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140. Prozesstag: 28. August 2003

Die Würde des Gerichts ist antastbar

"Das ist ja hier wie bei 'Liebling Kreuzberg'" – der Eindruck, den die heute anwesende Schulklasse gewonnen hat, ist korrekturbedürftig. Sicherlich, die wieder einmal echauffiert ausgetragenen Zusammenstöße, vor allem zwischen Rechtsanwalt Johnny Eisenberg und Richter Alban, hatten Unterhaltungswert und dürften einen solchen Eindruck für den flüchtigen Beobachter eher verstärkt haben. Sollte aber das Bild entstanden sein, das Geschehen im Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit habe etwas mit der hemdsärmeligen, "volksnahen" Juristerei zu tun, wie sie in der erwähnten Anwaltsserie aus den 1980er und 1990er Jahre gezeigt wird, dann muss dem doch entschieden widersprochen werden. Anscheinend reicht ein einmaliger Besuch nicht aus, die ganze Dimension dieser Posse zu begreifen, die eben nicht dem Drehbuch eines Ulrich Plenzdorf folgt, sondern beispielhaft bestimmt ist durch die Feinderklärung gegenüber den Angeklagten seitens der Bundesanwaltschaft (BAW) und eines Gerichts, das genau weiß, was von ihm verlangt wird: deren Verurteilung. Und so hatte dann auch der heutige Verhandlungstag für den geübten Beobachter rein gar nichts von "Liebling Kreuzberg".

Nichtsdestotrotz hob sich die Befragung der Zeugin, mit der der Verhandlungstag begann, wohltuend von anderen Befragungen ab, die in den letzten 139 Verhandlungstagen zu erleben war. Geladen war Jutta G., eine Berliner Mitarbeiterin der Mitsubishi Kredit Bank (MKG). Die 36-Jährige erschien in Vertretung einer Sachbearbeiterin aus dem Stammhaus der MKG in Flörsheim am Main, die mit dem Leasing-Vertrag eines Mitsubishi Space Wagon und der anschließenden Kreditabwicklung durch Tarek Mousli betreut war. Zu diesem Komplex war der Kronzeuge bei seinem bislang letzten Auftritt vor Gericht am 15. August befragt worden. Hintergrund ist der Verkauf dieses Pkw von Mousli Anfang 2000, mit dessen Erlös (rund 8.000 DM) nach Auskunft des Kronzeugen teilweise privaten Schulden beglichen worden sein sollen. (vgl. 138. Prozesstag)

Mal was neues: Detektei auf Mousli angesetzt

"Sie wissen, weswegen sie heute geladen wurden, berichten sie mal." Mit ihrer sattsam bekannten ausgefeilten und subtilen Fragetechnik war die Vorsitzende Richterin heute allerdings an die Falsche geraten. "Nicht wirklich", gestand die Berliner Bankkaufrau sympathisch offen und bar jeglichem schlechten Gewissens. "Ich kam erst gestern aus dem Urlaub zurück". Bei ihrer Rückkehr habe sie auf ihrem Schreibtisch eine Mittelung vorgefunden, dass sie heute vor Gericht erscheinen soll. Sie habe aber die entsprechenden Unterlagen zu diesem Vorgang eingesehen, danach ergab sich folgendes Bild: Der Leasing-Vertrag lief bis Juni 1999, danach wurde er in eine Restfinanzierung umgewandelt. Ab Oktober 1999 seien dann die Raten von rund 380 DM nicht mehr regelmäßig gezahlt worden. Im März 2000 erfolgte daraufhin eine "letzte Mahnung vor Kreditkündigung". Da man zu diesem Zeitpunkt den Aufenthaltsort Mouslis bei der MKG nicht gekannt habe, habe man eine Detektei eingeschaltet. Anfang April sei dann ein Brief von Mousli aus der JVA Köln- Ossendorf bei der MKG eingegangen, in dem die Begleichung der Restschuld angekündigt und um Übersendung des Fahrzeugbriefs an Rechtsanwalt Asner gebeten wurde.

Für den 13.4.2000 sei der Zahlungseingang der Restschuld in Höhe von rund 18.500 DM vermerkt, getätigt über ein Konto von Mouslis Lebensgefährtin Janette O. Kurz darauf sei der Fahrzeugbrief an Asner übergeben worden.

