|
Revolutionärer
Zorn Nr. 4 - Januar 1978
Früchte des Zorns
Die Bewegungen, in denen sich die Bedürfnisse der Menschen
ausdrücken, sind heute in Europa sehr vielfältig. Gegen
die totalitäre Zentralisation des Imperialismus wächst
eine neue Kraft, die den Kampf für ein Europa der autonomen
Völker auf ihre Fahnen geschrieben hat. Das irische und baskische
Volk führen diesen Kampf an, die Bretonen, Korsen, Katalanen
und Galizier, die Jurasser und Occitanier sammeln sich hinter dieser
Vorhut. Sie entwerfen die Zukunft eines Europas autonomer sozialistischer
Völker, die in einem Verhältnis gegenseitiger Unterstützung
und gleichwertiger Arbeitsteilung zueinander stehen.
In den internationalen Brigaden der Umweltkämpfer von Malville
und Kalkar formiert sich eine Front, die ihren Ausgang nahm im badisch-
elsässisch- jurassischen "Dreyeckland" der Bauern,
Winzer und Arbeiter. Eine Front, die sowohl regional fest verankert
ist, als auch in der Lage, international zu operieren und der es
gelang, was so wenigen Bewegungen und Revolten gelingt - die Vereinheitlichung
aller Schichten des Volkes und das Niederreißen der nationalstaatlichen
Demarkationslinien. Ihre Anziehungskraft ist deshalb so groß,
weil sie weit über den konkreten Angriffspunkt hinaus, den
Mythos vom "Wachstum", von der "Wissenschaft"
und von den Experten zerschlägt, weil sie eine beispiellose
Massenschulung über ökologische, politische und ökonomische
Zusammenhänge imstande war, zu realisieren und weil sie versucht,
konkrete Zukunftsbilder einer Gesellschaft zu entwerfen, in der
das Gleichgewicht zwischen Menschen und Natur wiederhergestellt
wird; was heißt:
"In
Malville genügten 300 CRS- Bullen, um 50.000 Demonstranten,
die den Bauplatz besetzen wollten, durch Tränengas und Offensiv-
Granaten in die Flucht zu schlagen und zu demoralisieren. Was das
Vorgehen der Bullen angeht, so bietet sich in Kalkar ein qualitativ
anderes Bild. Mit deutschem Perfektionismus wurde das Ziel der Schweine,
nur eine friedliche Demo zuzulassen, erreicht. So wurde z.B. ein
fahrplanmässiger Zug der Bundesbahn auf offener Strecke mit
BGS- Hubschraubern gestoppt. Wer nach Demonstrant aussah, mußte
den Rest der Strecke laufen. Bei tausendfachen Verkehrskontrollen
wurden sogar Zitronen und Halstücher - trotz Blümchenmuster
- beschlagnahmt. 112 wurden im voraus verhaftet, insgesamt 147.000
Personenkontrollen durchgeführt, über 10.000 Demoteilnehmer
zurückgeschickt. Selbst die Vaterlandsgrenzen wurden abgeriegelt,
um Demoteilnehmern aus Frankreich, Holland, Dänemark usw. die
Einreise zu verweigern." (Pflasterstein [71],
KKW- Sondernummer)
Sie hätten nicht die Macht, wenn sie nicht die Mittel hätten,
die Schweine [72];
schrieb die RAF 1972.
Und die Mittel sind seitdem nicht weniger geworden. Das ist die
eine Seite. Und das die andere:
Es gibt kein Regime auf der Welt, das sich mit solch gigantischem
Aufwand in seiner Festung gegen den inneren Feind eingekeilt hat,
das sich auf einen Todesteppich von atomaren Sprengköpfen setzt,
um sich sicherer zu fühlen, das seine Meute von Herrschenden
hinter kleinen Privatarmeen, hinter schußsicherem Glas, in
Panzerwagen und Bunkerwohnungen verstecken muß. Und das trotz
seiner geifernden, wahnwitzigen, tagtäglichen Gehirnwäsche
doch nur bei 16% des Volkes erreicht hat, daß es sich von
der "Schlinge um ihren weißen Herrscherkragen" mitbedroht
fühlt. Und das bedeutete einiges in diesem Land.
