Die
Bewegung gegen die Startbahn West - August 1983
Die Folgen
des Startbahnbaus sind für die ohnehin arg gebeutelte Rhein-
Main- Region vor allem in ökologischer Hinsicht verheerend.
Der größte und letzte zusammenhängende Wald im Ballungsraum
Rhein- Main (mit 500.000 Menschen im 15km- Radius) wird als unersetzbare
Naherholungsmöglichkeit kaputtgemacht (einerseits durch die
Zerschneidung, andererseits durch den Lärm). Vor allem für
die unmittelbaren Anliegergemeinden wird die ohnehin vorhandene
Lärmbelästigung erheblich zunehmen. Der BI- Spezialist
Hajo Lebuser berechnete eine Zunahme von 30% für den gesamten
südlichen Flughafenraum, für Mörfelden- Walldorf
eine Verdrei- bis Vervierfachung des Lärms (4 mal mehr Vorbeiflüge).
Eine geschlosse, großflächige Waldfläche beeinflußt
die Bodenverhältnisse, den Wasserhaushalt, das regionale Klima
und die Luftqualität. Sie ist Lebensraum für Pflanzen
und Tiere.
Die
Zerstörung dieses Waldgebietes wird eine Verschlechterung sowohl
des regionalen Klimas als auch der Luftqualität, was vor allem
für Frankfurt bedeutsam ist, nach sich ziehen. Durch den Bau
der Startbahn sinkt der Grundwasserspiegel von ehemals 0,4 m auf
geschätzt durchschnittlich 1,5 m. Ein für die Rhein- Main-
Region wichtiges Grundwassersammelgebiet wird damit weitgehend verkleinert
bzw. zerstört.
Das hat vor allem eine verstärkte Belastung der Trinkwassergewinnungsgebiete
Vogelsberg (der schon Versteppungsanzeichen aufweist) und Ried (wo
1976 der Grundwasserspeigel auf 9 m abgesenkt wurde und dessen Sanierung
etwa 200 Mio. DM kosten wird) zur Folge. Als zusätzliche Trinkwasserreservoire
sollen die Ernstbachtalsperre im Taunus und die Haferlohrtalsperre
im Spessart in den Boden gestampft werden. Die bereits begonnene
Kinzigtalsperre bei Steinau kann dagegen nicht mehr weitergebaut
werden, weil die Bergflanke in die Kinzig rutscht und bleibt nun
als Investitionsruine stehen.
Ganz davon abgesehen ist das Gebiet durch die Ausdehnung des Flughafens
einer wachsenden Grundwasserverseuchung ausgesetzt.
Die Zerschneidung des Mönchbruchwalds entzieht zahllosen und
seltenden Pflanzen- und Tierarten die Lebensgrundlage. Schlimm ist
das nicht nur aus ästhetischen und "naturschützerischen"
Gründen, sondern weil Pflanzen und Tiere als Bioindikatoren
auch die Lebensbedingungen der Menschen anzeigen.
"So wollen sie uns von den Massen abspalten.
Geht nicht, die sind wir selber.
So wollen sie uns zu Verbrechern stempeln.
Stimmt auch, dann brechen wir durch.
So wollen sie uns dem Gesindel gleichstellen.
Gesindel hält den Kopf unters Knie. Wir nie."
(Christian Geissler "Wird Zeit, daß wir leben")
[20]
Unseren praktischen und schriftlichen Beiträgen lagen grob
umrissen folgende Zielsetzungen zugrunde:
- In Bezug auf das Projekt Startbahn leitete sich unsere Perspektive
aus den bereits analysierten Sachverhalten ab: auf der einen Seite
ein Projekt, das als "im Prinzip nicht aufgebbar" benannt
wurde. Auf der anderen, der Bewegungsseite, zwar ein für
die Verhältnisse in diesem Land ungemein starkes örtliches
Widerstandspotential wie ein starker reformistischer Block, aber
kein autonomer Zusammenhang, der als Träger einer radikalen
Massenlinie in Frage kam. Von daher lag für uns das perspektivische
Schwergewicht zunächst auf der BEhinderung und nicht VERhinderung
des Startbahnbaus. Dies jedoch unter dem langfristigen Aspekt,
daß eine Behinderung bei einem gewissen qualitativen und
quantitativen Stand und einer auf Jahre angelegten Kontinuität
selbst nach Vollendung des Baus noch in eine Verhinderung umschlagen
kann.
