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Verteidigung

Kammergericht Berlin (1)
Elßholzstr. 30-33
10781 Berlin-Schöneberg

13.10.2003

AZ: 2 StE 11/00
In der Strafsache
./. Borgmann

wird beantragt ,

als sachverständige Zeugen den Innensenator des Landes Berlin, Herrn Ehrhart Körting, Klosterstrasse 47, 10179 Berlin sowie Frau Claudia Schmid, Leiterin der Abteilung II - Verfassungsschutz- bei der Senatsverwaltung für Inneres, Potsdamer Strasse 186, 10783 Berlin, zu laden und zu vernehmen und zwar zum Beweis der Tatsache, dass die Berliner Sicherheitsbehörden sichere Erkenntnisse darüber haben, dass sich die "Berliner Zelle" der "Revolutionären Zellen" spätestens im Jahre 1995, möglicherweise sogar früher, selbst aufgelöst hat.

Begründung:

I.

Die obige Beweisbehauptung ist für das hiesige Verfahren spätestens seit dem (bisher unveröffentlichten) Beschluß des Oberlandesgericht Naumburg vom 22.08.2003 relevant. Der Beschluß wird in anonymisierter Form beigefügt.

In dem dortigen Verfahren hatte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof mit Anklageschrift vom 23.07.2003 drei Personen unter anderem wegen Gründung und Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung gem. § 129 a StGB angeklagt. Die Taten sollen im Zeitraum von Anfang August 2001 bis Ende Mai 2002 begangen worden sein. In der Anklageschrift heißt es, dass sich die Vereinigung Ende Mai 2002 aufgelöst habe.

Mit Beschluß des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22.08.2003 - 2 StE 8/03 - 2 (1/03) - änderte der Senat den Haftbefehl des Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshof gegen die Angeklagten ab und nahm nunmehr lediglich den dringenden Tatverdacht wegen Straftaten gem. § 306 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4 StGB u.a. an. Der dringende Tatverdacht wegen Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sei entfallen, "weil hinsichtlich des Angeschuldigten mit gleicher Maßen hoher Wahrscheinlichkeit der Strafaufhebungsgrund des § 129 a Abs. 5 i. V. m. § 129 Abs. 6 zweiter Halbsatz StGB vorliegt. Aufgrund des gegenwärtigen Verfahrensstandes geht der Senat - ebenso wie die Anklagebehörde - davon aus, dass sich die terroristische Vereinigung Ende Mai 2002 auflöste (Seite 5 a. E. der Anklageschrift)". Dies folge aus einer bei einem der dortigen Angeschuldigten aufgefundenen Auflösungserklärung, die auf den 2. Mai 2002 datiert sei "und dem Umstand, dass die Vereinigung nach dem 18.03.2002 weder durch Aktionen noch weitere Stellungnahmen in Erscheinung getreten ist". Zu dem persönlichen Strafaufhebungsgrund äußert sich das Gericht im einzelnen wie folgt:

§ 129 Abs. 6 zweiter Halbsatz StGB als persönlicher Strafaufhebungsgrund verlangt, dass der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern. Er wird dann nicht bestraft, wenn er dieses Ziel erreicht oder wenn dies ohne sein Bemühen erreicht wird. Die letztere Alternative ist dahin zu verstehen, dass dieses Ziel nicht "ohne", sondern unabhängig von seinem Bemühen erreicht wird, d. h. tatsächlich eintritt (Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage, § 129 RdNr. 48). Es kann sowohl durch Bemühungen anderer Täter oder Einschreiten der Verfolgungsorgane als auch durch Selbstauflösung der Organisation geschehen (Tröndle/Fischer a.a.o.).

Der Inhalt der Auflösungserklärung ist im Sinne von § 129 Abs. 6 StGB zu verstehen. Jedes Mitglied der terroristischen Vereinigung, das hier für die Auflösung der Vereinigung gestimmt hatte, erlangt Straffreiheit nach dieser Vorschrift. Gefordert wird ein Bemühen, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, wobei ersichtliche Scheinbemühungen, die nur nach außen hin die Auflösung der Vereinigung vortäuschen sollen, natürlich ohne Bedeutung bleiben. Solche Scheinbemühungen sind hier nicht festzustellen. Die Erklärung gibt die Auflösung dieser konkreten Zelle bekannt und erwartet die Akzeptierung dieser Entscheidung. Sie begründet die Auflösung mit der Erfolglosigkeit des bisherigen Vorgehens ("Politik der Zerstörung") und mit der Einsicht, dass die angenommene Position nicht "dem Volk zu vermitteln ist", dass die Aktivitäten "keinen Zuspruch finden" und "die Erfolge"nicht auf den revolutionären Prozeß, teilweise sogar eher in die Gegenrichtung" wirken. Nicht widerlegt wird die Auslegung durch die Mitteilung in der Erklärung, die Auflösung betreffe die "momentane Organisation und Funktionsform". Das beschreibt nur die Vereinigung, die aufgelöst werden soll, sagt aber nicht, dass lediglich eine "Denkpause" eingelegt oder eine neue terroristische Vereinigung gegründet werden wird.

