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Plädoyer
[Rechtsanwalt v. Schliefen vom 29.12.2003]
1.Einleitung
Von den hier angeklagten Personen treffen Herrn Haug die meisten
Anklagevorwürfe. Mit der Anklageschrift vom 30.10.2000 wird
Herrn Haug die Mitgliedschaft in der Berliner Zelle der "Revolutionären
Zellen", die Beteiligung an den Personenanschlägen auf
Herrn Hollenberg und Herrn Korbmacher sowie an den Sprengstoffanschlägen
auf die ZSA und die Siegessäule vorgeworfen. Außerdem
soll Herr Haug als Hausmeister des Mehringhofs das dortige Sprengstoffdepot
der RZ verwaltet und einen Verstoß gegen das Waffengesetz
begangen haben.
Der Umfang der Vorwürfe steht in gewissem Sinn in einem umgekehrten
Verhältnis zum Strafantrag der BAW, die für ihn die niedrigste
Strafe forderte. Bemerkenswert ist, dass die Person des RZ-Mitgliedes
ANTON trotz des Umfangs der Vorwürfe immer blass blieb. Man
kann sich auch wenn man Mousli glauben will kein rechtes Bild davon
machen, wer dieser anscheinend so umtriebige Anton war. Bei keiner
der Taten, an der er teilgenommen haben soll, ist er als Handelnder
oder Denkender wahrnehmbar geworden. Seine Gestalt ist in allen
Schilderungen schattenhaft geblieben. Mehr als ein "Ich habe
von den anderen gehört, das Anton dabei war" war Mousli
nicht zu entlocken. Die Frage mit der sich das Plädoyer zu
befassen hat, ist, ob das wenige was Mousli zu Anton Tatbeteiligung
an einzelnen Taten zu berichten wusste, eine Verurteilung tragen
kann.
Herr Haug hat sich in seiner schriftlichen Erklärung vom 28.02.2002
zu den Tatvorwürfen geäußert. Er hat darin eingeräumt,
im Jahr 1986 für die Berliner RZ tätig gewesen zu sein,
wobei seine Aufgabe darin bestand, die Ankunft und den Aufenthalt
von Jon und Judith in Berlin zu organisieren, die untergetaucht
waren und als Illegale nach Berlin kamen. Als er nach seiner Rückkehr
von einem Auslandsaufenthalt im Oktober 1986 erfuhr, dass eine Durchsuchung
seiner Arbeitsstelle stattgefunden und die Polizeibeamten sich explizit
nach ihm erkundigt hatten, brach er im Herbst 1986 entsprechend
den konspirativen Regeln innerhalb der RZ jeden weiteren Kontakt
zur Gruppe ab. Nach seiner Abreise nach Nicaragua Dez. 1987 habe
er keinen Kontakt mehr zu der RZ aufgenommen. Die Beteiligung an
den Personen- und den Sprengstoffanschlägen hat Herr Haug ebenso
in Abrede gestellt, wie die ihm angelastete Verwaltung des RZ-Sprengstoffdepots
im Mehringhof.
Der Vorwürfe, Herr Haug sei über den Oktober 1986 hinaus
für die RZ tätig gewesen und habe sich an den beiden Personen-
und Sprengstoffanschlägen beteiligt und das angebliche Sprengstoffdepot
im Mehringhof verwaltet, beruht ausschließlich auf den Angaben
des Kronzeugen Tarek Mousli.
Tarek Mousli hat dabei die Einschränkung gemacht, dass er
Axel Haug nie im Zusammenhang mit einer "Aktion" selbst
gesehen habe.
Über eine Beteiligung will er jeweils nur über andere
Mitglieder der RZ erfahren haben, vornehmlich über Jon und
Judith, die über Heiner den Kontakt zu der anderen Berliner
Gruppe hielten, der Axel Haug unter dem Decknamen Anton angehört
habe. Jon und Judith hätten jedoch besonders darauf geachtet
Anton von Mousli abzuschirmen.
Dass Axel Haug das vermeintliche Sprengstoffdepot im Mehringhof
verwaltet habe, will Tarek Mousli von Lothar Ebke erfahren haben,
der ebenfalls als Hausmeister im Mehringhof arbeitete.
Von der Beteliegung AH am Anschlag auf die Siegessäule will
TM von Loth. Ebke und Harald Glöde erfahren haben.
Die Angaben des Kronzeugen über die Beteiligung von Axel Haug
an diesen fünf Taten sind also ausschließlich Angaben
eines Zeugen vom Hörensagen.
Enstehungsgeschichte der Aussage Tarek Mouslis
1. Allgemein
Damit komme ich zu dem ersten Problem bei der Würdigung der
Aussagen Mouslis, nämlich dem ihm von der BAW in die Wiege
gelegten Motiv zur Falschaussage durch den Pakt "Knüller"
gg. Bewährung".
Wir erinnern uns: Anfang Juli 99 kommt Tarek Mousli wieder auf
freien Fuß und im August wird auf wundersame Weise der Sprengstoff
im Seegraben entdeckt. Das BKA ermittelt weiter intensiv in seinem
Umfeld und befragt schließlich auch seine damalige Lebensgefährtin
Carmen Tollkühn. Nach anfänglichem Zögern berichtet
Carmen Tollkühn, was Tarek Mousli ihr über seine Vergangenheit
bei der RZ berichtet hat. Sie berichtet u. a., Tarek Mousli habe
ihr gegenüber gesagt, er habe auf einen Richter geschossen.
Von dieser Aussage ist Carmen Tollkühn nie abgerückt.
Es ergeht ein neuer Haftbefehl gegen Tarek Mousli u. a. wegen Rädelsführerschaft
in einer terroristischen Vereinigung.
Am 23.11.1999 wird Tarek Mousli erneut in Berlin verhaftet und
nach Karlsruhe zum Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes gebracht.
Schon auf der Fahrt von Berlin nach Karlsruhe wird Tarek Mousli
bedeutet, dass seine Situation ernst ist, und er wird auf die Kronzeugenregelung
hingewiesen. Nach einer Nacht im Polizeigewahrsam wird er am 24.11.1999
dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Im Dienstgebäude des
Bundesgerichtshofes kommt es in einer Beratungspause zu dem denkwürdigen
Gespräch zwischen Tarek Mousli und Staatsanwalt Monka, in dem
es um die Kronzeugenregelung geht und Tarek Mousli die altbewährte
Sanktionenschere eröffnet wird. Ich zitiere aus dem Vermerk
von Staatsanwalt Monka über dieses Gespräch (Bd. 11 Bl.
95 f.):
"Im ungünstigen Fall, so erklärte ich ihm, hätte
er mit umfangreichen Ermittlungen, einer langen Ermittlungsdauer
und einer langen Hauptverhandlung zu rechnen, bei der eine mehrjährige
Freiheitsstrafe zu erwarten wäre. Ich sprach von fünf
bis sechs Jahren Freiheitsstrafe oder mehr. Dies sei dann der
Fall, wenn er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen
würde und nicht mit den Behörden zusammenarbeiten sollte.
Auf der anderen Seite gebe es den günstigsten Fall, der
dann verwirklicht wäre, wenn er ein Geständnis ablegen
würde, wenn es zu einer schnellen Hauptverhandlung kommen
würde und wenn er Aufklärungshilfe liefern würde
im Sinne der Kronzeugenregelung, die zum Jahresende ausläuft.
Die Aufklärungshilfe müsste in diesem Fall dahin gehen,
dass die Ermittlungsbehörden durch ihn weiterer Täter
habhaft werden könnten. Ich sprach in diesem Zusammenhang
von sogenannten 'Knüllern'.
In einem solchen Fall, stellte ich ihm dar, könnte es vielleicht
möglich sein, im Frühsommer 2000 eine Hauptverhandlung
beim Kammergericht in Berlin durchzuführen. Dies setzte natürlich
voraus, dass das Kammergericht die Dinge ähnlich sieht. Es
sei auch eine Strafmaßreduzierung bis auf eine Freiheitsstrafe
von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt
werden könnte. In einem solchen Fall könnte er dem Gerichtssaal
als freier Mann verlassen. Weiterhin wäre es sicher möglich,
den Beschuldigten und seine Lebensgefährtin in das Zeugenschutzprogramm
des Bundeskriminalamtes aufzunehmen."
(In der Hauptverhandlung vom 15.06.2001 gab Tarek Mousli zu diesem
Gespräch an, er habe nachgefragt, was mit "Knüllern"
gemeint sei. Die Antwort habe er sinngemäß so verstanden,
dass damit die Offenbarung von Mittätern und Strukturen in
der RZ gemeint sei.)
Tarek Mousli wurde durch dieses Gespräch in die Situation
gebracht, sich entweder gegen die Tatvorwürfe zu wehren und
eine Freiheitsstrafe von 5, 6 oder mehr Jahren, eine lange Hauptverhandlung
und lange Untersuchungshaft zu riskieren, oder einen Pakt mit der
Bundesanwaltschaft zu schließen und für ein schnelles
Verfahren und eine Bewährungsstrafe Mittäter zu offenbaren.
Drastischer ist die berüchtigte Sanktionenschere, mittels derer
eine Kooperationsbereitschaft erzwungen werden soll, kaum vorzustellen.
Machen wir uns nichts vor: Den frisch verhafteten Beschuldigten
in dieser Weise in die Sanktionenschere zu nehmen, ist eine Nötigung.
Aber diese Vorgehensweise ist nicht nur wegen ihres nötigenden
Charakters problematisch, sondern vor allem auch deshalb, weil die
Strafverfolgungsbehörden damit für den Betroffenen ein
Motiv zur Falschaussage schaffen, das nicht mehr zu beseitigen ist.
Über das ohnehin bestehende Bedürfnis des kooperierenden
Beschuldigten, eigene Tatbeiträge zur Entlastung auf andere
zu schieben, wird zusätzlich ein kaum zu widerstehender Anreiz
zur Lüge geschaffen. Der sich aufgrund der Sanktionenschere
unterwerfende Beschuldigte ist leicht verleitet, in dem Bestreben,
die geforderten "Knüller" zu liefern, falsche Verdächtigungen
auszusprechen, die Identitäten von Tatbeteiligten zu eigenen
Gunsten auszutauschen und vor allem dort, wo er nichts weiß,
seine Vermutungen über die Tatbeteiligten und ihre Beiträge
als Gewissheit auszugeben. Gerade Letzteres ist in den Aussagen
von Tarek Mousli öfter festzustellen.
Das von den Strafverfolgungsbehörden hausgemachte Motiv zur
Falschaussage des Kronzeugen ist letztlich nicht mehr auszumerzen,
wenn wie hier die Angaben des Kronzeugen nur begrenzt überprüfbar
sind. Auch wenn Tarek Mousli beispielsweise über den Anschlag
auf die ZSA 1987 Angaben gemacht hat, die zutreffend sind (und einige,
die nachweislich falsch sind), lässt sich nicht überprüfen,
ob seine Angaben zu der gesamten Phalanx der RZ-Mitglieder, die
angeblich auf dem Bahngelände zur Absicherung standen, zutreffend
sind, oder ob er - was nahe liegt - nicht den einen oder anderen
hinzu gedichtet hat, um Punkte in der Knüllerwertung zu sammeln.
Ein Gesetzesentwurf der CDU/CSU in der vergangenen Legislaturperiode
sah die Einführung der Sanktionenschere im Bereich der Kronzeugenregelung
vor. Der Richter sollte danach im Urteil vorsorglich die Strafe
festsetzen, die ohne Anwendung der Kronzeugenregelung verwirkt worden
wäre. Der Richter am Bundesgerichtshof Armin Nack, der sich
durch zahlreiche Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Glaubwürdigkeitsbeurteilung
profiliert hat, kommentierte diesen Gesetzesentwurf in seiner Stellungnahme
vor dem Rechtsausschuss des Bundestages wie folgt:
"Wird dem Angeklagten in einem Rechtsgespräch in
Aussicht gestellt, welche Strafe er hypothetisch zu erwarten
hat, so könnte er sich veranlasst sehen, die Tatbeiträge
anderer unwahr zu schildern, um einen möglichst hohen Strafrabatt
zu erhalten. Das wirft schwierige Probleme der Glaubwürdigkeitsbeurteilung
auf."