- Im Hinblick auf die Bewegung die Vermassung von Sabotage, aktiven
und militanten Aktionsformen mit durchsetzen und darüber
eine möglichst breit und langfristig angelegte Kontinuität
aufbauen und sichern helfen, damit sich
- auf der Basis eines breiten kontinuierlichen Widerstands die
Widerstandsperspektive über die Startbahn hinaus entwickelt
und erweitert. Mit dem Nahziel: Kippen des aktuellen hessischen
Atomprogramms (v.a. WAA); und langfristig: entlang den strategischen
Linien der kapitalistischen Restrukturierung Entwicklung einer
starken sozialrevolutionären und antiimperialistischen Bewegung.
Mit der Zuspitzung des politischen Klimas im Startbahnkonflikt
Mitte Oktober 81 haben wir versucht, durch eine relativ kontinuierliche
"Propaganda der Tat" die Verbreiterung militanter Kampfformen
in Gang zu setzen bzw. überhaupt zu thematisieren. Das ist
theoretisch und mit verbalen Appellen allein unmöglich und
zwar in jeder Hinsicht.
Daß wir uns bei den Angriffen schwerpunktmäßig
auf die beteiligten Baufirmen konzentrierten, hatte verschiedene
Gründe: Sie sind das schwächste Glied in der Betreiberkette,
überall präsent und deshalb massenhaft und auf vielfältige
Weise, auch mit relativ einfachen Mitteln, angreifbar. Darüberhinaus
war ihre Mitwirkung am Startbahnbau insofern für die Be(Ver-
)hinderungsperpektive von Bedeutung, als die Baufirmen diejenigen
sind, die das Projekt faktisch realisieren und der Grad der Angriffe
auf sie letztlich entscheidend sein kann. Die Zerstörung von
Baumaschinen und Baggern im November sollte praktisch die konkrete
Zielrichtung für eine mögliche breite und militante Tendenz
des Widerstands angeben.
Aufgrund der verbreiteten Schwierigkeiten, das angedeutete Konzept
massenhaft umzusetzen, versuchten wir danach ein Mittel zu finden,
das die technischen Voraussetzungen dafür auf ein Minimum reduziert.
Das wurde dann auch mit dem Räucherstäbchen als einfachem
und preiswertem Zeitverzögerer und Zünder in einem gefunden
und im Rahmen eines erneuten und letzten Versuchs, Beispiele für
breit mögliche Sabotage zu geben, verbreitet.
Als
Objekte wählten wir Fahrzeuge und Baumaschinen von Bilfinger
& Berger, die bei der Untertunnelung der Okriftler Straße
federführend waren, aus. Im Gegensatz zu den vorher attackierten
Züblin und Bratengeier, die sich weitgehend verpißt hatten
und zudem an den wenigen Orten ihrer Präsenz von Bullen überwacht
wurden, waren Bilfinger &Berger zu dieser Zeit in der Region
massiv präsent.
Kurz darauf im Februar 82, als die Bewegung faktisch vor dem Nichts
stand, wurde das Konstruktionsbüro dieser Firma in Wiesbaden
sowie das Schulungszentrum der ebenfalls an der Untertunnelung beteiligten
Philipp Holzmann in Neu- Isenburg von uns demoliert.
Das Mittel (Räucherstäbchen) und die Ziele (insbesondere
Bilfinger & Berger) fanden in den folgenden Monaten eine relativ
große Resonanz, was sich in einer Häufung von derartigen
Anschlägen, die meistens leider kaum publik wurden, niederschlug.
Wir sind damals davon ausgegangen, daß es angesichts des geringen
Alters der Bewegung und der Schwäche der radikalen Linken einige
Zeit dauern würde, bis sich der praktische Ausdruck sich organisierender
Gruppen abzeichnet. Die eigene Erfahrung hat uns gelehrt, wie langwierig
und schwierig der diskussions- und entscheidungsreiche Prozeß
ist, bis Bewußtsein in praktisches Handeln umschlägt.