"Was die Politiker schwatzen, ist nicht das, was die Leute
denken, sondern das, was sie denken sollen - und wenn sie "wir"
sagen, versuchen sie so zu schwatzen, daß die Leute das, was
sie denken und wie, darin wiedererkennen und für artikuliert
halten - aber der Staat bräuchte die Demoskopie nicht, auch
nicht den Verfassungsschutz, wenn die Indoktrination durch psychologische
Kriegsführung so einfach wäre. Das legale Land ist nicht
das wirkliche Land, sagt Gramsci [73]
oder aber einfach: die herrschende Meinung ist nicht die Meinung
der Beherrschten." (Brief von Ulrike Meinhof an Hanna Krabbe).
[74]
Es gibt eine Tendenz unter den Liberalen und Linken, über
das Land zu jammern, in dem wir leben und alle Hoffnungen auf's
"liberale Ausland" zu setzen. Wir haben diese Analyse
geschrieben, um klar zu machen, daß der faschistische Prozeß
in der Tat nicht zu begreifen ist, wenn man nur auf "dieses
kaputte Land mit seinem kaputten Volk" abhebt. Wir müssen
davon ausgehen, daß wir es mit einem Totalitarismus des industriellen
Systems zu tun haben, der sich anschickt, ganz Europa zu überziehen.
Und "totalitär" heißt per definitionem, daß
alle Handlungsspielräume - individuelle wie kollektive - abgeräumt
werden, das beweisen die letzten 5 Jahre und zwar in einem Tempo,
das sich zunehmend überschlägt.
Für den Widerstand heißt das, gerade und vor allem in
der BRD, sich dem offenen Zugriff dieser "4. Reich- Strategen"
zu entziehen. Heißt: Organisationsformen und Widerstandsmethoden
zu entwickeln, die aus dem Moment des Verdeckten, des Klandestinen
eine Waffe machen. Wir haben gesagt, daß Klandestinität
Massenbewegungen wesentlich fremd ist. Dies wird jedoch zu einer
philosophischen Feststellung angesichts der Situation, in der sich
der legale Widerstand in der BRD heute befindet. Ihm bleibt bei
Strafe des Untergangs nur eines: die Praxis und Techniken des verdeckten,
klandestinen Kampfes sich massenhaft, so schnell wie möglich
anzueignen. Und zwar, weil es selbstmörderisch und uneffektiv
ist, angesichts dieses polizeilich- militärischen Gewaltapparates
in die offene Feldschlacht zu ziehen.
Das Industriesystem zerschlagen, das Ökosystem erhalten!
Von Italien [75] beginnt
eine linksradikale, militante Bewegung auszustrahlen - das explosive
Bündnis von Studenten, Arbeitslosen, Armen und Ghettokindern.
Sie laufen Sturm gegen die wachsende Massenverelendung in den Metropolen,
gegen den dreckigen "Historischen Kompromiß" und
die "Germanizazzione" Italiens, die den "italienischen
Verhältnissen" die deutsche Endlösungsstrategie aufzuzwingen
versucht.
Die Frauenbefreiungsbewegung, die das Gesicht Europas verändert
hat, scheint von dem heraufziehenden Totalitarismus in Europa am
stärksten betroffen zu sein. In dem Sinn, daß es ihr
- besonders in der BRD - ungemein schwer fällt, darauf die
ihr adäquaten Kampfformen zu entwickeln. Sie scheint in dem
Widerspruch zu erstarren, die herrschende Gewalt, die sich in besonderem
Maße gegen Frauen richtet, nicht bekämpfen zu können,
ohne dagegen die Gewalt von unten mobilisieren zu müssen. Für
einen großen Teil ist dieser Widerspruch nur "lösbar",
indem er immer weite gesellschaftliche Bereiche ausblendet. Das
heißt, die Frauenbewegung muß auf diesem Weg trotz ihrer
Breite einen Hang zum sektierischen entwickeln, wenn sie es nicht
schafft, z.B. die Positionen und Aktivitäten der "Politischen"
und "Mili- Tanten" in ihre Konzeption mit aufzunehmen.
