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144. Prozesstag: 25.09.2003

Mangelnde Souveränität von Bundesanwalt Griesbaum

Hoch her ging es heute im Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit. Anlass: Das bizarre Aussageverhalten von Bundesanwalt Griesbaum im Zeugenstand. Wie bereits einige Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) vor ihm, so präsentierte sich der 55-Jährige als begriffsstutzig und eher geistig träge, was die Frage aufwirft, welche Qualifikationen überhaupt Referatsleiter der Bundesanwaltschaft (BAW) vorzuweisen haben, um auf einen solchen Posten zu gelangen.

Nachdem er und sein Kollege Monka sich bereits am letzten Verhandlungstag (vgl. 143. Prozesstag) hauptsächlich dadurch hervorgetan hatten, mit Verweis auf ihre Aussagegenehmigung Antworten zu verweigern, musste Griesbaum heute erneut antreten. Wenn auch mit einer erweiterten Aussagegenehmigung ausgestattet, gefiel sich der Mann aus Karlsruhe darin, das Spiel von letzter Woche wiederholen zu wollen. Beweisthemen heute waren die Ermittlungen zu den vom Kronzeugen Mousli behaupteten Konspirativen Wohnungen (KW) in der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg sowie "Herkunft und Verbleib" des in Kempen im Mai 1998 gefundenen Sprengstoffs der Sorte "Gelamon 40".

"Ich schicke ihnen etwas"

Tarek Mousli behauptet, dass die Berliner RZ 1986 und 1987 eine Wohnung in der Oranienstraße 7 oder 9 für konspirative Treffen genutzt habe, die ihnen zu diesem Zweck von deren Mieter Wolfgang B. zur Verfügung gestellt worden sei. Wie Recherchen der Verteidigung ergaben, war allerdings Wolfgang B. zu dieser Zeit in keinem der beiden Objekte Mieter. Im März 2003 legte dann die Bundesanwaltschaft überraschend eine bislang dem Gericht und der Verteidigung vorenthaltene Ermittlungsakte vor, in der umfangreiche Ermittlungen des Bundeskriminalamts (BKA) im Februar/März 2001 zu den BewohnerInnen der Oranienstraße 9 in den Jahren 1985 bis 1990 dokumentiert sind. Der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts im hiesigen Verfahren, Bruns, hatte damals davon gesprochen, das "Ding" –also die Ermittlungsakte – sei erst kurz zuvor auf seinem Schreibtisch "aufgetaucht". (vgl. 119. Prozesstag) Auch Griesbaum will uns diese Version glaubhaft machen: Erst am 11. März sei die Sachakte zu diesem Vorgang vom BKA übersandt worden. Zuvor habe ihm der BKA'ler Schmitz am Telefon mitgeteilt: "Ich schicke ihnen etwas."

Rapport ohne Referatsleiter

Eine Woche später (18.3.2003) wären dann die zuständigen BKA-Beamten Schmitz und Barbian nach Karlsruhe einbestellt worden, um Auskunft über diese "fehlerhafte Handhabung des BKA" (Bruns) zu geben. Allerdings wollte oder konnte Griesbaum zu diesem Treffen, das anscheinend unter Federführung von Bundesanwalt Bruns stattfand, keine genauen Angaben machen. Er sei erst am Ende zu dieser Runde hinzugestoßen. Also keine Angaben dazu, wer die Ermittlungen in Auftrag gab; keine Angaben dazu, was zwischen März 2001 und März 2003 "passierte"; keine Angaben dazu, wie das BKA die dreijährige Verspätung bei der Übermittlung der Sachakte rechtfertigte.