Eine Lösung für dieses staatlich initiierte Glaubwürdigkeitsproblem
schlägt Nack konsequenterweise nicht vor. Sie kann letztlich
nur darin liegen, dass die Angaben eines derart präparierten
Kronzeugens nur insoweit Grundlage eines Schuldspruchs sein können,
als sie durch andere Beweismittel bestätigt werden. Soweit
Angaben des Kronzeugen zu anderen Tatbeteiligten und deren Tatbeiträgen
nicht durch weitere Beweismittel objektiviert sind, können
sie allein einen Schuldspruch nicht tragen. Dies gilt im besonderen
Maß für die Aussage von Tarek Mousli, bei der erlebnisfundiertes
und erfundenes Wissen gerade in Bezug auf Axel Haug schon allein
deshalb nicht anhand von aussageimmanenten Realkennzeichen unterschieden
werden kann, weil das angebliche Wissen nur vom Hörensagen
stammt, sich zumeist darin erschöpft, dass Axel Haug "dabei"
gewesen ist, ohne das Tatbeiträge geschildert werden.
2. Die weitere Entwicklung der Aussage
Durch den Pakt mit der Bundesanwaltschaft beflügelt, bemühte
sich Tarek Mousli bis Ende 1999 in insgesamt 11 Vernehmungen, die
von ihm geforderten "Knüller" zu liefern. Dabei berichtete
er nachweislich Zutreffendes und eingestandenermaßen Unzutreffendes.
So verschwieg und bestritt er bis zum Jahresende 1999 die später
von ihm behauptete Verstrickung des Lothar Ebke in die Berliner
RZ. Auch zu Axel Haug waren seine Angaben zunächst sehr zurückhaltend
und überwiegend als Vermutungen und Schlussfolgerungen geäußert.
Ich zitiere aus einigen Beschuldigtenvernehmungen Tarek Mousli bis
zum Jahresende 1999:
1. Vernehmung vom 26.11.1999:
"Anton war Mitglied der anderen Gruppe. Ich kenne ihn persönlich
nicht."
2. Vernehmung vom 30.11.1999:
"Axel kann als Unterstützer der RZ in Berlin angesehen
werden, wobei er kein Mitglied einer illegalen Gruppe gewesen sein
muss."
und "... Bei Axel Haug bin ich mir ziemlich sicher, dass er
im Zusammenhang mit den RZ strukturell eingebunden war und nicht
nur Depotverwalter war."
In derselben Vernehmung berichtet Tarek Mousli von dem Anschlag
auf Harald Hollenberg im Oktober 1986, wobei er weder eine Beteiligung
des Axel Haug, noch der Person mit dem Decknamen Anton erwähnt.
Zu dem Anschlag auf die ZSA heißt es:
"Bei diesem Anschlag sicherten wir (ich selbst stand auf der
anderen Seite des Kanals, Toni oder Heiner oder Siggi oder Anton
standen glaube ich auf dem Bahngleis)."
3. Vernehmung vom 07.12.1999:
Auf Vorhalt der bei Axel Haug gefundenen RZ-Schriften und der Anschriften
von Jon und Judith schlussfolgert Tarek Mousli Folgendes:
"Der Besitz von RZ-Schriften deutet auf einen ganz normalen
Szenetypen hin. Der Besitz der aktuellen Adressen und Telefonnummern
von Jon und Judith hingegen, die stets penibel auf die Einhaltung
der Sicherheitsvorkehrungen geachtet haben, schließt eher
aus, dass diese Person nur ein Unterstützer war."
Zu dem angeblichen Depot im Mehringhof spekuliert Mousli in dieser
Vernehmung:
"Wenn im Mehringhof ein Waffendepot existiert hat, dann muss
das über Axel Haug gelaufen sein."
4. Vernehmung vom 16.12.1999:
In dieser Vernehmung stellt Mousli erstmals Vermutungen über
die Identität von Axel Haug und der Person mit dem Decknamen
Anton an:
"Ich kann mir also deshalb gut vorstellen, dass Axel Anton
aus der anderen Gruppe war ..."
5. Vernehmung vom 30.12.1999:
In dieser Vernehmung macht Tarek Mousli Angaben zu den Beteiligten
beim Anschlag auf die Siegessäule. Dazu sagt er:
"Weiterhin weiß ich genau, ebenfalls aus Schilderungen
von Lothar, aber auch von Siggi (ca. 1994), dass Lothar, Heiner
und Siggi an diesem Anschlag beteiligt gewesen sind. Mehr kann ich
zu diesem Anschlag nicht sagen."
Mit keinem Wort erwähnt Tarek Mousli in dieser Vernehmung
Axel Haug oder Anton als Tatbeteiligten.
Am 30.12.1999 liefert Tarek Mousli angeblich aus Furcht um die
Sicherheit von Carmen Tollkühn Lothar Ebke ans Messer. Kurz
darauf offenbart er sein vermeintliches Wissen über Anton bzw.
Axel Haug. Zuvor, nämlich zwischen dem 24.12. und dem 30.12.1999
war Tarek Mousli in der JVA Ossendorf noch einmal von EKHK Schultzke
und vielleicht KOK Trede aufgesucht worden. In diesem Gespräch,
das in der Akte nicht dokumentiert ist, aber von dem EKHK Schultzke
in der hiesigen Hauptverhandlung berichtet hat, wird Tarek Mousli
noch einmal darauf hingewiesen, dass am 31.12.1999 die Kronzeugenregelung
ausläuft und dass seine bisherigen Angaben in einigen Punkten
nicht glaubhaft und unzureichend sind. Nach Angaben von EKHK Schultzke
wurde Tarek Mousli in diesem Gespräch ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass sich die Bundesanwaltschaft unter diesen Bedingungen
nicht an ihre Vereinbarung gebunden sehe.
Ganz offensichtlich hatte Tarek Mousli bei der Beschuldigtenvernehmung
vom 30.12.1999 den dringenden Wunsch, weitere "Knüller"
zu liefern, und offenbarte dort erstmals sein vermeintliches Wissen
zu Lothar Ebke und Axel Haug. Auf Fragen, warum er sein Wissen über
Axel Haug bzw. Anton erst so spät offenbarte, eine Frage, die
ihm von den Vernehmungsbeamten bemerkenswerterweise nie gestellt
wurde, gab Tarek Mousli in der Hauptverhandlung an, er habe Axel
Haug/Anton nicht benannt, um Lothar Ebke zu schützen, denn
beide seien befreundet gewesen. Wenn er nun Axel Haug benannt hätte,
der auch mit Lothar Ebke befreundet gewesen sei, hätte er damit
eine direkte Spur zu Lothar Ebke gelegt.
Diese Begründung ist alles andere als überzeugend, denn
Tarek Mousli hat bereits vorher Spuren auf Lothar Ebke gelegt im
Zusammenhang mit dem Sprengstoffdepot und Ebkes Tätigkeit als
Hausmeister. In diesem Zusammenhang hatte er auch schon Axel Haug
in Mutmaßungen verdächtigt und ihn wegen der Kontakte
zu Jon und Judith als Unterstützer in Betracht gezogen. Die
Spur, die er durch das Verschweigen von Axel Haug angeblich verdecken
wollte, hatte er also längst gelegt. Durch das Zurückhalten
weiteren mutmaßlichen Wissens über Axel Haug konnte der
Kronzeuge Lothar Ebke gar nicht mehr schützen. Im Übrigen
ist es, selbst wenn man die laxen Verdachtsmaßstäbe der
Bundesanwaltschaft anlegt, fernliegend, dass Lothar Ebke deshalb
in Verdacht geraten wäre, weil sein Kollege und Freund Axel
Haug durch Tarek Mousli belastet wird. Die Antwort Tarek Mouslis,
er habe Axel Haug so lange rausgehalten, um Lothar Ebke zu schützen,
ist also unsinnig. Mit dieser Antwort könnte Tarek Mousli im
Übrigen höchstens erklären, warum er Axel Haug nicht
als die RZ-Person mit dem Decknamen "Anton" offenbart
hat. Dies erklärt aber nicht, warum er bis zum 30.12.1999 die
Tatbeteiligung von Anton an den von ihm geschilderten Personen-
und Sprengstoffanschlägen verschweigt. Es hätte Lothar
Ebke nicht gefährdet, wenn Tarek Mousli sein angebliches Wissen
über die Tatbeteiligung von Anton offenbart, aber verschwiegen
hätte, wer Anton wirklich ist. Genau so ist Mousli schließlich
mit dem RZ Mitglied mit dem Decknamen Toni verfahren, dessen Identität
er nicht offenbart hat, ohne dass dies den Ermittlern jemals erkennbar
Anlass gab, seine Aussagen in Zweifel zu ziehen.
Die von Tarek Mousli angegebene Begründung ist für die
späte Belastung von Axel Haug und Anton daher unschlüssig
und erklärt sein Verhalten nicht. Angesichts des Umstandes,
dass er auch später nie etwas Konkretes über eine Tatbeteiligung
von Axel Haug berichten konnte, liegt es vielmehr nahe, dass Tarek
Mousli bis zum 31.12.1999 nichts über Axel Haug und Anton berichtete,
weil er schlichtweg nichts über ihn wusste. Von Schultzke zwischen
Weihnachten und Silvester nochmals auf die Kronzeugenregelung und
seine Verpflichtung zur Lieferung von Knüllern hingewiesen,
sah sich Tarek Mousli dann offenbar genötigt, einen weiteren
Knüller aus dem Ärmel zu schütteln und Axel Haug
und Anton zu belasten. Richtig ist wohl, dass die Angaben Tarek
Mouslis über die Tatbeteiligung von Anton bis zum 31.12.1999
zutreffend waren und er danach zu falschen Belastungen übergegangen
ist.
3. Die Aussagen Tarek Mouslis zu den einzelnen Tatvorwürfen
1. Die terroristische Vereinigung
a) Anwerbung von Tarek Mousli und Lothar Ebke
Tarek Mousli hat angegeben, gemeinsam mit Lothar Ebke im Jahr 1986
durch Gerd Albartus und Axel Haug für die RZ angeworben worden
und in die konspirativen Regeln der RZ eingewiesen worden zu sein.
Bereits an diesem Punkt zeigt sich, dass die Angaben von Tarek Mousli
zum Verhältnis von Axel Haug und Gerd Albartus höchst
widersprüchlich sind. In der Vernehmung vom 04.01.2000 (SAO
17, 44) gab Tarek Mousli zu der Bekanntschaft zwischen Herrn Haug
und Gerd Albartus Folgendes an:
"Ich weiß sowohl von Axel Haug, dass er Gerd Albartus
kannte, als auch, dass "Kai" zu "Anton" Kontakt
hatte. Ich wusste von Gerd Albartus (DN: "Kai") sowohl
den legalen als auch den illegalen Kontakt zu Axel Haug (DN: "Anton")."
Nach diesen Angaben wussten Gerd Albartus und Axel Haug voneinander,
dass sie RZ-Mitglieder waren, und kannten sich nicht nur unter ihren
RZ-Decknamen, sondern auch unter ihren bürgerlichen Namen.
In der Vernehmung vom 15.03.2000 schildert der Zeuge Mousli die
Beziehung zwischen Axel Haug und Gerd Albartus jedoch ganz anders.
Auf die Frage, was er über die Verbindungen des Axel Haug zu
den Mitgliedern anderer RZ-Gruppen sagen könne, antwortete
Mousli:
"Sicher kann ich über solche Kenntnisse nur für
meine Zeit bei der RZ von 1985 bis 1990 Angaben machen. Axel kannte
mit Sicherheit persönlich folgende RZ- bzw. Rote Zora-Mitglieder
als solche: Mich (DN: Daniel), "Sebastian", "Sigi",
"Jon", "Judith", "Heiner" und "Toni".
Bei Gerd Albartus (DN: Kai) bin ich mir nicht sicher. Ich weiß
das so genau, weil zum einen bis auf "Toni" alle angeführten
Personen bei bereits erwähntem Waldspaziergang dabei waren,
zum anderen aus zahlreichen Gesprächen unserer Gruppe, aus
denen ich wusste, dass "Anton" und "Toni" in
derselben Gruppe waren."