Was die Widerstandsformen vor Ort, deren Intensität und Stabilität
angeht, so denken wir, daß die verschiedenartigen Angriffe
auf Betreiber und Verantwortliche (die natürlich noch viel
ausgeprägter hätten sein müssen) ein gewisses Maß
an Stärke vermittelten; damit trotz aller Niederlagen und Schwächen
die Kontinuität des Massenwiderstands unterstützen halfen,
indem der sich ausbreitenden Ohnmacht Zeichen von Handlungsfähigkeit
entgegengesetzt wurden. Die frühzeitige praktische Thematisierung
von militantem Widerstand ermöglichte die Auseinandersetzung
mit offensiven Kampfformen. Angesichts der unterschiedlichen Zusammensetzung
der Bewegung und ihrem zunächst weitgehend legalistischen und
passiven Charakter war das sicher für die weitere Entwicklung
ein wesentlicher Aspekt. Daß sich Ansätze von Eigenverantwortlichkeit
und Selbstorganisation als Gegenstück zur "offiziellen"
Bewegung entwickelten und der praktische Widerstand nicht delegiert
wurde, hatte sicher viel mit Form, Inhalt und Umfang unserer Aktionen
zu tun. Aus dem gleichen Grund hatten wir das Baugelände als
"Ort der Handlung" auch bewußt für uns ausgeklammert.
Die Einbindung unserer Aktionen in die Bewegung haben es sowohl
für die BI- Spitze, als auch für die Bullen schwer gemacht,
einen Keil dazwischen zu treiben. Bereits Ende November 81 scheiterte
ein Versuch der BI- Führung, die militante Tendenz - an den
Zellen namentlich festgemacht - per VV- Beschluß aus der Bewegung
auszugrenzen.
Sie hat, über eine breite Akzeptanz organisierter Militanz
hinaus, bewirkt, daß die Zellen als Teil der Bewegung betrachtet
werden. Dies gerade auch bei den sog. Bürgern, deren Kampfformen
sich nach wie vor auch in Zukunft von den unsrigen unterscheiden
werden. Ähnlich wie draußen im Wald praktiziert, herrscht
hier eine Vorstellung von unterschiedlichen Zuständigkeiten
(so eine Art Arbeitsteilung) aber ähnlichen Zielen (startbahnbezogen).
Neben den konkreten Aktionen haben wir versucht, durch die Erklärungen
in die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen. Inhaltliche
Zielrichtung war die Entwicklung kollektiver Lernprozesse, die Selbstbestimmung
politischer Inhalte und Vorgehensweisen ermöglichen.
Daß diese Absicht sich vollkommen unzulänglich realisierte,
hat verschiedene Gründe:
Unsererseits haperte es durch viel zu ungenaue Diskussionen. Die
Einschätzungen waren oft viel zu spontan und von daher nicht
geeignet, Hintergrund und Perspektive auf einen eindeutigen und
umfassenden Begriff zu bringen. Das war Ausdruck davon, daß
wir bereits im "Vorfeld" des Konfliktes nicht sorgfältig
genug diskutiert hatten, auch und gerade in Bezug auf unser unterschiedliches
Selbstverständnis. Dieser Fehler kam - wie meistens der Fall
- erst im Konflikt selbst zum Tragen und war dort nur schwerlich
zu revidieren (Streß, Emotionalität usw.) Hinzu kam,
daß die Notwendigkeit, bestimmte Prozesse zu thematisieren,
von der autonomen Szene kaum erkannt bzw. begriffen wurde. Von daher
gab es dann auch wenig inhaltliche Rückkoppelung.
In diesem Zusammenhang erscheint es uns wichtig, das Verhältnis
von - wohlgemerkt einem - Teil der Linksradikalen in der Region
zu selbstbestimmten Organisationsstrukturen und eben auch zu uns,
kurz anzureißen. Der Hinnahme bzw. Anerkennung unserer Aktionen
stand eine weitgehende Ablehnung der Zellen selbst und den von uns
angeregten Auseinandersetzungen gegenüber.
Die beiden ersten Aktionen (Bratengeier und Züblin) wurden
so lange mit Wohlwollen betrachtet, wie die gemeinten Leute glauben
konnten, sie seien Folge eines von ihnen einige Tage zuvor (!) herausgegebenen
Flugblatts, in dem zu Sabotageaktionen aufgefordert wurde. Nachdem
klar war, wer die Akteure waren, schlug dieses in Ablehnung um,
die hauptsächlich an der zugehörigen Erklärung festgemacht
wurde.
