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Früchte des Zorns

TitelbildDie Bewegung gegen die Startbahn West - August 1983


Die nun folgende

Chronologie der Ereignisse vom Oktober und November 1981

hielten wir für notwendig, um einen zusammenhängenden Überblick über die Hochphase der Bewegung zu geben. Einerseits liegt das alles schon länger zurück, andererseits ist das Wissen um den konkreten Ablauf Bedingung für eine Analyse und Diskussion. Den Oktober haben wir grob skizziert, die erste Novemberhälfte detailliert dargestellt.

5.10. 81

Nach Auslösung der Alarmkette wird das bereits im November 80 gerodete und für die Untertunnelung der Okrifteler Straße (über die die Startbahn hinwegführt) benötigte 7- Hektar- Gelände von mehreren tausend Leuten besetzt.

6.10.81

Der am späten Vormittag aufmarschierte Bullenapparat, der sich noch an die "Spielregeln" (Pflasterstrand) des gewaltfreien Widerstands hält, zieht sich nach mehrstündigen, ergebnislosen Räumungsversuchen unverrichteter Dinge wieder zurück.

7.10.81

Als sich im Lauf der Nacht bis zum Mittag die Reihen der Platzbesetzer auf max. 1.000 gelichtet haben, gelingt den Bullen - immer noch relativ soft - die Räumung. Gegen Abend, als immer mehr Menschen sich an den Absperrungen im Wald versammeln, gibt es die ersten massiven Knüppeleinsätze.

11.10.81

Der "blutige Sonntag": Nach einer Demonstration von über 10.000 zum Mitte der Woche geräumten Gelände mit anschließendem Gottesdienst und Anbuddeln der inzwischen aufgestellten Mauer, bekommen die BGS- Einheiten Knüppel frei. Unterschiedslos wird auf alles geschlagen, was sich bewegt, ob jung oder alt, Mann , Frau oder Kind.

12.-31.10.81

Mit immensen Arbeitseinsätzen wird das Hüttendorf befestigt und die Zufahrtswege verbarrikadiert. In der letzten Woche beginnt die FAG mit der Untertunnelung. Auf dem Flughafengelände werden große Bullenverbände zusammengezogen.

1.11.81

Auf den Beginn der Untertunnelungsarbeiten und die für einen der nächsten zwei Tage erwartete Hüttendorfräumung reagiert die Bewegung mit den ersten massiven Angriffen auf die Mauer um das 7 ha- Gelände.

2.11.81

Gegen 9 Uhr - zur gleichen Zeit findet in Wiesbaden eine seit langem anberaumte Pressekonferenz der BI zum Volksbegehren statt - überrennen die SEKs aus den verschiedenen Bundesländern das schlafende Hüttendorf; die Rodung von Baulos 1 beginnt. Trotz aller Hinweise hatte der dafür zuständige KO (Koordinationsausschuß; Spahn, Treber, Martin u.a.) keinen Alarm ausgelöst: die in den vergangenen Wochen errichteten Befestigungen und Barrikaden waren damit für die Katz. Hinter den eingenommenen Wällen verschanzen sich nun die Bullen. Von hier aus starten die SEKs den ganzen Tag über ihre Knüppelorgien gegen die in den Wald strömenden Menschen.

2.-5.11.81

An diesem und in den folgenden Tagen erlebt die Region eine noch nie dagewesene Mobilisierung, deren Zentren der Wald und die Frankfurter City sind. Hinzu kommen Solidaritätsdemos und - aktionen in der ganzen BRD, ja selbst in Rom.

  • in Darmstadt demonstrieren bspw. täglich bis zu 5.000 pro Demo, in Frankfurt bis zu 10.000
  • in den Wald strömen - über den ganzen Tag verteilt - bis zu 18.000 Menschen
  • Schulstreiks und Bahnhofsblockaden in Frankfurt, Rüsselsheim, Groß- Gerau und Darmstadt

2./3.11.81

In dieser Nacht läßt eine RZ eine Funkfeuereinrichtung des Flughafens in Flammen aufgehen (Schaden ca. 400.000 DM); in Frankfurt werden 156 Banken entglast und ein Bagger angesteckt; in Darmstadt fliegt ein Molli auf's Kennedy- Haus.