Nachdem Mousli am 04.01.2000 also noch der Auffassung war, Axel
Haug habe Gerd Albartus als Gerd Albartus und zugleich als RZ-Mitglied
mit dem Decknamen "Kai" gekannt, so war er sich kurze
Zeit später nicht mehr sicher, ob Axel Haug Gerd Albartus auch
als RZ-Mitglied mit dem Decknamen "Kai" kannte. In der
Hauptverhandlung vom 28.02.2002 war sich Mousli dann auf Vorhalt
dann doch wieder sicher, dass Axel Haug Gerd Albartus kannte, und
zwar "privat und auch unter dem Decknamen Kai". Er war
sich dann allerdings unsicher, ob Gerd Albartus Herrn Haug als RZ-Mitglied
mit dem Decknamen "Anton" gekannt habe. Bemerkenswert
an diesem Vorgang ist, dass jedes Mal, wenn Tarek Mousli dazu befragt
wird, eine andere Antwort gegeben wird, obgleich er sich am 04.01.2000
seines Wissens so sicher schien. Dies spricht dafür, dass er
fabuliert, anstatt Unsicherheiten einzuräumen. Dies ist bei
jemanden, der Knüller zu liefern hat, durchaus nachvollziehbar.
Die widersprüchlichen Aussagen Mouslis zu der Beziehung zwischen
Gerd Albartus und Axel Haug haben durchaus eine gewisse Bedeutung,
denn immerhin behauptet Mousli, er selbst sei von Gerd Albartus
für die RZ angeworben und zur gleichen Zeit sein Lothar Ebke
durch Axel Haug. Ursprünglich hatte Mousli (dies kommt der
Wahrheit vermutlich näher) angegeben, er selbst habe Lothar
Ebke für die RZ angeworben. Dies schwächte er dann später
dahin gehend ab, dass Axel Haug Lothar Ebke angesprochen habe und
er, Mousli, diese Frage dann mit Lothar Ebke diskutiert habe. Es
ist bereits wenig schlüssig, dass entgegen dem Abschottungsprinzip
ein Mitglied einer RZ-Gruppe Mitglieder für eine andere RZ-Gruppe
wirbt. Dies ist geradezu absurd, wenn man berücksichtigt, dass
nach Mouslis Aussagen Jon und Judith immer größten Wert
darauf legten, ihn von dem RZ-Mitglied der anderen Gruppe mit dem
Decknamen Anton abzuschirmen. Wenn dies zutreffend ist, wäre
es geradezu aberwitzig gewesen, Lothar Ebke durch Anton bzw. Axel
Haug anwerben zu lassen, denn beide kannten sich privat und es war
bekannt, dass Lothar Ebke und Tarek Mousli einander sehr nahe standen.
Da Axel Haug gegenüber Lothar Ebke keine Anonymität wahren
konnte, hätte eine Anwerbung Lothar Ebkes durch ihn die Preisgabe
des Abschottungsprinzips nicht nur gegenüber Lothar Ebke bedeutet,
sondern zugleich die Gefahr heraufbeschworen, dass Ebke dies seinem
Freund Tarek Mousli offenbart. Dies hätte kaum auf das Einverständnis
von Jon und Judith treffen dürfen, die auf eine Abschottung
von Axel Haug besonderen Wert legten. Jon und Judith ihrerseits
müssen darüber informiert gewesen sein, wenn Axel Haug
versuchte, Lothar Ebke anzuwerben, denn es ist kaum denkbar, dass
ein RZ-Mitglied für eine Gruppe geworben wird, ohne dass die
Köpfe dieser Gruppe darüber informiert sind. Insoweit
sind die Angaben von Mousli widersprüchlich und unglaubhaft.
b) Der Waldspaziergang
Ein wichtiger Punkt in der Geschichte der Berliner RZ ist nach
der Schilderung von Mousli der sogenannte Waldspaziergang, der im
Jahr 1989 oder 1990 stattgefunden haben soll. Herr Schindler und
Frau Eckle und auch Herr Haug haben in ihren Einlassungen angegeben,
dass es einen solchen Waldspaziergang nicht gegeben habe. Der Kollege
Euler hat in seinem Plädoyer zutreffend darauf hingewiesen,
dass die diesbezüglichen Angaben Mouslis geradezu absurd sind,
weil kaum denkbar ist, dass sich eine klandestin, nach dem Prinzip
der Abschottung arbeitende Gruppe, deren Sicherheitskonzept von
der Bundesanwaltschaft eingestandenermaßen soweit ging, dass
einzelne Mitglieder über Tatabläufe nicht vollständig
bzw. unrichtig informiert wurden, nach der sogenannten Aktion Zobel
im Dezember 1987 unter Preisgabe aller internen Sicherheitsmaßnahmen
an einem Ausflugsort trifft, um eine ideologische Neuorientierung
zu diskutieren. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Kollegin Lunnebach
hat in ihrem Plädoyer dargelegt, dass die Angaben Mouslis zu
dem sogenannten Waldspaziergang auch aufgrund der Aussageentwicklung
in diesem Punkt unglaubhaft sind. Ich möchte dies nicht im
Einzelnen wiederholen, lege aber als Verteidiger von Herrn Haug
besonderen Wert darauf, darauf hinzuweisen, dass die Aussageentwicklung
insbesondere im Hinblick auf die Beteiligung von Herrn Haug an dem
angeblichen Waldspaziergang bemerkenswert ist. Auffällig ist,
dass die Aussage, dass alle Mitglieder der Berliner RZ mit Ausnahme
des zuvor ausgeschiedenen "Toni" teilgenommen hätten,
der Endpunkt einer Entwicklung ist, in dem der Kreis der Teilnehmer
an dem Spaziergang immer wieder variiert wurde. Das erste Mal erwähnt
Tarek Mousli den sogenannten Waldspaziergang in handschriftlichen
Notizen, die er am 27. und 28.12.1999 in der JVA Ossendorf fertigte
und die sich als Anlage zur Vernehmung vom 30.12.1999 im Band 17,
Bl. 436 d. A. finden. In diesen Notizen heißt es unter Punkt
2. wörtlich:
"Heiner gesehen bei einem Treffen 89 oder 90 bei einem Waldspaziergang
Nähe Loretta am Wannsee, Jon und/oder Judith auch dabei."
Von einer Teilnahme der weiteren RZ-Mitglieder Sigi, Sebastian
und Anton findet sich in diesen schriftlichen Notizen nichts. Das
nächste Mal erwähnt Tarek Mousli den Waldspaziergang in
seiner polizeilichen Vernehmung vom 30.12.1999 in der JVA Ossendorf.
Dort heißt es wörtlich:
"Ich erinnere mich, dass Lothar, Jon, Judith und auch Heiner
zusammen mit mir einen Spaziergang in einem Waldstück in der
Nähe des "Loretta am Wannsee" 1989 oder 1990 unternommen
haben. Der Spaziergang fand auf jeden Fall statt, bevor Jon und
Judith wieder aufgetaucht sind. Dieser Sachverhalt war mir entfallen."
Im Unterschied zu den handschriftlichen Aufzeichnungen, die er
drei Tage zuvor gefertigt hat, erwähnt Tarek Mousli am 30.12.
also nunmehr auch Lothar Ebke. Dies allein würde sich ja noch
damit erklären lassen, dass Mousli angab, er habe seinen Freund
Lothar Ebke bis zum Jahreswechsel aus den Belastungen heraushalten
wollen. Es erklärt aber mitnichten, warum Tarek Mousli in dieser
Vernehmung nicht auch schon Anton als Teilnehmer des Waldspazierganges
erwähnt. Ich verweise insofern auf meine obigen Ausführungen
zu der späten Belastung von Anton. Dem lässt sich auch
nicht entgegenhalten, Mousli habe am 30.12. nur halbherzig zur Wahrheit
gefunden und sich erst danach dazu entschlossen, sein ganzes Wissen
zu offenbaren. Denn bei einer weiteren Vernehmung vom 18.01.2000,
als er angeblich zu vollständig wahrheitsgemäßen
Angaben übergegangen ist, erwähnt er den Waldspaziergang
erneut. In dieser Vernehmung (SAO 17, 568, 577) heißt es wörtlich:
"Im Jahr 1989 machten ich, "Heiner", Lothar Ebke,
Rudolf Schindler, Sabine Eckle und Harald Glöde, einen "Waldspaziergang"
im Grunewald nördlich des Wannsees. Über den Waldspaziergang
habe ich bereits in Bezug auf Heiner in meiner Vernehmung gegenüber
dem BKA ausgesagt."
Zu diesem Zeitpunkt hatte Mousli erstens nach eigenen Angaben zur
Wahrheit gefunden, also kein Wissen mehr gegenüber den Ermittlungsbehörden
zurückgehalten, und zweitens hatte er keinen Grund mehr, Axel
Haug am 18.01.2000 nicht zu belasten, denn er hatte ihn bereits
zuvor als die Person mit dem Decknamen Anton aus der anderen Gruppe
identifiziert und der Beteiligung an nahezu allen Aktionen der Berliner
RZ bezichtigt. Dass Tarek Mousli sich auch in seiner dritten Äußerung
zu dem vermeintlichen Waldspaziergang immer noch nicht daran erinnern
konnte, dass Axel Haug teilgenommen hatte, und ihm dies erst in
der Zeit bis zu seiner nächsten Vernehmung zu dem Thema, am
15.03.2000, einfiel, wird uns selbst die Bundesanwaltschaft nicht
weismachen wollen. Dies ist schon angesichts der besonderen Bedeutung,
die dieses Ereignis in der Geschichte der Berliner RZ einnahm, kaum
denkbar, wobei auch hier darauf hinzuweisen ist, dass diese gleichsam
historische Relevanz des Treffens sich erst nach und nach in den
Aussagen von Mousli entwickelt. Dagegen, dass Anton bzw. Axel Haug
ihm erst so spät in Erinnerung kam, spricht außerdem,
dass dieses Treffen für Tarek Mousli wegen seines Offenbarungscharakters
besondere Prägnanz besaß. Schließlich will er bei
diesem Treffen erstmals erfahren haben, dass sich hinter der Person
mit dem Decknamen "Heiner" Matthias Borgmann verbergen
soll und außerdem ihm gegenüber Axel Haug, von dem er
zwar vorher schon gewusst haben will, dass es sich um Anton handelt,
zum ersten und einzigen Mal als Mitglied der RZ im Zusammenhang
mit der RZ entgegentrat. Mousli hat in seinen polizeilichen Vernehmungen
auch nach seiner angeblichen Wende zur Wahrheit immer wieder betont,
dass Jon und Judith darum bemüht gewesen seien, die Person
des Anton ihm gegenüber in besonderer Weise abzuschirmen. Dass
ihm das "Outing" von Anton bei dem angeblichen Waldspaziergang
entfallen und erst zwischen der dritten und vierten Vernehmung zu
diesem Punkt wieder eingefallen sei, ist nichts anderes als blanker
Unsinn. Angesichts der Aussageentwicklung zu den beteiligten Personen
und der strategischen Bedeutung des Waldspaziergangs drängt
sich vielmehr auf, dass Mousli diese Idee nach und nach ungestört
durch kritische Nachfragen der Vernehmungsbeamten entwickelte, um
vor allem die Identifizierung der ihm bis dahin gar nicht (Heiner)
bzw. nur vom Hörensagen Bekannten (Anton) dingfest zu machen
und auf vermeintlich eigenes Erleben zu stützen.
2. Der Anschlag auf Harald Hollenberg
Die Aussagen von Tarek Mousli zur Planung und Ausführung des
Anschlages auf Harald Hollenberg im Oktober 1986 sind in einigen
Punkten nachweislich falsch.
a) Wer hat geschossen?
Tarek Mousli hat angegeben, dass Jon bei diesem Anschlag auf Harald
Hollenberg geschossen hat, während Judith ihn dabei begleitet
habe. Dies steht im Widerspruch zu den Angaben von Rudolf Schindler
und Sabine Eckle. Rudolf Schindler hat eingeräumt, bei diesem
Anschlag unmittelbar dabei gewesen zu sein, geschossen habe aber
seine Begleiterin. Dies deckt sich mit der Wahrnehmung des Opfers
Harald Hollenberg, der zwar nicht gesehen hat, wer geschossen hat,
weil er den Tätern den Rücken zugewendet hatte, aber dann,
als er sich umdrehte spontan den Eindruck hatte, die Frau habe geschossen.
