Übersicht
Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund
Mailingliste
Mail
Suche
|
110. Prozesstag: 9. Januar 2003
"Vertrauen sie nicht auf mein Gedächtnis. Das ist katastrophal!
Aber wenn ich Bilder sehe oder wenn Sie Namen sagen, dann kommt
es schon wieder" (T.Mousli)
Ein kurzer Tag, der seine Spannung aus den Anträgen zog, die
RAin Studzinsky stellte, um - einmal mehr - die völlige und
offensichtliche Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen Tarek Mousli
zu untermauern.
- Antrag auf Ladung
von Zeugen
- Antrag auf Ladung
von Zeugen
- Antrag auf Ladung
eines Zeugen
- Antrag auf Ladung
von Zeugen und Inaugenscheinnahme einer Lichtbildmappe
- Antrag auf Ladung
von Zeugen und Inaugenscheinnahme div. Lichtbildmappen und Verlesung
von Protokollen des Bundesverfassungsschutzes
Trotz dieser nicht enden wollenden Anhäufung zum Teil haarsträubender
Widersprüche und blanker Lügen sitzen Senat und Bundesanwaltschaft
in ihren Sesseln wie reglose Wachsfiguren. Wiewohl die Anträge
mal wieder den Verdacht nährten, die Bundesanwaltschaft habe
wissentlich Informationen und Akten zurückgehalten, hatte Bundesanwalt
Bruns nur sein überheblichstes Grinsen für die Tatbestände
übrig: Einmal mehr entsteht der Eindruck, das Gericht habe
gemäß den "Wünschen" der Bundesanwaltschaft
bereits sein Urteil fertig - egal welche "Hämmer"
das weitere Verfahren, das Kenner noch bis Juni 2003 dauern sehen,
noch bereithält.
Fotos gucken und sich vorlesen lassen
Zunächst wurde wieder mal der Kriminalbeamte B. zu den Lichtbildmappen
befragt, welche dem unterdessen verstorbenen Geschädigten Harald
Hollenberg im Zusammenhang mit dem Knieschussattentat der RZ auf
ihn im Oktober 1986 vorgelegt worden waren. Hollenberg hatte mit
seinen Aussagen über die Schützin ein Phantombild ermöglicht
und hatte sodann in einer der beiden Bildmappen des BKA das Bild
einer Frau entdeckt, welches "nach Alter und Gesichtsform"
der Täterin am nächsten komme, wie er zu Protokoll gab.
Ansonsten berief sich der Vernehmungsbeamte B. darauf, dass er alles
nur der Wahrscheinlichkeit nach, nicht jedoch mit Gewissheit bezeugen
könne, liege der Sachverhalt doch 16 Jahre zurück. Über
das Interesse des Gerichts an der Aufklärung der Sachfragen
sagte die Tatsache viel aus, dass erst Rechtsanwalt Euler auffiel,
dass in derselben Mappe - und nicht nur in den anderen Mappen -
auch ein Bild der jungen Frau Eckle enthalten war, welches dem Zeugen
mithin ebenfalls vorgelegt worden sein muss, ihm aber offenkundig
nichts sagte. Schließlich, so zitierte B., habe Hollenberg
ja von einer "unattraktiven Erscheinung" gesprochen, was
man, so B., ja über Frau Eckle nicht sagen könne. Männliche
Heiterkeit im Gerichtssaal.
Schon 1985: Sprengstoff im Mehringhof
Ein rüstiger Pensionär, einst Beauftragter in Sachen
Sicherheit und Katastrophenschutz bei der Senatsverwaltung Berlin,
rekonstruierte einen Anruf aus dem Jahre 1985, der im Vorzimmer
des damaligen Justizsenators mit dem Hinweis einging, dass Sprengstoff
im AL-Büro und einer Buchhandlung im Mehringhof deponiert sei.
Er habe diesen Hinweis seinen Aufgaben gemäß damals dem
Staatsschutz gemeldet. Aus eigener Erinnerung konnte der 73-Jährige
jedoch nicht mehr beitragen als die Feststellung, der Mehringhof
sei ihm aus seiner damaligen Tätigkeit als höchster Fachbeamter
der Staatsanwaltschaft natürlich ein Begriff gewesen.
RA Euler stellte sich mit einer Erklärung als Zeuge zur Verfügung
über das zeitliche Zustandekommen der Aussage Rudolf Schindlers
zum Anschlag auf Hollenberg und die Tatbeteiligung von Barbara W.
