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153. Prozesstag: 20.11.2003
Ermüdende Macht-Spielchen des Senats
Da will jemand zum Ende kommen – koste es was es wolle.
Der 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin unter Vorsitz der ehrwürdigen
Richterin Gisela Hennig machte heute erneut kurzen Prozess mit den
Beweisanträgen der Verteidigung. Aber Vorsicht, wer jetzt meint,
es habe mal wieder nur einen kurzen Prozesstag gegeben, der/die
liegt total daneben.
Bevor der Senat zur Tat schritt, kam wie gewohnt die
Bundesanwaltschaft (BAW) mit sachdienlichen Hinweisen zum Zuge.
Der Antrag der Verteidigung von Harald G. vom letzten Verhandlungstag
auf Ladung von BKA-Beamten, die bestätigen würden, dass die BAW
zeitnah über die Ermittlungsergebnissen zu der angeblichen konspirativen
Wohnung in der Kreuzberger Oranienstraße unterrichtet worden sei,
sei zurück zuweisen. (vgl. 144.Prozesstag) Bei dem Antrag handele
es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Nachzugehen die
Aufklärungspflicht nicht gebiete. Neben dieser Standardformulierung
beschied die BAW dem Antrag zudem, er sei aus der Luft gegriffen,
bloße Mutmaßung und ohne tatsächlichen Anhaltspunkt. Kein Wunder:
Waren den übrigen Prozessbeteiligten doch diese Ermittlungen erst
im März 2003 bekannt gemacht worden. An einem erneuter Nachweis
der massiven Aktenmanipulation kann der BAW wahrlich nicht gelegen
sein, also galt das Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.
Auch die Gegendarstellung zu einem Gerichtsbeschluss
vom 4. September und dem damit verbundenen Antrag der Anwältinnen
von Harald G. auf Ladung der Verfassungsschützer, die zwischen April
und September 2000 Gespräche mit Tarek Mousli geführt haben, fand
keine Gnade in den Augen der Bundesanwälte Bruns und Wallenta. Die
Verteidigung hatte erneut das Gericht aufgefordert, nach der Entscheidung
des Verwaltungsgerichts (VG) Berlins (vgl. Extra-Meldung vom 18.8.2003)
die Protokolle dieser Gespräche anzufordern. Zusammen mit den zu
ladenden VS-Zeugen sollte damit nachgewiesen werden, wie der Kronzeuge
mit Informationen gefüttert wurde, die er dann bei Vernehmungen
durch das BKA bereitwillig wiederkäute. Das Urteil der BAW: "Die
unter Beweis gestellten Tatsachen sind für die Schuld- und Straffrage
ohne Bedeutung." Ob Mousli "Erinnerungshilfen" erhalten habe, sei
"für dieses Verfahren" nicht von Belang.
So kundig gemacht, schritt der Senat zur Verkündigung
seiner Beschlüsse. Anlass, seinen Beschluss vom 4. September zu
korrigieren, sah das Gericht nicht, da das VG-Urteil nicht rechtskräftig
sei. Das Verwaltungsgericht hatte im August die so genannte Sperrerklärung
des Bundesinnenministeriums (BMI) für rechtswidrig erklärt, durch
die weite Teile der Gesprächsprotokolle lediglich geschwärzt herausgegeben
worden waren. Das BMI hat bislang keine Rechtsmittel gegen diese
Entscheidung eingelegt, was zwar nicht so recht zur Begründung des
Senats passt, aber ihn nicht weiter stört. Die VS-Männer erklärte
das Gericht kurzer Hand zu unerreichbaren Zeugen; dass deren Namen
genannte werden würde, sei nicht zu erwarten. Außerdem sei die Aufklärung
der Frage, ob der Kronzeuge präpariert worden sei, "aus tatsächlichen
Gründen ohne Bedeutung", denn - so die Mannen um Frau Hennig – entspricht
es der allgemeinen Erfahrung, dass Erinnerungen wiederkehren.
Dass Mousli sich in seinem Prozess im Dezember 2001
darauf festgelegt habe, dass eine konspirative Wohnung der RZ von
Wolfgang B. in der Oranienstraße 7 oder 9 zur Verfügung gestellt
worden sei, so der Senat, sei "eine aufs gerade wohl ins Blaue gestellte
Behauptung" , deshalb: Antrag abgelehnt. Und von Aktenmanipulation
bzw. -zurückhaltung könne keine Rede sein, denn "maßgeblich ist
allein, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungsergebnisse dem
Gericht vorgelegt hat". Was macht da schon eine "Verzögerung" von
zwei Jahren.