Seine Täterbeschreibung, er sprach von einer Frau mit einem
Mondgesicht, passt nicht auf das Erscheinungsbild von Sabine Eckle,
die zwar ihre Frisur und Haarfarbe geändert haben mag, sicherlich
aber nicht ihre Gesichtsform. Dafür, dass eine Frau bei dem
Attentat geschossen hat, spricht auch, dass dies in dem Bekennerschreiben
so dargestellt wurde.
Schließlich und entscheidend hat die Zeugin Barbara von Werder
in der hiesigen Hauptverhandlung eingeräumt, dass sie seinerzeit
auf Harald Hollenberg geschossen habe. Auch wenn ihre Erinnerung
in einigen Punkten nicht gut war, spricht nichts dafür, dass
sich die Zeugin zu Unrecht selbst dieses Attentates bezichtigt.
Sich allein aus Freundschaft einer solchen Tat zu bezichtigen mit
all den Konsequenzen, die die Zeugin aus dem Verlauf des Verfahrens
gegen die hier angeklagten Personen erkennen kann, ist eine gerade
zu abenteuerliche Vermutung.
Dagegen, dass die Aussage BvWs das Ergebnis eine Komplottes ist,
spricht schließlich auch die Aussage des Kollegen Euler. Der
Kollege hat berichtet, das Herr Schindler, ihm nach der Bekanntmachung
des Haftbefehls vom 15.12.1999 und vor Anordnung der Trennscheibe
am 11.02.2000 mitgeteilt habe, dass BvW auf Harald Hollenberg geschossen
habe. Noch bevor Herr Schindler aus der U-Haft entlassen worden
sei, habe BvW dies in einem Gespräch in Anwesenheit von Dr.
Zieger und anderen Verteidigern aus diesem Verfahren bestätigt.
Zwischen dem Zeitpunkt als Rudolf Schindler gegenüber RA Euler
BvW als Schützin bezeichnete und dem Zeitpunkt als BvW dies
bestätigte, bestand zwischen beiden keine Möglichkeit
der Kontaktaufnahme. Eine fingierte Aussage hätte also vor
Schindlers Verhaftung "Auf Vorrat" verabredet oder über
seinen Verteidiger initiiert werden müssen. Beide Behauptungen
sind gleichermaßen abwegig.
b) Der Flucht-PKW
Tarek Mousli hat in seinen polizeilichen Vernehmungen angegeben,
gemeinsam mit Siggi und Sebastian den später für die Flucht
verwendeten PKW Passat gemeinsam auf dem Parkplatz eines Studentenwohnheimes
in Zehlendorf gestohlen zu haben. Er beschrieb dabei detailliert
die Technik, mit der die Tür des Wagens geöffnet wurde.
Die Ermittlungen haben allerdings ergeben, dass dieser PKW am 10.
August 1986 von dem Vorbesitzer Herrn Liebenau an einen gewissen
Werner Neumann verkauft wurde. Anhaltspunkte dafür, dass der
PKW später dem Erwerber Werner Neumann gestohlen wurde, sind
nicht festzustellen. Weder liegt eine entsprechende Diebstahlsanzeige
vor, noch konnten an dem PKW Spuren einer gewaltsamen Öffnung
nachgewiesen werden, wie sie hätten vorliegen müssen,
wenn Tarek Mouslis Angaben insoweit zutreffend wären. In diesem
Punkt sind seine Angaben schlichtweg falsch.
Die Bundesanwaltschaft hat dies in ihrem Plädoyer als einen
schlichten Irrtum Mouslis gewertet, der die Fälle Hollenberg
und Korbmacher verwechselt habe. Damit springt die Bundesanwaltschaft
bei ihrem Versuch, Ungereimtheiten in der Aussage Mouslis zu glätten,
einmal mehr zu kurz. Nach den Angaben Mouslis im Ermittlungsverfahren
kann eine solche Verwechselung ausgeschlossen werden, denn Mousli
hat angegeben, zweimal am Diebstahl eines Pkw für eine RZ-Aktion
beteiligt gewesen zu sein. In seiner Vernehmung vom 30.11.1999 (SAO
15, 30, 38) gab Mousli zu dem Pkw-Diebstahl im Fall Hollenberg Folgendes
an:
"Für das Knacken und Wegfahren brauchten wir weniger
als eine Minute."
In seinen handschriftlichen Aufzeichnungen zu Lothar Ebke (Bd.
17, S. 491 ff.) ergänzt Mousli seine Angaben zu dem Diebstahl
des Flucht-Pkw im Fall Hollenberg wie folgt:
"Außerdem haben "Sebastian" und ich das Fluchtauto
besorgt auf einem Parkplatz in der Nähe der Dominikusstraße
in Schöneberg."
In derselben Erklärung heißt es auf der folgenden Seite
zu dem Anschlag auf Dr. Korbmacher:
"Sebastian, Sigi und ich haben das Fluchtauto, wie bereits
angegeben, besorgt ..."
In der polizeilichen Vernehmung vom 10.01.2000 (SAO 17, 476, 479)
erläutert Mousli seine schriftlichen Angaben zu dem Pkw-Diebstahl
im Fall Hollenberg nochmals wie folgt:
"Ich möchte darauf hinweisen, dass "Sebastian"
und ich das Fluchtauto auf einem Parkplatz in der Nähe der
Dominikusstraße in Schöneberg entwendet hatten. Die Verfahrensweise,
wie derartige Fahrzeuge durch die "RZ" entwendet wurden,
habe ich bereits bei dem Fahrzeugdiebstahl zum Anschlag auf Herrn
Dr. Korbmacher erläutert."
Schon durch diesen Verweis Mouslis wird deutlich, dass Mousli die
Pkw-Diebstähle in den Fällen Hollenberg und Korbmacher
durchaus unterscheidet und an beiden Diebstählen beteiligt
gewesen sein will. In der Vernehmung vom 01.02.2000 (SAO 18, 697,
699) gab Mousli zu dem Pkw-Diebstahl im Fall Hollenberg erneut Folgendes
an:
"Sebastian und ich haben in der Vorbereitungszeit einen VW
Passat als Tatfahrzeug gestohlen. Anhand des mir vorliegenden Stadtplanes
muss dies auf einem Parkplatz in der unmittelbaren Umgebung des
Studentendorfes an der Wasgenstraße in Berlin-Nikolassee gewesen
sein. Dies geschah mehrere Wochen vor der Tat, also etwa im September
1986."
Im Folgenden schildert Mousli detailliert, wie der Pkw aufgebrochen
und präpariert wurde. Abschließend gab Mousli auf eine
im Protokoll nicht festgehaltene Frage an:
"Auf Frage erkläre ich, dass ich der festen Überzeugung
bin, dass dieses von uns gestohlene Fahrzeug zur Tat eingesetzt
werden sollte."
Bereits damit wird deutlich, dass Mousli der Auffassung ist, dass
in beiden Fällen das Fluchtfahrzeug unter seiner Beteiligung
gestohlen wurde. Dies wiederholte in seiner Vernehmung vom 16.02.2000
(SAO 18, 773, 776, 778) nochmals ausdrücklich und unmissverständlich.
In dieser Vernehmung gab Mousli auf Vorhalt, dass im Fall Korbmacher
der Flucht-Pkw nicht, wie von Mousli zunächst angegeben, in
Zehlendorf, sondern in der Bernhardstraße entwendet wurde,
Folgendes an:
"Zunächst einmal war bei dem Diebstahl des Fluchtautos
auch "Sebastian" beteiligt. Bezüglich des Ortes des
Diebstahls habe ich diesen mit dem Diebstahl eines VW Passates zum
Attentat auf Herrn Hollenberg verwechselt. Es trifft zu, dass der
Wagen in der Bernhardstraße entwendet wurde, eine ähnliche
Angabe habe ich auch in meinen handschriftlichen Anmerkungen vom
15.02.2000 gemacht."
Spätestens mit dieser durch einen Vorhalt veranlassten Aussage
Mouslis wird deutlich, dass er daran festhält, sowohl im Fall
Hollenberg, als auch im Fall Korbmacher am Diebstahl des Flucht-Pkw
beteiligt gewesen zu sein, also mindestens zweimal einen Pkw gestohlen
zu haben, wobei er einräumt, möglicherweise den Ort des
Diebstahls in beiden Fällen verwechselt zu haben. Zu der Beweiswürdigung
der Bundesanwaltschaft, Mousli habe die Art der Fahrzeugbeschaffung
insgesamt verwechselt, kann man eigentlich nur kommen, wenn man
seine Vernehmungen nicht gelesen hat. Wenn demnach eine Verwechselung
mit dem Fall Korbmacher ausscheidet, dann sind die unrichtigen Angaben
Mouslis zu der Fahrzeugbeschaffung im Fall Hollenberg eigentlich
nur in zweierlei Weise erklärbar:
Entweder Mousli weiß nichts über die Fahrzeugbeschaffung
im Fall Hollenberg und er dichtet dieses Detail abgeleitet von seinen
Erkenntnissen im Fall Korbmacher. In diesem Fall lügt er. Oder
aber Mouslis Angaben sind zutreffend und er hat im September 1986
mit Lothar Ebke einen Pkw in der beschriebenen Weise gestohlen,
aber dieser Pkw wurde nicht bei der Tat eingesetzt und dies wurde
Mousli verschwiegen. In diesem Fall lügt Mousli nicht, aber
erneut wurde ihm von den anderen Mitgliedern seiner Gruppe die Vorbereitung
und Ausführung der Tat nicht wahrheitsgemäß geschildert.
Ob dies darauf zurückzuführen ist, dass andere Gruppenmitglieder
ihm, wie die Bundesanwaltschaft im Fall der ZSA mutmaßte,
Herrschaftswissen vorenthalten wollten, oder ob ihm gegenüber
der Sachverhalt aus anderen Gründen verschleiert werden sollte,
wie er es hinsichtlich der Kennzeichen im Fall Korbmacher eingeräumt
hat, wissen wir nicht. Festzuhalten ist aber, dass Mousli dann von
anderen RZ-Mitgliedern über Tatabläufe, die er nicht selbst
erlebt hat, falsch informiert wurde und dass es auch später
keine Richtigstellung gegeben hat, so dass er selbst keine Kenntnis
davon hat, ob sein Wissen vom Hörensagen zutreffend ist oder
nicht. Anders ist seine Bemerkung in der Vernehmung vom 01.02.2000
zu dem gestohlenen Pkw im Fall Hollenberg: "auf Frage erkläre
ich, dass ich der festen Überzeugung bin, dass dieses von uns
gestohlene Fahrzeug zur Tat eingesetzt werden sollte." nicht
zu verstehen. Wenn man also an der Wahrheitsliebe des Kronzeugen
festhalten will, muss man gleichwohl eingestehen, dass sein Wissen
vom Hörensagen höchst unzuverlässig ist.
c) Der Fluchtweg
Tarek Mousli hat angegeben, er habe bei der Vorbereitung des Anschlages
den späteren Fluchtweg mit ausgekundschaftet. Geplant sei gewesen,
dass die beiden Täter mit einem Klappfahrrad über einen
Pfad, der über eine kleine S-Bahnbrücke zur Berlepschstraße
führt, fliehen und an der Stelle, an der der Pfad auf die Berlepschstraße
trifft, in den dort bereitstehenden Flucht-PKW einsteigen. Tatsächlich
stand der Flucht-PKW nicht in der Berlepschstraße, sondern
viel näher am Tatort, nämlich im Bereich der Kreuzung
Idsteiner Straße, Hegauer Weg im Hegauer Weg.
Auch insoweit ist die Schilderung Mouslis schlichtweg falsch. Sofern
dies darauf beruht, dass die Pläne zur Tatausführung später
geändert wurden, wurde Tarek Mousli darüber offensichtlich
nicht informiert, woraus nun der Schluss gezogen werden kann, dass
er über den Ablauf des Anschlages weder im Vorfeld noch bei
der vermeintlichen Nachbesprechung zutreffend informiert wurde.
