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Revolutionärer
Zorn Nr. 4 - Januar 1978
"Denn wir gehen nicht unter in Niederlagen, aber in Kämpfen,
die wir nicht kämpfen"
Unsere Kenntnis des neuen Faschismus ist noch nicht abgeschlossen,
sie beginnt langsam Gestalt anzunehmen, wenn man an seinen Ursprung
zurückgeht (André Glucksmann) [19]
Die Repression in der BRD ist längst kein innerdeutsches Problem
mehr. In Frankreich arbeiten Komitees "Gegen ein Europa unter
deutsch/amerikanischer Vorherrschaft"; die italienischen Genossen
haben den Kampf gegen die "Germanizziazione" [20]
auf ihre Fahnen geschrieben; in Paris, Marseille, Rom, Madrid, Athen
... gehen deutsche Niederlassungen in Flammen auf; in den Schweizer
Alpen wird Springers Fluchtburg eingeäschert; das Russell-
Tribunal klagt nach dem amerikanischen Völkermordprogamm in
Vietnam, den Gorilla- Diktaturen [21]
in Brasilien und Chile das "Modell Deutschland" an; Stammheim
ist weltweit zum Synonym für Vernichtungshaft und weiße
Folter geworden, "Berufsverbote", "Todesschuß"
und "Ausrottung des linken Sumpfes" zu internationalen
Begriffen für bundesdeutsche Innenpolitik.
Griechenland
wird durch den "Fall Pohle" [22]
in seine größte innenpolitische Krise gestürzt,
seit die USA die Junta gegen das Karamanlis- Regime austauschte.
Die unverschämte, erpresserische "Arroganz der BRD- Macht",
die ihre ökonomische Zuchtrute EG ins Spiel bringt, entfacht
eine antifaschistische Volksbewegung gegen den BRD- Imperialismus
und das Karamanlis [23]-
Regime als dessen Vollzugsorgan. So wird der "Fall Pohle"
dort zum Kristallisationspunkt einer noch aus der Juntazeit total
zersplitterten Linken,der endlich wieder gemeinsame Diskussionen
und Strategie möglich macht.
Doch von alledem wird in der BRD wenig wahrgenommen. Im Kernland
des europäischen Imperialismus ist eine erschreckende Lähmung
der oppositionellen Kräfte festzustellen, die mit wenigen Ausnahmen
überhaupt noch nicht thematisiert haben, was andernorts die
europäische Linke bereits konkret bekämpft: die United
States of Europe unter deutsch- amerikanischer Vorherrschaft.
Die United States of Europe - "das ist nicht das Europa der
Arbeiter, ein Europa, das unabhängig sein sollte, gleichzeitig
von den USA und der Sowjetunion" (Vigier [24])
- die USE, das ist das Europa der Bosse und Bullen.
"Seit langem war die Entwicklung der wichtigsten Produktivkräfte
in Gefahr, im zu engen Rahmen des alten Nationalstaates zu ersticken.
Vor allem im Fall Deutschland war dies eindeutig bewiesen. Nach
dem zweimaligen Scheitern einer gewaltsamen Expansion nach dem Osten,
versuchen heute die Produktivkräfte Westdeutschlands, sich
durch Expansion nach dem Westen einen Weg aus ihren engen Nationalgrenzen
heraus zu bahnen ... Der größere Markt ermöglicht
größere Produktionseinheiten, größere Kapitalballungen,
größere Rationalittät in der Auswahl der Produktionsstätten
und der Transportmittel." (Mandel [25],
"EWG- USA", S. 41)
Dieser Beschreibung der europäischen Wirtschaftsintegration
muß hinzugefügt werden, daß sie auf der Grundlage
einer in großem Umfang vollzogenen amerikanisch- europäischen
Konzernintegration erfolgte und daher im wesentlichen nicht als
konkurrierender Zusammenschluß gegenüber dem US- Kapital
zu verstehen ist, sondern als die Organisationsebene des transnationalen
Kapitals im europäischen Raum.
Der hohe Grad der ökonomischen Verfügungsgewalt des transnationalen
Kapitals über Europa verlangt nach einer Entsprechung im politischen
Bereich, d.h. eine Zentralisierung der politischen Entscheidungen.
Die FAZ nennt das "In Europa wieder Staat machen". "Ein
Europa, das endlich mit einer Stimme spricht", das bedeutet
die schnellstmögliche Beseitigung der dieser Zentralisierung
hinderlichen Restbestände nationaler Souveränitäten.
"Souverän sind sie (die europäischen Staaten) nicht
mehr in einem politischen, sondern nur noch in einem abstrakten
völkerrechtlichen Sinne ... Mittlerweile sind andere Organsiationen
entstanden ... z.B. die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, OECD, und die Notenbankkonferenzen für die
Steuerung des internationalen Wirtschafts- und Währungssystems
oder der Gemeinsame Markt für die Sicherheit des Handels und
der Arbeitsplätze in Europa ... Aber wichtiger ist wohl, daß
es den Staaten mittlerer Größe schwerer fällt, sich
so rücksichtslos wie die meisten europäischen Kleinstaaten
ihren Mangel an Bedeutung einzugestehen. Sie sind noch nicht ganz
entmachtet ... Aber daneben ist eine neue transnationale Souveränität
auf Teilgebieten entstanden, die noch darauf wartet, beschrieben
zu werden. Haben die großen multinationalen Gesellschaften
daran ihren Anteil?" (FAZ 4.11.75)
Eine rhetorische Frage, denn sie ist bereits präzise beantwortet
worden: Träger dieser neuen transnationalen Souveränität
sind die Systeme der USA und der BRD. Im Zug der weltweiten Offensive
des transnationalen Kapitals versuchen diese beiden Zentren, ökonomische
und politische Suprastrukturen aufzubauen oder haben sie bereits
aufgebaut, in die sich die anderen Staaten so schnell wie möglich
integrieren wollen bzw. müssen. In diesem Rahmen ist die EG,
ein "Marshallplan für Südeuropa" (Brandt) zu
verstehen als die Zentralisierung der politischen Gewalt mittels
Auflösung der nationalen Souveränitäten durch Bildung
eines europäischen Supranationalstaates unter bundesdeutscher
Regie. Die jeweiligen Statthalter für dieses Geschäft
sind bereits auch in den Peripherieländern erfolgreich aufgebaut
und zum Teil schon durchgedrückt worden:
Karamanlis, Echevit [26],
die Gebrüder Soares [27]
& Suarez [28],
Gonzales [29] (PSOE)
nicht zu vergessen:
- die "sozialistische Internationale" als ideologischer
Kopf
- die ökonomische Erpressung durch den deutsch- amerikanischen
Imperialismus als Integrationsinstrument
- das "Modell Deutschland" als europäische Innenpolitik.
Die hier knapp angedeuteten "europäischen Strategien"
des multinationalen Kapitals und ihrer sozialdemokratischen Statthalter
(wenn die Bourgeoisie heute auf die Sozialdemokratie setzt, dann
deshalb, weil sie von ihr erwartet, daß sie in diesem entscheidenden
Umstrukturierungsprozeß die Arbeiter besser kontrollieren
kann; (in Italien kommt der KP dieselbe Funktion zu) sind nur auf
dem Hintergrund einer gigantischen Umstrukturierung des Weltmarktes,
die sich in den letzten 10 Jahren vollzogen hat, zu verstehen. Wir
müssen uns daher mit diesem Umstrukturierungsprozeß näher
befassen, obwohl die Einheitlichkeit dessen, was sich in Europa
abspielt, darunter leidet.
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