Der Prozeß gegen Tarek Mousli im Dezember 2000
Vorbemerkung
Im Dezember 2000 stand Tarek Mousli, Kronzeuge im Verfahren gegen
angebliche ehemalige Mitglieder der Revolutionären Zellen, selbst vor
Gericht. Der Prozeß vor dem Berliner Kammergericht sollte erstens
Mouslis eigene Rolle in dem von ihm zu Protokoll gegebenen Geschehen
juristisch bewerten, also ihn für seine eigene Tatbeteiligung (mehr
oder weniger) bestrafen; zweitens diente der Prozeß dazu, den Boden
für Mouslis Belastungsaussagen in den bevorstehenden Prozessen gegen
die von ihm Beschuldigten zu bereiten. Bundesanwaltschaft, Gericht und
Angeklagter - der faktisch wie ein Zeuge behandelt wurde - hatten
an vier Verhandlungstagen Gelegenheit, arbeitsteilig an einem Mosaikbild
der RZ zu basteln.
Der folgende Bericht vom Prozeß basiert auf stichpunktartiger
Mitschrift und Erinnerungen, kann also nicht für absolute Genauigkeit
garantieren. In Anführungszeichen stehende Zitate sind meistens
sinngemäß zu verstehen. Es wurde auch nicht streng der zeitliche
Ablauf eingehalten, d.h., einzelne Wiederholungen oder spätere
Erläuterungen wurden entsprechend eingearbeitet. Die Befragung vor
allem des Vorsitzenden Richters wirkte oft unzusammenhängend und
sprunghaft, und auch Mousli selbst sprang manchmal von einem Thema zum
anderen. Eine grobe Linie wurde aber dennoch weitgehend
eingehalten.
Mit Namen sind nur Prozeßbeteiligte (incl. ZeugInnen) und in
RZ-Verfahren Angeklagte/Beschuldigte (und Verstorbene) benannt. Da bei
anderen Namen nicht klar war, wer etwas gegen eine Namensnennung hat und
wer evtl. nicht, wurde insgesamt darauf verzichtet. Das heißt nicht,
daß die Namen nicht "öffentlich bekannt" sind -
jedeR im Saal konnte sie mitschreiben!
Das Prozeßumfeld und subjektive Eindrücke sind kursiv vom
Protokoll abgesetzt.
Das ganze Protokoll ist ziemlich lang! Dabei ist das Interessanteste
am ersten Prozeßtag gesagt worden, danach wiederholt sich vieles, nur
wenig ist neu. Plädoyer und Urteilsbegründung am vierten
Prozeßtag fassen im wesentlichen nur zusammen, was vorher
ausführlich dargelegt wurde. Auch die Zeugenaussagen der BKAler am
dritten Prozeßtag sind nicht sensationell.
Der Prozeß
findet statt im Berliner Kammergericht in der Elßholtzstr. in
Berlin-Schöneberg.
Das gesamte Prozeßumfeld ist nicht zu vergleichen mit der
Situation bei Prozessen im Sicherheitsbereich des AG Tiergarten, wie sie in
den 80er Jahren stattfanden. Alles ist viel lockerer, offenbar wird davon
ausgegangen, daß es keine akute Gefahr gibt für Kronzeugen,
Ankläger und Richter bzw. das BKA die Lage gut im Griff hat.
Das Kammergericht befindet sich an der Rückseite des Kleist-Parks.
Es ist ein frei stehender, klassizistischer Bau mit den üblichen
repräsentativen Dimensionen (große Türen, weitläufige
Eingangshalle, breite Treppen...). Rundherum sind Kameras angebracht. Der
Besucher-Eingang liegt auf der dem Park zugewandten Seite des
Gebäudes. Leute wie Tarek Mousli und die Bundesanwälte
dürfen mit dem Auto von der Straße aus durch ein Garagentor
direkt ins Innere des Bauwerkes fahren.
Außer einem (oder auch mal zwei) leeren Mannschaftswagen der
Polizei am Besucher-Eingang sind von außen keine besonderen
Sicherheitsvorkehrungen erkennbar. Wer das Gebäude betritt, muß
- wie am Flughafen - durch eine Metalldetektor-Schleuse und wird danach
zusätzlich mit Pieper abgesucht, die Sachen werden flüchtig und
stichprobenartig durchsucht, Taschen müssen abgegeben werden, der
Personalausweis wird kopiert und eine Besucherkarte für den
Sitzungssaal ausgegeben (ohne diese Karte wird dort niemand reingelassen).
Auch hier ist die Stimmung recht gelöst.
An den drei Prozeßtagen sind jeweils etwa dreißig
"normale" BesucherInnen anwesend, dazu kommen AnwältInnen
der RZ-Beschuldigten und Presseleute, die ganz vorne sitzen dürfen (es
sind um die zwanzig Presseleute "akkreditiert", aber es kommen
natürlich nicht immer alle). Im Raum verteilt sitzen drei oder vier
BKA-Personenschützer, im Eingangsbereich nochmal soviele uniformierte
Justizangestellte.
Der Saal ist - für einen Gerichtssaal - erträglich, das
heißt, er ist nicht bedrückend groß oder klein, die
Stimmen der Beteiligten sind zu verstehen (während sie in Moabit oft
hallen oder zu leise sind). Links sitzen erhöht die
Bundesanwälte, in der Mitte die fünf Richter nebst einer
Schreibkraft, rechts befindet sich ein Panzerglas-Kasten mit Treppe ins
Untergeschoß, der aber nicht benutzt wird. Stattdessen wird Tarek
Mousli samt Rechtsanwalt Püschel, eskortiert von zwei
BKA-Personenschützern, aus den Katakomben über die Treppe
hinaufgebracht; die vier setzen sich auf die normalen Plätze vor dem
Glaskasten.
Die wohlausgesuchten Teilnehmenden dieses Theaterstückes
sind:
Bundesanwalt Monka: Ein ziemlich schnöseliger Schwabe, dem
Aussehen nach nicht weit über 40 Jahre alt, ordentliche
Spießigkeit ausdampfend und stets im feinen Anzug.
Bundesanwalt Griesbaum: Dem Auftritt nach der Ranghöhere,
jedenfalls der Ältere. Ein gemütlicher Easy-Rider-Typ, lange
angegraute Haare, Vollbart, lässiges Auftreten, er bevorzugt das
legere kleinkarierte Jackett.
Das Kammergericht, 2.Senat: Den Vorsitz führt Herr
Eckart Dietrich, dessen vor allem geistige Nähe zur
Pensionierung weder zu übersehen noch vor allem zu überhören
ist. Ein lustiger Opa, der rote Backen kriegt bei der Aufregung, kurz vor
Ende seiner Laufbahn doch noch mal so ein Terrorismus-Verfahren auf den
Tisch zu kriegen, eine Materie, von der er ersichtlich keinen Schimmer hat.
Strenge liegt ihm fern, das flüssige Vorlesen von Texten ebenso. Drei
seiner Beisitzer, von denen zwei wie ausgegraben aussehen, üben sich
während der Verhandlung in meditativer Kontemplation oder schlafen
offenen Auges. Zu seiner Linken sitzt ein jüngerer Richter, der es
noch weiter bringen könnte und bisweilen Zeichen der Aufmerksamkeit
gibt; er hat außerdem die Aufgabe, längere Textpassagen zu
verlesen, was er durchaus überzeugend macht - der hat seinen Sartre
wohl gelesen...
Der Rechtsanwalt: Ausgestopft. Ein leer grinsendes blondes
Lockenköpfchen, in dessen Gesicht zu lesen steht: selten soviel Geld
für sowenig Arbeit verdient. Er heißt Püschel und ist in
Köln tätig.
Die Personenschützer: Jungdynamische Männer und Frauen,
im Ohr den Knopf, am Handgelenk baumelnd die Sprechtaste, am Gürtel
dezent verborgen das Pistolenholster. Sie mustern das Publikum ohne
erkennbare Nervosität und langweilen sich.