In diesem Fall sind seine nicht durch andere Beweismittel objektivierbaren
Angaben wenig wert.
d) Tatbeteiligung Anton
Tarek Mousli schilderte in seiner Vernehmung vom 30.11.1999 ausführlich
den Anschlag auf Harald Hollenberg und nannte dabei auch die Decknamen
der tatbeteiligten RZ-Mitglieder. Anton erwähnte er in dieser
Vernehmung nicht als Tatbeteiligten. Wenn Anton tatsächlich
dabei gewesen wäre, gab es für Tarek Mousli keinen Grund,
ihn zu verschweigen. Rücksichtnahme auf Lothar Ebke ist aus
den oben genannten Gründen kein nachvollziehbares Motiv für
ein Verschweigen von Anton.
3. Der Anschlag auf die ZSA
Auch bei diesem Tatkomplex hat die Beweisaufnahme ergeben, dass
die Angaben von Tarek Mousli in zentralen Punkten unrichtig sind.
a) Die Computeranlage
In der Beschuldigtenvernehmung vom 2. Dezember 1999 gab Mousli
an, der Anschlag habe darauf abgezielt, die zentrale Computeranlage
der ZSA zu zerstören. Nachermittlungen, die in die hiesige
Hauptverhandlung eingeführt wurden, haben jedoch ergeben, dass
es zum damaligen Zeitpunkt keine zentrale Computeranlage in der
ZSA gab und schon gar nicht in dem Bereich, in dem der Sprengsatz
gelegt wurde.
b) Konstruktion des Sprengsatzes
Tarek Mousli hat in handschriftlichen Aufzeichnungen eine ausführliche
und akribische Schilderung der Konstruktionsweise des Sprengsatzes
mit einer detailgenauen Skizze abgegeben, die in der hiesigen Hauptverhandlung
in Augenschein genommen wurde. Bereits das kriminaltechnische Gutachten
vom 14. August 2000 und schließlich auch die Anhörung
des Sachverständigen in der Hauptverhandlung haben ergeben,
dass der von Tarek Mousli so ausführlich und detailgenau geschilderte
Sprengsatz bei dem Anschlag auf die ZSA gar nicht zum Einsatz gekommen
sein kann, weil er nicht die Sprengwirkung entfalten konnte, wie
sie der tatsächlich zur Anwendung gekommene Sprengsatz hatte.
Die Bundesanwaltschaft hat sich an diesem Punkt in dem Bemühen,
die Glaubwürdigkeit Tarek Mouslis zu erhalten, zu der Schlussfolgerung
verstiegen, Tarek Mouslis Schilderung der Konstruktion des Sprengsatzes
sei zutreffend (auch hinsichtlich des Ortes und der beteiligten
Personen), aber Rudolf Schindler habe anschließend heimlich
den zum Einsatz gekommenen Sprengsatz gebaut, dessen Konstruktionsweise
Tarek Mousli als Herrschaftswissen vorenthalten bleiben sollte.
Abgesehen davon, dass sich diese Mutmaßungen nicht auf die
Angaben der hierzu gehörten Sachverständigen stützen
können, die bekundet haben, dass ein Sprengsatz aus gewerblichem
Sprengstoff und unverdämmten Unkraut-Ex keine sinnvolle Konstruktion
ist, stellt sich die Bundesanwaltschaft erneut nicht der sich nach
der von ihr geäußerten Vermutung geradezu aufdrängenden
Frage, warum und in welchem Umfang Tarek Mousli von den anderen
Mitgliedern der RZ über Geschehensabläufe getäuscht
oder im Unklaren gelassen wurde. Die von der Bundesanwaltschaft
aufgestellte Täuschungsvermutung nur dort zur Geltung kommen
zu lassen, wo Tarek Mouslis Angaben nachgewiesenermaßen unzutreffend
sind, und seine im Übrigen nicht überprüfbaren Angaben
als richtig zu unterstellen, ist blanke Willkür und hat mit
einer rational nachvollziehbaren Beweiswürdigung nichts zu
tun. Wenn sich der Senat in diesem wie auch in anderen unrichtigen
Details der Tatschilderung von Tarek Mousli der Täuschungsvermutung
der Bundesanwaltschaft anschließt, um die Schlussfolgerung
zu vermeiden, Mousli habe schlicht gelogen oder fantasiert, so wirft
dies hinsichtlich der Glaubhaftigkeit seiner Angaben vom Hörensagen
mehr Fragen auf, als die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer
beantworten konnte und wollte. Der Senat wird darauf eigene Antworten
geben müssen, auf die wir gespannt sein dürfen.
In diesen beiden Punkten sind die Angaben von Tarek Mousli zum
Kernbereich der Tat nachgewiesenermaßen falsch. Seine Darstellung
ist darüber hinaus in einigen Punkten hochgradig unplausibel.
c) Tatbeteiligung Harald Glöde
In seiner Vernehmung vom 7. Januar 2000 gab Tarek Mousli an, dass
Siggi bei dem Anschlag vermutlich dabei war. Sicher jedoch sei er
bei der Aufklärung zu diesem Anschlag beteiligt gewesen und
habe die ZSA über mehrere Wochen beobachtet. Tatsächlich
hat sich gezeigt, dass Harald Glöde in der Tatnacht nicht dabei
gewesen sein konnte, weil er sich zu dieser Zeit in Polizeigewahrsam
befand und zwar wegen der Ermittlungen im Zusammenhang mit der Postsparbuchaktion.
Dieser Umstand macht es im Zusammenhang mit den von Tarek Mousli
geschilderten konspirativen Regeln innerhalb der RZ auch hochgradig
unwahrscheinlich, dass Harald Glöde im Vorfeld bei der Vorbereitung
des Anschlages mitgewirkt hat. Harald Glöde hatte sich, nachdem
er befürchten musste, für die Postsparbuchaktion belangt
zu werden, zunächst ins Ausland begeben und sich dann entschieden,
nach Deutschland zurückzukehren. Dabei war ihm gewahr, dass
Ermittlungen gegen ihn laufen und er damit rechnen muss, im Visier
polizeilicher Ermittlungen zu stehen. Unter diesen Bedingungen wäre
seine Teilnahme an dem Anschlag auf die ZSA ein erhebliches Risiko
für die ganze Gruppe gewesen.
d) Anrühren des Sprengstoffs
Tarek Mousli hat geschildert, dass der von ihm beschriebene Sprengsatz
in der Weise vorbereitet wurde, dass Jon auf dem Küchentisch
einer konspirativen Wohnung in der Oranienstraße das als Sprengmittel
verwendete Unkraut-Ex mit einem Streckmittel versetzte, indem er
beide Substanzen miteinander verrührte. Dabei hätten andere
Personen mit um den Tisch gesessen. Abgesehen davon, dass Mouslis
Schilderung des Sprengsatzes ohnehin falsch ist, ist dieses von
ihm geschilderte Detail geradezu abwegig. Es war - dies hat Tarek
Mousli auf Nachfrage in der Hauptverhandlung eingeräumt - innerhalb
der RZ wohlbekannt, dass es einige Jahre zuvor in Heidelberg bei
einer ähnlichen Vorgehensweise zu einem schweren Unglück
gekommen war. Es ist deshalb geradezu absurd, dass sich die Mitglieder
der Berliner RZ wohlwissend einem solchen Risiko aussetzen.
e) Sicherung des Anschlages
Nach den Angaben von Tarek Mousli sollen mehrere Mitglieder der
RZ den Anschlag auf der Seite des Bahndammes, der an die ZSA angrenzt,
gesichert haben. Auch diese Schilderung ist hochgradig unplausibel.
Die Beobachtungen im Vorfeld des Anschlages hatten ergeben, dass
dieser Bahndamm stillgelegt war, nicht bewacht wurde und dort kein
Publikumsverkehr herrschte. Es wäre also geradezu auffällig
gewesen, wenn sich eine Gruppe von Personen dort in der Nacht hinbegibt,
um den Anschlag in einem Bereich zu sichern, an dem praktisch keine
Gefahr drohte. Im Unterschied dazu wurde bei den Anschlägen
auf Harald Hollenberg und Günter Korbmacher, die jeweils in
einer Wohngegend verübt wurden, ein viel geringerer Sicherheitsaufwand
betrieben, obgleich dort das Entdeckungsrisiko höher war. Auch
an dieser Stelle liegt es nahe, dass Tarek Mousli, der zu den Beteiligten
zunächst nur unsichere Angaben machen konnte (s. o. Zitat),
seine Vermutungen zu vermeintlichen Gewissheiten verdichtete.
4. Günter Korbmacher
Auch im Fall Korbmacher sind Mouslis Angaben teilweise falsch und
teilweise hochgradig unplausibel. Dies fängt schon damit an,
dass Tarek Mousli angeblich nicht gewusst haben will, wer bei diesem
Anschlag das Motorrad fuhr, von dem aus auf Herrn Korbmacher geschossen
wurde. Wenn Tarek Mouslis Aussage in diesem Punkt zutreffend ist,
wäre zu fragen, warum ihm dies vorenthalten wurde. Dass er
vergessen hat, wer der Motorradfahrer war, ist wenig einleuchtend.
Handelt es sich doch um eine ganz zentrale Figur des Geschehens.
Unrichtig sind Tarek Mouslis Angaben jedenfalls hinsichtlich des
Ortes, an dem das für diesen Anschlag verwendete Fluchtfahrzeug
gestohlen wurde.
Unrichtig ist auch die Angabe Tarek Mouslis, dass das für
das Flucht-Motorrad genutzte Dublettenkennzeichen ebenfalls entwendet
worden sei. Tatsächlich wurde das Kennzeichen ganz normal gekauft.
Auf Vorhalt dieses Widerspruchs in seiner Beschuldigtenvernehmung
vom 16. Februar 2000 zeigte sich Mousli überrascht und erklärte
dann, er könne sich vorstellen, dass Jon und Judith aus "Verschleierungsgründen"
die Unwahrheit über die Tatvorbereitung bzw. Durchführung
gesagt haben. Auf Vorhalt dieser Passage gab Tarek Mousli in der
Hauptverhandlung an, die von ihm vermutete Verschleierung habe sich
nicht auf Personen oder Tatbeteiligte bezogen, sondern nur auf technische
Details. Auf die weitere Frage, woher er das wisse, konnte Tarek
Mousli keine Antwort geben. Mit seiner Aussage über die "Verschleierung"
hat Tarek Mousli die Quellen seines angeblichen Wissens vom Hörensagen
selbst in Zweifel gezogen. Ein Grund mehr, seine unbestätigten
Angaben vom Hörensagen nicht zur Grundlage einer Verurteilung
zu machen.
Völlig absurd ist weiterhin die Schilderung Tarek Mouslis,
dass er selbst und auch Toni, den er nicht kennen will, unabhängig
voneinander das ebenfalls für die Flucht bei dem Anschlag genutzte
Motorrad einer Testfahrt unterzogen haben wollen. Wer außer
dem Fahrer macht eine Testfahrt?
Angesichts der sehr vorsichtigen Vorgehensweise der RZ-Mitglieder
ist nicht nachvollziehbar, warum sich zwei Personen dem Risiko aussetzen
sollten, mit einem gestohlenen Motorrad durch den Innenstadtbereich
zu fahren. Mousli hat hierzu angegeben, dass er für seine Testfahrt,
die er an einem warmen schwülen Tag unternahm, sogar den Regenkombi
anzog, der später mutmaßlich vom Fahrer des Motorrades
bei dem Anschlag getragen wurde. Warum sollte Tarek Mousli dies
getan haben? Es drängt sich eher auf, dass er mit dieser Aussage
unangenehmen Ergebnissen kriminaltechnischer Untersuchungen zu sich
möglicherweise in dem Anzug findenden Spuren vorbauen wollte.
Auch hinsichtlich dieses Anschlages sind Tarek Mouslis Angaben
zum Teil falsch und weisen im Übrigen Ungereimtheiten auf.
5. Der Anschlag auf die Siegessäule
Die Beweiserhebungen in der hiesigen Hauptverhandlung haben ergeben,
dass Herr Haug im Vorfeld des Anschlages und während des Anschlages
an einer Meniskusverletzung laborierte, die ihm das Gehen außerordentlich
schwer machte. Diese Verletzung schließt es aus, dass er selbst
beim Ablegen des Sprengsatzes an der Siegessäule beteiligt
war. Sie lässt es auch hochgradig unwahrscheinlich erscheinen,
dass er am Auskundschaften des Tatortes in irgendeiner Form beteiligt
war.