In dem November 81 für lange Zeit letztmalig erschienenen
autonomen Blatt "Vollautonom" [21]
wurden die bis dahin stattgefundenen Anschläge einfach totgeschwiegen.
Diese beiden Beispiele symbolisieren beispielhaft den Charakter
des politischen Selbstverständnisses und der Auseinandersetzungsfähigkeit
und - bereitschaft.
Die Auseinandersetzung mit von uns angedeuteten praktischen Akzenten
und in Erklärungen formulierten Inhalten wurde - mit Ausnahme
eines Wiesbadener Papiers vom Frühjahr 82 - nie geführt
oder gesucht, sondern kategorisch vom Tisch gewischt. Die Ablehnung
von Politik und Praxis der Zellen sowie der Weigerung, sich damit
auseinanderzusetzen, liegen nach unserer Einschätzung verschiedene
Momente zugrunde:
Sowohl unsere Praxis als auch unsere vertretenen Inhalte werden
zumindest indirekt als Angriff auf die eigene Position bzw. Funktion
und die gestellten Forderungen nach konsequentem politischen Verhalten
nicht als gemeinsames Ziel begriffen. Innerhalb des verbreiteten
Selbstverständnisses, das politische Aktivitäten an einen
gewissen Grad von Führungsanspruch koppelt, sind die Zellen
wohl auch als Konkurrenz betrachtet worden. Vielleicht gerade deshalb,
weil Aktionsziele wie formen keine Distanz zur Bewegung erkennen
ließen und ein politischer Avantgardeanspruch nicht erhoben
wurde.
Wichtig für die Anerkennung und damit den Einfluß innerhalb
des offiziellen BI- Apparates:
Um dort als "Vertreter" der militanten Tendenz akzeptiert
zu werden, muß den BI- Strategen glaubhaft gemacht werden,
daß der entsprechende Einfluß auf diesem Flügel
vorhanden ist. Die Zellen standen dabei symbolisch für die
unkontrollierbare Eigendynamik der Träger des militanten Widerstands.
Mit Bedauern haben wir festgestellt, daß die Ablehnung dieses
Teils sich mit der Ernennung der Zellen zum Hitlistenführer
des Staatsschutzes zunehmend in Sympathie wandelte. Wobei der Staatsschutz
mit dieser "Beförderung" ja explizit im Sinn hat,
uns zur über allen schwebenden bzw. thronenden Avantgarde hoch-
und damit eine künstliche Trennung herbeizustilisieren. Das
ähnelt sehr dem gängigen Wählerverhalten, tendenziell
immer die Partei zu wählen, die gerade Oberwasser hat. Schade.
Was das Ziel der Behinderung des Projekts Startbahn betrifft, ist
der grundlegende Punkt, der für unsere Praxis folgenreich war
und damit vorerst Selbstkritik nötig macht, daß unseren
Aktionen kein vorher erarbeitetes, permanent überprüftes
und klar umrissenes Konzept zugrunde lag. Die Strategie war intuitiv
und situationsbedingt und weniger konzeptionell, Ungenauigkeiten
und Fehler damit vorprogrammiert. Hierzu kam, daß wir - allen
früheren Erfahrungen zum Trotz - zu lange darauf vertrauten,
die für eine zielstrebige Praxis unerläßlichen Infos
von außen zu bekommen. Statt dessen wäre es uns möglich
gewesen, auch mit Hilfe allgemein zugänglicher technischer
Infos die genaue Bedeutung und Funktion der beteiligten Firmen und
damit die Sabotagemöglichkeiten und - richtung klarer zu kriegen.
Das fehlende Konzept hatte zur Folge, daß durch die primäre
Ausrichtung der Aktionen auf Vermassung und Kontinuität des
Widerstandes in Verbindung mit den heftigen "Tiefs" der
Bewegung zunehmend eine praktisch- inhaltliche Präzisierung
der "Behinderung" aus den Augen verloren wurde. Wir haben
versäumt, zur Diskussion zu stellen, daß Behinderung
auch immer die Tendenz zur Verhinderung konkret anvisieren muß.
Die Angriffsziele wurden Anfang 82 ausgeweitet (Bilfinger &
Berger, Holzmann), ohne - und da setzt die Kritik an - daß
vorher problematisiert wurde, was diese Ausweitung bedeutet.