Lebensweisheiten aus Karlsruhe

Bundesanwalt Bruns ließ sich heute zwar vertreten, sein Kollege Wallenta zeigte sich allerdings als ebenbürtiger und insofern würdiger Vertreter. Nicht überraschend, empfahl er den Beweisantrag der Verteidigung von Matthias B. vom 21. August auf Ladung der Beamten des Verfassungsschutzes (VS), die im April 2000 mit dem Kronzeugen umfangreiche Gespräche geführt hatten, zurückzuweisen. Die Sachaufklärung gebiete deren Vernehmung nicht, so Wallenta. Mit dem Beweisantrag werde ohnehin lediglich der Zweck verfolgt, "blindlings nach neuem Verteidigungsmaterial" zu suchen. Dass Mousli vom VS mit Informationen vorsorgt worden wäre, dafür gebe es keinerlei Hinweise. Auch dass Mousli Formulierungen benutzte, die wortgleich mit entsprechenden Passagen in Unterlagen sind, die er erst später bei Vernehmungen durch das Bundeskriminalamt (BKA) zu Gesicht bekommen haben will, wäre kein Indiz. "In der deutschen Sprache", bemühte Wallenta einer dieser typischen Karlsruher Lebensweisheiten, "ist es nicht ungewöhnlich, dass verschiedene Personen den selben Lebenssachverhalt mit den selben Wörtern beschreiben." Diese Argumentation kam dem Gericht - zumindest zum Teil - zu pass.

Verfahrensführung wie sie uns passt

Nicht so Rechtsanwalt Kaleck. Er warf der Bundesanwaltschaft (BAW) vor, sie habe offensichtlich den Beweisantrag weder verstanden, noch zu Ende gelesen. Ansonsten könnte sie nicht ernsthaft behaupten, dass Erörterungen zwischen dem Kronzeugen und dem VS zehn Jahre nach dem Anschlag auf die Siegessäule über die Tatmittel keinerlei Relevanz besäßen. "Das ihnen das sehr, sehr egal ist, was Mousli hier behauptet, ist mittlerweile bekannt", entgegnete der Berliner Anwalt sichtbar um Zurückhaltung bemüht und kündigte eine schriftliche Stellungnahme an.

Doch bevor es seinen Beschluss verkünden konnte, bewies der Senat zum wiederholten Male, was er unter einem "fairen Verfahren" versteht, was er vom "Anspruch auf rechtliches Gehör" hält und auf wessen Kosten dieses Verfahren geführt wird. Die Verteidigung hatte sich schon gewundert, warum sie auf ihren Bänken zu Prozessbeginn Kopien der Stellungnahme der BAW vorgefunden hatte. Wie sich nun herausstellte, lag die Stellungnahme dem Gericht bereits seit Dienstag vor. Nun hatte der Senat am 10. Juli angekündigt, ab sofort würde über Beweisanträge noch am selben Tag entschieden und die Prozessbeteiligten sollten sich auf längere Verhandlungstermine einstellen. (vgl. 135. Prozesstag) Zwar hat der Senat dieser Ankündigung selbst noch nicht entsprochen, doch wollte er sie offensichtlich an der Verteidigung durchexerzieren: So sollte Rechtsanwalt Kaleck gezwungen werden, die von ihm angekündigte schriftliche Gegenstellungnahme in einer mehrstündigen Prozessunterbrechung zu formulieren, um dann mit einem Beschluss die Sache vom Tisch zu haben. "Wir wollen doch jetzt richtig verhandeln", mahnte die Vorsitzende Richterin scheinheilig. Rechtsanwalt Kaleck zog es unter diesen Umständen vor, nicht zu einer Nachbesserung des nach dem Disput tatsächlich verkündeten Ablehnungsbeschlusses beizutragen, sondern behielt sich vor, anderweitig das Anliegen in die Hauptverhandlung einzuführen.

Tatsachen ohne Bedeutung

Und so verkündete nach einer kurzen Prozessunterbrechung der Berichterstattende Richter Hanschke den zuvor schon ausgearbeiteten Beschluss: Der Beweisantrag wurde abgelehnt. Wie Hanschke ausführte, interessiert es den Senat nicht, ob Mousli eventuell mit den VS-Beamten ausführlicher über die Frage gesprochen hat, ob der Sprengsatz beim Siegessäulenanschlag 1991 per Wecker oder Funkauslösung gezündet wurde. Die Sachaufklärungspflicht gebiete es nicht, dem nachzugehen. Habe doch Mousli zum Zeitpunkt dieses Gesprächs sowieso schon umfangreiche Angaben gegenüber dem BKA gemacht (zur Qualität dieser Angaben vgl. u.a. 125. Prozesstag). Gleiches Argument würde gegenüber dem Ansinnen der Verteidigung in Anschlag gebracht, aufzuklären, ob die Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Mousli mit Hintergrundwissen zu "Heiner" versorgt haben. Also wieder: "Die Sachaufklärungspflicht gebietet es nicht, dem nachzugehen." Dies umso mehr, als es "in späteren Vernehmungen des Zeugen oder sonst keine Anhaltspunkte für ein 'Suggerieren von Informationen' über 'Heiner' seitens der Mitarbeiter des BfV gibt", so der Senat. Zwar wollte sich der Senat der Karlsruher Lebensweisheit über den Gebrauch wortgleicher Formulierungen nicht anschließen, und hielt es insofern durchaus für möglich, dass Mousli bei seinen Gesprächen mit dem VS die so genannten Weinrich- Notizen vorgehalten bzw. vorgelegt wurden, doch sei das unerheblich. Den Schluss daraus zu ziehen, Mousli habe bei seinem Auftritt am 15. August falsch ausgesagt, würde das Gericht jedenfalls nicht ziehen. Mousli hatte damals angegeben, diese Notizen das erste Mal im August 2000 durch das BKA gesehen zu haben. Dreister geht's wohl kaum noch.