Der Hauptdarsteller: Tarek Mousli trägt eine schwarze
Kurzhaar-Perücke und eine dezente Hornbrille. Unter dem dunkelgrauen
Pullover (wechselweise Anzug, weißes Hemd, Krawatte) zeichnet sich
eine leichte Schutzweste ab. Wer ihn von früher kennt, weiß,
daß nur plastische Chirurgie dieses markante Gesicht wirklich tarnen
könnte. Tarek ist groß und schlank, wie nicht anders zu erwarten
von sportlicher Statur, und betont gelassen. Nur wer ihn gut kennt,
nimmt in den ersten Stunden eine gewisse Nervosität und Anspannung bei
ihm wahr, die sich aber nach und nach legt.
Der 1.Prozeßtag,
6.12.2000
Der erste Eindruck vieler BesucherInnen vom Klima des Prozesses ist
Erstaunen, teils fast Enttäuschung über die Lockerheit der
Atmosphäre. Die demonstrierte Furchtlosigkeit des Staates
gegenüber der radikalen Linken ist ernüchternd. Wenn Tarek seinen
Platz betritt oder verläßt, geht er kaum zwei Meter entfernt von
den vorderen Bänken vorbei, und nur zwei BKA-Gestalten stehen
dazwischen, in diesem Moment allerdings schon in nervöser
Gespanntheit.
Zu Beginn nimmt der Vorsitzende Richter die Personalien des Angeklagten
auf:
Tarek Mousli, geboren am 19.03.1959 in Beirut/Libanon, deutsche
Staatsangehörigkeit, geschieden. Aufenthaltsort ist dem BKA
bekannt ...
Anfangs gibt es einige erboste Zwischenrufe, und auch während des
ganzen ersten Tages gibt es ein paar solche Situationen - immerhin sind im
Publikum einige, die Tarek von früher kennen, mit ihm gemeinsame
Geschichte haben und/ oder von ihm namentlich belastet werden. Der Richter
versucht sich in väterlicher Autorität, verweist aber niemand des
Saales (in zwei Fällen hätte er es getan, aber die Betreffenden
gehen vorher selbst, weil es ihnen reichte, was sie da hörten und
sahen).
Bundesanwalt Griesbaum verliest die Anklageschrift.
Dem "selbstständigen Unternehmer" Mousli wird die
Mitgliedschaft in den RZ von 1985-1995 vorgeworfen. Der Bundesanwalt
erläutert kurz die Entwicklung der RZ seit ihrer ersten Aktion 1973
als "Revolutionäre Zelle", 1976 dann als "Zellen",
1977 erstes Auftreten des feministischen Zweiges, spätestens 1987
"Rote Zora" als eigenständige Gruppe, aber weiterhin
gemeinsame Abstimmung und Logistik. Insgesamt seien den RZ mindestens 186
Anschläge zuzuordnen, davon mindestens 40 in Berlin und Umgebung. Die
Zelle im "Pott" (Nordrhein-Westfalen) habe sich 1992
aufgelöst und dies öffentlich gesagt, die Berliner Zelle habe
sich 1995 de fakto aufgelöst. Illegale würden aber weiterhin
unterstützt.
Die Berliner RZ seien als eigenständige (terroristische)
Vereinigung zu werten. Er geht dann in die Details der Zeit 1985-1990, die
in der folgenden Beweisaufnahme noch einmal behandelt werden, insbesondere
was die drei Anschläge angeht, die verhandelt werden: die Schüsse
auf Hollenberg und Korbmacher und der Sprengstoffanschlag auf die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA), 1986/87.
Strafbar sei all dies gemäß §129a StGB (Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung); §§306-308 und 311
Sprengstoffgesetz, alte Fassung (Beteiligung an Sprengstoffanschlag,
unerlaubtes Umgehen bzw. Lagern von Sprengstoff).
In der Anfangsphase verliest der Vorsitzende Richter eine Erklärung
des Gerichtes. Es habe im Vorfeld des Prozesses ein Gespräch zwischen
Bundesanwaltschaft und 2.Strafsenat gegeben. Die Bundesanwaltschaft habe
dabei erklärt, daß sie beabsichtige, eine Bewährungsstrafe
zu beantragen und dies dem Beschuldigten auch bekannt sei. Das Gericht habe
dazu erklärt, daß es üblicherweise "nicht ohne
zwingenden Grund über die Strafanträge der Staatsanwaltschaft
hinauszugehen" pflege.
Der Vorsitzende Richter fragt Tarek Mousli, ob er sich zu den
Vorwürfen in der Sache äußern möchte. Tarek Mouslis
Antwort: "Ja. Das stimmt alles."
So sieht also ein abgekarteter Prozeß, ein Schmierentheater aus.
Manche BeobachterInnen fragen sich, ob jetzt gleich zu den Plädoyers
übergegangen und der Prozeß noch heute abgeschlossen
wird ...
Der persönliche Lebensweg Tarek Mouslis wird
erörtert.
Geburt wie erwähnt am 19.03.59 in Beirut. Seine Mutter sei
Deutsche, sein Vater Saudi-Arabier, das Elternhaus "läßt
sich als wohlsituiert beschreiben". Tarek Mousli habe drei
Halbbrüder und eine Schwester, wobei einer der "Brüder"
in Wirklichkeit ein Onkel sei, aber in der Familie wie ein Bruder gelte.
Bis 1963 lebten sie in Beirut, dann sei der Vater bei einem Flugzeugabsturz
ums Leben gekommen und Tarek Mousli sei nach Deutschland
übergewechselt. Ab 1964 habe er in Düsseldorf bei Pflegeeltern
bzw. im Kinderheim gelebt, 1969-78 sei er in diversen Internaten
gewesen(während seine Geschwister 1972-76 im Libanon waren). 1974 habe
er begonnen, Karate zu trainieren. 1978 habe er in St.Peter-Ording Abitur
gemachtund begonnen, in Kiel zu studieren, u.a. auch Informatik. Der
Kontakt zur Familie sei unterschiedlich; mit seiner Mutter habe er sich
überworfen und jahrelang gar keinen Kontakt zu ihr gehabt, mit dem
Onkel-Bruder habe er ein gutes Verhältnis.
In Kiel sei Tarek Mousli bereits politisch engagiert gewesen. 1981 sei
er nach Berlin gegangen, einerseits der Liebe wegen, andererseits weil es
dort politisch mehr Möglichkeiten gab. Auf Nachfrage des Vorsitzenden
Richters nach seiner "Liebe zur Linkslastigkeit" erwähnt
Tarek Mousli eigene Erfahrungen im libanesischen Bürgerkrieg und das
Schicksal seiner Schwester. Er sei bereits während der Zeit im
Gymnasium in einem linken Schülerkreis tätig gewesen. In Berlin
habe er sich dann in sozialen Bewegungen wie der Hausbesetzungs- und
Anti-AKW-Bewegung betätigt. Er habe an der Zeitschrift
"radikal" und in dem Satzkollektiv "Gegensatz"
mitgearbeitet, wo die Zeitung bis zur Illegalisierung 1984 hergestellt
worden sei. Dort habe er Ende 1985 aufgehört und dann zwei Jahre lang
einen eigenen Satzbetrieb gehabt. Dann habe er in einem anderen Satzbetrieb
und als Programmierer gearbeitet, ab 1994 nur noch als Karate-Trainer. Er
sei beteiligt an zwei Karate-Studios ("Snoop" in Prenzlauer Berg,
"Pyramide" in Marzahn). Anfang der 80er sei er im "T'ung
Dojo" im Mehringhof gewesen (er mokiert sich über den Namen, der
übersetzt etwas ganz anderes bedeute, als beabsichtig gewesen sei).
