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116. Prozesstag: 20. Februar 2003
Mal wieder gelogen
Nach der den Winterferien geschuldeten Prozesspause ging es heute
in gewohnter Manier in der Hauptverhandlung weiter. Ganze zwei Stunden
dauerte der Prozesstag. Bestritten wurde er zum größten
Teil durch die Verteidigung.
Niemand will etwas sagen
Eine offensichtlich gesundheitlich angeschlagene Vorsitzende Richterin
gab zu Beginn bekannt, dass es heute zu keiner Zeugenbefragung kommen
werde. Trotz Bemühen hätte der Senat es nicht vermocht,
beim Bauamt des Bezirks Berlin-Mitte jemanden ausfindig zu machen,
der Auskunft über die Zugangswege zur Siegessäule im Tiergarten
geben könnte. "Niemand will etwas dazu sagen", so Richterin
Hennig.
Also begann der Verhandlungstag mit der "Inaugenscheinnahme" einiger
"Lichtbilder" - notwendig geworden, um im Anschluss einen Beweisantrag
der Verteidigung von Matthias B. abweisen zu können, mit dem
Mouslis Angaben zum Fluchtweg über angebliche S-Bahngleise
widerlegt werden sollten, die er im Zusammenhang mit dem Anschlag
auf Harald Hollenberg ausgespäht haben will. Gleiches Motiv
galt für die Verlesung einer Passage aus dem Buch "Berlins
S-Bahnhöfe" über die kurze Geschichte des Haltepunkts
Zehlendorf-Süd. Dieser Bahnhof - der erst Neubau der Ostberliner
Reichsbahn in Westberlin nach 1946 - war 1972 eingeweiht worden
und lediglich acht Jahre bis 1980 im Betrieb. Diese Erkenntnisse
und Fotos des BKA, auf denen eine eingleisige Trassenführung
erkennbar sei, würden klar beweisen, dass es sich bei diesen
Geleisen um S-Bahngleise und nicht um Industriegleisanlagen handle,
wie die Verteidigung behauptet, zu dem sei allgemein bekannt, dass
das S-Bahn-Gleise seien, so das Gericht.
Nach der Information, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV) drei Aktenordner dem Gericht übersandt habe, die kopiert
und dann der Verteidigung zur Verfügung gestellt würden,
war das aktive Tagwerk des Senats vorbei. Nun schlug die Stunde
der Verteidigung.
Seegraben, Observation und Verfassungsschutz (VS)
Rechtsanwältin Studzinsky stellte insgesamt sechs Beweisanträge,
die Verteidigung von Axel H. brachte einen Anträge ein und
nahm in Erklärungen Stellung zur Zeugenaussage von Rechtsanwalt
Euler am 114. Prozesstag und zu einer Antragsablehnung des Senats.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war Gegenstand
des ersten Antrags
der Verteidigung von Harald G. Darin soll der Frage nachgegangen
werden, welcher Natur die Risse im Sprengstoffpaket sind, das im
August 1999 in einem Seegraben im Norden Berlin nach mehrmaligen
erfolglosen Suchen gefunden wurde. Nach Überzeugung der Verteidigung
sind die Beschädigungen weder durch Tierfraß oder -krallen,
noch durch im Wasser befindliche Gegenstände und auch nicht
durch die Bergung mit einer Forke, sondern nur durch mutwilliges
Aufreißen entstanden. Da durch den Sachverständigen Koller
bereits festgestellt wurde, dass der Sprengstoff nicht länger
als 40 Tage vor der Bergung Wasser ausgesetzt war, könne -
so gab sich die Verteidigung überzeigt - mit diesem Gutachten
die Behauptung des Kronzeugen widerlegt werden, er habe das Paket
1995 im Seegraben versenkt.
Mit ihrem zweite Antrag
verlangte Rechtsanwältin Studzinsky die Ladung eines Mitarbeiters
der Generalstaatsanwaltschaft Berlin der Auskunft über einen
Vorgang der Behörde gegeben soll. Dieser Antrag steht im Zusammengang
mit einem ablehnenden Beschluss des Senats, in dem er die Beiziehung
einer Akte ablehnte.
Als drittes wurde
die Verlesung einer Stellungnahme der Antragsgegnerin in der Verwaltungsstreitsache
Harald G. versus BRD und eines Rechtsgutachtens beantragt. In dieser
Streitsache geht es um die ungeschwärzte Übermittlung
von Verfassungsschutz- Akten, wobei in der Stellungnahme und dem
Rechtsgutachten eine Aussetzung des Strafverfahrens bis zur Entscheidung
in dieser Sache angeregt wird. Ersatzweise argumentiert die Antragsgegnerin,
dass dem Antragssteller zwar durch die nicht vollständig vorliegenden
VS-Protokolle Nachteile entstehen könnten, dem müsse dann
aber "im Rahmen der Beweiswürdigung der Beurteilung der Glaubwürdigkeit
eines Zeugen durch einen minderen Beweiswert in Rechnung getragen"
werden.
