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Früchte des Zorns

TitelbildDie Bewegung gegen die Startbahn West - August 1983


Frankfurter K(r)ämpfe

Daß der Bewegung ein Katalysator fehlte, der in bestimmten Situationen die Initiative ergreift, Entwicklungen unterstützt, beschleunigt und zu ihrer Festigung beiträgt, haben wir zur Genüge beschrieben.

Den Linksradikalen der Region ist es nicht gelungen, diese Funktion zu übernehmen. Sie haben es auch kaum versucht oder konnten es nicht (objektiv gesehen).

Die politische Praxis zeichnete sich vor allem durch plakative Verbalradikalität aus, die Militanz theoretisch für sich beanspruchte. Die Einlösung dieses Anspruchs bereitete enorme Probleme, was sich im Verlauf der Auseinandersetzungen in einer höchstens ansatzweisen Umsetzung ausdrückte. Ersatzweise wurde die sich draußen unabhängig entwickelnde Militanz verbal für sich vereinnahmt.

Keine Startbahn West!Die seit November 81 traditionellen sonntäglichen Angriffe auf die Mauer - neben den nächtlichen Mauerknackereien und Anschlägen auf Baufahrzeuge und Lichtmasten - wurden von Beginn an fast ausschließlich von den Jugendlichen aus der Region getragen, unterstützt von den "Alten", die diese durch ihre Anwesenheit sowie durch "Feindaufklärung" und Kurierdienste deckten.

Die "Autonomen" aus den Städten hinkten da immer ziemlich hinterher. Und nicht nur das, sie ließen die lokale Bewegung, die nur zu einem geringen Teil von den örtlichen BIs repräsentiert wurde - auch auf sich allein gestellt.

Daraus, daß am 7.11. (sag bloß eine/r, wir hätten da 'nen Fimmel) eine Intervention gegen die inszenierte Niederlage nicht möglich war, kann mensch niemandem einen Vorwurf machen. Daß das, wie vorherige Linkereien der BI- Spitze und noch folgende, politisch nicht aufgearbeitet wurde und Gegenstand härterer Kontroversen war, schon. Wir halten jedenfalls nichts von taktischen Bündnissen bzw. Anbiedereien, bei denen andauernd beide Augen und Ohren zugedrückt werden müssen. (Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende).

Das Vorgehen auf der politisch- organisatorischen Ebene war geprägt von der Fixierung auf und die Anpassung an den offiziellen BI- Apparat. Die Linksradikalen bildeten z.T. dessen "Linke Fraktion". Hintergrund davon ist u.a. das dominierende politische Interesse, die eigenen Inhalte - im wesentlichen unter dem Stichwort "NATO- Startbahn" zusammenzufassen - zum Hauptbestandteil der offiziellen Anti- Startbahn- Propaganda machen zu wollen.

Auch im Verhältnis zur Bewegung beschränkte sich die Radikalität allzu oft auf den Versuch, antiimperialistische Inhalte zu vermitteln und zu verbreitern, als ob das Verhältnis von Bewußtsein und Kampf ein lineares und nicht ein dialektisches wäre. Ganz davon abgesehen, daß der propagierte Antiimperialismus ein verkürzter, weil inhaltlich reduziert auf die jungen Nationalstaaten und national- staatlichen Befreiungsbewegungen der "3.Welt" und faktisch losgelöst von der Klassenfrage in den Metropolen war und ist (und damit im übrigen auch immer der Gefahr unterliegt, mit dem - u.a. in der Friedensbewegung vorhandenen - neuen Nationalismus konform zu gehen und zum puren Anti- Amerikanismus zu verkommen.).

Die linksradikale Scene in der Region kann nur auf eine sehr kurze Geschichte und Erfahrung zurückblicken. Nicht vorhandene Strukturen und das Politikverständnis, das wir eben versucht haben zu beschreiben und kritisieren, führen wir zu einem Großteil darauf zurück, weil die politische Sozialisierung von Menschen letztlich doch weitgehend von ihrem Umfeld und den daraus resultierenden Anstößen wie Beschränkungen abhängig ist.