Diese Auslegung wird entscheidend durch die Tatsache gestützt, dass - wie in der Anklage dargestellt - seit Mai 2002 bis zur Entdeckung und Festnahme der Angeschuldigten keine weiteren strafbaren Handlungen oder Aktionen begangen worden sind. Daraus wird ersichtlich, dass tatsächlich keine Fortführung der Vereinigung erfolgt ist und das die Absichtserklärung aufzuhören, als freiwillig und ernsthaft anzusehen ist.

Dem steht nicht entgegen, dass in der Auflösungserklärung ausdrücklich keine Distanzierung von "militanter Politik" erfolgt ist. Ein Strafaufhebungsgrund kommt zwar nur dem Täter zugute, der die Durchführung des kriminellen Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgibt. Dies gilt aber lediglich im Bezug auf die einzelne Tat im materiell-rechtlichen Sinn (BGHSt 33, 142, 144 f.; BGHR StGB § 24 Abs. Satz 1 Freiwilligkeit 4; Rücktritt 4). Eine erneute Gründung der zuvor aufgelösten terroristischen Vereinigung wäre hier keine Fortführung der angeklagten Tat, sondern eine neue Straftat. Die Angaben in dem am 27.11.2002 bei dem Angeklagten Sch. beschlagnahmten Zettel", dessen Entstehungszeit nicht sicher festzustellen ist, sind angesichts der Tatsache, dass keine Straftaten mehr begangen worden sind, nicht hinreichend sicher als Absicht in der Zukunft erneut Gewalttaten als Fortführung der bisherigen Taten zu begehen, auszulegen. Aus dem Inhalt ergibt sich, dass keine legalen politischen Aktionen außer Haus durchgeführt werden sollen. Daraus kann aber nicht zwingend geschlossen werden, dass dann militante Aktionen geplant seien. Es ist nur ersichtlich, dass zunächst gar keine Aktion stattfinden soll.

§ 129 a Abs. 5 i. V. m. § 129 Abs. 6 StGB ist nicht restriktiv auszulegen und anzuwenden. Das kriminalpolitische Ziel dieser Vorschrift ist die Verminderung bzw. die Beseitigung des durch eine terroristische Vereinigung bewirkten hohen Gefährlichkeitspotentials. Die Vorschrift will dem Täter einen Anreiz geben, aufzuhören (Schönke/Schröder - Lenckner, StGB, 26. Auflage, § 129 RdNr. 18 a; LK - von Bubnoff, StGB, 11. Auflage § 129 RdNr. 81). Dieses Ziel durch zu enge Anwendung zu verhindern, wäre kontraproduktiv. Aus der Auflösungserklärung geht zwar nicht hervor, dass der Angeschuldigte persönlich das Fortbestehen der terroristischen Vereinigung (mit) verhindert oder sich jedenfalls darum bemüht hat. Anknüpfungspunkt ist aber immerhin, dass nach der vorgenannten Erklärung die Mehrheit der Gruppe die Auflösung beschlossen hat und alle Mitglieder der Gruppe, wie aus dem Fehlen weiterer Aktionen und Stellungnahmen nach dem 18.03.2003 ersichtlich - dies akzeptierten. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte greift hier der Grundsatz in dubio pro reo ein, der auch bei Prüfung eines Strafaufhebungsgrundes anzuwenden ist (Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 261 StPO, RdNr. 29), wonach davon auszugehen ist, dass auch der Angeschuldigte die Auflösung der terroristischen Vereinigung befürwortet.

Straffreiheit des Angeschuldigten im Bezug auf § 129 StGB ist nach Abschluß der Ermittlungen durch die Anklagebehörde deshalb in diesem Stadium des Verfahrens mit der dafür erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit anzunehmen. "

In dem selben Beschluß wurden die Angeklagten unter Auflagen haftverschont. Die Vollziehung des Beschlusses wurde gem. § 307 Abs. 2 StPO ausgesetzt.