Die Frage des Vorsitzenden Richters, ob dieses Dojo als eine
"Kaderschmiede für Linke" anzusehen sei, verneint er
entschieden. Seit Ende der 80er habe er diverse Funktionen im Berliner
Karateverband gehabt, vorübergehend (1993) sei er sogar Präsident
gewesen, Funktionärsarbeit liege ihm aber nicht; lieber betätige
er sich als Trainer des Landeskaders.
1990 habe er eine US-Amerikanerin geheiratet, weil sie beide sich eine
Erleichterung ihrer jeweiligen Einbürgerungspläne nach
Deutschland oder USA versprochen hätten. Das habe aber nicht geklappt,
so ließen sie sich wieder scheiden. 1992 erhielt Tarek Mousli dann
doch die deutsche Staatsbürgerschaft und gab dafür die
saudi-arabische auf.
Anfang 1995 sei er zusammengezogen mit Karmen Tollkühn, deren Sohn
bei ihm trainierte, in die Wohnung Schönhauser Allee 46a. Das
Verhältnis habe sich aber wieder gelöst Ende 1996. Über
seine derzeitige Lebensgefährtin wolle er keine Angaben machen.
Der Vorsitzende Richter wundert sich etwas über die zahlreichen
angefangenen Studienfächer und bringt Tarek Mousli damit in geringe
Verlegenheit. Man machte das eben damals allgemein so, um sich zu
orientieren ...
Die verschiedenen Wohnorte werden abgehandelt, angefangen beim besetzten
"KuKucK" (Kunst- und Kulturcentrum) in Kreuzberg über eine
Wohngemeinschaft in der besetzten Oranienstr.45, aus der er
"herausexpediert" worden sei, bis zur Schönhauser Allee;
folgende Wohnsitze werden ausgeklammert.
Die Beweisaufnahme beginnt mit einer Mischung aus anfangs
ungeordneten Fragen des Vorsitzenden Richters und eigenständigen
Erzählungen Tarek Mouslis.
Tarek Mousli beschreibt, Anfang der 80er habe er (zuerst in Kiel, dann
in Berlin) an illegalen "Freien Radios" wie "Radio
Kebap" und "Radio Utopia" mitgearbeitet. Aus dieser Arbeit
sei dann eine "Funkgruppe" entstanden, die den Funkverkehr von
Polizei und Verfassungsschutz abgehört habe. Weitere Beteiligte seien
Lothar und zwei weitere Männer gewesen, die er namentlich nennt. Der
Funkverkehr sei fast durchgehend mit technischen Geräten aufgezeichnet
und später ausgewertet worden. Durch Abhören der Frequenzen,
Gegenobservation und Informationen aus öffentlichen Quellen seien die
interessanten Frequenzen gefunden worden. Auch aus dem Polizeiapparat habe
es Informationen gegeben, z.B. Einsatzpläne, und es sei auch
möglich gewesen, moderne Funkgeräte der Polizei zu beschaffen (ob
das tatsächlich geschehen sein soll, bleibt offen). Über eine
Person bei der Alternativen Liste seien Informationen aus dem
Innenausschuß gekommen. Tarek Mousli legt hierbei Wert darauf,
daß es sich um eine ihm unbekannte Einzelperson handele, nicht um die
Partei an sich, die ja immerhin jetzt Regierungspartei sei ... Es habe
damals in der linken Szene einen Bedarf für solche Tätigkeit
gegeben, und sie seien nicht die einzigen gewesen, die abhörten. Es
sei auch einige Male gelungen, gefährdete Personen vor Observationen
zu warnen, u.a. jemand aus dem anti-imperialistischen Spektrum (vom
Vorsitzenden Richter fälschlich als RAF-Mitglied angesehen). Ab 1985
habe der VS den Funkverkehr digital verschlüsselt, was letztlich nicht
zu knacken gewesen sei, obwohl sie eine Weile "nahe dran" gewesen
seien.
Die Funkgruppe habe zuerst in Tarek Mouslis ehemaliger Wohnung am
Bethaniendamm in Kreuzberg gearbeitet, ab 1987 in einer konspirativen
Wohnung am Oranienplatz.
Der Vorsitzende Richter findet das alles ganz spannend und bemerkt,
dieser Einblick in die geheimsten Bereiche der Sicherheitsbehörden
würde denen ja wohl gar nicht schmecken. Tarek Mousli süffisant:
"Wir waren ganz gut informiert." Die Logistik der Funkgruppe sei
in die Berliner RZ-Struktur eingebracht worden und er und Lothar
hätten bis zum Ausstieg darin weitergearbeitet, die Gruppe sei aber
nicht Bestandteil der RZ geworden, sondern eine eigenständige Struktur
geblieben. Aus der im folgenden erwähnten Geldquelle habe die
Funkgruppe in den Jahren 1985-91 jährlich rund 10.000,- DM, insgesamt
etwa 80.000,- DM, erhalten.
Ein weiterer von den RZ unabhängiger Komplex ist der sogenannte
"Koordinierungsausschuß" (der Begriff ist laut
Tarek Mousli sein "eigener Duktus" und erst während der
Vernehmungen entstanden). Dieser Gruppe ordnet Tarek Mousli als Mitglieder
"Siggi" zu sowie drei weitere Personen und eine fünfte mit
der Einschränkung, sich da nicht sicher zu sein (er nennt die Namen).
Die Gruppe habe über Geld verfügt, das aus der Erbschaft eines
szenebekannten Apothekers und der damit verbundenen Stiftung
"abgezweigt" worden sei. Er selber kenne den Mann nicht (er nennt
seinen Vornamen). Der Koordinierungsausschuß habe nicht nur die
Funkgruppe finanziert, sondern auch den RZ regelmäßig Geld
gegeben. Jährlich seien ca. 100.000 - 150.000,- DM geflossen; der Betrag
sei nach 1987 höher geworden zur Finanzierung der damals
Untergetauchten. Die Illegalen hätten pro Person monatlich 1500,- DM
erhalten, die Miete sei gesondert finanziert worden. Koordiniert worden sei
der Geldfluß von "Siggi".
Der Vorsitzende Richter fragt zur allgemeinen Erheiterung nach einer
"Buchhaltung" der Transaktionen. Tarek Mousli sagt, es habe nur
eine ungefähre Rechenschaft gegeben in Form loser Zettel, auf denen
benötigte Gegenstände o.ä. standen. Der
Koordinierungsausschuß habe nicht in die RZ
"hineinregiert", es habe auch keine gemeinsamen Diskussionen
gegeben. Die Mitglieder der Gruppe hätten aber in der autonomen Szene
in theoretischer und praktischer Hinsicht eine führende Rolle
innegehabt.
Kurz eingeführt wird der verstorbene Michael "Roger"
Wittmann, der 1990 nach einem Autounfall komplett gelähmt war und
dessen Pflege Tarek Mousli und andere organisiert hatten. Tarek Mousli
sagt, Roger habe 200.000,- DM vor dem Sozialamt versteckt gehabt. Er
erwähnt auch, daß es Unstimmigkeiten über
Geldangelegenheiten gegeben habe.
Als 1994 "Siggi" ihn wegen eines Wiedereinsteigens in die RZ
angesprochen habe, sei es auch um eine Geldspritze gegangen. Tarek Mousli
habe daraufhin einen Teil von Rogers Guthaben den RZ als Darlehen
vermittelt. Vom Konto einer Tante seien 50.000,- DM transferiert worden,
10.000,- DM in bar seien dazugekommen.
Eine andere Geldquelle der RZ sei die Postsparbuch-Aktion gewesen.