Diese Aufzählung kann in ihrer knappen Form nicht auf die
Widersprüche und Probleme eingehen, mit denen sich diese Bewegungen
herumschlagen. Ganz allgemein läßt sich jedoch sagen,
daß sie von der rasant fortschreitenden Zubetonierung der
europäischen Gesellschaften in ihrem Nervenzentrum getroffen
werden - und das ist ihr öffentlicher Charakter.
assenbewegungen brauchen die öffentlichen Diskussionen, die
öffentlichen Handlungspielräume, das öffentliche
kollektive Experimentieren mit Aktionsmöglichkeiten. Sie stehen
ihrem Wesen nach im Widerspruch mit allem Heimlichen, Klandestinen.
Sie brauchen eine "offene" Gesellschaft, um kollektive
Lernprozesse, ein neues, revolutionäres Selbstverständnis
zu entwickeln. Und genau an dieser Offenheit setzt der totalitäre
Überwachungsstaat an, um ihnen die Luft abzuschnüren:
um aus jedem Ansatz zu kollektivem Widerstand eine "Massenfalle"
zu machen: "Es ist geradezu selbstmörderisch, den Staat
- und das sind auf dem Bauplatz nur die Bullen - dann anzugreifen,
wenn er vorbereitet ist und es in der Hand hat, das Geschehen total
zu kontrollieren. Hier werden wir immer die Verlierer sein und unsere
minimalen Kräfte gegen die Bullen verheizen" (Pflasterstein,
KKW- Sondernummer). Manes Sperber [76]
sagt dazu: "Die Zeit ist gekommen, mit dem Leben besonders
jener zu geizen, die willens sind, es zu opfern." Der Lehrer
Hartmut Gründler [77]
ist in Hamburg so einen sinnlosen Opfertod gestorben. Doch es gibt
viele Arten, sich zu töten - Selbstverbrennung ist die eine
- zu resignieren die andere Möglichkeit.
Wenn von Praxis und Techniken des verdeckten, klandestinen Kampfes
die Rede ist, dann ist damit noch nicht Guerillakampf gemeint, sondern
eine Methode, die viele Abstufungen kennt und daher massenhaft möglich
ist. Es ist eine Ebene des Kampfes, auf der die notwendigen politischen
und praktischen Erfahrungen gemacht werden können, auf der
man sich selber kennenlernen kann, von wo man wieder zurück
kann oder aber aufgrund dieses Lernprozesses den Entschluß
fassen kann, den Widerstand mit Waffen zu führen.
"Daß aber kleine Gruppen auch in einem hochindustrialisierten
Staat angreifen, sein sorgfältig ausbalanciertes Gefüge
politischer, wirtschaftlicher und sozialer Funktionen und Funktionsabläufe
lähmen oder zerschlagen und sein vielfach überlegenes
militärisches Potential mit vergleichsweise geringem Risiko
unterlaufen, wird auch heute noch allgemein für unmöglich
gehalten." (Müller- Borchert, Guerilla im Industriestaat).
[78]
Wir haben in dieser Untersuchung nachgewiesen, daß dieses
"sorgfältig ausbalancierte Gefüge politischer, wirtschaftlicher
Funktionen und Funktionsabläufe" des hochindustriellen
Staates zunehmend die Balance verliert, was mit einer immer despotischeren
Organisation der Macht beantwortet wird. Widerstand hat in dieser
Phase die Aufgabe, durch ein immer dichteres Netz von großen
und kleinen Aktionen diese substantielle und legitimatorische Krise
zu verschärfen und gleichzeitig sich gegen die totalitäre
und faschistische Lösung zu formieren und zu bewaffnen.
Die Guerilla in Westeuropa hat den antiimperalistischen Kampf bewaffnet
und somit eine Form des Kampfes gewählt, die sich in einen
gewissen Widerspruch zu Massenorganisationen setzt.
"Indem die Stadtguerilla direkte Aktionen gegen das Eigentum
der Regierung und der großen Kapitalisten durchführt,
setzt sie sich automatisch außerhalb der Legalität und
die Stadtguerilleros werden von den Organen des Staates verfolgt.