Doch die Verteidigung lässt sich nicht entmutigen.
Die Anwältinnen von Harald G. legten gleich mit zwei weiteren Beweisanträgen
nach. In dem einen wurde beantragt, die Ermittlungsakten zum so
genannten Koordinierungsausschuss
bei zuziehen. Laut Mousli soll dieser Ausschuss seinen Sitz im Mehringhof
gehabt haben und sei zuständig gewesen für die Verteilung von Geldern
an aktive und untergetauchte Mitglieder der Revolutionären Zellen.
Diese Aussage fand Eingang in den Haftbefehl für Axel H. und in
den Beschluss zur Durchsuchung des Mehringhof im Dezember 1999.
Später wurde Mousli vom VS der Tipp gegeben, sich vielleicht nicht
so sehr auf das Alternativzentrum in Kreuzberg, sondern besser auf
eine WG in der Skalitzer Straße im selben Bezirk zu kaprizieren.
Eingang in das Verfahren hat dieser Umstand bislang nicht gefunden;
da die Ermittlungen andauerten, wurden entsprechende Akten nicht
überreicht. In den Augen der Verteidigung ein weiterer Beweis, dass
"mit Kalkül die Angeklagten entlastende Ermittlungen in Strukturakten
abgelegt" wurden.
Der zweite
Antrag handelte mal wieder von dem Sprengstoff, der in Mouslis
Keller eine Woche gelagert gewesen sein soll, bevor er von zwei
Kleinkriminellen 1995 geklaut wurde. (vgl. 59. Prozesstag) 1998
wurden durch entsprechende Wischproben aus dem Keller Rückstände
von gewerblichen Sprengstoff nachgewiesen. Ob hier alles mit rechten
Dingen zu ging, will die Verteidigung in Erfahrung bringen, zumal
es in den Jahren 1995 und 1996 zu Überschwemmungen durch Rohrbruch
in den Keller gekommen ist. Nach der Überschwemmung des Kellers
dürften, so die Verteidigung, allerdings schwerlich im Jahr 1998
aus einer einwöchigen Lagerung im Jahr 1995 Rückstände nachweisbar
gewesen sein.
An dieser Stelle wurde die Hauptverhandlung unterbrochen.
Ein Blick auf Uhr verriet, es war 10.29 Uhr. Weiter gehen sollte
es um 15 Uhr. Der Senat hoffte, dass die BAW dann ihre Stellungnahmen
zu den beiden Anträgen abgegeben könnte. Diese hatte aber schon
mal vorsorglich angedeutet, bei ihr könne es länger dauern, werde
ihr doch zum wiederholten Male doppelte und dreifache Aktenführung
vorgeworfen und deshalb müsse man erst mal in die Akten schauen.
Aber das Gericht wollte nicht hören, sondern sich die Freude machen,
die Angeklagten ein bisschen zu schikanieren. Also ging es um 15
Uhr weiter. Der Senat erklärte sich flugs für sachkundig genug,
um die Frage beurteilen zu können, ob nach drei Jahren, zwei Überschwemmung
und bei einwöchiger Lagerung von Sprengstoff in einer Tasche, die
auf Kisten abgelegt war, Bestandteile von gewerblichem Sprengstoff
auf dem Kellerboden nachgewiesen werden kann. Bei dem zweiten Antrag
wurde des Senat von der BAW allerdings im Stich gelassen. Sie hatte
die entsprechende Fundstelle in den Akten auch nicht herausbekommen.
Also erfolgte um 15.14 Uhr eine erneute Unterbrechung der Hauptverhandlung.
Erst gegen 16.30 Uhr sah sich der Senat gemüßigt, der Sache ein
Ende zu setzen. Nachdem die BAW zugesichert hatte, sie könne die
Akten bis morgen um 11 Uhr beschaffen, vertagte sich das Gericht.
Es war 16.32 Uhr. Verhandlungsdauer brutto: sieben Stunden, netto:
56 Minuten. Und da sage noch einer, dieses Gericht lege sich nicht
ins Zeug.
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