Aktenmanipulation- und Zurückhalten von Ermittlungsergebnissen
standen im Mittelpunkt der Anträge vier und fünf. Der
Programmierer der Abteilung Staatsschutz des Bundeskriminalamtes
(BKA) soll Auskunft
darüber geben, warum mit einem Datenbankprogramm erstellte
Auswertungsprotokolle von Telefonüberwachungen der Anschlüsse
Mouslis verschiedene fortlaufende ID-Nummern aufweisen, obwohl dies
bei ordnungsgemäßer Anwendung unmöglich ist. Durch
die Beiziehung des gesamten
Schriftverkehrs zwischen BKA bzw. Bundesanwaltschaft (BAW) und
dem Mobilfunkbetreiber "e-plus" sowie die Ladung des Leiters der
Generaldirektion Sicherheit und Revision des Unternehmens, will
die Verteidigung beweisen, dass parallel zu den richterlich angeordneten
Telefonüberwachungen des Kronzeugen auch Telefonüberwachungen
auf Antrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) durchgeführt
wurden.
Einen solche Mieter kennen wir nicht
In ihrem sechsten Beweisantrag
gab die Verteidigung erneut ein Beispiel für die Qualität
der Beschuldigungen des Kronzeugen, die sich dort, wo es angeblich
um so genannte Tatsachenbeweise geht, nach und nach allesamt als
Lügen herausstellen. Diesmal betraf es die Angaben Mouslis
zu Konspirativen Wohnungen der RZ. Mousli hatte noch im Dezember
1999 angegeben, er könne keine Angaben zu solchen von der RZ
genutzten Wohnungen in Berlin machen. Zwei Monate später "überraschte"
er dann allerdings die Vernehmungsbeamten mit Angaben zu einem solchen
RZ-Unterschlupf und nannte sogar eine Person, die diese Wohnung
gemietet haben soll. Wenige Tage verschärfte er seine Behauptung.
Nun soll der angebliche Mieter sogar gewusst haben, dass die Wohnung
von der RZ genutzt werde. In seinem eigenen Verfahren im Dezember
2000, in dem er zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt
wurde, gab Mousli dann auch noch die genaue Lage dieser angeblich
1987 angemieteten Wohnung an. Wie Nachforschungen der Verteidigung
ergeben haben, hat zu diesem Zeitpunkt allerdings kein Mietverhältnis
zu dem von Mousli Beschuldigten in einem der zwei möglichen
Wohnhäuser in Berlin-Kreuzberg bestanden. Durch die Ladung
zahlreicher BKA-Zeugen, Hauseigentümer und anderer Privatpersonen
sollen nun diese Erkenntnisse auch in die Hauptverhandlung eingeführt
werden.
Aktenordnung hier und da
Rechtsanwalt Geimecke ergriff am Ende des Verhandlungstages das
Wort, um in einer Gegendarstellung zu einer Entscheidung des Senats
und mit einer Erklärung zur Zeugenvernehmung seines Kollegen
Euler Stellung zu beziehen. Die Gegendarstellung bezog sich auf
den Antrag der Verteidigung von Axel H., Auskünfte vom Bundesamt
bzw. vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz zu Observationen
im Jahre 1987 einzuholen, die sich zwar möglicherweise gegen
andere Personen gerichtet hätten, mit denen ihr Mandant aber
in einem Wohn- bzw. Arbeitsverhältnis täglich zu tun gehabt
hätte. Da Axel H. die damaligen Observationen in seinem Umfeld
aufgefallen seien, hätte er sich - so die Argumentation der
Verteidigung - allein aus Sicherheitsgründen nicht an den ihm
unterstellten Aktionen aus dem RZ-Kontext beteiligen dürfen.
Der Verfassungsschutz (VS) hatte mittlerweile geantwortet und eine
Oberservationstätigkeit gegen Axel H. in diesem Zeitraum verneint.
Rechtsanwalt Geimecke wies darauf hin, dass diese Auskunft nicht
heißen muss, dass sein Mandat damals nicht ins Visier von
VS-Beamten geraten ist. Zum einen habe der VS selbst darauf hingewiesen,
dass er aus datenrechtlichen Gründen entsprechende Unterlagen
bereits vernichtet haben könnte, zum anderen werden bei der
Behörden solche Vorgänge entweder objekt- und/oder personenbezogen
abgelegt. Wenn nun nach Erkenntnissen im Rahmen der VS-Tätigleit
gegen Axel H., seine Privatwohnung oder seine Arbeitsstätte
gefragt werde, würden damit nicht Erkenntnisse erfasst, die
der VS im Zusammenhang mit anderen personen- bzw. objektbezogenen
Maßnahmen getroffen hätte.
In seine zweiten Stellungnahme bekräftigte der Verteidiger
von Axel H. die Glaubwürdigkeit der Aussagen seines Kollegen
Euler am 31. Januar. Vor allem hob er die Unmöglichkeit einer
Kontaktaufnahme zwischen der Zeugin Barbara v. W. (die sich am 85.
Prozesstag als Schützin bei der Aktion gegen Harald Hollenberg
bekannt hatte) und dem Angeklagten Rudolf Sch. hervor, weswegen
eine Absprache zwischen beiden unmöglich gewesen wäre.
Zum Abschluss beantragte er die Verlesung des Prüfbuchs eines
Aufzuges im Mehringhof, in dessen Schacht nach Angaben des Kronzeugen
angeblich, das nie gefundene Sprengstoffdepot der RZ untergebracht
gewesen sein soll. Die Verlesung dieses Prüfbuchs, in dem alle
baulichen Veränderungen seit 1909 vermerkt sind, ebenso die
Inaugenscheinnahme von detaillierten Bauplänen im Maßstab
1:20 und 1:100 von 1925 werde zeigen, dass dort nie eine Grube gewesen
ist, wie es Mousli behauptet.
Der Prozess wird am 27. Februar um 9.15 Uhr fortgesetzt. Der morgige
Verhandlungstag, wie auch der am 28. Februar sind aufgehoben.
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