Jede Aktion der Stadtguerilla ist illegal. Ihre bloße Existenz
ist illegal. Die Stadtguerilla setzt sich daher als Kampfform ständig
in einen Widerspruch zur unterdrückten Klassen, eben weil diese
nicht insgesamt in die Illegalität gehen kann bzw. wenn sie
es tut, der Kampf so verallgemeinert wird, daß die Stadtguerilla
als solche aufhört zu bestehen. Natürlich würde die
Stadtguerilla untergehen, wenn sie nicht gleichzeitig mit dem Setzen
des Widerspruchs auch die Form seiner Lösung entwickeln würde
... Wenn die Stadtguerilla Aktionen durchführt - und sie sind,
wie wir gesehen haben, immer illegal - dann muß sie gleichzeitig
einen Prozeß auslösen, der den unterdrückten Massen
die Teilnahme an den Aktionen ermöglicht ... Der Widerspruch
läßt sich also nicht innerhalb der Kampfform lösen,
sondern nur im Verhältnis zum Bewußtsein der Massen,
die nicht an den Aktionen teilnehmen. Indem die Stadtguerilla das
revolutionäre Bewußtsein der Massen entwickelt, die nicht
an ihren Aktionen teilnehmen, sich aber damit identifizieren können,
findet dieser Widerspruch erst die Form, innerhalb derer er sich
lösen kann. Das heißt natürlich nicht, daß
er damit verschwindet: er wird vielmehr bei jeder neuen Aktion und
während des gesamten revolutionären Kampfes auftreten."
(Alex Schubert, Die Stadtguerilla als revolutionäre Kampfform,
S. 9) [79]
Daß dieser Widerspruch mit Fortschreiten des revolutionären
Prozesses einer Lösung entgegen geht, beweisen die Funktion
und Stellung der IRA im irischen und der ETA im baskischen Kampf.
Ähnliches ist in Italien zu beobachten, wo sich in den letzten
Revolten die Kampfform der Guerilla, der Roten Brigaden und der
Bewaffneten Proletarischen Zellen immer mehr vermasste.
In der BRD ist dieser Widerspruch am stärksten ausgeprägt.
Die Gründe dafür sind schon tausendmal analysiert, dargelegt
und beklagt worden. Bloß: der Widerspruch wird ständig
wachsen, wenn nicht hier und heute an seiner Lösung gearbeitet
wird. Und die praktische Antwort kann nur heißen: Aktionen
primär unter dem Gesichtpunkt der Vermassung durchzuführen,
d.h. sie dort anzusetzen und mit den Mitteln durchzuführen,
die sie für die Leute nachmachbar machen bzw. mit denen sie
sich identifizieren können. Dies gilt für das ganze Spektrum
unseres Kampfes: für den Nulltarif in öffentlichen Verkehrsmitteln,
gegen Fabrikdirektoren, Jugendzentrumsliquidatoren, Wohnungsspekulanten,
chauvinistische Ärzte, Sex- Shops und Kirchen, Ausländerpolizei,
die Atomindustrie, die chilenische Gorilla- und südafrikanische
Rassendiktatur.
Zur Lösung des Widerspruchs gehört der Aufbau einer Gegenpropaganda
wie Zeitungen oder Schwarzsendern in West- Berlin. Dazu gehört
das Vermitteln von Techniken, wie der Bau von Brand- und Sprengsätzen,
Fälschen, Anleitungen zum Senderbau usw. Und dazu gehört
der Schutz derer, die sie z.B. wegen nachgedruckter Sozialscheine
drankriegen wollen. Nachdem die Autos von Richtern und Staatsanwälten
brannten, gab es nur noch Freisprüche.
Zur Lösung des Widerspruchs gehören weiterhin, daß
wir in der Anti- AKW- Front, der Frauenbewegung, in Bürgerinitiativen
und Betriebsgruppen mitkämpfen. Nicht zur Zwecke der "Rekrutierung",
denn es kann nicht darum gehen, die Militanten aus allen Bereichen
abzuziehen und sie gesondert zu organisieren (das war z.B. ein wesentlicher
Fehler der Tupamaros), sondern sie in ihren Bereichen zu unterstützen
und zusammen wie die Hefe im Teig zu wirken. Das meint auch die
Parole: "Schafft viele revolutionäre Zellen". Sie
ist politisch richtig, weil sie auf der Autonomie, der Eigeninitiative
und jeweiligen Verankerung der einzelnen Zellen aufbaut und sie
ist sicherheitspolitisch richtig, weil allein eine Organisation,
die auf selbständig operierenden Gruppen aufbaut, in einem
totalitären Überwachungsstaat die Chance hat, nicht aufgerollt
und zerschlagen zu werden. Dafür liefern die Revolutionären
Zellen seit fünf Jahren den Beweis.