Mithilfe gefälschter Postsparbücher seien 1986 (später
ergibt sich: Am 25.4.86) rund 500.000,- DM beschafft worden. Woher die
dafür verwendeten Blanko-Sparbücher stammten, die in
mühseliger Kleinarbeit ausgefüllt worden seien, kann Tarek Mousli
nicht beantworten. "Malte" sei als Fälschungsspezialist
daran beteiligt gewesen. Das Gelingen der Aktion sei mit Sekt gefeiert
worden (den "Judith" besorgt habe). "Judith" sei ein
"exaltierter", leicht erregbarer Mensch; sie habe sich
überschwenglich gefreut, aber gleich darauf ebenso heftig
"Siggi" kritisiert für den von ihm begangenen Fehler bei der
Aktion. Dieser Fehler habe zur Feststellung von "Siggi" und einem
Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Urkundenfälschung geführt.
Er sei sicherheitshalber nach Nicaragua verreist und erst im Februar 1987
zurückgekehrt. Das Rückkehrdatum scheint Tarek Mousli an anderer
Stelle früher anders angegeben zu haben, hier scheint ihn die
Bundesanwaltschaft zwischenzeitlich korrigiert zu haben. "Siggi"
sei später wegen der Sache zu einer niedrigen Strafe verurteilt
worden.
1985 sei er, Tarek Mousli, von "Kai" (Gerd Albartus)
angesprochen worden auf einen Einstieg in die RZ; parallel dazu habe
"Anton" (Axel Haug) Lothar gefragt. Er habe mit Lothar
darüber gesprochen und sie seien dann gemeinsam eingestiegen. Er
selbst sei als "Daniel", Lothar als "Sebastian"
Mitglied geworden. Da er Lothar als seinen besten Freund bezeichnen
würde, habe er sich sehr schwer damit getan, ihn letztlich zu
belasten.
Die RZ seien eine historische mit einem Erbe versehene Organisation, die
sich als militanter Teil der sozialen Bewegungen betrachtet habe. Es habe
innerhalb der RZ verschiedene Strömungen und Meinungen gegeben. Ende
der 70er Jahre habe ein inhaltlicher Bruch stattgefunden.
In der BRD habe es drei aktive Regionen gegeben: "Nord",
"West" bzw. "Pott" (Rhein-Ruhr-Gebiet) und
"Süd" (Raum Frankfurt). Dazu komme noch die
"Insel" (Berlin) und der "Wald" (die Illegalen). Er
habe auch gehört, daß es eine "Denkertruppe" gegeben
habe, zu der u.a. zwei Männer aus Köln und Oldenburg gehören
sollten (er nennt die Namen).
Die "Süd"-Gruppe habe sich 1983/84 aufgelöst.
Zuordnung von Namen: In Berlin habe es 1984 zwei aktive Gruppen gegeben.
Zur einen seien "Jon" (Rudolf Schindler), "Judith"
(Sabine Eckle) und "Siggi" (Harald Glöde) zu rechnen, zur
anderen "Heiner" (Matthias Borgmann), "Anton" (Axel
Haug) und "Toni". Die Identität von "Toni" sei ihm
bis heute unbekannt, er habe ihn auch nie gesehen. "Kai" (Gerd
Albartus), den er bereits 1984 kennengelernt habe, sei ein Pendler zwischen
den Gruppen und zwischen "Insel" und "Pott"
gewesen.
Bekannt sei ihm außerdem, daß "Malte" und
"Lea" (seine Lebensgefährtin) zur "Nord"-Gruppe
gehörten. Beide seien 1987 abgetaucht, ebenso wie "Franka".
"Malte" sei ihm durch die Vernehmungen als vermutl. Thomas Kram
bekannt geworden. "Malte" habe sich später noch mit
"Jon" getroffen (1988/89). Nach 1987 seien alle Decknamen
geändert worden; so habe "Jon" vorher "Horst"
geheissen, "Luka" früher "Shorty". Die BKA-Aktion
1987 sei ein großer Einbruch in die Struktur gewesen.
"Pieper" sei kein Deckname gewesen, sondern der Spitzname
eines früheren Hausmeisters im Mehringhof.
"Drogentod" sei der Spitz-/Deckname eines (namentlich
genannten) Mannes, der in verantwortlicher Stellung beim Computersystem der
Bundesdruckerei gearbeitet habe und darüber Ausweis-Blankos habe
beschaffen können.
Ein anderer (namentlich genannter) Mann habe eine Prägemaschine
hergestellt, die gebraucht wurde, um Bilder in Ausweisen auszutauschen, die
zuvor von UnterstützerInnen zur Verfügung gestellt worden seien.
Mit den Ausweisen seien die Illegalen ausgestattet worden.
Weitere Logistik: "Sebastian" habe eine Tasche mit
Sprengstoff, Waffen und Munition in einem Schacht im Mehringhof versteckt.
Er habe Tarek Mousli den Schachtdeckel einmal gezeigt. Bei der zweiten
Durchsuchung des Mehringhofes im April 2000 sei es ihm aber durch die
Kompliziertheit der videogesteuerten Suche nicht möglich gewesen, den
Deckel wiederzufinden.
Kommentar eines Zuschauers: "Du kannst ja mal
vorbeikommen!"
Die Mitglieder der Zellen hätten legal gelebt und gearbeitet, mit
Ausnahme - in Berlin - von "Jon" und
"Judith". Es sei nur mit Decknamen kommuniziert worden. Neben
"Sebastian" sei ihm nur die Identität von "Siggi"
aus der Szene bekannt gewesen. Die Klarnamen von "Jon" und
"Judith" habe er erst im Zuge des Ermittlungsverfahrens erfahren.
Er habe gewußt, daß sie aus Frankfurt/Main kamen.
Treffen habe es meist in Kneipen außerhalb von Kreuzberg gegeben.
Die beiden Berliner Gruppen seien auch gegeneinander abgeschottet gewesen.
Neumitglieder hätten nicht viel von den alten Geschichten
erfahren.
Es habe übergeordnete Delegiertentreffen gegeben, sogenannte
"Miez" oder (später) "Assambleas", aber lediglich
ein- bis zweimal jährlich. Delegierte seien diejenigen gewesen, die
schon lange dabei, erfahren und einflußreich gewesen seien, aus
Berlin im wesentlichen "Jon" und "Judith", von anderswo
z.B. "Malte" und "Lea". Auch aus dem "Wald"
habe es Beteiligung gegeben, nämlich "Shorty".
Eines der "Miez"-Treffen habe in einem Tagungszentrum irgendwo
im Wendland stattgefunden, ein andermal sei eine Fahrradtour angedacht
gewesen.
Es habe dabei auch Kontakt zur Roten Zora, den sogenannten
"Lolas", gegeben, u.a. von "Judith" und
"Lea". Auf einem der Treffen habe es einen großen Krach mit
den "Lolas" gegeben.
In den 70er Jahren habe es, so sei ihm erzählt worden, eine
logistische Zusammenarbeit mit der RAF gegeben; die RAF sei bei den RZ
"KSV" (Kommunistischer Studentenverein) genannt worden.
"Judith" habe den Kontakt zur RAF gehabt. 1977/78 habe es einen
großen Krach gegeben und danach keine Zusammenarbeit mehr.
Zu palästinensischen Gruppen habe "Kai" Kontakt gehalten.
Er sei auch zur Ausbildung im Jemen gewesen.
Tarek Mousli sagt, sein eigenes Wissen über die RZ sei vor dem
Einstieg sehr gering gewesen. Er habe einmal in der "radikal"
einen Artikel über die RZ und ihre Politik verfaßt, den er im
Rückblick als "sehr oberflächlich" ansehen
müsse.
Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters: So etwas wie eine
"Verpflichtungserklärung" habe es nicht gegeben. Die
Mitgliedschaft habe auf gemeinsamem politischen Bewußtsein
gefußt. JedeR habe jederzeit, auch sofort, aussteigen können.
Das sei auch in der Vergangenheit geschehen, wie er gehört habe.
Die RZ hätten sich in den 80ern auf nationale Themen und
eigenständige Kampagnen (die Flüchtlingskampagne) verlegt. Es
habe aber im "Pott" auch einen antiimperialistischen Flügel
gegeben, dem "Kai" auch nahegestanden habe. Es habe
Auseinandersetzungen gegeben.