Die Bundesanwaltschaft legte gegen den Beschluß Beschwerde ein. Der Bundesgerichtshof entschied durch Beschluß vom 23.09.2003 gem. §§ 121, 122 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft. Weiterhin wurde auf die Beschwerde des Generalbundesanwaltes der Beschluß des Oberlandesgerichtes Naumburg vom 22.08.2003 dahingehend abgeändert, dass nunmehr dringender Tatverdacht hinsichtlich der Gründung und der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung angenommen wird. In der Begründung dieses Beschlusses, der in Kopie beigefügt wird, heißt es unter anderem:

"Nach Ansicht des Senats überwiegen mit Blick auf diese Umstände derzeit die Zweifel daran, ob dass "Auflösungsschreiben" einen realen Hintergrund hat. Im derzeitigen Verfahrensstand ist daher eine Verurteilung des Angeschuldigten nach § 129 a Abs. 1 StGB weiterhin wahrscheinlich. Der Angeschuldigte gem. § 129 a Abs. 5 i. V. m. § 129 Abs. 6 Halbsatz 2 StGB insoweit Straffrei ist, muß der Klärung in der Hauptverhandlung unter Ausschöpfung aller hierzu zur Verfügung stehenden Beweismittel vorbehalten bleiben. Der Haftbefehl ist daher weiterhin auf den dringenden Tatverdacht nach § 129 a Abs. 1 StGB zu stützen und die Entscheidung des Oberlandesgerichtes entsprechend abzuändern."

Zu den Rechtsausführungen des Oberlandesgerichtes Naumburg äußert sich der Bundesgerichtshof wie folgt:

"Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob die vom Oberlandesgericht vorgenommene Auslegung und rechtliche Bewertung des Schreibens zutrifft; denn das Oberlandesgericht hat wesentliche außerhalb des Schriftstücks liegende Umstände außer Betracht gelassen, die gewichtige Zweifel daran rechtfertigen, ob die dort geschilderten Vorgänge tatsächlich stattgefunden haben."

Damit scheint der Bundesgerichtshof zumindest keine Veranlassung gehabt zu haben, den Rechtsausführungen des Oberlandesgerichts Naumburg grundsätzlich zu widersprechen. Wie die in dem Beschluß des OLG zitierten Stellen aus der Literatur belegen, befindet sich das OLG im Einklang mit der absolut herrschenden Auffassung in der Literatur. Rechtsprechung ist zu diesem Thema -soweit ersichtlich- nicht ergangen. Deswegen werden den weiteren hiesigen Ausführungen auch die obigen Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.

II.

Im hiesigen Verfahren kommt es nach dem Beschluß des Bundesgerichtshofes zur Verbindung des zuvor getrennt geführten Verfahren gegen den Angeklagten Schindler vom 30.03.2001 massgeblich darauf an, wann die "Berliner Zelle" bestanden bzw. sich aufgelöst hat. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes gibt es keine Gesamtvereinigung "Revolutionäre Zellen", sondern verschiedene regionale Gruppierungen. Diese stellten jeweils unterschiedliche terroristische Vereinigungen dar. Daher war im Falle Schindlers kein Strafklageverbrauch durch die Anklage und das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main gegen ihn gegeben.

Im hiesigen Verfahren ging die Bundesanwaltschaft ausweislich der Anklageschrift bisher davon aus, dass seit 1973 "Revolutionäre Zellen" existieren. Seit spätestens 1984/1985 habe es "Berliner Zellen" gegeben. Die Anklagevorwürfe beziehen sich auf die Tätigkeit der Berliner Zellen im Zeitraum 1985 bis 1995. Dabei stützt sich die Anklage im Wesentlichen auf die Aussagen des Kronzeugen Mousli, nach dessen Schilderung es ab 1989/1990 nur noch eine "Berliner Zelle" gegeben habe. Diese sei - so die Bundesanwaltschaft in der Anklage - letztmals in der Nacht zum 03.10.1993 mit Anschlägen auf Kraftfahrzeuge des Bundesgrenzschutzes in Rothenburg und auf die Transformatorenstation des Grenzschutzamtes Frankfurt/Oder in Erscheinung getreten (Seite 43 der Anklage). Als bislang letzter Anschlag aus dem gesamten "RZ-Zusammenhang" sei der Sprengstoffanschlag der terroristischen Vereinigung "Rote Zora" auf die Werkhalle der Lürssen-Werft in Lemwerder in der Nacht zum 24.07.1995 anzusehen.