RAin Lunnebach beantragte
die Ladung der Polizeifotografin, die das Foto des aus dem Seegraben
gefischten Sprengstoffpaketes gemacht hatte. Außerdem soll
ein freischaffender Fotograf und Experte für digitale Architekturdarstellung
aussagen, welcher die besagten Fotos der Polizeifotografin bereits
digital bearbeitet und Abzüge in Originalgröße angefertigt
hat, welche Frau Lunnebach dem Gericht übergab. Bewiesen soll
damit werden, dass das Sprengstoffpaket einen Durchmesser von mindestens
14 - 14,5 Zentimeter sowie eine Länge von mindestens 42 Zentimeter
gehabt haben muss, womit Archimedes (d.h. dass dieses Paket gar
nicht hätte sinken können) wieder im Spiel wäre (101.
Prozesstag).
Gehört, gelesen oder schlicht erfunden
Die Anträge der Verteidigerin des Angeklagten Glöde fußen
auf intensiver Sichtung der Protokolle der Vernehmungen des Kronzeugen
im Laufe der Jahre 1999 bis 2001 (Diese Anträge werden in Kürze
auf der Freilassungsseite ins Netz gestellt). Der erste Antrag drehte
sich wieder um Lichtbildmappen, diesmal jene, die dem Kronzeugen
vorgelegt wurden. Er erkannte darauf einmal die Person Thomas Krams
(Deckname "Malte"), die er jedoch nur einmal in seinem
Leben aus der Entfernung und sehr kurz gesehen haben will, als dieser
sich mit "John" nahe dem Bahnhof Zoo getroffen haben soll.
Auf einem anderen Foto, das ein Pärchen in Bad Kleinen zeigt,
schließt er aus, dass es sich bei dem abgelichteten Mann um
diesen "Malte" handelte, den er ja doch nur flüchtig,
um nicht zu sagen: gar nicht, kannte. Gerd Albartus jedoch, den
er als sehr guten Freund bezeichnete, mit dem er schon vor seiner
aktiven RZ-Zeit intensive Gespräche auch zu strafrechtlich
hoch sensiblen Themen - wie zum Attentat auf den hessischen Wirtschaftsminister
Karry - geführt habe, erkannte er auch auf mehreren sehr eindeutigen
und deutlichen Bildern bei verschiedenen Vernehmungen nicht. Über
Albartus, von dem er ja schließlich auch 1985 für die
RZ angeworben sein will, machte der Kronzeuge weitere belastende
Aussagen, die jedoch nachweislich unwahr sind. So berichtete Mousli
davon, dass Albartus enge Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit
(MfS) gehabt habe, von dort sogar Warnungen erhalten habe und auch
1986 und 1987 nach Ostberlin gereist sei. Tatsache ist jedoch, so
Studzinsky, dass Albartus wie im übrigen auch Mitglieder der
Gruppe um Weinrich und "Carlos" seit 1985 mit einem Einreise-
und Durchfahrtsverbot für die DDR belegt waren.
Suggestive Produktion belastenden Gedächtnismaterials
An den Aussagen, die Mousli im Zusammenhang mit einem Arzt, der
der linksextremen Szene Kreuzbergs jener Jahre zugerechnet wurde,
verdeutlicht Studzinsky in einem weiteren Antrag, wie Mousli, der
den Betreffenden zunächst weder kennen wollte noch auf Fotos
erkannte, Aussagen von den vernehmenden Beamten untergeschoben werden
und im Laufe der Anhörungen zu Statements aus seiner Erinnerung
werden, die Unbeteiligte zum Teil erheblich belasten. Zunächst
habe er abgestritten, die betreffende Person zu kennen und erkannte
sie nicht in einer Lichtbildmappe. Die vernehmenden BKA-Beamten
fragten, wie das sein könne, wo doch diese Person in einer
einschlägigen WG in der Kreuzberger Manteuffelstraße
wohne. Allmählich formte sich in Mouslis willfährigem
Gedächtnis, was im Verfahren als seine Aussage, seine Erinnerung
verkauft wird: beim Vorlegen eines Fotos papageit er, es handele
sich um einen jener WG-Mitbewohner, von dem er über den Angeklagten
Glöde erfahren habe, er würde auch Illegale in der Weise
behandeln wie die Untergrundsanitäter der Tupamaro-Stadtguerilla
in Uruguay. Einige Monate vorher wußte er schlicht nichts
über diesen Arzt. Frau Studzinsky empfahl, sich an Mouslis
Selbsteinschätzung im Bezug auf seine Gedächtnisleistung
zu halten. In einer Vernehmung sagte er: "Vertrauen sie nicht
auf mein Gedächtnis. Das ist katastrophal! Aber wenn ich Bilder
sehe oder wenn Sie Namen sagen, dann kommt es schon wieder".
