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Früchte des Zorns

TitelbildDie Bewegung gegen die Startbahn West - August 1983


Wir gehen nicht unter in Niederlagen ...

Startbahn WestDie Bewegung, die sich zwischen dem 2.11. und 6.11. sowohl im Wald wie auf den Straßen und Plätzen der Region - vor allem in Frankfurt in einer nahezu ununterbrochenen 24stündigen Mobilität - artikulierte und präsentierte, war weitgehend spontan, unorganisiert und vielschichtig zusammengesetzt. Der Startbahnkonflikt hatte als "Aufhänger" lange unterdrückte und kanalisierte Gefühle und Energien freigesetzt, die so bunt und vielfältig waren wie die Bewegung. Das machte sie nicht nur unberechenbar und schwer kontrollierbar für die Bullen, sondern auch für jeden Führungsanspruch.

"Während noch Gerichte tagen, die Kirche verhandelt und das Volksbegehren jetzt erst so richtig in Hochform läuft, hat ein plötzlicher und unerwartet harter Angriff der Staatsgewalt dieses Gefüge noch mehr durcheinandergebracht. Der Angriff hat eine massenhafte Mobilisierung bewirkt. Die Eigendynamik der Aktivitäten eilt den BIs weit voraus und ist zum kleinen Teil von ihnen initiiert geschweige denn unter ihrer Kontrolle. War für viele vorher nicht mal klar, was denn aktiv­ und gewaltfrei­ sein sollte, wächst urwüchsig und massenhaft die Bereitschaft, sich zu wehren­. Wehren aus Selbstschutz, sich die Kommandotruppen mit Stockwürfen vom Hals zu halten, Polizei- und Baufahrzeuge unschädlich zu machen. Es herrscht eine Stimmung, die das Demolieren von Banken und Reisebüros immer mehr zur Verlockung macht, weil die Demos sowieso verboten und brachial zusammengeschlagen werden. Polizeiwaffen und Elitesoldaten lassen keinerlei Chance zur Gegenwehr in Form einer Straßenschlacht zu. Das sehen jetzt auch die Alten, die Kommunalpolitiker, die Pfarrer, befragte Gemeindearbeiter von Walldorf, ihr Bürgermeister vor einer Straßensperre und Hausfrauen. Eine Gruppe älterer Frauen aus Walldorf, die nach Diskussion mit einer Gruppe Jugendlicher Scheißebeutel abfüllen: Sie werfen nur, wenn die Kommandos ausbrechen. Wir können ihnen keine besseren Mittel geben, sie müssen sich schützen­ und Sowas ist doch harmlos gegen diese Chaoten­, gemeint sind die Beamten der Polizei. Die Bevölkerung radikalisiert sich zunehmend. Da fällt oft das Wort von in die Luft sprengen­, einige Jungen fangen an und viele überlegen herausragende Punkte des Wahnsinns (Flughafeneinrichtungen und Baumaschinen) zu zerstören, abzufackeln, mit dem Gefühl, wir haben wenig Chancen, aber wir können auch nicht anders, um uns selbst zu behaupten." (Burg, Taz v. 6.11.81)

In der Geschichte der Startbahn- Bewegung sehen wir die erste Novemberhälfte 81 als die Phase an, in der sich entschied, ob die Bewegung eine Stärke entwickelt, die eine Verhinderung der Startbahn in Aussicht stellt, in der Lage ist, zumindest punktuell die Machtfrage zu stellen und die Herrschenden zu einem Zugeständnis zu zwingen.

Um diese Stärke zu gewinnen, hätte die quantitative Ausdehnung dieser Tage in qualitative Stabilität und Kontinuität umschlagen müssen, um ihre Anziehungskraft und ihren Wirkungsgrad zu erhöhen. Das ist nicht geschehn. Im Gegenteil war die Bewegung nie wieder so attraktiv wie zu diesem Zeitpunkt.