Tarek Mousli erzählt von einem Streit zwischen "Jon" und
"Judith" einerseits und "Kai" andererseits, wobei
unklar bleibt, ob er selbst Zeuge gewesen sein oder nur davon erzählt
bekommen haben will (und weder Vorsitzender Richter noch Bundesanwalt
fragen nach - nicht das einzige Mal, daß so etwas vorkommt!). Es
sei um den Anschlag auf Herbert Karry 1981 gegangen. "Jon" und
"Judith", die gut über Details informiert gewesen seien,
hätten den Tod Karrys als Unfall bezeichnet, "Kai" hingegen
habe darauf beharrt, es sei Mord gewesen. Hier fragt der Vorsitzende
Richter nach, und Tarek Mousli konkretisiert: Wenn "Kai" von
"Mord" gesprochen habe, so habe er damit zweifellos die
vorsätzliche Tötung eines Menschen gemeint. "Jon"
und "Judith" seien, ebenso wie "Heiner", Hardliner
gewesen, die Anschläge auf Menschen für legitim gehalten
hätten.
Nun werden die Jahre ab 1986 chronologisch abgearbeitet anhand der
RZ-Aktionen aus dieser Zeit.
Anschlag auf Harald Hollenberg, Leiter der Berliner
Ausländerbehörde, Oktober 1986:
Beide Berliner Zellen seien arbeitsteilig vorgegangen. Tarek Mousli habe
mit "Sebastian" einen Zeitplan für den Ablauf der Aktion
erstellt. "Heiner" aus der anderen Zelle habe den inhaltlichen
Hintergrund geliefert und das Fluchtauto steuern sollen, während
"Jon" und "Judith" die Aktion durchführen und auf
Fahrrädern flüchten sollten. Es habe keine Alternative zu
"Jon" als Schützen gegeben, es habe keine Frau geschossen.
"Jon" habe vor der Aktion mit Gewehr und Pistole im Wald
Schießübungen gemacht und sich schließlich für die
Pistole als Einsatzmittel entschieden. Tarek Mousli sagt, er selbst habe
sich während der Aktion am S-Bahnhof Zehlendorf aufgehalten und mit
einem tragbaren Scanner den Polizeifunk abgehört. Er habe ein
Handfunkgerät dabeigehabt - er sei sogar im Besitz einer
Amateurfunk-Lizenz -, um notfalls eine Warnung absetzen zu können. Das
sei aber nicht nötig gewesen. Ein darüber hinausgehende
Funk-Kommunikation sei nicht vorgesehen, aber theoretisch möglich
gewesen. Nachdem er über den "Pol-Funk" vom erfolgreichen
Abschluß der Aktion gehört habe, sei er zur Arbeit gefahren. Sie
hätten sich eine Woche später wieder getroffen.
Die Erklärung
der RZ zu dem Anschlag wird verlesen.
Anschlag auf die ZSA (Zentrale Sozialhilfestelle für
Asylbewerber), Februar 1987: Er habe zusammen mit "Sebastian"
wochenlang die Örtlichkeit beobachtet und ein "Zeitschema"
für den Ablauf der Aktion erstellt. Hinweise zu Details des Objektes
seien von "Heiner" gekommen. Die Erklärung sei vorher von
"Judith" unter Mitarbeit von "Heiner" verfaßt
worden. Den Sprengsatz habe "Jon" gebaut. Ziel des Angriffs sei
die zentrale Computeranlage der ZSA gewesen, so hätten
"Jon", "Judith" und "Heiner" es gesagt.
An der Aktion seien beide Berliner Zellen beteiligt gewesen. Tarek
Mousli selbst habe wieder Absicherung per Funk betrieben. Direkt vor Ort
seien "Heiner", "Anton", "Jon" und
"Judith" (und "Sebastian"?) gewesen.
Der Vorsitzende Richter gerät hier in leichte Verwirrung.
Gleichzeitig mit der Sprengung habe doch eine andere Gruppierung namens
Revolutionäre Viren versucht, das Gebäude anzuzünden, das
sei wohl gar nicht gelungen? Bundesanwalt Griesbaum winkt desinteressiert
ab, Tarek Mousli bequemt sich, dem Vorsitzenden Richter die Sachlage zu
erklären. Tatsächlich habe der eigene Anschlag kaum Schaden
verursacht, derjenige der Revolutionären Viren hingegen, der
später stattfand, ganz erheblichen. Es seien seines Wissens zahlreiche
Akten dabei vernichtet worden. Die Revolutionären Viren hätten
sich selbst als "Jugendorganisation der RZ" bezeichnet, seien
aber nicht Teil der RZ gewesen. Es habe Überlegungen zu einer
Verschmelzung gegeben, die aber schließlich nicht weiterverfolgt
worden seien, da es personelle Überschneidungen zum
"Koordinierungsausschuß" gegeben habe, von dem die
"Viren" auch Geld erhalten hätten. Auf Nachfrage des
Vorsitzenden Richters nennt Tarek Mousli den Namen eines Mannes, der zu den
Revolutionären Viren gehört habe und den er zuvor auch schon als
eventuelles Mitglied in dem "Koordinierungsausschuß"
benannt hatte.
Der Vorsitzende Richter wirft einen müden Blick auf seine
dämmernden Beisitzer und ruft zur Mittagspause. Nach einiger Suche
durch verwinkelte Gänge treffen sich alle in der Cafeteria wieder:
hier beisitzende Richter, dort BKA-Personenschützer, da
ProzeßbesucherInnen, und dazwischen die Bundesanwälte, Tisch an
Tisch. Hinter all dieser Gelassenheit, diesem Anekdotenhaften verschwindet
nach und nach die Erinnerung, daß da einige Menschen im Knast sitzen
und schlimmstenfalls noch viele Jahre sitzen werden aufgrund dieser
traurigen Komödie
Weiter geht es mit dem Sprengstoffdiebstahl Salzhemmendorf
1987:
Der Einbruch sei vom "Norden" gemacht worden, nachdem das
Projekt auf einem "Miez"-Treffen besprochen worden sei. Bei dem
Einbruch sei eine Stahltür aufgeschweißt worden. Es seien
ca.100kg erbeutet worden, von denen die Berliner Gruppen ca.20kg bekommen
hätten. Das Zeug sei über "Heiner" nach Berlin gekommen
und letztlich an "Sebastian" weitergegeben worden, der es wie
schon erwähnt im Mehringhof versteckt habe.
Der Vorsitzende Richter ergänzt, Sprengstoff aus diesem Einbruch
sei 1991 beim Anschlag
auf die Siegessäule und 1993 beim Anschlag auf den BGS
benutzt worden. Tarek Mousli bringt mit dem 91er-Anschlag "Sebastian",
mit dem 93er-Anschlag "Siggi" in Verbindung.
Anschlag auf Günter Korbmacher, Vorsitzender Richter am
Bundesverwaltungsgericht, September 1987:
Tarek Mousli sagt, er habe wiederum mit "Sebastian" beobachtet
und einen Zeitplan erstellt. Sie hätten auch beide das Fluchtauto
beschafft und hätten Testserien für einen Brandsatz gemacht, der
später das Fluchtauto zerstören sollte, um Spuren zu verwischen.
Außerdem habe er versucht, an dem für die Aktion vorgesehenen
Motorrad die Identifizierungsnummer am Motorblock wegzufeilen (es sei aber,
wie er inzwischen wisse, nicht die richtige Nummer gewesen). Das Motorrad
sei in Westdeutschland geklaut worden und von "Siggi" und
"Heiner" mit einem Transporter nach Berlin gebracht worden. Die
beiden Fahrzeuge seien bei einer Bekannten von "Heiner" namens
Lotte untergestellt worden.