Es wurde nicht thematisiert, ob durch die Ausweitung auf alle beteiligten
Firmen - gerade angesichts der eigenen beschränkten Kräfte
- die Bedrohung für die Angegriffenen nicht allzu sehr relativiert
wird. So hatten die zwei Aktionen in der Anfangsphase gegen die
"Kleinen" im Bunde, Bratengeier und Züblin, ja erhebliche
Wirkung gezeigt. Aufgrund der mangelnden Recherchen, gerade im Hinblick
auf ihre - insbesondere Bratengeiers - Funktion für die Betonierung
der Rollbahn, war uns damals allerdings auch nicht klar genug, wie
ihr teilweiser Rückzug einzuordnen war.
Für
die Perspektive einer massenhaften Sabotage kam - wie sich gezeigt
hat - eine regionale Beschränkung auf die beiden nicht in Frage.
Dazu wäre es aber kein Widerspruch gewesen, wenn wir uns auf
sie beschränkt hätten und darüberhinaus z.B. propagiert
hätten, speziell Bratengeier auch überregional anzugreifen.
Daß diese Chance vertan wurde, bedeutete nicht nur die Vereitelung
wichtiger und neuer Erfahrungen, sondern hatte auch praktische Konsequenzen
bei Beginn der Betonierarbeiten Ende August 82. Aufgrund der diesbezüglich
mittlerweile entstandenen "Nicht- Kontinuität" war
für uns die Situation nun von vorneherein die, daß für
eine wirkungsvolle Intervention nur noch - im Vergleich zu den früheren
- qualitativ andere Aktionen mit zudem hohem persönlichen Risiko
in Frage kamen. Hinzu kam, daß wir wie alle anderen auch den
offiziellen Informationen aufsaßen, die besagten, daß
vorerst nur das nördliche Drittel (auf dem alten Flughafengelände)
bis zur Okrifter Straße betoniert werde und im Frühjahr
83 erst im Süden auf der gerodeten Fläche begonnen werde.
Wir glaubten damit, noch genügend Zeit zu haben, was u.a. auch
ein Grund dafür war, daß wir uns bezüglich der halbherzig
und unglücklich verlaufenden Blockadediskussion in der Szene
zurückhielten.
Als dann nur von den Grünen inszenierte, symbolische Wahlkampfblockaden,
seitens der Bewegung aber kaum was lief (was auch noch einer Klärung
bedürfte), nutzte die FAG nach einigen Wochen die "Gunst
der Stunde" und ließ parallel auch im Süden betonieren.
Das versetzte uns wiederum in einen unerwarteten Zeitdruck - verbunden
mit der Situation, die wir seit jeher zu vermeiden gesucht hatten,
daß Aktionen unsererseits den Charakter von reinen, weil nicht
mehr praktisch vorantreibenden und mobilisierenden "Ersatzhandlungen"
bekommen. Das war der für uns - z.Z. heftig umstrittene - Grund,
die geplanten Aktionen abzublasen.
Wenn wir uns als Nahziel - eines an der Startbahn entwickelten,
aber perspektivisch erweiteren Widerstands - das Kippen des aktuellen
hessischen Atomprogramms benannten, so lag dem die Einschätzung
zugrunde,
- daß der sowohl hinsichtlich der Mobilisierung wie der
Formen des Widerstands erhebliche Auswirkungen auf den Widerstand
an den geplanten WAA- Standorten haben wird,
- daß, solange der Widerstand gegen die Startbahn Bestand
hat, eine zweite Front für die Landesregierung auf die Dauer
nur schwerlich durchzusetzen ist.
Ein Bewußtsein dieser Dimension des Widerstands war in der
Bewegung sehr früh und breit vorhanden.
Auch die Landesregierung hatte, als die Inangriffnahme von Baulos
1 in die Vorbereitungsphase kam, den alten Standortvorschlag der
DWK (Wethen) als "ungeeignet" zurückgewiesen. Die
neuen Mitte November 81 von der Landesregierung vorgelegten Standortvorschläge
(Merenberg und Frankenberg) wurden auf Drängen der SPD von
der DWK vorläufig wegen des Startbahnkonflikts wieder zurückgezogen.
