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Die
Bewegung gegen die Startbahn West - August 1983
Hopp, Hopp, Hopp, Startbahn Stopp!
Die
Startbahn 18 West ist nicht verhindert worden. Heute, über
eineinhalb Jahre nach der Rodung des gesamten für die Startbahn
benötigten Geländes, ist ihr Bau mit der Betonierung der
Pisten und der Fertigstellung des Tunnels an der Okrifteler Straße
zwar zunächst eine Tatsache. Fakt ist aber auch, daß
die Bewegung gegen die Startbahn trotz der allmählichen Vollendung
des umkämpften Projekts nicht totzukriegen ist. Ein harter
Kern von einigen Tausend tummelt sich noch immer an Sonntagnachmittagen
(und nicht nur dann) rund ums Baugelände und sorgt nun bereits
über eineinhalb Jahre dafür, daß Bullen und FAG-
Werkschützer nicht zur Ruhe kommen.
Dieser positive Aspekt kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,
daß die Bewegung - nicht nur zahlenmäßig - sehr
geschrumpft ist. Die Startbahnbewegung war (und ist) in ihrer vielschichtigen
Zusammensetzung eine äußerst breite, viele verschiedene
Bevölkerungsgruppen umfassende Bewegung. Gleichzeitig war dadurch
ihre politische Bestimmung - außer der Feindschaft dem Projekt
gegenüber - aber undefiniert.
Ins Leben gerufen von Teilen des ansässigen Besitzbürgertums,
das einerseits um die Lebensqualität in der Region, andererseits
um den Wert des eigenen Haus- und Grundeigentums fürchtete,
wurde sie Sammelbecken der unterschiedlichsten Motivationen und
Gruppen:
- Naturschutz, Erhaltung des Waldes und damit eines wichtigen
Naherholungsgebietes
- Wahnsinn von Großprojekten und der damit verbundenen
ökologischen Zerstörungen ganz allgemein - also als
ökologisches Bewußtsein, das über die eigene,
unmittelbare Lebenssituation hinausgeht (Hintergrund v.a. AKW-
Bewegung)
- mit zunehmender Konkretisierung des Projekts und sich abzeichnendem
Durchsetzungswillen der Landesregierung gegen den rotest der betroffenen
Bevölkerung, Infragestellung der Entscheidungsstrukturen
sowie der dazugehörigen politischen (militärischen)
und ökonomischen Kriterien
- antiimperialistische Momente auf dem NATO- Hintergrund der
Startbahn (KP- Tradition in Mörfelden)
- vor allem überregional durch das Volksbegehren: Die Entdeckung
des verfassungsrechtlich verankerten "demokratischen (Mitsprache-
)Rechts" des Volkes verbunden mit dem Wunsch, es anzuwenden
bzw. durchzusetzen (siehe auch die in der Folge entstandenen Initiativen
zur Durchsetzung von Volksbegehren in Bayern und NRW)
- politische Gruppierungen aller Schattierungen: von den Jusos,
den Spontis, den Autonomen der verschiedenen Städte, die
zum Teil ideologisch mit den Anti- US- Imps verwandt sind, bis
hin zu den Grünen
- unzufriedene, revoltierende Jugendliche, für die die Startbahn
Symbol einer feindlichen, kaputtmachenden Umwelt und Gesellschaft
war und ist, der Widerstand gegen die Startbahn damit Ausdruck
einer - wenn auch diffus - umfassenden Ablehnung der bestehenden
Verhältnisse.
Diese Pluralität ist ebenso charakteristisch für die
Bewegung, wie das sich im Verlauf des Konflikts entwickelnde umfassende
Spektrum von Kampfformen. Daß es weitgehend bei einem sich
akzeptierenden Nebeneinander geblieben ist, ist das politische Manko.
Es ist nicht gelungen - und auch kaum versucht wurden - von der
Duldung der Vielfalt zu einer politischen Auseinandersetzung und
Verbindung der verschiedenen Teile und Strömungen zu kommen.
