteidigerInnen
vor der Einvernahme Kontakt hatte. "Wie? Mit allen Vieren?",
hakte Alban mit gespielter Überraschung nach. Um ihre Aussage
zu entwerten oder in Frage zu stellen, fragte er weiter, ob die
Zeugin den Beweisantrag Eulers kenne und wie sie in die Rolle der
Zeugin in diesem Verfahren gekommen sei. Daraufhin erklärte
RA Eisenberg, dass sein Kollege Becker und er die Zeugin am 21.2.2001
in seiner Kanzlei vernommen hätten. Es habe darüber keine
Absprache mit den anderen VerteidigerInnen gegeben. Es sei jedoch
entgegen der "eingeschränkten Vorstellung des Gerichts
von Verteidigung" - nahe liegend, dass die Verteidigung auf
die Idee kommen würde, die Lebensgefährtin des Kronzeugen
aus den in Rede stehenden Jahren zu befragen. Und es sei gewiss
nicht so, dass die geschlossene Verteidigung als Traube Wissbegieriger
über die Zeugin hergefallen sei. RA Becker ergänzte, dass
er einige Tage später, am 27.1.2001, von der Zeugin angerufen
wurde, um ihm mitzuteilen, dass sie in einer Giacometti-Biographie,
die sie von Tarek Mousli geschenkt bekommen habe, die Quittung gefunden
habe, welche das Datum 18.1.1988 trage. Sie muss also kurz nach
Ende der Giacometti-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie (9.10.1987
3.1.1988) erworben worden sein.
Damals hatte sie Mousli nicht nur als "gefallsüchtig"
beschrieben, erinnerte sich RA Becker, sondern sein Verhältnis
zur Gewalt mit Pazifismus und anderen Formen gewaltfreien Agierens
nicht vereinbar beschrieben. Er habe nur nicht gewollt, dass die
"moralisch gerechtfertigte" Gewalt die Falschen trifft.
In der späteren Phase ihrer Beziehung hätten sie über
dergleichen nicht mehr gesprochen.
Die entsprechenden Vermerke der Herren Becker und Eisenberg seien
an RA Euler gelangt, der die Zeugin seinerseits im November 2002
in Berlin befragte. Euler fragte die Zeugin direkt, um falsche Verdachte
zu zerstreuen, ob er ihr irgend etwas eingeredet habe, was sie hier
vor Gericht sagen solle. Die Antwort war deutlich: Nein!
Außerdem hatte die Zeugin noch Kontakt zur Verteidigerin
Studzinsky.
Gelamon, Konspi-Treff und TÜ
Es gab noch Beweisantrage zur
Telefonüberwachung (TÜ) einer weiteren Mousli-Freundin
(Jeanette O.) und zu dem Verkauf des Autos des damals frisch inhaftierten
Kronzeugen. Bewiesen soll werden, dass der Kronzeuge im Zusammenhang
mit dem Auto-Verkauf, aus dessen Erlös seine Schulden bezahlt
worden sein sollen, gelogen hat.
Ein Antrag zu Aussagen
des BKA-Beamten Schulzke und deren Fragwürdigkeit im Bezug
auf die Gelamon-40-Funde in Salzhemmendorf und Kempen, soll beweisen,
dass der Beamte die Unwahrheit gesagt hat und nun gemäß
der Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber dem Zeugen
durch entsprechenden Hinweis dazu gebracht werden soll, seine
uneidliche Falschaussage zu korrigieren. Schulzke muss nämlich
ohne dass er das erwähnte bei seiner Aussage am 7.6.2001
sehr wohl auch von dem zweiten Sprengstoff-Diebstahl in Kempen gewusst
haben. Er hatte jedoch entgegen der Vollständigkeitspflicht
lediglich zu Salzhemmendorf Aussagen gemacht. Weiter wurde die Ladung
einer Zeugin der Hauptverhandlung gegen Mousli beantragt, welche
Aussagen des Kronzeugen bezeugen könne, die er zu konspirativen
Wohnungen in Kreuzberg gemacht hat. Neben der Konspi-Wohnung der
so genannten Funkgruppe hatte Mousli eine weitere konspirative Wohnung
in der Oranienstraße 7 oder 9 erwähnt.
Wer ist der Maulwurf in der Struktur
RA Lunnebach brachte eine Ergänzung zu ihrem Beweisantrag
vom 26. Juni 2003 in das Verfahren ein, nachdem die Bundesanwaltschaft
den Antrag als "nicht ernst gemeint" abqualifiziert hatte
(Beweisantrag auf der www.freilassung.de): Frau Lunnebach zitierte
aus einem Verfahren gegen einen gewissen Eppler, der der RZ-Mitgliedschaft
verdächtigt worden war. Die BAW spricht, als sie das Verfahren
an die zuständige Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf
abgab, selbst von einem Informanten aus der RZ, dessen Aussagen
als absolut verlässlich eingeschätzt würden und der
Eppler entlastet habe. Die Aussage dieses noch unbekannten RZ-Informanten
sei derart glaubwürdig eingeschätzt worden, dass ihr mehr
Gewicht gegeben wurde als der ihn selbst belastenden Aussage des
Beschuldigten Eppler.
Der Verhandlungstag am Freitag, 8. August 2003, wurde aufgehoben.
Weiter geht es am Donnerstag, 14. August, um 9.15 Uhr sowie am Freitag,
15. August 2003, wo wieder mal der Kronzeuge zur Hauptverhandlung
erwartet wird.
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