Sämtliche Details, die Tarek Mousli später zu diesem
Anschlag schilderte, kann er, wie sich aus den verlesenen Zeitungsartikeln
ergibt, der Tagespresse entnommen haben. Insoweit verweise ich auf
die Ausführungen des Kollegen Kaleck in seinem Plädoyer.
Um anderweitig nicht erlangbares Täterwissen handelt es sich
bei Mouslis Angaben jedenfalls nicht.
Unrichtig ist schließlich die Angabe Mouslis, die Täter
hätten die Siegessäule durch einen unterirdischen Gang
von unten betreten. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass es weder
einen Gang von unten direkt in die Siegessäule gibt, noch dass
die Täter durch den Fußgängertunnel zur Siegessäule
gelangt sein konnten, weil die Tore des Tunnels abends abgeschlossen
werden und der den Tätern verfügbare Schlüssel zum
Eingang zur Siegessäule nicht zu den Toren des Tunnels passt.
Auch die Aussageentwicklung hinsichtlich des Sprengstoffanschlages
auf die Siegessäule lässt Zweifel an der Glaubhaftigkeit
der Angaben Mouslis aufkommen. In der Vernehmung vom 09.12.1999
(SAO 17, 301, 306) erwähnte Mousli erstmals, dass er etwas
von dem Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule wisse. Diesem
Hinweis Mouslis gingen die Vernehmungsbeamten bemerkenswerterweise
jedoch nicht nach. Auch in den sich anschließenden Vernehmungen
vom 13., 14., 16. und 23.12.1999 hakten die Vernehmer des Bundeskriminalamtes
an diesem Punkt nicht nach. Wenn man den Vernehmungsprotokollen
Glauben schenken soll, brachte Tarek Mousli den Anschlag auf die
Siegessäule in der Vernehmung vom 30.12.1999 von selbst wieder
ins Gespräch und zwar im Zusammenhang mit der Beteiligung von
Lothar Ebke in der Berliner RZ. Zu den Beteiligten des Anschlages
gab Mousli in dieser Vernehmung Folgendes an (SAO 17, 433, 434):
"Während des Anschlages soll das Gelände, laut Lothar,
abgesichert gewesen sein. Weiterhin weiß ich genau, ebenfalls
aus Schilderungen von Lothar, aber auch von Sigi (ca. 1994), dass
Lothar, Heiner und Sigi an diesem Anschlag beteiligt gewesen sind.
Mehr kann ich zu diesem Anschlag nicht sagen."
Bemerkenswerterweise ist bei dieser Schilderung von einer Beteiligung
des Anton nicht die Rede. Einen Grund, Anton zu verschweigen, gab
es zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr). Ich verweise insofern auf meine
obigen Ausführungen zu der späten Belastung von Axel Haug.
In handschriftlichen Notizen vom 27. und 28.12.1999, die Mousli
am 30.12.1999 den Vernehmungsbeamten des BKA übergab, heißt
es unter Punkt 8 zu dem Anschlag auf die Siegessäule:
"Ich weiß nicht, ob ich das schon gesagt habe: Heiner
und Sigi waren auf jeden Fall bei Siegessäule dabei. Weiss
ich von Sigi 94."
Erst in seinen handschriftlichen Aufzeichnungen, die er in der
Zeit zwischen dem 30.12.1999 und dem 02.01.2000 gefertigt haben
will, und in der Vernehmung vom 04.01.2000 gib Mousli dann an, er
wisse von Lothar, dass Anton auch bei dem Anschlag auf die Siegessäule
dabei war.
6. Sprengstoffdepot Mehringhof
Die Beweisaufnahme zu diesem Tatkomplex hat ergeben, dass die Angaben
von Tarek Mousli zu diesem Depot unzutreffend sind.
a) Aussageentwicklung zu Axel Haug
Die Aussageentwicklung zur Beteiligung von Axel Haug/Anton an der
Verwaltung des Depots belegt, dass Tarek Mousli aus nachvollziehbaren
Motiven Vermutungen, die er in diesem Punkt hegt, im Lauf seiner
Vernehmungen zu Gewissheiten verdichtet.
In seiner Vernehmung vom 30.11.1999 gab Mousli zu dem angeblichen
Depot und der Beteiligung von A.H. Folgendes an:
" ...bei Axel Haug bin ich mir ziemlich sicher, dass er im
Zusammenhang mit der RZ strukturell RZ eingebunden war und nicht
nur Depotverwalter war."
Am 07.12.1999 heißt es dazu:
" Wenn im MH ein Waffendepot existiert hat, dann muss das
über AH gelaufen sein."
Zunächst also nähert sich Mousli dem Thema lediglich
mit Vermutungen und Spekulationen. Diese entwickelt er am 16.12.99
wie folgt weiter:
" Wenn ein Waffendepot im MH gewesen ist, dann ist das nur
über unbedingte Vertrauenspersonen gelaufen, d. h. , Personen
wie die beiden Hausmeister Loth. E. und AH. Wenn Lothar diese Vertrauensperson
gewesen wäre, so wäre das Einrichten des Depots der RZ
über meine Person gelaufen. Da dies nicht der Fall war, könnte
man im Zusammenhang mit dem o.g. Vorhalt davon ausgehen, dass AH
diese Vertrauensperson gewesen ist."
In der bereits zitierten Vernehmung vom 30.12.1999 relativierte
Mousli diese Aussage wieder und gab an, dass Lothar Ebke das Depot
Ende der 80er Jahre betreut habe "mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit zusammen mit Axel Haug."
Also auch am 30.12.1999, als er angeblich zur Wahrheit fand, äußerte
sich Mousli nur in Vermutungen über die Rolle von Axel Haug
bei dem angeblichen Depot. An diesem Tag offenbarte er gegenüber
den Vernehmern, dass er mehr zu AH sagen könne und bekam die
Hausaufgabe, alles, was er zu AH wisse, aufzuschreiben. Zu der Vernehmung
vom 04.01.00 überreichte er handschriftliche Aufzeichnungen
zu AH, die er in der Zeit vom 30.12.99 bis 02.01.00 zu Papier gebracht
haben will. Auch in diesen ersten Aufzeichnungen nach seiner "inneren
Wende" äußert er sich zu dem Thema nur in Vermutungen:
" Anton muss auch von dem MH-Depot für Waffen und Sprengstoff
gewusst haben, lt. John, Judith und Sebastian"
In der vom 4. Januar 2000 gab Mousli dann an, Sebastian habe das
Depot angelegt und Anton habe davon gewusst. " Dies ist mein
Erkenntnisstand bis 1990." In der Zeit zwischen dem 02.01.00
verdichtete sich also die Vermutung über die Mitwirkung von
AH an dem Depot kurzfristig zum sicheren Wissen, allerdings nur
bis zum 09.01.00. In den schriftlich Aufzeichnungen zu Lothar Ebke
vom 09.01.00 heißt es dann wieder
"Das Depot wurde von Seb. angelegt, verwaltet und mit ziemlicher
Sicherheit von "Anton" mitverwaltet und fortgeführt."
Erst in der staatsanwaltlichen Vernehmung vom 19.01.00 (17,589)
ist sich Mousli hinsichtlich der Beteiligung von AH dann doch wieder
sicher und gibt an; " Von Ebke weiß ich auch, dass AH
(DN:Anton) ... das Depot mitverwaltete, ich weiß aber nicht,
ob das den Zugang mit einschloß."
Nachdem also die Angaben Mouslis zur Tatbeteiligung von Axel Haug
zunächst zwischen Gewissheit und Vermutung oszillierten, entschied
er sich schließlich, dem Bedürfnis nach "Klöppern"
nachgebend, dafür, seine Angaben als sicheres Wissen auszugeben.
Unterstellt Mousli Vermutungen über die Rolle von AH bei dem
Depot seien keine Vermutungen, sondern Wissen und sei es auch vom
Hörensagen gewesen, warum hat er dies nicht am 30.12.99,oder
in seinen danach gefertigten handschriftlichen Aufzeichnungen zu
AH und Loth. E. gesagt? Dafür gibt es keinen einleuchtenden
Grund, außer dem, dass er es wirklich nicht wusste, sondern
nur vermutete. AH musste und wollte er zu diesen Zeitpunkten schon
längst nicht mehr schützen.
b) Aussagen zum Lageort des Depots im Mehringhof
Ähnlichen Schwankungen unterliegen Mouslis Angaben zu dem
angeblichen Lageort des Depots innerhalb des MH.
Während Tarek Mousli in seinen früheren Aussagen im Jahr
1999 verschiedene mögliche Lageorte im Mehringhof beschrieb,
kaprizierte er sich Anfang des Jahres 2000 in weiteren Aussagen
darauf, dass das Depot in dem Aufzugschacht angelegt war, der sich
gegenüber dem Eingang zu der früheren Kneipe "Ex"
befindet. So heißt es in der Vernehmung vom 30.12.99 (17,434)
noch:
" Ich weiß auch von Lothar, dass das RZ-Depot u. a.
in dem Aufzugschacht gewesen sein muss. Die anderen von mir angegebenen
Stellen (Heizungskeller, Toilette im EX, Hausmeisterwerkstatt u.
a. ) kommen auch in Betracht."
In den handschriftlichen Aufzeichnungen zu Loth. E. (17,496) heißt
es dann aber schon:
"Dieser Sprengstoff, verpackt in blauen Plastiksäcken
mit Klebeband, weiteres Zubehör , also Sprengschnur und Zünder,
sowie Waffen wurden in einem Aufzugschacht in einem mittlere Durchgang
des MH zeitweise verwahrt".
Fortan ist nur noch von dem Aufzugschacht die Rede, Alternativen
werden nicht mehr benannt, So am 19.01.00 (SAO 17, 589): "Ich
weiß von einem Depot in einem Aufzugschacht des MH."
In seiner Vernehmung vom 15.03.00 (SAO 18,931) beschrieb Mousli
den Lageort des Depots dann präzise: "Ich wusste, dass
das Depot durch Sebastian im MH in einem Aufzugschacht, in einem
Durchgang angelegt worden war. ... Das Depot als solches habe ich
nie gesehen, ich kannte aber genau die Örtlichkeiten."
Dies präzisierte er in der Vernehmung vom 21.03.00 (19,944)
wie folgt: " Das RZ-Depot befand sich in dem Aufzugschacht
gegenüber des Einganges vom Ex. ... Mit Durchgang aus meiner
Vernehmung vom 15.03.00 meine ich den Durchgang zwischen dem Aufzugschacht
und dem EX. Der Aufzug kann von Hand mit einer Winde hoch gedreht
werden."
Zu den anderen ursprünglich in Betracht gezogenen Lageorten
heißt es nunmehr:"Andere Markierungen auf den mir vorgelegten
veralteten Plänen bezeichneten mögliche weitere Orte,
an denen Depots , meiner Meinung nach, hätten eingerichtet
werden können. Meine Informationen zum Depot stammten aus dem
Zeitraum des Anlegens, zu dem ich bereits berichtete (1987/88) Ich
bin in der Lage die Örtlichkeit auf Photos wiederzuerkennen.
Zum besseren Verständnis habe ich eine Skizze zur Lage des
Aufzugschachtes gefertigt und der Vernehmung beigefügt. Ich
habe erneut die genaue Lage des Depots beschrieben."
Folgendes ist an dieser Aussage bemerkenswert: Mousli verfestigt
die Behauptung, das Depot sei 87/88 im bekannten Aufzugschacht angelegt
worden und - dies ist im Hinblick auf das Plädoyer der BAW
wichtig - er bezeichnet die anderen Orte im MH als Orte, an denen
Depots hätten eingerichtet werden können. Dies formuliert
er in der Zeitform der nicht realisierten Möglichkeit, dem
Konjunktiv Irrealis. Ein Depot hätte dort angelegt werden können,
aber -so Mousli - es ist nicht geschehen, sondern das Depot wurde
laut Mousli im Aufzugschacht angelegt. In der Vernehmung vom 29.03.00
bekräftigte Mousli dies erneut und räumte lediglich ein,
es sei möglich, dass das Depot später an eine andere Stelle
verlagert wurde.