Erneuter Versuch

Wenn schon nicht die VS- Beamten in den Zeugenstand geladen werden, dann sollen wenigstens die Gesprächsprotokolle ungeschwärzt den Prozessbeteiligten vorgelegt werden. Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin am 18. August eine entsprechende Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums über die geschwärzten Stellen der Gesprächsprotokolle zwischen dem Verfassungsschutz und Mousli als rechtwidrig aufgehoben hat (vgl. Extra-Meldung vom 18.8.2003), forderte die Verteidigung von Harald G. den Senat heute erneut auf, die ungeschwärzten Protokolle vom BfV anzufordern und den Prozess bis zur Herausgabe dieser Unterlagen auszusetzen.

Wie die Verteidigung ausführte, dürften prozessökonomische Gründe einer Aussetzung nicht im Wege stehen. Auch auf die Gefahr hin, dass das Verfahren neu aufgerollt werden müsste, da ein Strafprozess nicht länger als 30 Tage unterbrochen werden darf, müsste das Recht der Angeklagten auf ein "faires Verfahren" höher bewertet werden, zumal "im Fall der Verurteilung mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen ist".

Insofern dürften den Gesprächsprotokollen auch keine geringe Beweisbedeutung unterstellt werden, wie dies das Kammergericht in seinem Beschluss vom 4.7.2003 getan hat. (vgl. 134. Prozesstag) Da Mousli das einzige Beweismittel gegen ihren Mandanten sei, habe "sich die Beweisaufnahme auf alle möglichen Erkenntnismittel den Zeugen Mousli betreffend zu erstrecken".

Unermüdlich – zumindest die Verteidigung

Getreu diesem Motto legte dann die Verteidigung von Harald G. unverdrossen mit einem weiteren Beweisantrag zum Finanzgebaren des Kronzeugen nach. Um den Verbleib von rund 12.000 DM von einem Konto Mouslis zu klären, beantragte die Verteidigung die Ladung dreier Zeugen, die Verlesung von Protokollen diverser Telefonüberwachungen und Auskunft der Konto führenden Bank. Auf das entsprechende Konto, das als Alleininhaber von Mousli geführt wurde, wurden 1999 Teilnahmebeiträge für einen dann abgesagten Karatelehrgang für Kinder in Höhe von 14.000 DM eingezahlt, von denen später lediglich 2.000 DM an die Eltern zurückerstattet worden waren. Die Verteidigung gab sich überzeugt, das auch an diesem Punkt eine Falschaussage Mouslis nachgewiesen werden kann. Am 15. August hatte Mousli ausgesagt, er habe keine Privatentnahmen von diesem Konto genommen. Seines Wissens sei das alles von seinem Kompagnon geregelt worden, der neben einer weiteren Person auch eine Kontovollmacht besessen habe. (vgl. 138. Prozesstag)

So unermüdlich sich die Verteidigung in diesem Verfahren zeigt, bewies am Nachmittag der Senat erneut das Gegenteil. Besser hätte die Vorsitzende Richterin ihr Ansinnen vom Vormittag gegenüber der Verteidigung nicht konterkarieren können. Hatte sie am Ende der heutigen Hauptverhandlung die Fortsetzung des Verfahrens für morgen angekündigt, so wurde diese Ankündigung am Nachmittag flugs zurückgezogen. Über die Gründe kann nur spekuliert werden: Hatte man am Vormittag vielleicht einfach die eigenen Fähigkeiten überschätzt, innerhalb eines Tages über den Beweisantrag und den Aussetzungsantrag wasserdicht und revisionsfest entscheiden zu können – zumal ohne Handreichungen der BAW? Oder meint man in der Elßholzstraße einfach, man müsste nicht einmal zum Schein die Fassade einer rechtsstaatlichen Verfahrensführung aufrecht erhalten und kann offen mit zweierlei Maß messen? O.k., auch bei "Liebling Kreuzberg" nahm man es mit den rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen nicht so genau. Hatten die Schüler am Ende vielleicht doch nicht so unrecht ...?

Der Prozess wird am Freitag, 4. September, um 9.15 Uhr fortgesetzt.

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