Es stellt sich heute die Frage, was angesichts der selten breiten
Mobilisierung und Einbindung in den Konflikt an politischem Bewußtsein
und Verhalten bei den "Betroffenen" übriggeblieben
bzw. entwickelt worden ist.
Ein großer Teil der Bewegung hat sich - nachdem er nach dem
November 81 schon halb den Rückzug angetreten hatte - mit der
Ablehnung des Volksbegehrens im Januar 82 endgültig resignativ
zurückgezogen. Mit dem faktischen Bauvollzug im Laufe des Jahres
82 bröckelten weiter Leute ab; auch die Linken wandten sich
mehr und mehr anderen Themen zu.
Bei den übriggebliebenen, nach wie vor Mobilisierten, relativierte
sich die Gewalt- Freiheits- Frage weiter - jedenfalls ideell. Ein
nicht unbeachtlicher Teil ging zu organisierten, militanten Angriffen
auf Betreiber, Mauer, Gerätschaft und Kontrollorganen über,
was öffentlich kaum durchkommt wegen einer vor etlichen Monaten
von den Bullen verhängten Nachrichtensperre.
Dieser Radikalisierung, die in dieser Form sicher nur für
bestimmte Gruppen in Frage kommt, stehen auf der traditionellen
politischen, für die Bevölkerung aber immer noch bedeutsamen
Ebene, negativ die regionalen Ergebnisse der Landtags- und Bundestagswahlen
im September 1982 und im März 1983 gegenüber.
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Sept. 82
|
März 83
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Startbahnwahlkreis Groß- Gerau
|
SPD
|
39,6%
|
41,8%
|
CDU
|
39,1%
|
42,5%
|
Grüne
|
18,2%
|
8,0%
|
FDP
|
2,0%
|
7,0%
|
Mörfelden- Walldorf
|
SPD
|
27,8%
|
38,7%
|
CDU
|
34,4%
|
36,7%
|
Grüne
|
33,4%
|
16,?%
|
FDP
|
2,1%
|
7,6%
|
DKP
|
2,3%
|
-
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[7] durch von ihr ausgehandelte hochprozentige Lohnerhöhungen
glaubte, bei den von ihr betriebenen Neuwahlen massiv Wähleranteile
kassieren zu können und dabei eine ordentliche Pleite erlebte.
Es ist vielmehr anzunehmen, daß gerade die immer noch mehr
oder weniger Aktiven - trotz z.T. bestehender Differenzen - ihr
Kreuz bei den Grünen gemacht haben.
Daß viele, viel zu viele, in der einen oder anderen Form
wieder zur Resignation des Alltags zurückgekehrt sind, hätte
in dem Maß sicher nicht stattgefunden, wenn in den entscheidenden
Phasen die Bewegung in der Lage gewesen wäre, entschlossener
und offensiver vorzugehen, ihre Größe und Breite in politische
Stärke umzuwandeln und damit wenigstens anzudeuten, daß
Schritte in Richtung Veränderung durchaus eine reale Perspektive
haben.
Um hier substanziellen sozialrevolutionären Widerstand zu
organisieren, ist es eine Voraussetzung, die bestehenden Ansätze
dahingehend zu entwickeln und zu intensivieren. Das Kippen eines
Großprojektes wie die Startbahn könnte eine wichtige
Etappe in die Richtung sein, den Herrschenden mehr als etwas Nervenaufreiben
zu bescheren und das Machtgefüge gründlich durcheinanderzubringen.
Es genügt nicht, das festzustellen. Es genügt auch nicht,
z.B. "Keine Startbahn West" zu fordern, ohne zu überlegen,
ob und wie sich dieses Ziel erreichen läßt. Wir wollen
uns wenigstens im Nachhinein fragen, wie es möglich gewesen
wäre und woran es gescheitert ist.
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