Da sie mittlerweile aber bereits in der Öffentlichkeit durchgesickert
waren und in den betroffenen Regionen erhebliche Unruhe auslösten,
mußten sie Anfang Dezember notgedrungen auch offiziell bekanntgegeben
werden. In der Folgezeit gab es in Wiesbaden Putz zwischen SPD und
FDP bezüglich des weiteren Vorgehens, insbesondere wegen Biblis
C. Folge davon war am 10.12.81 der große Krisenrat in Bonn,
auf dem die hessischen und Bonner Koalitionsspitzen vereinbarten,
das weniger dringliche Biblis C zugunsten der WAA vorerst zurückzustellen.
Wegen der großen Mobilisierung rund um die Standorte - mit
eine Folge des Initials Startbahn - versuchte die Landesregierung
mit allerlei Tricks Zeit zu gewinnen.
Die näherrückende Landtagswahl vor Augen, legte sich
das Kabinett Ende Juli auf einen Standort fest: Frankenberg- Wangershausen.
Dessen Vorzüge lagen einmal in der großen räumlichen
Distanz zur Startbahn- Region und andererseits in der Tatsache,
daß das benötigte Gelände bereits dem Land Hessen
gehörte.
Der dortigen Bevölkerung sollte das Projekt vorerst mit einem
- aus wahltaktischen Überlegungen wie Gründen des Zeitgewinns
geborenem - "Bürgerbeteiligungsverfahren" schmackhaft
gemacht werden.
Daß dann doch alles ganz anders kam, lag am Bonner Regierungswechsel
im Oktober. Der entband Börner von der leidigen Verpflichtung,
der Schmidt- Regierung den Rücken für's BRD- Atomprogramm
freizuhalten. Er schwenkte nunmehr auf Ablehnungskurs um und die
DWK entschied sich in der Folge für Standorte in Bayern (Schwandorf)
und Niedersachsen (Dragahn).
Die
Karry- Aktion ist in der Linken auf - eher verhaltene - Kritik gestoßen.
Intern hat sie heftige Auseinandersetzungen ausgelöst. Beides
nicht verwunderlich. Im folgenden sollen die wesentlichen Kritikpunkte
und Fragestellungen zusammengefaßt werden:
Zunächst zum Ziel der Aktion. In der - viel zu spät herausgegebenen
- Erklärung wurde es damit umschrieben, Karry "für
längere Zeit daran zu hindern, seine widerlichen und zerstörerischen
Projekte weiterzuverfolgen".
Diese vage Formulierung deutet die Unsicherheit über die Auswirkungen,
die eine solche Aktion - im geplanten Ausmaß! - auf Tun und
Handeln von Typen vom Format eines Karry haben, bereits an. Die
politische Intention im Sinn einer Warnung vorausgesetzt, ist in
Zweifel zu ziehen, ob sich jemand wie Karry, der in so hohem Maß
die Personifizierung seiner Funktion betreibt, sich über den
Rahmen der eingenommenen Ämter hinaus mit seinem persönlichen
Einfluß, seinem Anteil an der Macht identifiziert, von Schüssen
in die Beine zum Rückzug bewegen läßt.
Karry gehörte zu dem selten gewordenen Typus von Politikern,
deren Selbstverständnis sich nicht auf Karriere und Aufstieg
begrenzt. Vielmehr wird es als eine Art "persönliche Berufung"
begriffen, die ökonomischen und politischen Linien zu bestimmen.
Sein politisches Territorium endete folglich nicht an der hessischen
Landesgrenze, wie es seien Ministerfunktion vielleicht erwarten
ließe.
Auf ökonomischer Ebene forcierte er weitsichtig die wirtschaftlichen
Beziehungen zu China und Osteuropa, sondierte neue Märkte und
ebnete die politischen Bahnen und Voraussetzungen für ihre
Erschließung.
Mit unterschiedlicher Publizität arbeitete er am kapitalistischen
Restrukturierungsprogramm. Mehr im Stillen etwa als Mitglied des
Verwaltungsrats der Post, deren neue nachrichtentechnische Projekte
wie Bigfon und als dessen Bestandteil die Verkabelung der Republik
für die kapitalistische Reorganisation von strategischer Bedeutung
sind. In der Öffentlichkeit profilierte er sich als dessen
vehementer Verfechter und Propagandist durch Attacken auf Arbeitslose
und fehlende Arbeitsmoral, kranke Arbeiter und krankschreibende
Ärzte, zwecks deren Disziplinierung er Kontakte zwischen Krankenkassen
und ärztlichen Standesorganisationen betrieb.