3.11.81

In Mörfelden demonstrieren abends 8.500 Leute. In der Frankfurter Rohrbachstraße wird gegen Mitternacht eine Demo von ca. 1.500 Leuten von süddeutschen SEKs (sog. Todesschwadrone) überfallen. Als die in Panik geratenen Leute in angrenzende Wohnungen und Häuser flüchten, dringen die Bullen auch dort ein. Kurz darauf brennt im Frankfurter Westend eine Filiale der Deutschen Bank vollständig aus.

4.11.81

Ruhe gab es auch am Mittwoch (erst recht) nicht. Schon mittags zogen fast 3.000 Leute von der Uni vor den Frankfurter Römer. [8] Aus Sachsenhausen kamen ein paar hundert streikender Schüler dazu. Die Ereignisse der letzten Nacht wurden besprochen, eine kurze Kaffeepause eingelegt, um am Nachmittag dann durch die Innenstadt zum Hessischen Rundfunk zu ziehen. Über 10.000 Demonstranten wollten dort eine Live- Diskussion zwischen Startbahngegnern und der Politikerriege Börner [9], Gries [10], Dregger [11] erreichen. Ein paar hundert von ihnen ignorierten die locker verschlossenen Glastüren und hielten das Hauptgebäude des HR für eine halbe Stunde besetzt (Taz vom 6.11.81)

5.11.81

Die BI kündigt für Samstag die Besetzung von Baulos 1 an.

6.11.81

Um 4 Uhr früh beginnen die Bullen das - am 3.11.begonnene - 2. Hüttendorf zu räumen. Noch während die Räumung im Gange ist, detoniert - wegen der Rodung des Waldes durch österreichische Holzfäller - vor dem österreichischen Generalkonsulat in Frankfurt eine Bombe (RZ); im Westend brennt die Filiale der Stadtsparkasse aus. Vormittags demonstrieren "einige tausend Schüler" (FR) sowohl in Rüsselsheim als auch in Frankfurt. Nachmittags und abends in Frankfurt 15.000 (mit anschließendem ersten Open- Air- Konzert auf der Hauptwache), 3.000 in Offenbach, mehrere Hundert in Heusenstamm, Neu- Isenburg, Langen und Bad Nauheim. In Friedberg wird das Büro des SPD- Unterbezirks Wetterau besetzt, in Kassel besetzen 300 Leute das Redaktionsgebäude der "Hessisch- Niedersächsischen Allgemeinen". Die Gewerkschaft der Polizei verteilt ein Flugblatt unter dem Titel "Wir haben die Schnauze voll" und kündigt eine eigene Demonstration für den Dezember an. Der südhessische SPD- Vorsitzende und stellvertretende Landesvorsitzende Görlach schlägt eine "Dialogpause" spätestens für den Zeitpunkt vor, zu dem der Antrag für das Volksbegehren vor dem hessischen Staatsgerichtshof verhandelt werde. Begründung: Damit die gewalttätigen Auseinandersetzungen wieder in friedliche Bahnen gelenkt werden. Zwischen den KO- Mitgliedern Spahn und Martin und dem Polizeidirektor Vogel und dessen Stellvertreter Wetzel findet abends eine mysteriöse Unterredung unter acht Augen bzgl. der bevorstehenden Platzbesetzung statt. Als "Taxi" benutzen Spahn und Martin einen Streifenwagen. Zitat aus einem Papier Martins vom 11.11.: "Wir haben in diesem Gespräch Vogel und Wetzel von unserer Aktion unterrichtet ..."

7.11.81

Der "Nacktensamstag":

Trotz geringer Mobilisierung (- szeit) ziehen 30- 40.000 in den Wald, von denen der Großteil für eine Konfrontation mit den ca. 4.000 Bullen auf Baulos 1 gerüstet ist. (Zeitgleich laufen in mehreren westdeutschen Städten Solidaritätsdemos, so z.B. 4.000 in Stuttgart, wo der Hauptbahnhof lahmgelegt und der Busbahnhof des Flughafens besetzt wird, in Freiburg sind es ebenfalls 3.000 bis 4.000, in Michelstadt/ Odenwald wird das FDP- Büro besetzt.)