Das Oberlandesgericht Stuttgart geht in seinem Urteil gegen Corinna Kawaters am 19.06.1998 (Band 1 Seite 474 ff) davon aus, dass es sich bei dieser Aktion 1995 um eine singuläre Aktion gehandelt habe und die "Rote Zora" nur noch historische Bedeutung hätte (Seite 22 des Urteils).

Zwischen den Prozessbeteiligten dürfte ohnehin unstreitig sein, dass sich die "Rote Zora" von den "Revolutionären Zellen" bereits in den 80er Jahren getrennt hatte und insofern von einer einheitlichen terroristischen Vereinigung ohnehin nicht mehr die Rede sein konnte. Daher ist der Anschlag am 24.07.1995 weder ein starker Beweis noch ein starkes Indiz für das Bestehen oder Nichtbestehen der "Berliner Zelle" der "Revolutionären Zellen".

Zu der Auflösung der Berliner Zelle äußert sich die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft vom 30.10.2000 wie folgt:

"Teile der Revolutionären Zellen, die der Region Nordrhein-Westfalen (Pott) zuzurechnen sind, erklärten im Jahre 1992 unter dem Titel "Das Ende unserer Politik" ihre Auflösung. Insbesondere die Mitglieder der "Berliner Zellen" standen diesen Auflösungstendenzen noch einige Zeit kritisch gegenüber. Obwohl sich die "Berliner Zelle" nie offiziell für aufgelöst erklärt hat, ist davon auszugehen, dass sie im Jahr 1995 ihre terroristischen Aktivitäten aufgegeben hat." (Blatt 8 der Anklageschrift)

An anderer Stelle heisst es :

"Die Mitgliedschaft des Angeschuldigten Haug nach Auflösung der Gruppe um Schindler und Eckle und dem Wechsel von Ebke und Glöde in die Gruppe um Borgmann währte noch bis zur endgültigen Selbstauflösung der "Berliner Zelle" im Jahre 1995." (Blatt 48 der Anklageschrift)

Dieser Auffassung scheint auch das Kammergericht zuzuneigen, wenn es in seinem Beschluß vom 21.08.2003 ausführt, dass die Akten "nach Beginn der Ermittlungen zu einer Zeit angelegt (worden seien, Wk), da die Berliner RZ seit Jahren nicht mehr aktiv oder sogar aufgelöst war".

Diesem Befund entsprechen die Berichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) der 90er Jahre auf der einen und des Berliner Landesamtes für den Verfassungsschutzes auf der anderen Seite.

In den frühen 90er Jahren werden den "Revolutionären Zellen" (RZ)/ "Rote Zora" in den Berichten des BfV unter dem Titel "Linksextremistische Bestrebungen" ein eigenes Kapitel gewürdigt. Schon im Bericht des BfV 1992 (Seite 31 ff) heißt es, dass "Gruppen aus dem Kernbereich der RZ 1992 keine terroristischen Anschläge verübt" haben. 1993 wird dann ausführlich über die Diskussion von "Gruppen aus dem Zusammenhang der RZ" berichtet (Seite 32 ff). Die Anschläge aus der Nacht zum 03.10.1993 werden wie folgt beschrieben:

"Im Oktober wurde eine militante Gruppe aktiv, die eines der langjährigen Aktionsthemen der RZ (Flüchtlingspolitik, Asyl, Migration) aufgriff und alte RZ-Parolen übernahm""

Auch 1994 wird geschildert, dass "Gruppen, die das Konzept der RZ umsetzen wollen" Anschläge verübt haben. Anschläge der RZ selber werden jedoch im Verfassungsschutzbericht nicht angenommen.

1995 (Seite 41 ff) heißt es:

"Die Revolutionären Zellen (RZ) haben 1995 keine terroristischen Anschläge verübt; ihr Konzept, den bewaffneten Kampf nicht aus dem Untergrund, sondern aus konspirativen Strukturen in der Legalität zu führen, fand in Strategiediskussionen militanter Linksextremisten und im "antiimperialistischen Widerstand" unverändert starkes Interesse. Die Rote Zora, eine aus RZ-Zusammenhängen entstandene Frauengruppe, habe ihre 1994 wieder aufgenommenen Anschlagsaktivitäten fortgesetzt.