In seiner Funktion als Bundesschatzmeister der FDP machte er seine
Beziehungen u.a. im Zusammenhang mit illegalen Waffenverschiebungen
in Krisenregionen geltend, was entsprechend - vermutlich nicht nur
bezüglich der Parteikasse - honoriert wurde. Zu diesen internationalen
Beziehungen gehören auch enge Kontakte zum Zionismus, die aber
weitgehend undurchsichtig geblieben sind.
Auf Landesebene profilierte er sich im Rahmen seines Ministeramtes
als politischer Protagonist der ökonomischen und infrastrukturellen
Interessen des Kapitals insbesondere im Wirtschaftszentrum Rhein-
Main. Sein Name stand für die rigorose Durchsetzung der hessischen
Asphalt- und Großprojektepolitik (Autobahnen, Startbahn, WAA,
Biblis C, Borken, Atomzentrum Hanau- Wolfgang), die er innerhalb
der Landesregierung als heimlicher Ministerpräsident mit der
bekannten Trumpfkarte seiner Partei, das "Zünglein an
der Waage" zu sein, entsprechend vorantrieb.
Anhand der angerissenen Zusammenhänge wird einerseits klar,
daß ein Rückzug aus der Landespolitik für ihn keineswegs
der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit dargestellt hätte, was
für die Möglichkeit des benannten Zieles spricht. Andererseits
zeigen sie aber auch auf, daß ein eventueller Rückzug
wohl eher eine schwerpunktmäßige Verlagerung auf nicht
weniger "widerliche und zerstörerische" politische
Tätigkeiten hätte erwarten lassen.
Planung und Ausführung der Aktion waren in einem Zeitraum
angesiedelt, in dem die regionale politische Situation gekennzeichnet
war von einem absoluten Vakuum linksradikaler Politik und einer
nur in Andeutungen existierenden Öko- Bewegung. Der Widerstand
gegen die Startbahn war regional wie überregional gerade im
Wachstum begriffen. Es herrschte (noch) Ruhe im Land.
Hinzu kam, daß auch intern - um es vage zu beschreiben -
die Verhältnisse nicht eben zum Besten standen.
Alles in allem Umstände, die diese berücksichtigende
Aktionen und ein zumindest mittelfristig angelegtes politisches
Konzept verlangten. Warum wurde dann mit dieser Aktion - auch in
der geplanten Form - das genaue Gegenteil vollzogen!
Die Antwort ist in erster Linie in dem politischen und praktischen
Trugschluß zu suchen, daß durch punktuelle, aber deftige
Schläge ein Mangel an Stärke und die Unfähigkeit
zur kontinuierlichen Praxis wenn nicht ersetzt, so doch ausgeglichen
werden könnte. Damit wurde auch das Prinzip verneint, Aktionsformen
und anforderungen nach den eigenen Fähigkeiten und realen Möglichkeiten,
der eigenen Substanz zu bestimmen.
Daß die Gruppe, die diese Aktion ausführte, mit ihr
politisch und praktisch vollkommen überfordert war, wurde sowohl
in der Ausführung selbst, als auch in der Auf- und Verarbeitung
ihres unglücklichen Ausgangs, des Bruchs zwischen Planung und
Erfolg, deutlich.
Der der Aktion beigemessenen Stellenwert produzierte eine Blindheit
gegenüber wesentlichen Prinzipien:
Neben dem ZIEL einer Aktion unterliegen auch ORT und MITTEL politischen
Kriterien.
Der Ort der Ausführung hält diesen Kriterien nicht stand.
Die Umstände sind vielmehr ein Verstoß gegen die Grundsätze
revolutionärer Moral.
Die Tatsache, daß Karry im Bett erschossen wurde, ermöglichte
bzw. provozierte Spekulationen über Zielsetzungen, Motive und
Urheber. Daß diese Spekulationen durch die zionistischen Verwicklungen
Karrys und die zeitliche Nähe zum Anschlag auf den österreichischen
Minister Knittel zusätzliche Nahrung fanden, ist dabei von
nebensächlicher Bedeutung. Sollte es aus verschiedenen Gründen
(Bedingungen der Gruppe, Lebensumstände von Karry ...) tatsächlich
keine andere Angriffsmöglichkeit gegeben haben, so hätte
die Aktion zu diesen Konditionen nicht durchgeführt werden
dürfen.