Das kann nicht heißen, daß es so etwas wie eine Garantie
gibt, daß wir es schaffen werden. Und das heißt auch
nicht, daß wir heldenhafte Idioten sind, die "ihr Leben
für eine These aufs Spiel setzen", wie sich der Biermann
[80] mal dazu äußerte.
Das bedeutet nur, daß es in Anbetracht aller Ängste,
aller Schwierigkeiten, aller Widersprüche für die Unterdrückten
keine andere Möglichkeit gab, gibt und weiterhin geben wird,
als zu kämpfen - mit allen Waffen, die ihnen zur Verfügung
stehen. Und das sind beileibe nicht nur militärische, aber
ohne sie haben wir keine Chance. Die Geschichte der Menschheit ist
voll von Versuchen, das Problem anders zu lösen, mit Verweigerungsstrategien,
mit Petitionen, mit Hungerstreiks, mit Selbstverbrennungen usw.
Sie alle appellieren an eine moralische Substanz der Herrschenden,
die es nicht gibt. Dagegen steht eine andere Tradition, die allein
das Risiko, sich in Gefahr zu begeben, lohnt. Nämlich die,
sich im Kampf gegen die Menschenfresser zu bewaffnen. Denn, wenn
je die Unterdrückten ihre Lage verändern konnten, dann
nur auf diesem Wege. Das heißt nicht, daß alle Versuche
erfolgreich waren, sondern, daß alle Erfolge nur auf diesem
Wege erreicht wurden. Das meinen wir, wenn wir sagen, daß
es keine Garantieren gibt, um dazuzufügen, daß es keine
andere Möglichkeit gibt. Angesichts des Weges der United States
of Europe ins "4. Reich" wird es immer dringlicher, diesen
Prozeß in seiner barbarischen Konsequenz zu demaskieren. Demaskierung
ist keine Schreibtischarbeit, sondern eine Funktion revolutionärer
Praxis, die zum Ziel hat, alle revolutionären Kräfte gegen
die Kräfte der Barbarei zu sammeln und zu mobilisieren, die
Bornierung der verschiedenen Bewegungen auf ihr "Spezialgebiet"
auf eine einzige und ausschließliche Interventionsform, selbst
wenn diese sich längst als nicht mehr tauglich erwiesen hat,
zu überwinden.
Wir meinen dies ausdrücklich nicht nur auf die BRD bezogen.
Denn wenn hier angesichts einer Mobilmachung des Faschismus die
revolutionären Perspektiven zu erstarren und zu ersticken drohen,
dann wird der Austausch mit den Initiativen und Erfahrungen in anderen
westeuropäischen Ländern, dann wird die gegenseitige Unterstützung
umso dringlicher. Wenn es dem revolutionären Lager nicht gelingt,
die verschiedenen Revolten der Klassen und Völker zu vereinigen,
dann wird es der Faschismus einkreisen und vernichten - ideologisch,
politisch, militärisch. Die revolutionären Kräfte
vereinen meint, den beiden Grundübeln der verschiedenen Bewegungen
und Revolten entgegenzuarbeiten: Dem Kampf ohne Einheit und der
Einheit ohne Kampf.
Dies erscheint uns nur möglich, wenn ein Prozeß in Gang
kommt, in dessen Verlauf jenseits der vielfältigen Erscheinungsformen
der gemeinsame Feind wieder ausgemacht wird, der sich hinter Atomlobby
und Rassismus, hinter Männerherrschaft und Völkermord,
hinter dem Totalitarimus der Industrieregime, psychischer Verelendung
und Hungerkatastrophen verbirgt. Das bedeutet wesentlich wieder
einen Begriff vom antiimperialistischen Kampf [81]
zu bekommen, der mit Ende der Studentenbewegung für viele zur
"Außenpolitik", zur revolutionären Pflichtübung
verkommen ist. Einst der Geburtshelfer und Motor der politischen
Bewegungen und Revolten in den Metropolen, fristet er heute eine
kümmerliche Existenz zwischen inhaltsleeren Solidaritätserklärungen
und lästigen Spendenaufrufen. Viele mögen sich nicht mehr
mit Palästina, Südafrika, Chile, Portugal, Argentinien,
den USA abgeben. Das sei zu abstrakt, da könne man keine politische
und emotionale Betroffenheit mehr aufbringen. Von entfremdeter Kampagnen-
und Interventionspolitik ist die Rede, vom alten Trip "Politik
zu machen", um sich nicht mit der eigenen Veränderung
beschäftigen zu müssen.