Aufgrund der detaillierten Beschreibung Mouslis sah sich das Bundeskriminalamt
veranlasst, diesen Aufzugschacht einer genaueren Untersuchung zu
unterziehen. Dieser Aufzugschacht war wohlgemerkt von den Beamten,
die diesen Abschnitt des Mehringhofs bei der ersten Durchsuchung
am 19. November 1999 durchsuchten, als Versteck für ein Sprengstoffdepot
ausgeschlossen worden, weil er viel zu unsicher war, denn man konnte
den Schacht vom Betriebsraum des Aufzugsmotors durch ein Gitter
einsehen.
Am 30.05.2000 kam es zu der sogenannten Videodurchsuchung des Mehringhofes.
Dort ließ sich der Zeuge Mousli zunächst den beschriebenen
Aufzugschacht im Durchgang gegenüber der Kneipe "Ex"
zeigen, in dem nach seinem Bekunden das Depot 1987/88 angelegt wurde.
Als sich in dem Aufzugschacht nicht die von Mousli erinnerte Metallplatte
fand, ließ er sich noch umgebende Räume, die an den Aufzugschacht
angrenzten, sowie den sogenannten "Stromraum" und den
sogenannten "Garagenraum" von den Beamten zeigen. Obgleich
es, wie der Zeuge Klein bekundet hat, möglich gewesen wäre,
noch weitere Räumlichkeiten mit der Videotechnik in Augenschein
zu nehmen, lehnte Mousli dies ab, weil er andere Räumlichkeiten
als Depotanlageort ausschloss. Nach seiner Auffassung kamen lediglich
der Aufzugschacht sowie die beiden Schächte im Strom- und Garagenraum
als derjenige Ort in Betracht, in dem 1987/88 das Sprengstoffdepot
angelegt wurde.
Die Beweisaufnahme hat jedoch ergeben, dass keine der drei Örtlichkeiten
dafür in Betracht kommt, dass in ihr bzw. in den ihr befindlichen
Schächten 1987/88 ein Sprengstoff- und Waffendepot angelegt
wurde.
a.a.) Aufzugschacht:
Selbst die Bundesanwaltschaft ist in ihrem Plädoyer nicht
mehr davon ausgegangen, dass der von Mousli in Betracht gezogene
Aufzugschacht als Lagerort für das Depot in Frage kommt. Dagegen
spricht bereits, dass der Aufzugschacht bereits nach der Auffassung
der Beamten von der Durchsuchung am 19.12.1999 nicht sicher war,
weil der Grund des Aufzugschachtes von durch ein Gitter von dem
Motorraum aus eingesehen werden konnte. Die Zeugin Kübler hat
im Übrigen angegeben, dass der Aufzugschacht regelmäßig
von der Firma Schoppe & Keil gewartet wurde und in größeren
Abständen TÜV-Untersuchungen stattfanden. Bei der Wartung
des Aufzuges musste jeweils die Aufzugkabine nach oben gefahren
und dem Wartungsmonteur ein Einblick auf den Grund des Aufzugschachtes
gegeben werden. Da die Monteure der Wartungsfirma zwar monatlich,
aber im Einzelnen unangekündigt erschienen, kam es durchaus
vor, dass weder Lothar Ebke noch Axel Haug bei den Wartungsarbeiten
zugegen waren, sondern ein anderer Hausmeister, der dem Monteur
Zugang zum Aufzugschacht verschaffen musste. Dies wurde von dem
Zeugen Fenske bestätigt, der im Übrigen angab, dass er
sich zur Durchführung der Wartung im Hausmeisterbüro anmeldete
und dann mit einem der Hausmeister zu dem Aufzugschacht ging. Nach
Angaben des Zeugen kam es nicht vor, dass er aufgehalten wurde oder
den Eindruck hatte, die Hausmeister wollten sich Zeit verschaffen,
um etwas wegzuräumen. Bereits aufgrund dieser Beweisergebnisse
ist es als ausgeschlossen zu betrachten, dass im Jahr 1987 der 88
im Aufzugschacht ein Depot angelegt wurde.
Im Übrigen passt der Grund des Aufzugschachtes nicht zu der
von Mousli abgegebenen Beschreibung des Depots, das nach seinen
Angaben aus einem mit einem Metalldeckel abgedeckten Schacht bestand,
in dem sich ein Wasserpegel befand. In der ermittlungsrichterlichen
Vernehmung vom 07.04.2000 (19, 1156) beschrieb Mousli den Schacht
wie folgt:
"Dazu muss ich sagen, dass Lothar Ebke ja seit seiner Rückkehr
nach Berlin 1984 als Hausmeister in diesem Zentrum eine Stelle hatte.
Er nannte einen Hohlraum am Boden eines Aufzugschachtes, der durch
eine Metallplatte nach oben abgedeckt war. Ich weiß noch,
dass sich am Boden dieses Raumes meist etwas Wasser befand."
Der Aufzugschacht entspricht dieser Beschreibung nicht, da er offen
ist, denn die Führungsschienen für die Fahrstuhlkabine
gehen bis zum Grund des Aufzuges und unterhalb der Fahrstuhlkabine
muss selbst im Keller noch freier Raum sein, damit die Kabel unter
der Kabine noch Platz haben. Auch auf dem Grund des Aufzugschachtes
befindet sich kein Metalldeckel mit einem weiteren darunter gelegenen
Hohlraum. Dies war auch in den Jahren 1987/88 und danach nicht der
Fall, wie sich zum einen aus dem in Augenschein genommenen Plan
des Fahrstuhlschachtes ergibt und zum anderen aus den Bekundungen
des Sachverständigen Dr. Niederleitinger. Der Sachverständige
konnte zwar seine Probebohrungen wegen des eindringenden Grundwassers
nicht zu Ende führen, mit denen festgestellt werden sollte,
ob sich unterhalb des Aufzugschachtbodens eine alte Struktur findet,
die darauf hindeutet, dass sich dort einmal ein weiterer Schacht
befunden hat. Der Sachverständige war bei seinen Ultraschallmessungen
aber immerhin zu der Feststellung gekommen, dass die unterhalb des
Estrichs befindliche Isolierschicht unverletzt ist, also keine größere
Öffnung aufweist, wie sie da sein müsste, wenn dort ein
weiterer Schacht gewesen wäre.
Schließlich haben der Zeuge Fenske und die Zeugin Kübler
angegeben, sich nicht an einem weiteren mit einem Metalldeckel abgedeckten
Schacht auf dem Grund des Aufzugschachtes erinnern zu können.
Der Zeuge Ridicker vom TÜV hat zudem bekundet, dass die Aufzugswartungsfirma
dem TÜV nicht nur Veränderungen der Aufzugsanlage selbst,
sondern auch im Bereich des Aufzugschachtes mitteilen muss. Er selbst
habe ab ca. 1975 regelmäßig den betreffenden Aufzugschacht
gewartet und er habe keine Erinnerungen an wesentliche Veränderungen
des Schachtbodens gehabt. Eine Veränderung des Estrichs hätte
Anlass zur Überprüfung der Maßabweichung gegeben.
Relevante Veränderungen wären eingetragen worden. Derartige
Eintragungen finden sich im TÜV-Buch für den betreffenden
Aufzug nicht.
Auch nach dem im MH vorhandenen TÜV Buch und alten Konstruktionsplänen
befand sich am Grund des Aufzugsschachtes auch früher kein
weiterer Schacht.
Nach alledem kann es als ausgeschlossen betrachtet werden, dass
der Aufzugschacht jemals Lagerort eines Sprengstoffdepots war.
bb.) Der Strom- und der Garagenraum:
Gegen den Strom- bzw. den Garagenraum als Lagerort für das
Depot spricht bereits, dass die beiden in diesen Räumen befindlichen
Schächte trocken sind. Mousli hatte in seiner Vernehmung vom
07.04.2000 angegeben, dass sich am Boden dieses Raumes meist etwas
Wasser befand. Dies hatte er in der Hauptverhandlung erneut bekundet
und dies mit einem Wasserpegel beschrieben. Der Grund der Schächte
im Strom- und Garagenraum liegt jedoch seit jeher, auch in den Jahren
1987/88 und danach deutlich oberhalb des Grundwasserspiegels. Grundwasser
kann daher nicht die Ursache für den von Mousli beschriebenen
Wasserpegel sein. Auch die von der Bundesanwaltschaft bemühten
Überschwemmungen des Hofes, die auch zu Überschwemmungen
im Elektro- und im Garagenraum geführt haben sollen, kommen
als Ursache für einen solchen Wasserpegel nicht in Betracht.
Die Zeugin Kübler hat in ihrer Vernehmung angegeben, dass es
aufgrund einer solchen Überschwemmung des Hofes möglicherweise
einmal zu einem Wasserschaden im Garagenraum gekommen sei, nicht
aber im Elektroraum. In dieser Weise habe ich die Zeuge zutreffend
im Antrag vom 27.08.2002 zitiert. Im hiesige Antrag auf Aufhebung
des Haftbefehls vom Juni 2003 ist mir der Fehler unterlaufen, dass
ich insoweit den Strom- und den Garagenraum verwechselt habe. Dies
ist, auch wenn sich die Bundesanwaltschaft daran freut, letztlich
völlig irrelevant, weil derartige nach den Angaben der Zeugin
Kübler auch im Garagenraum höchst selten vorgekommene
Überschwemmungen nicht dazu führen können, dass in
dem Schacht am Grund des Garagenraums ein Wasserpegel steht oder,
wie Mousli es früher bezeichnete, sich meist etwas Wasser befand.
Im Rahmen von Überschwemmung eindringendes Wasser versickert
in kürzester Zeit. Ein wie auch immer gearteter Wasserpegel
bedarf regelmäßiger Speisung durch eine weitere Wasserquelle,
die nach Angaben der Zeugin Uta Kübler im Garagenraum vielleicht
einmal eingetretene Überschwemmung genügt dafür nicht.
Zu einer Überschwemmung des Stromraums kann es entsprechend
den Angaben der Zeugin Kübler schon deshalb nicht gekommen
sein, weil sich vor dem unmittelbar dem Eingang zum Stromraum über
die ganze Breite der Tür ein relativ großes Ablaufgitter
erstreckt, wie sich aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern
ergibt.
Gegen die Nutzung des Stromraumes als Lagerort für das Sprengstoffdepot
spricht weiter, dass sich direkt oberhalb des Schachtes die zentrale
Starkstromanlage des Mehringhofes befand. Außerdem war der
Elektroraum mit dem Halbgeneralschlüssel zu öffnen, was
zur Folge hatte, dass jeder Projektmitarbeiter aus dem Mehringhof
Zugang zu dem Stromraum hatte. Dies führte, wie die Zeugin
Kübler bekundet hat, u. a. dazu, dass dort immer wieder Fahrräder
geparkt wurden. Es hatten also eine nicht zu kontrollierende Zahl
von Personen unmittelbaren Zugang zu dem Stromraum.
Gegen die Nutzung des Garagenraums als Depotort spricht zudem,
dass die Hausmeister nach den Bekundungen der Zeugin Kübler
und der Einlassung von Herrn Haug zur Tatzeit keinen Zugang hatten,
weil sie nicht über einen Schlüssel zu dem Vorhängeschloss
am Garagenraum verfügten. Wenn sie den Garagenraum betreten
wollten, mussten sie sich einen Schlüssel entweder bei der
im Mehringhof ansässigen Druckerei oder bei dem Buchladen im
Mehringhof ausleihen. Sie konnten also den Garagenraum nicht unbemerkt
nutzen. Im Übrigen hätten die Hausmeister auch im Garagenraum
das Risiko eingehen müssen, dass das Depot zufällig durch
Mitarbeiter der Druckerei oder des Buchladens entdeckt würde,
oder sie hätten die Betroffenen einweihen müssen, was
unter Sicherheitsgesichtspunkten nicht denkbar ist. Gegen den Schacht
im Garagenraum als Depotort spricht im Übrigen auch, dass der
Schacht nach der Beschreibung des Durchsuchungsleiters KHK Wolf
vom 31.05.2000 (lediglich) 25 x 25 cm groß ist und im Schacht
ein Rohr verlegt ist. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus
den in Augenschein genommenen Lichtbildern dieses Schachtes. Es
fragt sich, wie dort 20 kg Gelamon 40, eine Maschinenpistolen, Pistolen,
Sprengschnüre und gewerbliche Zünder untergebracht werden
sollen. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass dieser
Schacht am Boden des Garagenraums im Durchsuchungsbericht vom 19.12.1999
(76, 63), dem zu entnehmen ist, dass dieser Raum immerhin von sieben
Beamten 50 Minuten lang durchsucht wurde, nicht erwähnt ist.