In der später abgegebenen Erklärung äußerte
sich die Überforderung in einer vorgeblichen Selbstkritik,
die eben keine war. Sie reduzierte sich schwerpunktmäßig
wie auch völlig unzulänglich auf eine "technische"
Ebene der Auseinandersetzung. Schlimmer noch: die eigene Irritation
über das, was real bei der Aktion rauskam, wurde geleugnet
und darüberhinaus selbst die grundlegenden Unterschiede zwischen
geplantem und eingetretenem Ausgang kurzerhand mit verbaler Kaltschnäuzigkeit
vom Tisch gewischt.
Der Trugschluß, die organisatorischen und politischen Unzulänglichkeiten
der Bewegung wie des eigenen Selbstverständnisses durch Entschlossenheit
ersetzen zu können, charakterisiert sich sowohl durch eine
verhängnisvolle Tendenz zum Militarismus als auch durch ein
zwar begründetes, in dieser Form aber praktisch und inhaltlich
falsches Endzeitbewußtsein. Dafür stehen in der Erklärung
vorhandene Passagen wie: nicht mehr viel Zeit zu haben ("...
dann muß schleunigst mit dieser Untertanenlogik gebrochen
werden ..."), die letztlich in "existentialistischen"
Appellen münden ("Gebrochenes Rückrat oder aufrechter
Gang - das war seit jeher DIE Entscheidung").
Gerade diese Appelle weisen auf die wesentliche politische Absicht
der Aktion hin: sowohl nach außen wie nach innen Fanale zu
setzen.
Nach außen in der Erwartung, über einen persönlichen
Angriff auf die regionale Symbolfigur von Umweltzerstörung
und menschenfeindlicher Großtechnologie für den Kampf
gegen die anstehenden Großprojekte zu mobilisieren.
Zweifelsohne war die geplante Angriffsform der Person Karrys angemessen.
Gleichermaßen war er ein geeigentes Angriffsziel, da er für
große Bevölkerungsgruppen ein ausgeprägtes Feindbild
verkörperte. Ausdruck davon war u.a., daß seine öffentlichen
Wahlkampfauftritte, die sich weitgehend auf Industriellenclubs beschränkten,
im umgekehrten Verhältnis zu seiner Bedeutung in der Landespolitik
und v.a. in seiner Landespartei standen.
Dabei muß aber festgehalten werden, daß Aktionsziel
und - form dem damaligen Stand der Bewegung meilenweit voraus waren.
Dieses Auseinanderklaffen begründet nicht unbedingt die Ablehnung
der Aktion zu diesem Zeitpunkt. Sie hätte jedoch dann einer
eingehenden und stichhaltigen politischen Begründung bedurft,
die darüber Auskunft hätte geben müssen, warum ein
derartiger Vorgriff für notwendig gehalten und vollzogen wird.
Zudem hätte diese Begründung eine weitergehende politische
Konzeption, wenn auch nur in groben Zügen, beinhalten müssen.
Auch der heftigste Appell bleibt eben nur ein Appell und entbindet
nicht von der Notwendigkeit praktischer und politischer Kontinuität,
in der allein sich die wie auch immer gearteten Inhalte realisieren.
Ähnliches gilt für das Fanal nach innen. Soweit überhaupt,
können solche Appelle nur beschränkt klärende Prozesse
und notwendige Auseinandersetzungen provozieren und schon gar nicht
politische und praktische Konzepte ersetzen. Ganz abgesehen davon,
inwieweit eine solche Funktion von Aktionen akzeptabel ist.
Letzthin haben auch die politischen und praktischen Fehler im Zusammenhang
mit dieser Aktion generell aufgezeigt, daß mit der Beschreibung
dieser Aktionsstufe die Grenzen des herkömmlichen Zellenprinzips
deutlich überschritten werden. Angriffsformen dieser Kategorie
stellen Anforderungen an die Beteiligten, die im kleinen Rahmen
der abgeschottenen Gruppenautonomie aus organisatorischen wie politischen
Gründen nicht zu erfüllen sind.
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