Der nun folgende Versuch einer Analyse soll einerseits diese Tatsache begründen, aber vor allem auch ein Anstoß sein, mit diesem Manko anders umzugehen.

Nach der Auflösung des SDS [15] hatten sich 69/70 in Frankfurt eine Menge Initiativen und Gruppen gebildet, die die Ausweitung ins soziale Terrain unternahmen (v.a. Lehrlingsgruppen, Stadtteil- und Betriebsgruppen). Die über Untersuchungsarbeit und den daraus formulierten praktischen Schritten auch zum Hebel der Kämpfe Anfang der 70er wurden.

Die Orientierung lief über die italienischen (Arbeiter-)Kämpfe und die in diesen entwicklte Klassenanalyse: Die Bestimmung des Massenarbeiters als der Arbeitersektion, die aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke wie ihrer - aus der objektiven Stellung im Produktionsprozeß folgenden - antagonistischen Beziehung zur kapitalistischen Technologie (Fließband) tendenziell Motor des revolutionären Prozesses ist; weiterhin die Ausweitung und Übertragung der antagonistischen Massenarbeiterforderung nach Lohn als Einkommen (Mehr Lohn - weniger Arbeit) auf die Stadt: Häuser besetzen - die Miete nicht bezahlen; darüber Vereinheitlichung der Kämpfe in den Fabriken und in der Region.

Praktisch wurde dieser Ansatz in einer mehrjährigen Betriebsarbeit bei Opel Rüsselsheim (RK - Revolutionärer Kampf) und dem Frankfurter Häuserkampf (70- 74). Ausgangspunkt des sozial vielschichtig zusammengesetzten Häuserkampfs war die Umstrukturierung des Frankfurter Westends zur Niederlassung des Finanzkapitals (Banken und Versicherungen).

Durch Teilabriß bzw. Zerstörung von bewohnten Häusern und bewaffnete Schlägertrupps der Spekulanten sollten die Bewohner vertrieben werden. Parallel zu einer Reihe von Hausbesetzungen (seit 1970) liefen ab 1971 die Mietstreiks v.a. der italienischen und türkischen Emigranten (1973 mehr als 300 Familien).

Die angestrebte soziale Ausweitung blieb (aus Gründen, die einer genaueren Untersuchung bedürfen) gleichwohl beschränkt bzw. entwickelte sich sogar zurück. Ein wichtiger Punkt war sicherlich, daß sich die Tendenz der Selbstghettoisierung in den besetzten Häusern immer stärker durchsetzte. Das aber provozierte und ermöglichte auch das staatliche Roll- Back.

Auch der Betriebsinterventionismus war vorwiegend eine zeitlich befristete Perspektive und behielt die akademische Karriere in der Hinterhand.

Nachdem, zeitlich parallel zu den Fabrikkämpfen, spätestens Ende 73 der Häuserkampf seinen offensiven Charakter verloren hatte und sich immer mehr defensiv orientierte, bedeutete die monatelange Fixierung auf die Verteidigung des Blocks Bockenheimer/ Schuhmannstraße (4 Häuser) und die dann doch im Februar 74 erfolgte Räumung zwangsläufig dessen Ende.

Rote HilfeDie Unfähigkeit bzw. fehlende Bereitschaft zur politischen Aufarbeitung der Fehler und Niederlagen produzierte und verfestigte die zunehmende Perspektivlosigkeit. Daran vermochten auch die massiven Nulltarif- Kämpfe im Mai 1974 nichts zu ändern. Der Abräume der Roten Hilfe im Dezember 1974 folgte im gleichen "Krisenwinter" die weitgehende Selbstauflösung der RK- Betriebsgruppe im Rahmen der von Opel verfügten Entlassungen (und Einstellungsstops) über die Mitnahme hoher Abfindungen. Während ab 75 noch Reste der Scene im Zusammenhang mit spanischen und italienischen Emigranten versuchten, durch den Aufbau von Stadtteilzentren und Betriebsgruppen in zwei Frankfurter Arbeitervierteln politische Kontinuität zu sichern, begann bereits auf der anderen Seite der - noch zaghafte - Aufbau des alternativen Ghettos, der sog. "Politik in erster Person" (Zentralität des eigenen Bauches) und ihres Sprachrohres "Pflasterstrand".