Die für den 7.11. (kurzfristig) angesetzte Platzbesetzung macht die Zähmung der im Aufwind befindlichen und "außer Rand und Band" zu geraten drohenden Bewegung für die Erhaltung des Führungsanspruches der BI (bzw. ihres Führungskreises) selbst um den Preis der Demobilisierung notwendig.

Die Bewegung bot wegen ihres unorganisierten Charakters bei entsprechender Regie die idealen Voraussetzungen für die Wiedergewinnung der Kontrolle und politischen Hegemonie. Die Initiative über den Ablauf konnte nur gesichert werden, indem die Demonstration der "nackten Gewaltlosigkeit" als Spitze des nachfolgenden Sturms auf den Platz verkauft und als medienwirksames Spektakel zugleich inszeniert wurde; alles weitere war dann nur noch das Problem einer dramaturgischen Regie, in der BI und Bullen ihren gleichberechtigten Part hatten.

Das gleiche Spiel setzte sich in der darauffolgenden Woche fort, wenn auch mit stark reduzierter Massenmobilisierung und in variierter Form.

Der Führungsanspruch war zwar am 7.11. behauptet worden, gesichert war er, angesichts der heftigen Emotionen und Reaktionen auf die Niederlage aber keineswegs. Der Plenums- Beschluß vom 11.11. war ein eindeutiger und unter den gegebenen Bedingungen - schlagartige Demobilisierung nach dem 7.11., Ausbleiben neuer dezentraler Aktionen und Aktionsformen - politisch einzig richtiger Beschluß, die Manifestationsoffensive auf der sog. politischen Schiene (Volksbegehren) über die Massendemonstration in Wiesbaden am 14. mit einer Wiederbelebung und - aufnahme der praktischen Offensive am 15. zu verbinden.

Diese konnte nur auf dem Bauplatz erfolgen.

Zum einen, weil der Kampf nur dort wieder aufgenommen werden konnte, wo er zuvor sein vorläufiges Ende gefunden hatte; den 7.11. mit einem erneuten, aber zielstrebigen und komromißlosen Platzbesetzungsversuch praktisch aufzuheben und - soweit überhaupt möglich - mit all seinen fatalen Folgen "auszuradieren". Daß er damit in starkem Maße den von den AKW- Kämpfen her bekannten Charakter einer ersten "Entscheidungsschlacht" annehmen würde, war dabei unumgänglich. Zum anderen, weil aufgrund der fortschreitenden Rodungs- und Bauarbeiten die Konfrontation vorrangig dort angedroht werden mußte, wo der Kern des Konflikts lag (und zudem von der bürgerlichen Presse am wenigsten ausschlachtbar war); und der lag nun mal im Wald und nicht am Terminal. (Um nicht zum wiederholten Mal diesbezüglich mißverstanden zu werden, wollen wir hier klarstellen, daß unser damaliger wie heutiger Verweis auf den Wald als "Knackpunkt" des Widerstandes nicht im geringsten meint, andere Widerstandsebenen und Angriffspunkte rausfallen zu lassen. Im Gegenteil: Flughafenblockaden - und noch mehr - hätten im Idealfall jeden Tag stattfinden können und müssen. Wenn wir mehr gewesen wären, auch am 15., aber als Unterstützung und nicht Ersatz für eine Bauplatzbesetzung.)

Der Plenumsbeschluß, über die Teilnehmenden hinaus nicht öffentlich bekanntgegeben, wurde mißachtet - jedenfalls nicht dafür moblisiert. Auch nicht von den Linksradikalen, die zum Großteil auch dem von Schubart verkündeten Aufruf zum Flughafen folgten und so - wenn auch unbewußt und ungewollt - an der nun endgültigen Demobilisierung der autonomen Massenbewegung mitwirkten.

Damit war genauso endgültig die Initiative an die Herrschenden abgegeben worden, die von nun an das Heft in der Hand behielten. Die Chance, die Startbahn - wenn auch vorläufig und befristet - "politisch nicht durchsetzbar" zu machen, war vertan.


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