Gemäß einem (angeblichen) Beschluß des erweiterten KO vom Vorabend überqueren 50- 60 "nackte" BI'ler als Spitze eines "Keils", den die Massen bilden sollen, ungehindert auf Teppichen den Natodraht. Hinter den "Nackten" schließen sich sofort die Ketten von Bullen und BI- Ordnern, die einen jenseits, die anderen diesseits der Absperrung. Der größte Teil der "Nackten" in von diesem Verlauf ebenso überrascht wie die Menschen auf der anderen Seite des Zauns.

Die unruhige Menge wird in Schach gehalten, indem der "Nackte" Jürgen Martin sich und seine "Leidensgenossen" über Bullenlautsprecher (!) zu Geiseln erklärt, deren Leib und Leben in Gefahr sei, wenn die Menge keine Ruhe halte (O- Ton). Die diesseits des Natodrahts postierten Ordner erklären jede/n zum Provokateur, der/die an diesem rumhantieren. Präsentiert wird dann die Forderung nach einem Gespräch mit Innenminister Gries, die auch alsbald erfüllt wird, da Gries offensichtlich in räumlicher Nähe bereits auf diese Forderung wartet.

Derweil wird an den Flanken von Baulos 1 der Mauerbau ungehindert vorangetrieben.

Als es bereits dunkelt, werden die "Verhandlungsergebnisse" der 5- köpfigen "Nackten"- Delegation mit dem Minister bekanntgegeben, als "großer politischer Sieg" verkauft und die "Scheiße" brüllenden, seit Stunden ausharrenden Leute aufgefordert, nach Hause zu gehen. Eine Wasserwerfer- Besatzung bringt die Situation auf den Begriff, indem sie über Lautsprecher die Bundesliga- Ergebnisse verkündet. Niedergeschlagen bis wütend ziehen die Zehntausenden aus dem Wald, der kurz darauf leergefegt wie selten zuvor ist. Auf der Nachhausefahrt wird das "Frankfurter Kreuz" durch an die 100 quergestellte Pkw's blockiert. Auch die Strecke Frankfurt- Darmstadt wird durch mit Warnblinkern fahrende Wagen, die zeitweilig stehen bleiben, total verstopft. Ähnliches ereignet sich auf den Autobahnen Richtung Würzburg und Köln.

Am frühen Abend fliegt in den Vorgarten eines leitenden FAZ- Redakteurs in der Frankfurter Nordweststadt ein Molli.

8.11.81

Mehrere hundert Leute statten in Bickenbach den dort wohnenden Ministern Hoffie und Schneider einen Besuch ab. Der SPD- Unterbezirks- Parteitag in Wiesbaden fordert die Einstellung aller Bauarbeiten bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs. Der Vorsitzende dieses Unterbezirks und Pro- Startbahn- Landtagsabgeordnete Frank Breucker wird wie folgt zitiert: "Die Startbahn ist politisch nicht mehr durchsetzbar" und "so wie es jetzt aussieht, stehen wir das nicht durch" (FR vom 9.11.81)

9.11.81

Der DGB- Landesvorstand (dessen Vorsitzender Richert in Personalunion auch das Amt des Landesvorsitzenden der SPD auf sich vereinigt) schlägt eine "Atempause" vor. Bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs sollen alle Bauarbeiten und Demos eingestellt werden.

In den Städten der Region flaut die Bewegung in dieser Woche rapide ab. So sind auf der täglichen Frankfurter 17- Uhr- Demo nur noch etwa 1.500 Leute - im Gegensatz zu den 15.000 vom Freitag.

10.11.81

Die "Sonderkommission Karry" veranstaltet eine bundesweite Razzia mit Schwerpunkt Frankfurt. Offensichtliches Ziel: in die aufgebrochenen Kontroversen um den Samstag mit einer Aktion gegen die Militanten in den Städten einzugreifen, um diese einzuschüchtern und von den aufgebrachten und radikalisierten Bürgern der Region zu isolieren.

Willy Brandt und Volker Hauff [12] reisen nach Wiesbaden, um die ins Wanken geratene SPD- Landtagsfraktion wieder auf Linie zu bringen. Zeitgleich findet eine Kabinettsitzung statt, auf der ein "Moratorium" abgelehnt wird.