1996 lautet die Beschreibung des BfV (Seite 35 ff) wie folgt:

"Unter der Überschrift Revolutionäre Zellen (RZ)" "Weder die "Revolutionären Zellen" (RZ) noch die "Rote Zora", eine aus RZ-Zusammenhängen entstandene Frauengruppe, haben 1996 terroristische Anschläge verübt oder konzeptionelle Erklärungen veröffentlicht. Das RZ-Konzept, den bewaffneten Kampf nicht aus dem Untergrund, sondern aus konspirativen Strukturen in der "Legalität" zu führen, fand in Strategiediskussionen militanter Linksextremisten gleichwohl unverändert große Bedeutung."

In dem oben Festgestellten erschöpften sich die Ausführungen des Bundesamtes zu den RZ im Jahre 1996. Im Jahre 1997 ist den "Revolutionären Zellen" kein eigenständiges Kapitel mehr gewidmet. Es heißt dort vielmehr unter der Überschrift "Linksextremistisch - terroristische Gruppen" , dass 1997 tödliche Aktionen oder sonstige Anschlagsaktivitäten sowie Verlautbarungen der terroristischen Gruppierung "Rote Armeefraktion" (RAF) "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) und "Revolutionäre Zellen" (RZ)/ "Rote Zora" ausgeblieben seien. Unter der selben Überschrift wird auch im Bericht für das Jahr 1998 (Seite 93/94/ die Auflösungserklärung der RAF vom November und Dezember 1996 gewürdigt sowie festgestellt, dass auch 1998 "Anschlagsaktivitäten oder Verlautbarung der terroristischen "Revolutionären Zellen" (RZ) / "Rote Zora" ausblieben". In den Jahren 1999, 2000, 2001 sowie 2002 werden unter der Überschrift "Linksextremistische Bestrebungen" diverse Strömungen gewürdigt, die "Revolutionären Zellen" (RZ) werden in keinem dieser Berichte mit einem Wort erwähnt.

In den Berichten des Berliner Landesamtes für den Verfassungsschutz wird noch 1991 den Revolutionären Zellen ein eigenes Kapitel gewidmet (Blatt 27 ff), in dem ausdrücklich zwischen "Originärer- RZ" und "Resonanz-RZ" unterschieden wird. Im Bericht 1992 (Blatt 34 ff) werden weder der Originären noch der Resonanz-RZ Anschläge zugerechnet. Dies gilt auch für den Bericht des Jahres 1993 (Blatt 87 ff). Im Jahr 1994 wird zu den "Revolutionären Zellen" folgende Einschätzung vertreten (Blatt 63 ff):

"Obwohl in Berlin seit drei Jahren keine der RZ zuzurechnender Anschlag mehr zu verzeichnen war, wird weiterhin davon ausgegangen, dass es intakte "Revolutionäre Zellen" und ein großes Potential zur Bildung von sogenannten Resonanz-RZ gibt, die aus aktuellem Anlaß jederzeit aktiv werden können."

Im Bericht des Jahres 1995 (Blatt 52 ff) ist die Einschätzung ähnlich:

"In Berlin wurden im Zeitraum von 1973 bis einschließlich 1991 durch RZ-Zusammenhänge 35 versuchte bzw. vollendete Anschläge begangen. Seitdem war kein dem RZ zuzurechnender Anschlag in Berlin mehr zu verzeichnen. Allerdings wird weiterhin davon ausgegangen, dass es in der Stadt intakte RZ und ein großes Nachahmerpotential, sogenannte Resonanz-RZ, gibt, dass aus aktuellem Anlaß jederzeit aktiv werden kann".

Seit 1996 werden die Revolutionären Zellen in den Landesverfassungsschutzberichten nicht mehr erwähnt.

III.

Die sachverständigen Zeugen Körting und Schmid werden bestätigen, dass die Berliner Sicherheitsbehörden in den Jahren 1993 ff. zunächst eine eher vorsichtige Einschätzung vertraten, wenn sie von einer noch intakten RZ sowie von einer Resonanz-RZ ausgingen. Man sei sich zum Zeitpunkt der Abfassung der Berichte trotz des Fehlens von Anschlägen nicht sicher gewesen, ob nach 1993 ff. eine "Berliner Zelle" der "Revolutionären Zellen" bestanden haben. Sie werden dann bekunden, dass sich für die Berliner Sicherheitsbehörden aus der Ex-Post-Betrachtung ergibt, dass je nach Sichtweise bereits 1991 bzw. 1993, wenn man die Anschläge zum 03.10.1993 entgegen der Einschätzung des Berliner Landesamtes nicht der Resonanz-RZ zurechnen will, jedenfalls spätestens 1995 die Berliner "Revolutionäre Zelle" der politischen Gesamtgruppierung "Revolutionäre Zellen" sich aufgelöst und ihre Aktivitäten komplett eingestellt hat. Aus diesem Grunde habe die "Berliner Zelle" auch danach keine Erwähnung mehr in den Landesverfassungsschutzberichten gefunden.