Bundesanwalt Bruns hatte am 20. März in der Hauptverhandlung für die Nichtweiterleitung des BKA-Vermerks über die Ermittlungen zu den KW in der Oranienstraße im Jahr April 2001 einen Sachbearbeiterwechsel und die personelle Überlastung des BKA nach den Anschlägen am 11. September 2001 verantwortlich gemacht. Ob auch er die Begründung für nachvollziehbar halte, dass ein Ereignis, das erst fünf Monate nach Erstellung des Vermerks stattgefunden habe, eine Weiterleitung vereiteln könne, fragte vor diesem Hintergrund Rechtsanwalt Euler. Die überraschende Antwort, die gleichzeitig zum wiederholten Male die spezielle Karlsruher Behördenlogik offenbarte: "Die Begründung war für mich nachvollziehbar", und als sei das an Dreistigkeit nicht schon genug, setzte Griesbaum nach: "Diese Teilerklärung war für mich nicht erkennbar falsch". Auch das "zweite Standbein der absurden Begründung" (Rechtsanwältin Würdinger), den Wechsel in der Sachbearbeitung, erschien ihm plausibel.

Griesbaum – der in Vorbereitung seiner heutigen Befragung entsprechende Unterlagen eingesehen sowie einmal persönlich und einmal per Telefon mit dem BKA-Beamten Barbian gesprochen hat ("Ich werde nicht im Detail dieses Gespräch schildern"), verriet zumindest soviel: Die Ermittlungen im Strukturverfahren RZ seien nicht abgeschlossen, abgeschlossen hingegen die Ermittlungen zu den Konspirativen Wohnungen (KW). Ganz freiwillig kam allerdings auch dieser Erkenntniszugewinn nicht zu Tage, wurde Griesbaum doch zuvor von Rechtsanwältin Studzinsky im Zusammenspiel mit Rechtsanwältin Lunnebach mehr oder weniger massiv an seine "Wahrheitspflicht" erinnert.

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht

Auf heftige Intervention von Bundesanwalt Wallenta stieß der Vorhalt einer Aussage des BKA-Beamten Igelmund durch Rechtsanwalt Euler. Laut Aufzeichnungen des Anwalts hatte Igelmund am 8. Mai in der Hauptverhandlung seine fachliche Einschätzung abgegeben, dass Mousli zwingend mit den Ermittlungsergebnissen zu den KW, die im Widerspruch zu den Angaben des Kronzeugen stehen, hätte konfrontiert werden müssen. (vgl. 126. Prozesstag) Wallenta beanstandete den Vorhalt, bat um Prozessunterbrechung, um seine Mitschrift einsehen zu können, und behauptete anschließend, Euler habe einen falschen Vorhalt gemacht. Das wollte Euler nicht auf sich sitzen lassen. Er nutzte eine der zahlreichen Unterbrechungen, um mit seiner Kanzlei in Frankfurt am Main zu telefonieren, damit ihm seine Aufzeichnungen gefaxt werden. Gegen Ende der Hauptverhandlung verlas er dann seine Mitschrift, und die Anwesenden konnten sich davon überzeugen, was der BKA-Beamte damals ausgeführt hatte: "Angesichts der Ergebnisse meiner Ermittlungen war klar, dass Mousli damit zu konfrontieren war." Was – soweit bekannt – nie passierte, wobei die Fürsorgepflicht dann großzügig auch noch auf das Gericht und die Verteidigung ausgeweitet wurde.

Auslegung der ganz eigenen Art

Was hat es mit dem Fund von Gelamon 40 im Mai 1998 in Kempen auf sich? Warum wurde dieser Fund weder in den Akten, noch bei der Befragung zuständiger Ermittler erwähnt? Wieso werden die Ermittlungsakten dem Gericht und der Verteidigung vorenthalten? Auch das zweite Beweisthema, zu dem Griesbaum heute befragt wurde, hatte es also in sich. Zu "Verbleib und Herkunft" des Sprengstoffes sollte der Bundesanwalt Auskunft geben – eigentlich schwant einer/m bei so einem Beweisthema nichts Böses, aber weit gefehlt! Griesbaum legte seine Aussagegenehmigung so eigentümlich, dass er sich weigerte, wenig mehr zu erzählen, als über die Tatsache, wann die BAW in diesen Fall eingeschaltet wurde, um welchen Sprengstoff es sich handelt und dass die fünf Sprengpatronen Gelamon 40 noch im Mai 1998 vernichtet wurden. Also erfuhren wir: Ein Kollege im Referat wurde Anfang Mai 1998 darüber informiert, dass im Zusammenhang von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dortmund hinsichtlich räuberischer Erpressung am 1. Mai 1998 im Keller eines Hauses in Kempen (NRW) besagte fünf Sprengpatronen gefunden wurden. Das BKA hatte kurz danach festgestellt, dass es sich dabei um Sprengpatronen handelt, die 1987 nach Erkenntnissen des BKA von den RZ aus einem Steinbruch bei Salzhemmendorf entwendet worden sein sollen. Weil der Sprengstoff "handhabungsunsicher" gewesen sei, wurde der Sprengstoff einige Tage später von Mitarbeitern des Landeskriminalamts NRW verbrannt. ("Das weiß ich so genau, weil ich mir das interessant vorstelle, das Sprengstoff verbrannt wird.") Neben zwei Vergleichsproben wurden dann noch die Patronenhüllen asserviert, die sich Griesbaum sogar noch vor einigen Tagen beim BKA zeigen ließ. Ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt nach §129a StGB sei eingeleitet worden.