Bei der Tat selbst habe er selbst wieder Funkaufklärung betrieben,
diesmal von der konspirativen Wohnung am Oranienplatz aus. Warum er diesmal
nicht vor Ort war, will der Vorsitzende Richter wissen, die Antwort bleibt
vage. Es sei eben nicht notwendig gewesen aufgrund der Planung der Aktion.
"Jon" sei wiederum der Schütze gewesen.
"Sebastian" habe die Waffe gereinigt.
Zu der Waffe gibt es offenbar kleinere Unstimmigkeiten. Es soll dieselbe
sein, die auch bei den Schüssen auf Hollenberg verwendet wurde,
allerdings sei der Schlagbolzen zwischenzeitlich ausgewechselt worden.
Tarek Mousli sagt, ihm seien Waffen vorgelegt worden, und er ist sich
unsicher, ob er die Tatwaffe richtig wiedererkannt hat.
Nach der Aktion habe es Ärger gegeben, da "Judith"
eigenmächtig Passagen der vorbereiteten Erklärung verändert
habe.
Der Vorsitzende Richter hält Tarek Mousli die Aussage Karmen
Tollkühns vor, nach der er sich selbst als Schützen bezeichnet
habe. Tarek Mousli sagt, er habe sich vielleicht damals ungenau
ausgedrückt, von "wir" gesprochen.
Die Erklärung
der RZ zum Anschlag wird verlesen. Ein großer Teil des Publikums
applaudiert im Anschluß daran.
Zum Anschlag auf die Siegessäule im Januar 1991
sagt Tarek Mousli, noch vor seinem Ausstieg aus dem aktiven Kern 1990
sei dieses Angriffsziel bereits diskutiert worden. Er selbst sei dagegen
gewesen, da die Siegessäule nicht mehr ein Symbol des Militarismus
sei, sondern mittlerweile für Schwule und Lesben Symbolkraft habe,
selbst eine Schwulenzeitschrift sei danach benannt.
Zur Ausstiegsphase 1989/90: Tarek Mousli sagt, daß 1989 ein
"Waldspaziergang" nahe dem Wannsee stattfand, auf dem beide
Berliner Zellen (mit Ausnahme von "Toni") komplett anwesend
waren. Dort sei über etliches gesprochen worden, Vergangenes wie auch
Perspektiven. Das Papier "Gerd Albartus ist tot"
(veröffentlicht Dezember 1991), das von "Malte"
verfaßt worden sei, sei hier diskutiert worden, ebenso ein erster
Entwurf des Auflösungs-Papiers "Das Ende unserer
Politik" (veröffentlicht Januar 1992).
Es habe den Vorschlag gegeben, die "F-Kampagne"
(Flüchtlingskampagne) abzulösen durch eine Anti- Patriarchats-
Kampagne. Dies sei auch an die "Lolas" herangetragen worden.
Tarek Mousli selbst habe aufgrund seiner zunehmenden Bedenken aussteigen
wollen. Er habe Aktionen wie zuletzt die gegen "Dr.Korbmacher"
nicht mittragen können, dazu sei der Mord an Gerd Albartus gekommen.
Er habe nicht so "hart und kalt" werden wollen wie die
anderen.
Nach seinem Aussteigen hätten die Übriggebliebenen sich zu
einer Gruppe zusammengetan, also "Siggi", "Anton",
"Heiner" und "Sebastian".
Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters: Aussteigen habe nicht bedeutet,
sofort gar nichts mehr zu machen. Er sei nach einer "aktiven"
Zeit nun "inaktiv" gewesen, habe einfach nichts mehr mitgemacht.
Funkaufklärung habe er noch eine Zeitlang weiter betrieben.
1994 sei dann "Siggi" auf ihn zugekommen und habe sich
mehrmals mit ihm getroffen, um ihn zum Wiedereinstieg zu bewegen. Der
Vorsitzende Richter hakt nach: Mehrmals? Wenn er doch gleich beim ersten
Mal sicherlich klar abgelehnt habe? Tarek Mousli druckst etwas rum, ja, das
habe er schon ... man habe halt weiter gesprochen. Als er mitbekommen
habe, daß die Gruppe finanzielle Probleme hatte, habe er das
erwähnte Darlehen über 60.000,- DM besorgt. Schließlich
habe "Siggi" ihm bei einem Treffen die ca.10kg Sprengstoff
übergeben zur vorübergehenden Aufbewahrung, da es irgendwo
Probleme gegeben habe. (Anm.: In der Anklageschrift hieß es
demgegenüber, Tarek Mousli habe den Kellerschlüssel deponiert und
eine unbekannte Person den Sprengstoff in den Keller gebracht)
Nach dem Kellereinbruch 1995 habe "Siggi" die Rücknahme
des Restes verweigert.
Zuletzt fragt der Vorsitzende Richter nach der Abschrift eines
Karbon-Bandes, das bei Axel H. gefunden worden sei. "Hallo
Langer ... ", aus einer Befragung des BKA vom 4.7.00.
Ende des 1.Prozeßtages
Fazit nach dem ersten Tag: Das Ping- Pong- Spiel zwischen
vorsitzendem Richter, Bundesanwälten und Angeklagtem verläuft
reibungslos. Ist der Richter unsicher, was er machen soll, fragt er
Bundesanwalt Griesbaum.
Für den Richter ist fast alles zu kompliziert, er kann ja nicht
einmal "Revolutionäre Zellen" aussprechen und landet immer
bei "Roten Zellen", da hilft keine Korrektur von Tarek oder
sonstwem, Bundesanwälte und BKA lächeln nachsichtig...
Tarek achtet stets auf formale Korrektheit, vergißt nie den
"Dr." bei Namen wie Korbmacher, sagt "Polizei", wo der
Richter mutig-kokettierend von "Bullen" spricht. Tarek
bemüht sich um Distanz, sowohl zu den Personen seiner Geschichte als
auch zum Geschehen selbst, und natürlich auch zu den
ZuhörerInnen. Er versucht anfangs, um das offene Aussprechen von
Klarnamen herumzukommen (weil ihm "die Decknamen
geläufiger" seien, wahrscheinlicher aber, um die emotionale
Belastung zu Beginn abzufedern). Er blickt am ersten Tag nie,
höchstens kurz aus Versehen, nach links ins Publikum und zeigt keine
emotionalen Reaktionen auf Zwischenrufe - es ist offensichtlich, daß
eine seiner Regieanweisungen ist: kein Kontakt zum Publikum! Er ist ganz
auf die Bundesanwälte fixiert, mit denen er freundlich lächelnd
Verbindung hält, und auf den Richter. Mit seinem Rechtsanwalt scheint
er höchstens nebenbei über Belanglosigkeiten zu flüstern.
Tareks Erzählung ist gelassen, zuweilen launig, immer etwas
Über-den-Dingen-stehend. Wer ihn kennt, weiß, daß das
seine Art ist und auch früher schon war. Er tritt nicht als Renegat
auf, nicht als politischer Verräter, der allem abschwört, was ihm
je heilig war, sondern versucht, das Bild eines differenzierten, kritisch
denkenden Menschen zu vermitteln, der durch die vergangene Zeit,
Lebensumstände und die Zwänge seiner aktuellen Situation zu neuen
Einsichten gekommen ist. Er trägt nicht dick auf, räumt auch
gelegentlich kleinere Fehler oder unrühmliche Episoden ein (wie etwa,
aus einer Wohngemeinschaft "herausexpediert" worden zu sein; oder
Streitigkeiten um Geld, wobei er nicht behauptet, im Recht gewesen zu
sein...). Insgesamt entsteht so für "neutrale"
BetrachterInnen ein durchaus schlüssiger und authentischer Eindruck
eines Menschen, der auf eine vergangene Episode seiner
Lebensgeschichte zurückblickt, teilweise (selbst-)kritisch, teils
aber auch anekdotenhaft oder gar gerne und ohne Bitterkeit.