War der Molli- Angriff auf das spanische Konsulat [16] im Frühjahr 75 noch Ausdruck zwar brüchiger, aber noch relativ intakter Strukturen organisierter Massenmilitanz, konnte ein Jahr später im Mai 76 davon keine Rede mehr sein. Wut und Haß über den Stammheimer Mord (Ulrike Meinhof) brachte zwar 2.000 Leute und Unmassen Mollis auf Frankfurts Straßen, die gemeinsame politische Identität aber war inzwischen endgültig Reminiszenz und keine Realität mehr.

Die Verhaftung von Teilen des RKs wegen "versuchten Mordes" (auf der Meinhof- Demo wurde ein Bulle durch einen Molli schwer verletzt) war für den mittlerweile überwiegenden Teil der Scene der letzte "Kick", den Rückzug ins Privat- Alternative geschlossen und politisch propagierend anzutreten. Gerade letzteres macht das Spezifische der Frankfurter Situation aus. Der alte Zusammenhang marschierte geschlossen in den Schoß des Staates zurück und hockt heute im Bundestag.

Das war aber nur die eine Seite der Medaille. Die zweite war, daß alle, die diesen Gleichschritt nicht mitvollzogen, von nun an ausgegrenzt wurden. Neben der Distanzierung von neuen militanten Zusammenhängen wurde eine Anti- Guerilla- Kampagne forciert, die im Frühjahr 1977 mit der Klein- Klein- Kampagne, der offenen Bespitzelung und Denunziationsdrohung von Teilen der Scene ihren traurigen Höhepunkt erreichte.

LandshutIn diesem Kontext bewirkten die Ereignisse vom Herbst 77, dabei insbesondere die Entführung der Lufthansamaschine "Landshut" [17], ein Ausmaß an politischer Desorientierung, das für die Frankfurter Linke personell und inhaltlich einen Bruch der sozialrevolutionären Kontinuität beinhaltete.

Ein Bruch, mit dessen Folgen und Auswirkungen die sich seit 79 zaghaft formierende autonome Scene im Grunde bis heute konfrontiert ist. Er ermöglichte einerseits eine qualitativ neue Dominanz der alternativen "Nischen- Politik" in der Stadt. Andererseits konnte jeder autonome Ansatz nur explizit gegen diese entwickelt werden. Er war zudem jederzeit praktisch in der Zange zwischen staatlicher Macht auf der einen und im "Pflasterstrand" betriebener Entsolidarisierung auf der anderen Seite (zahlreiche Hausbesetzungsversuche 79/80).

Der Bruch von 77, die völlig neue Zusammensetzung der Scene danach und die reformistische Counter- Politik der Alt- Spontis (Integration und Entsolidarisierung) bildeten den besonderen Hintergrund, auf dem die alten Fehler neu, schneller und schärfer wiederholt wurden: Statt Verbreiterung ins soziale Terrain das "Rotieren" im eigenen Saft, der Aufbau eines eigenen Ghettos (Indercity Nied). Das waren dann auch die z.T. selbstproduzierten Voraussetzungen für die staatliche Einkreisung und Zerschlagung. Diese wurde markiert durch die Staatsschutzaktion gegen den "Schwarzen Block" [18] am 28.7.81, die weniger die Scene an sich als vielmehr deren (präventive) Zerschlagung im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Zuspitzung des Konflikts um die Startbahn West zum Ziel hatte.

Eine andere Folge der Frankfurter Verhältnisse war, daß sich quasi als radikaler Gegenpol zu den Alternativen eine neo- stalinistische Variante von Anti- Imperialismus relativ breit entfalten und Einfluß nehmen konnte.


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