Selbst die Bundesanwaltschaft, die in ihrem Plädoyer eine ungewöhnlich
kritische Haltung zu den kriminalistischen Kompetenzen der Durchsuchungsbeamten
eingenommen hat, wird ihren sieben Hilfsbeamten nicht unterstellen,
dass sie bei einer fünfzigminütigen Durchsuchung eines
ca. 20 mē großen Raumes diesen Schacht nicht entdeckt hat.
Der Grund dafür, dass dieser Schacht im Durchsuchungsbericht
von KHK Theiss nicht erwähnt ist, dürfte allein darin
liegen, dass der Schacht nach der Einschätzung der Durchsuchungsbeamten
nicht zur Lagerung von Sprengstoff und Waffen geeignet war (Hilfsbeweisantrag
Durchsuchungsbeamte und Sachverständiger zum Sprengstoffvolumen).
Die messerscharfe Schlussfolgerung der Bundesanwaltschaft, aus dem
Fehlen näherer Ausführungen von Herrn Haug in seiner schriftlichen
Erklärung vom 28.02.2002 zu dem Garagenraum könne man
schließen, dies sei der Lagerort für das Depot gewesen,
kann demgegenüber keine allzu große Überzeugungskraft
entfalten. Die Verteidigung wird gleichwohl vorsorglich noch einen
Beweisantrag zu diesem Thema stellen.
Der Elektrorum wurde im Übrigen bei der Erstdurchsuchung am
19.12.1999 sogar mit Sprengstoffhunden ergebnislos durchsucht.
Gegen den Strom- und den Garagenraum als Lagerort für das
Depot spricht schließlich, dass die dort am 30.05.2000 entnommenen
Wischspuren keinen Hinweis auf Sprengstoffspuren ergaben. Die Rahmenbedingungen
für den Erhalt von Spuren auch über einen langen Zeitraum
sind in beiden Schächten gleichermaßen gut. Maßgebliche
Kriterien sind nach der Schilderung des Sachverständigen Dr.
Koller Trockenheit, Schutz vor Luftzug und wenig Licht. Diese Bedingungen
treffen auf beide Schächte gleichermaßen zu. Wenn man
den Negativbefund im Mehringhof in Beziehung zu dem eindeutigen
Spurennachweis in Tarek Mouslis Keller in der Schönhauser Allee
setzt, der ein bloßer Bretterverschlag war und überdies
nach den Angaben von Carmen Tollkühn und auch von Mousli selbst
mindestens einmal nach der Lagerung überschwemmt war, kommt
dem Beweisbedeutung zu. Nach Mouslis Angaben im Ermittlungsverfahren
war der Sprengstoff in Plastiktüten verpackt, die mit Klebestreifen
verklebt waren. Nach der Schilderung des Sachverständigen Dr.
Koller kann es bei der Lagerung von Gelamon 40 austretende Sprengöl
ohne weiteres durch einfache PVC-Plastiktüten hindurch difundieren,
sogar in Minutenschnelle, und sich im umgebenden Raum ablagern.
Aus diesem Grund konnten schließlich auch im Keller von Mousli
entsprechende Spuren nachgewiesen werden. Demgegenüber hat
Mousli in der Hauptverhandlung erstmals angegeben, der Sprengstoff
sei in einer Kiste verpackt gewesen, die er allerdings nicht näher
beschreiben konnte. Es fragt sich, warum Mousli dieses Detail erstmals
in der Hauptverhandlung erwähnt, obwohl er sich im Ermittlungsverfahren
in verschiedensten Vernehmungen detailliert zu dem vermeintlichen
Sprengstoffdepot geäußert hat.
Nach dem die Videodurchsuchung des Mehringhofs am 30.05.2000 ergebnislos
verblieben war, verzichteten die Ermittlungsbehörden darauf,
Tarek Mousli weiter zu diesem Thema zu befragen. In der hiesigen
Hauptverhandlung verbesserte Tarek Mousli seine Aussagen zum Lageort
des Depots wieder in einer Weise, die auch andere Örtlichkeiten
innerhalb des Mehringhofs mit einbezogen. Dies, obgleich er bei
der Videodurchsuchung am 30.05.2003 gegenüber den Durchsuchungsbeamten
vor Ort ausdrücklich angab, dass die Durchsuchung nicht auf
weitere Bereiche, außer dem Aufzugschacht und den angrenzenden
Garagen- und Stromraum, erstreckt werden müsse. Ganz augenscheinlich
variiert Tarek Mousli seine Angaben entsprechend dem Ermittlungsergebnis.
Aus der Gesamtschau all dieser Beweisergebnisse kann man nur den
Schluss ziehen, dass es im Mehringhof an den von Tarek Mousli beschrieben
Stellen kein Sprengstoffdepot gegeben hat.
7. Fazit
Hinsichtlich der Beteiligung von Herrn Haug an den Personen- und
Sprengstoffanschlägen und der Verwaltung des angeblichen Sprengstoffdepots
hat die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben die Mouslis Angaben
stützen.
Die weiteren Aussagen von Tarek Mousli zu den Taten sind durch
die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung teilweise bestätigt
worden, sie sind aber auch in einigen Punkten nachweislich unrichtig.
Hinzu kommen einige Aussageelemente, die hochgradig unplausibel
sind, letztlich aber nicht überprüfbar.
Bei der vorzunehmenden Würdigung der Aussagen von Tarek Mousli
drängt sich der Vergleich auf des Urteilenden mit einer Person
, die über einen zugefrorenen See gehen will und nicht weiß,
ob das Eis trägt oder nicht. Proben ergeben, dass das Eis an
einigen Stellen trägt, an anderen jedoch bricht und an manchen
Stellen verdächtig dünn erscheint. Wer an Hand dieses
Befundes den Schluss zieht, das Eis werde auch dort tragen, wo man
es nicht überprüfen konnte und losmarschiert, den wird
man schwerlich als vernünftig bezeichnen können.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Angaben von Tarek Mousli
allein ohne weitere Überprüfung nicht Grundlage eines
Schuldspruchs gegen Herrn Haug sein können, sondern nur seine
eigene Einlassung, gestützt durch einige Beweisergebnisse,
die Grundlage der Urteilsfindung sein kann.
8. Der Strafaufhebungsgrund des § 129 Abs. 6 StGB
Selbst wenn man davon ausgeht, dass Mouslis Aussagen zur Dauer
der Mitgliedschaft von Herrn Haug in der RZ zutreffend sind und
der Vorwurf mithin nicht verjährt ist, greift zu Gunsten von
Herrn Haug der persönliche Strafaufhebungsgrund des § 129 a
Abs. 5 i. V. m. § 129 Abs. 6 zweiter Halbsatz StGB ein.
Nach dieser Vorschrift liegt ein persönlicher Strafaufhebungsgrund
vor, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht,
das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen
entsprechenden Straftat zu verhindern. Er wird dann nicht bestraft,
wenn er dieses Ziel aufgrund seiner Bemühungen erreicht oder
wenn dies unabhängig von seinem Bemühen erreicht wird,
d. h. tatsächlich eintritt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB,
51. Aufl. § 129 Rdnr. 48). Dies kann sowohl durch Bemühungen
anderer Täter oder Einschreiten der Verfolgungsbehörden
als auch durch Selbstauflösung der Organisation geschehen.
Mit der Anklageschrift vom 30.10.2000 wird Herrn Haug u. a. die
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß
§ 129 a Abs. 1 Nr. 3 StGB im Zeitraum von 1985 bis 1995 vorgeworfen.
Nach der Darstellung im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der
Anklageschrift zeigten sich Anfang der 90er Jahre innerhalb der
revolutionären Zellen Auflösungstendenzen, die in verschiedenen
der RZ zugeordneten Papieren diskutiert wurden (Bl. 42 d. Anklage).
Diese Papiere wurden nach den Angaben des Zeugen Mousli auch bei
dem sogenannten "Waldspaziergang" Ende 1989 diskutiert.
Der letzte den Revolutionären Zellen zuzuordnende Anschlag
fand in der Nacht zum 03.10.1993 in Frankfurt/Oder gegen Einrichtungen
des Bundesgrenzschutzes statt.
Ungeachtet der Frage, ob die Angaben des Zeugen Tarek Mousli tatsächlich
die Feststellungen zulassen, dass Herr Haug bis 1995 bei den Revolutionären
Zellen mitgewirkt hat (er selbst hat dies in Abrede stellt), dürfte
klar sein, dass spätestens ab 1995 von einer Auflösung
der Revolutionären Zellen auszugehen ist, weil für die
Zeit nach 1995 keine weiteren Aktivitäten der Revolutionären
Zellen zu verzeichnen sind. Auch die seit Anfang der 90er Jahre
geführte Auflösungsdiskussion deutet darauf hin. Da entgegenstehende
Beweisanzeichen nicht vorliegen, ist selbst dann, wenn man der Aussage
des Zeugen Mousli Glauben schenkt, davon auszugehen, dass Herr Haug
spätesten ab 1995 die Revolutionären Zellen endgültig
verlassen hat. Da weiter die Umstände, unten denen die Revolutionären
Zellen ihr Wirken beendeten, nicht weiter aufgeklärt wurden,
ist zugunsten von Herrn Haug davon auszugehen, dass er sich darum
bemühte, das Fortbestehen der Revolutionären Zellen zu
verhindern und dass dies tatsächlich gelang. Nach den Schilderungen
des Zeugen Mousli fanden innerhalb der Berliner Revolutionären
Zellen Strategiediskussionen statt, wie beispielsweise auf dem vermeintlichen
"Waldspaziergang" 1989, bei denen die Möglichkeiten
einer weiteren Ausrichtung bis hin zur Selbstauflösung der
Revolutionären Zellen diskutiert wurde. Der Zeuge Mousli hat
wiederholt angegeben, dass die Revolutionären Zellen nicht
hierarchisch organisiert waren, sondern alle Mitglieder an Entscheidungen
mitwirkten, wenn auch die Stimme der älteren Mitglieder besonderes
Gewicht hatten. Es ist daher naheliegend, dass das Ende der Berliner
Revolutionären Zellen auf einen Selbstauflösungsbeschluss
der Gruppe zurückzuführen ist, an dem sämtliche Mitglieder,
also auch Herr Haug, mitwirkten. Davon ist jedenfalls mangels gegenteiliger
Anhaltspunkte aufgrund des Zweifelsatzes auszugehen, der auch bei
der Prüfung eines Strafaufhebungsgrundes anzuwenden ist (vgl.
Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. § 261 Rdnr. 29).
9. Das Waffendelikt
Bei der Durchsuchung am 23.11.1999 wurde in der Wohnung von Herrn
Haug eine Pistole RG3s Flobert Knall gefunden, die waffenbesitzkartenpflichtig
ist, da sie keinen PTB Stempel trägt.
Herr Haug hat dazu angegeben, sich nicht bewusst gewesen zu sein,
dass er für die von ihm als "Schreckschusspistole"
eingeschätzte Waffe eine Waffenbesitzkarte benötigte.
Der Zeuge van Elkan, der die Waffe zur kriminaltechnischen Untersuchung
und waffenrechtlichen Bestimmung einreichte, hat auf Nachfragen
bekundet, er wisse nicht seit wann Waffen so einen PTB Stempel haben
müssen und man eine Waffenbesitzkarte benötige.
Die Waffenrechtliche Relevanz der Pistole war also keineswegs offenkundig
und wurde erst aufgrund eines Gutachtens festgestellt.
In dem Fall wird man von einem Laien erst recht nicht erwarten
können, dass er erkennt, ob er für eine Pistole eine Waffenbesitzkarte
benötigt.
10. Antrag
Ich beantrage daher, Herrn Haug mit allen gesetzlichen Folgeentscheidungen
freizusprechen.
Hilfsweise falls das Gericht meinen Ausführungen zu §129aAbs.V
iVm § 129 Abs.6 StGB nicht folgen, beantrage ich, das Verfahren
wegen des Vorwurfs des §129a StGB einzustellen und im übrigen
freizusprechen.
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