Wir erfahren auch, welche Halbwertszeit Tarek einer Freundschaft
zubilligt: denn die Beschuldigung gegen Lothar, den er als "damals
besten Freund betrachten würde", kostete ihn "viel
Überwindung", will meinen, rund einen Monat Bedenkzeit (hier
kommt nicht wenigen im Saal die Galle hoch)...
Der 2.Prozeßtag, 11.12.2000
Tarek Mousli und Rechtsanwalt Püschel erscheinen verspätet.
Püschel entschuldigt sie, es sei für 6 Uhr 30 gebucht gewesen,
aber die Maschine habe sich verspätet (woraus zu schließen ist,
das sie mit dem Flug der Deutschen BA aus Köln-Bonn,
planmäßige Ankunft ca.7.30, am heutigen Tag ca.60 Minuten
Verspätung, gekommen sind).
Tarek Mousli begrüßt die Bundesanwälte mit freundlichem
Lächeln, bevorzugt Monka. Er trägt heute seriösen Anzug,
weißes Hemd, Krawatte.
Der Vorsitzende Richter will Karmen Tollkühn laden als Zeugin. Ihre
Aussage vom 22.7.99 wird in Auszügen verlesen als Vorhalt für
Tarek Mousli. Darin heißt es, Tarek Mousli habe nie zu ihr gesagt, er
sei Mitglied, und nie von Sprengstoff (als sein Eigentum) gesprochen. Er
habe von (Hilfe für?) "Genossen" und einer
"abgeschlossenen" Geschichte gesprochen. Sie habe daraufhin
gefragt, warum der Sprengstoff denn dann im Keller gewesen sei. Er habe
daraufhin gesagt, nicht nur Mitläufer, sondern führende Kraft
gewesen zu sein. Er sei noch zu kleinen Gefälligkeiten verpflichtet.
Er sei auch nicht frei von Angst. Er habe etwas von Auseinandersetzungen
erzählt, wo es um Rücksichtnahme auf Zivilbevölkerung
gegangen sei. Er habe den Verdacht geäußert, daß die
andere Fraktion den Sprengstoff gestohlen habe, da nicht alles weg war und
auch die Zünder noch da waren. Er habe die Schüsse auf
"einen Richter, der Asylverfahren macht" erwähnt und
zugegeben; als Begründung habe er das Schicksal seiner Schwester und
Abschiebung genannt. Er habe Korbmacher wochenlang observiert gehabt. Er
habe auf einem Motorrad gesessen und 2-3mal geschossen ins Knie. Sie
hätten dabei Kombis getragen.
Da die Bundesanwaltschaft keine Einwände hat, zieht sich das
Gericht zur Beratung zurück und bemüht sich, die Zeugin noch
für den Nachmittag herbeizuzitieren.
Der Vorsitzende Richter hat noch ein paar gestern vergessene Punkte
abzuarbeiten.
Die BKA-Aktion 1987: Woher kamen die fraglichen Wecker? Tarek Mousli
sagt, er wisse es nicht, "Jon" habe sie einfach gehabt. Die
"Emes-Sonochron"-Wecker seien technisch von Vorteil gewesen, weil
sie ohne schwierige Umbauten als Zündzeitgeber einsetzbar gewesen
seien.
Der Vorsitzende Richter trägt die Haftverhältnisse nach:
1.Verhaftung 19.5.99-17.7.99, 2.Verhaftung 23.11.99-27.4.00, insgesamt hat
er 6 Monate und 22 Tage Untersuchungshaft errechnet.
Ein paar Details zur Familiengeschichte werden nachgetragen.
Noch einmal zur Ein- und Ausstiegsphase.
Tarek Mousli sagt, ab Frühjahr 1989 sei es neben seinem Aussteigen
auch um das Wiederauftauchen von "Jon" und "Judith"
gegangen. Er sei dann 1990 selbst drei Monate verreist gewesen und habe in
dieser Zeit einen "fließenden Ausstieg" praktiziert. Es
habe zwar Versuche gegeben, ihn davon abzubringen. Seine
grundsätzlichen politischen Überzeugen hätten sich
damals auch nicht geändert gehabt. Er habe jedoch "keine Menschen
mehr gefährden" wollen, überdies sei er
"erschüttert" gewesen über die Liquidation von Gerd
Albartus, den er als seinen (er korrigiert sich spitzfindig: nicht nur
seinen, aber auch seinen) Freund angesehen habe; über eine "Ebene
von Politik", die er "nur als entartet" bezeichnen
könne, bei der man "verroht und verkommt".
Zeitsprung zurück: Vor dem Einstieg habe er den "Revolutionären Zorn
Nr.6" mit der "populistischen Umkehr" aufmerksam gelesen
und die Diskussionen in der linken Szene verfolgt. Aktionen gegen Sachen
waren stets gebilligt, aber Aktionen gegen Menschen nicht. Bei seinem und
"Sebastian"s Einstieg sei die Flüchtlingskampagne samt der
Knieschüsse bereits vorbereitet gewesen. Seine Widersprüche dazu
hätten sofort begonnen, aber "man steigt ja nicht gleich wieder
aus, wenn man gerade eingestiegen ist ... es stecken ja auch politische
Überzeugungen dahinter." Die Erklärungen zu Hollenberg und
Korbmacher seien schon vorformuliert gewesen, aber er und
"Sebastian" hätten darüber auch diskutiert und Zweifel
geäußert.
Das gestern vergessenen ZSA-
Bekennerschreiben wird vom Gericht verlesen.
Nun beginnt die Befragung durch die Bundesanwälte, zuerst
durch Monka, später durch Griesbaum. Es geht im Wesentlichen um die
Vertiefung von Details. Schwerpunkt dabei ist, die Rolle der
"alten" RZ- Mitglieder herauszuarbeiten und Tarek Mouslis
Ausstieg sowie seine anfangs widersprüchlichen Aussagen
aufzuhellen.
Wie stets, werden ihm goldene Brücken gebaut und von Seiten der
Bundesanwälte vorher besprochene Stichworte geliefert. Dabei
bemüht sich niemand, dies zu verschleiern. "Sie wissen, worauf
ich hinauswill?" fragt schelmisch Bundesanwalt Monka. Tarek nickt
grinsend, noch bevor die Frage zu Ende gesprochen ist.
Tarek Mousli hatte am Vortag gesagt, er habe selbst einen
"radikal"- Artikel zum Thema RZ verfaßt, und stimmt
Bundesanwalt Monka nun zu, als der denselben als "sehr
dilletantisch" bezeichnet. Monka bittet um Erklärung, was der
Unterschied zwischen Szene- Angehörigen und RZ- Mitgliedern gewesen
sei und wie sich Tarek Mouslis Wissen über die RZ vor bzw. nach dem
Beitritt dargestellt habe. Tarek Mousli antwortet, seine Ansichten
über die RZ, über die Zeit vor dem "Bruch", über
die OPEC- Aktion, über den "Mord an Karry" seien sehr
"blauäugig" gewesen. Die unterschiedliche Bewertung
innerhalb der RZ, wie es zu Karrys Tod kam, sei ein Beispiel dafür.
Auch den Stand der "Diskussion zu den Palästinensern" habe
er nicht gekannt. Die RZ seien den Diskussionen innerhalb der linken Szene
weit voraus gewesen. Die Nähe zur Bewegung sei nur eine Worthülse
gewesen, Worten und Taten hätten auseinandergeklafft. Von 1981 bis zu
seinem Eintritt 1985 habe er nur aus öffentlichen Quellen etwas
über die RZ gewußt. Auf Nachfrage von Bundesanwalt Monka betont
er: Nein, es sei auch nicht in der Szene hinter vorgehaltener Hand
gemunkelt worden, wer Mitglied sei.