Die
mangelnde Betroffenheit ist tatsächlich nicht mehr zu übersehen.
Untersucht man die Ursachen dafür genauer, dann liegt das weniger
an der "Abstraktheit des Internationalismus", sondern
in der konkreten Enttäuschung darüber, daß es mit
der Revolution in aller Welt nicht so läuft, wie man sich's
vorgestellt hatte (die Gründe dafür haben wir versucht
im ersten Teil darzulegen). Der Internationalismus- Boom der sechziger
Jahre war immer und in erster Linie eine Identifizierung mit Siegen.
Che und Ho [82], Kuba
und China, Vietnam waren die lebendigen Beweise dafür, daß
es möglich ist, den Koloß Imperialismus zu schlagen,
das Unabänderliche zu ändern. Das brachte auch die versteinerten
Verhältnisse in den Metropolen zum Tanzen. Die zwanzigjährige
Betonierung von Macht und Ordnung, Antikommunismus und Untertanenmentalität,
der ganze Müll der dreckigen fünfziger Jahre wurden hinweggefegt
und setzte maßlose Kräfte, Hoffnungen und Phantasien
frei:
Hundert Blumen blühten [83]
plötzlich in der Steinwüste. Eingebettet in die weltweite
Offensive der revolutionären Kräfte, mit dem Vietcong
[84], den Fedayjin
[85], den Tupamaros
[86], den Black Panthers
[87] als Vorhut, schien
unser Sieg nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Als
die revolutionäre Offensive in den siebziger Jahren weltweit
in die Defensive gedrängt wurde, hat sich dieses Verhältnis
schlagartig geändert. Dies drückte sich in Parolen aus
wie "Kämpft nicht die Schlachten von anderen", "Unterstützung
für Kämpfe von Dritt- Welt- Völkern ist Politik aus
bloß schlechtem Gewissen" und "Man kann jemand nur
über seine eigenen Interessen organisieren".
Es geht nicht darum, daß diese Parolen, für sich genommen,
zum Teil nicht falsch sind; es geht darum, daß damit eine
begriffliche und praktische Abkoppelung der Auseinandersetzungen
in den Metropolen von den Kämpfen in den unterentwickelt gehaltenen
Ländern betrieben wird.
Denn wir haben nie die Schlachten von anderen gekämpft, das
ist der Rassismus der weißen Herren, die mal wegen Tal- Saatar
auf die Straße gegangen sind - sie sind es nicht mal. Wir
haben nur eine Deckungsgleichheit unserer eigenen Interessen und
denen der Völker der Dritten Welt erfahren und zum schlechten
Gewissen ist diese Erfahrung erst verkommen, als durch den Verlust
der eigenen Perspektive anstelle des einstmals praktischen Verhältnisses
wieder ein nur moralisches trat.
Die Aufkündigung des Internationalismus, die Reduzierung des
Begriffs vom antiimperialistischen Kampf auf Außenpolitik,
führt dazu, den Begriff vom eigenen Kampf zu verlieren, führt
zu einer heillosen Ver- Gruppelung des revolutionären Lagers.
Indem sich jeder seinen eigenen Feind strickt. Es gibt zwar viele
Fronten und an den Barrikaden wird in vielen gesellschaftlichen
Bereichen gebaut, doch der Feind dahinter ist immer derselbe und
sein Vorgehen ist allein davon bestimmt, zu spalten, um getrennt
schlagen zu können.
Antiimperialistischer Kampf bedeutet, den gemeinsamen Nenner immer
wieder herauszuarbeiten und anzugreifen und damit eine Grundlage
für die Vereinheitlichung und Verbreiterung der revolutionären
Kräfte zu schaffen, die sich sonst immer zusammenhangloser
an den Erscheinungsformen des imperialistischen Weltsystems in allen
Bereichen (Fabrik, Umwelt, Schule, Universität usw.) abarbeiten
werden. Indem in ihm immer wieder die wirklichen Ursachen und Verursacher,
die eigentlichen Zusammenhänge, die verborgen bleiben sollen,
aufgezeigt und angegriffen werden, entwerfen wir Stück für
Stück die Umrisse des Feindes, zeichnen ein immer genaueres
Bild von ihm, seinen verbrecherischen Praktiken und Absichten.