Nach der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Naumburg hat dies für die hiesigen Angeklagten weitreichende Folgen.

Selbst wenn man sich die Aussage des Kronzeugen Mousli zu eigen macht, hatte sich zunächst die zweite Berliner Zelle um die Angeklagten Sabine Eckle und Rudolf Schindler vor 1989/1990 zweifelsfrei aufgelöst. Ab diesem Zeitpunkt soll nur noch eine Berliner Zelle um die Personen mit dem Decknamen "Sigi", "Anton", "Sebastian" und "Heiner" bestanden haben. Selbst wenn man das Weiterbestehen dieser Zelle für einen gewissen Zeitraum nach 1989/1990 unterstellt, kann zweifelsfrei festgestellt werden, dass sich die Zelle spätestens 1995 selbst aufgelöst hat.

Dabei kommt es auf eine offizielle Auflösungserklärung nicht an. Denn wie das OLG Naumburg zurecht darlegt, ist die Vorschrift des § 129 a Abs. 5 i. V. m. § 129 Abs. 6 StGB nicht restriktiv auszulegen und anzuwenden. Das tatsächliche Nicht- Fortführen der Vereinigung kann zweifelsfrei festgestellt werden. Auf dieses Kriterium stellt auch die herrschende Meinung in der Literatur ab (vgl. vor allem LK- v. Bubnoff, § 129, Rn. 85 m.w.N.).

Da nach allen Schilderungen aus Verlautbarungen der Revolutionären Zellen ("Revolutionärer Zorn", Bekennerschreiben, Artikel) sowie selbst nach Aussagen des Kronzeugen Mousli innerhalb jeder Zelle das sogenannte Konsensprinzip herrschte, also die Auffassung eines jeden Mitgliedes gleichwertig war, ist davon auszugehen, dass die 1991, 1993 oder 1995 noch aktiven Mitglieder der Berliner Zelle - wer dies nach Auffassung von Bundesanwaltschaft und letzlich des Senates auch immer gewesen sein mag- gemeinsam ihre Auflösung bzw. die Nichtfortführung ihrer Aktivitäten beschlossen haben. Jedenfalls hat sich die Mehrheit der Gruppe dazu entschlossen und alle Mitglieder der Gruppe haben dies in dem vom Oberlandesgericht Naumburg ausgeführten Sinne akzeptiert. Damit gilt für die hier Angeklagten die vom Oberlandesgericht Naumburg geäußerte Rechtsauffassung, dass nämlich mangels gegenteiliger Anhaltspunkte der Grundsatz in dubio pro reo greift, wonach davon auszugehen ist, dass die potenziell noch verbliebenen Mitglieder der nach Aussagen des Kronzeugen noch bestehenden "Berliner Zelle" die Auflösung der terroristischen Vereinigung befürwortet haben und ihnen daher ein persönlicher Strafaufhebungsgrund zur Seite steht.

Die Beweiserhebung ist von Bedeutung, wenn der Senat nicht der Rechtsauffassung der Verteidigung folgen will, dass auf der Grundlage unglaubwürdigen und unglaubhaften Aussagen des Kronzeugen Mousli eine Verurteilung nicht beruhen kann kann und wenn man nicht mit einem Teil der Rechtswissenschaft die Strafnorm des § 129 a StGB wegen ihrer Unschärfe und Weite mit einem rechtstaatlichen Schuldstrafrecht ohnehin für unvereinbar hält. Kritisiert wurde und wird vor allem die durch die Einführung der Norm ausgelöste Entwicklung vom Schuld- zum Gefährdungsstrafrecht. Die damalige Oppositionspartei "Die Grünen" und die PDS hatten u.a. aus diesen Gründen in der vorvorletzten und der vorletzten Legislaturperiode jeweils die Abschaffung dieser Vorschrift gefordert. Wenn nun der Senat meint, die Vorschrift auf den angeklagten Sachverhalt glaubt anwenden zu müssen, ist zumindest unter Anwendung der vom OLG Naumburg entwickelten Kriterien die tatsächliche Auflösung der Revolutionären Zellen und damit der Wegfall der "Gefährdung" in der oben dargelegten Weise zu berücksichtigen.

Kaleck

Rechtsanwalt

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