An dieser Stelle hörte die Auskunftsfreudigkeit des Bundesanwalts schlagartig auf. Ob er eine Erklärung habe, warum dieser Fund nie erwähnt wurde und in sämtlichen Sachstandsberichten, die den Zusammenhang RZ und Sprengstoff zum Gegenstand haben, verschwiegen wurde? Griesbaum: "Ich habe keine Erklärung." Ob es eine Anweisung gab, und wenn ja, von wem, dass dieser Fund unterschlagen werden soll? Griesbaum: "Mir ist keine Anweisung bekannt." Ob mit Mousli jemals über diesen Sprengstofffund geredet wurde; ob das Verfahren gegen die AnwohnerInnen des Hauses abgeschlossen ist, gegen wen ermittelte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf? Zu all diesen Fragen verweigerte Griesbaum die Antwort. "Ich mache keine Angeben zu Ermittlungsansätzen", "Das ist von meiner Aussagegenehmigung nicht gedeckt", "Wenn Belange von Dritten berührt werden, bin ich nicht befugt zu antworten", "Keine Angaben zu anderen Verfahren" (unter Verweis auf die Aussagegenehmigung) ...

Da halfen auch die engagiert und echauffiert ausgetragenen Erörterungen und Dispute zwischen Verteidigung, Gericht und BAW nicht, um die Frage zu klären, welche Aspekte noch von der Aussagegenehmigung gedeckt wären und welche nicht. Die Befragung endete in einem von der Verteidigung erzwungenen Gerichtsbeschluss, mit dem der Senat – wie nicht anders zu erwarten – das Schweigen Griesbaums deckte. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, entließ die Vorsitzende Richterin den Zeugen, obwohl Rechtsanwältin Lunnebach dem ausdrücklich widersprochen hatte.

Am Ende das gleiche Lied wie immer

Weil "die in Beweis gestellten Tatsachen ohne Bedeutung" seien, beantragte die BAW im Anschluss, die Anträge der Verteidigung von Rudolf Sch. und Harald G. vom letzten Verhandlungstag abzulehnen. Die Anträge seien nur der "untaugliche Versuch der argumentativen Unterfütterung des ursprünglichen Antrags", so die BAW. Außerdem habe der Senat "zutreffend und umfassend" dargelegt, "dass die in Beweis gestellten Tatsachen ohne Bedeutung seien." Am Ende der Hauptverhandlung gab die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig bekannt, dass die Verteidigung des in kanadischer Auslieferungshaft sitzenden Lothar E. mitgeteilt habe, sie habe ihren Mandanten über die Anfrage des Senats informiert und werde in den nächsten Tagen mitteilen, ob Lothar E. bei einer Zeugenbefragung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen werde.

Nach mehren Prozessunterbrechungen, einer Prozessdauer, die wohl die längste in diesem Jahr war, und einem hohen Unterhaltungswert der Hauptverhandlung stand angesichts des bezeichnenden Auftritts von Bundesanwalt Griesbaum dann gegen Mittag zumindest eines fest: Auch Bundesanwälte sind nur Papiertiger.

Der Prozess wird am Donnerstag, 2. Oktober, um 9.15 fortgesetzt.

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