Denn während für den Kolonialisierten der Feind in Gestalt
des Besatzers klar zu erkennen ist, weil er ständig die Tritte
seiner Stiefel spürt, ist dessen Herrschaft in den Metropolen
vielschichtiger, schillernder, psychisch und physisch tiefer verankert.
Der antiimperialistische Kampf in den Metropolen hat zunächst
die Aufgabe, Trennungslinien zu ziehen, die verwischten Fronten
Zug um Zug klarzumachen. So verstehen wir unter anderem unsere Angriffe
auf die US- Armee. Wir haben sie gezwungen, ihr Erscheinungsbild
dem Volk gegenüber immer mehr mit ihrer Funktion als imperialistische
Besatzungsmacht in Übereinstimmung zu bringen. Wir haben sie
gezwungen, sich immer mehr einigeln zu müssen, hinter 2 Meter
hohen Elektrozäunen, hier dreifachem Natostacheldraht, ihre
Wachposten im letzten Jahr zu verzehnfachen, "Volksfeste",
wie das geplante 20tägige zur 200- Jahr- Feier [88]
abzusagen, Sicherheitsbesprechungen nicht mehr in Casino- Atmosphäre
abhalten zu können, weil ihnen im Juni vergangenen Jahres dabei
eine Bombe unterm Arsch gezündet wurde.
Wir haben dieses Beispiel gewählt, um daran klarzumachen,
daß Angriffe auf die Zentralen des Imperialismus nicht allein
daran gemessen werden können, ob sie einem unmittelbaren Masseninteresse
entspringen, sondern auch daran, ob sie dem Feind den reibungslosen
Ablauf seiner schmutzigen Geschäfte erschweren. Wir haben dieses
Beispiel nicht gewählt, um damit durch die Hintertür doch
wieder einen Begriff von antiimperalistischem Kampf einzuführen,
der ihn ausschließlich in den "großen Schlägen"
gegen die Zentralen der Menschenfresser verwirklicht sieht.
Antiimperialistischer Kampf, das ist alles, was die Ruinierung
der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Metropolen vorantreibt,
um dagegen die Menschen als Maß aller Dinge zu setzen und
in den kämpfenden Kollektiven die Keimformen einer neuen Gesellschaft
zu verwirklichen.
Indem
in ihnen die Verzweiflung der Einzelnen in der kollektiven revolutionären
Praxis der Gruppe aufgehoben wird, werden sowohl die "objektiven
Bedingungen", die unabänderlich erscheinen, veränderbar,
als auch die Verhältnisse der Menschen untereinander von ihnen
neu und freier bestimmbar. Sie durchbrechen den Teufelskreis, in
dem sich die zerstörerischen Bedingungen in der Selbstzerstörung
bzw. gegenseitigen Zerstörung der Individuen fortsetzen und
somit immer aufs Neue eben diese Bedingungen ermöglichen und
stabilisieren. Den Teufelsskreis durchbrechen heißt nicht,
daß wir uns von der ganzen Scheiße befreit haben, sondern
daß wir sie immer mehr in den Griff bekommen, daß sie
uns nicht mehr beherrscht, daß wir uns gegenseitig dazu befähigen,
von uns selbst, von dem, was wir wollen, von dem, "was für
ein Land aufgebaut werden soll", konkretere Vorstellungen zu
entwerfen und sie zu verwirklichen. Malatesta [89]
drückt dies folgendermaßen aus: Der Kommunismus muß
in den Herzen verwirklicht sein, bevor er an den Dingen verwirklicht
werden kann". Um ihn in den Herzen zu verwirklichen, bedarf
es der kollektiven revolutionären Praxis.
Für uns heißt das: Die Kämpfenden Kollektive als
die Keimzellen einer neuen Gesellschaft aufbauen und vermassen.
[Zurück zum Inhaltsverzeichnis] [weiter]
|