11.11.81

Abends findet die erste VV (ca. 800 Teilnehmer) seit Samstag statt. Der KO kommt mit seiner öffentlichen Selbstkritik und dem Verweis auf die Gefahr einer Spaltung der Kritik der Bewegung zum Teil zuvor. Weitgehender Konsens ist, daß die Pleite vom Samstag so nicht stehen bleiben kann. Deshalb beschließt die VV, der Landesregierung für Sonntag, 12.30 Uhr, ein Ultimatum für einen Baustopp zu setzen, andernfalls werde der Platz besetzt.

12.11.81

Die abends tagende Delegiertenversammlung schmeißt den VV- Beschluß dergestalt um, daß bei Beibehaltung des Ultimatums die angedrohte Platzbesetzung durch eine Blockade des Terminals ersetzt wird.

14.11.81

In Wiesbaden findet die - seit Monaten terminierte - Abgabe der Unterschriftenlisten für das Volksbegehren im Rahmen einer Massendemonstration statt, an der zwischen 120.000 und 150.000 Menschen teilnehmen. Diese Demonstration spiegelt das gesamte Protestpotential der Startbahn- Bewegung wieder (Kirche, Gewerkschaften, Naturschutzverbände, Parteijugend etc.)

Auf der Abschlußkundgebung verkündet Alexander Schubart [13] das Ultimatum in Gestalt des Delegiertenversammlung- Beschlusses vom 12.11. (Flughafenblockade); dafür bekommt er im Januar 83 vom hessischen Staatsschutzsenat 2 Jahre auf Bewährung wegen Nötigung eines Verfassungsorgans.

Für den VV- Beschluß (Platzbesetzung) mobilisiert dagegen niemand! In Berlin (3.000) und Bremen (600) laufen Solidaritätsdemos.

15.1.82

Nach Ablauf des Ultimatums sind zwischen 15.000 und 20.000 "draußen", der Großteil am Flughafen. Da der Flughafen von Bullen und FAG- Werkschutz abgeriegelt ist, verlagern sich die Auseinandersetzungen immer mehr auf die angrenzende Autobahn, die damit ebenfalls im Umkreis von 50 Kilometern dicht ist. Zeitgleich läuft einige Kilometer entfernt, der Sturm von ca. 3- 5.000, darunter viele "Bürger" gegen die inzwischen fertiggestellte Mauer von Baulos 1, die dabei zwar erheblich beschädigt, aber nicht überwunden wird.

Abends gibt's am Ortseingang von Walldorf Putz mit 2 Hundertschaften, als Walldorfer und Mörfeldener die zur Sperrung der Okriftler Straße verwendeten Container abräumen.

16./17.11.81

In Bezug auf die Auseinandersetzungen am Flughafen (demgegenüber werden die Auseinandersetzungen an der Mauer kaum erwähnt) überschlagen sich die Berichte und Kommentare in den Medien in ihrem Gegeifere. In diesen Chor reihen sich die BI- Sprecher ein und distanzieren sich im Nachhinein von dem "Kuckucksei", das sie selbst gelegt haben: Leo Spahn distanziert sich von dem Ablauf der Flughafenbockade als Sache irgendwelcher Angereister, klammert aber die Aktionen an der Mauer ausdrücklich aus seiner Distanzierung aus; als Grund mutmaßt die FR wohl nicht zu Unrecht: "An den gewaltsamen Auseinandersetzungen an der Mauer beteiligten sich erstmals auch zahlreiche ältere Bürger vor allem aus dem Raum Mörfelden- Walldorf "(FR v. 16.11.81)

Gegenüber DPA erklärt A. Schubart: Vielleicht sei der Aufruf zur Flughafenblockade das falsche Mittel gewesen. Doch ohne den Aufruf wäre es zu noch größeren Auseinandersetzungen an der Mauer gekommen. So habe der Plan für einen "Totaldurchbruch" bestanden (zitiert nach Frankfurter Rundschau am Abend vom 16.11.81). Und: "Mir ging es darum, den zu erwartenden ganz großen Ramba- Zamba zu kanalisieren." (Spiegel vom 23.11.81)


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