Blanko- Erinnerung über Blanko- Pässe
Ein weiteres eklatantes Beispiel für diese Art von suggestiver
Produktion belastenden Gedächtnismaterials böten, so der
nächste Antrag, Mouslis Aussagen zu Helmut H., dem er die illegale
Beschaffung von Blanko- Reisepässen aus der Bundesdruckerei
für die RZ anlastete. Da jedoch nach Ermittlungen des BKA seit
1971 keine Blanko- Papiere mehr aus der Bundesdruckerei verschwunden
sind, werde deutlich, dass Mousli erneut aus einem Hörensagen
plauderte, das er zur Befriedigung von Aussagebedürfnissen
der Verfolgungsbehörden nach Bedarf aus seiner Fantasie angereichert
habe, so Studzinsky. Pikantes Detail: Obwohl dfas BKA wusste, dass
gar keine Pässe fehlten besorgte es sich einen Durchsuchungsbefehl
für H.''s Wohnung, quasi unter Weglassung dieser entlastenden
Fakten. Der Schluss, dass H., der in jenen Jahren als Programmierer
beim Bundeszentralregister arbeitete, Zugriff auf die Bundesdruckerei
gehabt habe, sei ein Beispiel frei assoziierenden Erfindungsgeistes,
meinte Frau Studzinsky.
Die Akten zu dem abgetrennten sogenannten Strukturverfahren gegen
H. und die Feststellung der Bundesdruckerei zu verschwundenen Pässen
habe die BAW in Teilen bis heute unterschlagen, um Senat und Verteidigung
willentlich im Unklaren über diese Lüge Mouslis zu lassen,
vermutet die Anwältin. Sie konstatierte hier eine Pflichtverletzung
seitens der Staatsanwaltschaft, welche von Rechts wegen auch für
die Berücksichtigung entlastenden Materials zu sorgen habe.
Ein weiterer Widerspruch findet sich in Mouslis Aussagen zu seiner
Kenntnisnahme des sogenannten Luka-Briefes (der im Zusammenhang
mit den bekannten RZ-Papieren "Das Ende unserer Politik"
und "Wir müssen so radikal sein wie die Wirklichkeit"
von einer Einzelperson verfasst worden sein muss), von dem er erst
1994 erfahren haben will, als der Angeklagte Glöde ihn zum
Wiedereintritt in die RZ habe bewegen wollen. Das Papier, das er
zunächst gar nicht gekannt haben will, das sich dann in der
Erbmasse seines verstorbenen Freundes Roger befunden haben soll
(wo es bei einer Hausdurchsuchung in Mouslis Wohnung auftauchte),
wohin es dann doch wieder möglicherweise durch ihn als Übermittler
gelangt sein soll, da Roger oft RZ-Texte gegengelesen habe, und
das er schließlich von Glöde Jahre später (nach
dem Ende der RZ) erhalten haben will. Warum ihm Glöde das Papier
Jahre nach der Veröffentlichung der beiden anderen genannten
Texte in "interim" und "konkret" werbend übergeben
haben soll, bleibt in jenem Nebel der Unglaubwürdigkeit, der
aus Mouslis Einlassungen aufsteigt.
Ein weiteres Mysterium betrifft die wunderbare Verminderung von
Aktenumfängen: Eine Teilakte aus dem Slawinsky-Verfahren, in
welchem es um den Sprengstoff ging, der aus dem Keller des Kronzeugen
verschwunden war, bestand, als erstmals deren Beiziehung abgelehnt
wurde, aus neun Blättern. Nach überaus schleppender Bearbeitung
weiterer Anträge auf Beiziehung dieser Akte ist ihr Umfang
innerhalb eines Jahres offenbar um zwei Seiten geschrumpft. Im Ablehnungsbeschluß
vom 30.12.2002 ist nur noch von sieben Seiten die Rede. Verantwortlich
zeichnet dafür die Staatsanwaltschaft beim. Ob ein weiterer
Antrag Licht in das Dunkel behördlicher Aktenpflege bringen
wird, darf angezweifelt werden.
Der Prozess wird am Freitag, 10. Januar, um 9.15 Uhr unter anderem
mit der Vernehmung des Zeugenschützers "Torsten"
fortgesetzt.
|