Zur Einstiegsphase: Vor dem Einstieg habe er mehrere vorbereitende
Gespräche mit Gerd Albartus geführt, bei denen es um
konspiratives Verhalten gegangen sei. Er (und "Sebastian") seien
dann von "Jon" und "Judith" in die Struktur der
Berliner RZ eingewiesen worden. Aber erst bei dem Waldspaziergang 1989 sei
er informiert worden, wer welche weitergehenden Kontakte hatte.
Seine WG habe ihn ja damals 1985 "hinausgebeten", da er als
"kleiner Kapitalist" verschrien gewesen sei. Das sei seiner
Legendierung, dem Rückzug aus aktiver Szene-Politik, entgegengekommen.
Beim Einstieg in die RZ seien ihm und "Sebastian" aber keine
bedeutenden Fehler vorgehalten worden. "Judith" habe von ihnen
beiden erwartet, ihren Beruf aufzugeben, insbesondere
"Sebastians" Tätigkeit als Hausmeister im Mehringhof, was
sie "natürlich" abgelehnt hätten. Zudem sei er, Tarek
Mousli, dafür kritisiert worden, daß er für eine Fahrt mit
"Jon" und "Judith" den geliehenen VW- Bus eines szene-
und polizeibekannten Mannes (er nennt den Namen) benutzt habe.
Zur Struktur:
Die Treffen hätten in größeren Abständen
stattgefunden, meistens einmal im Monat, vor Anschlägen öfter.
Getroffen hätten sie sich in Kneipen außerhalb Kreuzbergs
(Charlottenburg, Tiergarten) oder auch in konspirativen Wohnungen der
Funkgruppe bzw. einer Wohnung in der Oranienstr.7 oder 9. Es habe keine
festen Tageszeiten gegeben, neue Treffen seien von Mal zu Mal neu
vereinbart worden. "Jon" und "Judith" hätten bei
Bedarf die Frequenz erhöht. "Jon", "Judith" und
"Heiner" seien Delegierte für übergeordnete Treffen
gewesen. Scheiterte eine Verabredung, sei sie am nächsten Tag
wiederholt worden, bei erneutem Scheitern eine Woche später. So seien
beide Berliner Gruppen verfahren.
Überregionale Treffen seien per Geburtstagsgruß-Anzeige in
der "taz" vereinbart worden, dabei seien Decknamen benutzt
worden. Eine solche Anzeige habe bedeutet: Treffen in ca.2 Monaten,
Hauptbahnhof Düsseldorf oder Duisburg, 12 Uhr mittags (er sei sich
nicht sicher über die Details).
Im Vorfeld einer Aktion habe es in Berlin häufigere Treffen
gegeben, z.B. vor dem Hollenberg-Anschlag meistens abends in der
konspirativen Wohnung der Funkgruppe am Bethaniendamm, wöchentlich,
kurz vorher noch öfter. Einige Tage vor der Aktion sei das letzte
Treffen gewesen, das erste dann etwa eine Woche danach. Es habe mehrere
Stunden gedauert, zentrales Thema sei die Aktion gewesen. Wenn Hollenberg
am geplanten Termin nicht erschienen wäre, wäre abgebrochen und
ein neuer Termin festgelegt worden.
Bundesanwalt Griesbaum übernimmt und will etwas über die
"führenden Köpfe" erfahren. Tarek Mousli schildert,
"Jon" und "Judith" seien Gründungsmitglieder der
RZ - mit allen Widersprüchlichkeiten der RZ- Historie - und
hätten bundesweit fast alle gekannt. Sie seien zu den
"Miez"- Treffen gefahren und hätten sich mit
"Heiner" getroffen, der ein "Altmitglied" sei (Tarek
Mousli sagt ausdrücklich nicht: Gründungsmitglied). Sie
hätten manches von früher detailliert erzählt, anderes aber
abgeblockt. Sie hätten dominierenden Einfluß gehabt,
Widersprüche seien besonders von "Judith" abgewürgt
worden. Sie sei federführend beim Verfassen von Erklärungen
gewesen. "Heiner", "Jon" und "Judith"
hätten so etwas wie Führungspositionen innegehabt. Es hätten
aber alle Beteiligten "aus freien Stücken" gehandelt und
mitgemacht.
"Jon" und "Judith" hätten früher in
Frankreich "im Wald" gelebt. Dann sei 1983/84 die
"Süd"-Gruppe aufgelöst worden und die
"Wäldler" neu strukturiert worden. "Jon", der
1981/82 schon einmal kurz in Berlin gewesen sei, und "Judith"
seien der "Insel" zugeschlagen worden, als Verstärkung,
während "Luka" und seine Lebensgefährtin in den
"Pott" gegangen seien.
Zur OPEC-Aktion sagt Tarek Mousli, Gerd Albartus habe ihm
gegenüber geäußert, er sei logistisch eingebunden gewesen.
"Jon" habe gesagt, er habe Kontakt zu Johannes Weinrich gehabt,
habe aber nichts von einer eigenen Beteiligung erzählt.
"Jon" habe einmal gesagt, er bekomme Probleme, falls Hans-Joachim
Klein mal auspacken sollte.
Nun geht es um die Widersprüche in den Aussagen von Tarek
Mousli. Tarek Mousli sagt, er habe zu Anfang (also nach der zweiten
Verhaftung im November 99) eine Art Verschleierungstaktik betrieben. Lothar
als seinen früheren Freund habe er zuerst decken wollen. Da Lothar von
"Anton" angeworben worden sei, habe er darum auch
"Antons" Identität nicht zu kennen vorgetäuscht.
Bezüglich "Heiners" habe er von Anfang an sein Wissen
mitgeteilt. Er habe ihn aus der "Montagsrunde" im EX als
"Matti" gekannt und gewußt, daß er eine Tochter hat
und in Kreuzberg wohnt. Später sei ihm noch eingefallen, daß
"Heiner" und "Malte" Schulfreunde gewesen seien.
Kennengelernt habe er ihn erst beim "Waldspaziergang" 1989.
Er, Tarek Mousli, habe aber dann im Dezember 1999 "andere Sorgen
und Ängste in den Vordergrund gestellt" und sich
"entschieden", angesichts der auslaufenden Frist für die
Kronzeugenregelung am 30.12.99. Als er dann Lothar selbst belastet habe,
was für ihn ganz hart gewesen sei, habe es auch keinen Grund mehr
gegeben, Axel außen vor zu lassen. Er habe Axel schon vor seinem
Beitritt in die RZ gekannt, u.a. aus dem T'ung-Dojo, und es sei ihm
relativ rasch klar geworden, daß Axel "Anton" gewesen sei.
Sie hätten sich aber außerhalb des RZ- Rahmens nie darüber
unterhalten.
"Toni" habe er nie gesehen, der sei ja auch bei dem
Waldspaziergang nicht dabeigewesen.
Bei dem Waldspaziergang 1989 seien alle außer "Toni"
dabeigewesen. Es sei über einige Texte gesprochen worden: Das Papier
"Gerd Albartus ist tot",
das von "Judith" verfaßte Papier "Was ist das
Patriarchat", und den Textentwurf aus dem "Pott",
"Das Ende unserer
Politik", der dann 1992 veröffentlicht worden sei.
Außerdem sei es um die Ausstiegs- und Auftauch- Absichten einzelner
gegangen.
Als Vorlauf für die Patriarchats- Debatte habe es den
(öffentlichen) Text "3:1" gegeben. Es habe auch einen
weiteren, von "Lea" geschriebenen Text zur Patriarchats- Frage
(Thema Lohn-/Hausarbeit) gegeben, der aber später nicht weiter
behandelt und seines Wissens nirgends veröffentlicht worden sei. Der
Text von "Judith" sei eine "intellektuell sehr hochstehende
Arbeit" gewesen, die umstritten gewesen sei und der er letztlich nicht
habe folgen können.
"Malte" und "Heiner" hätten einen neuen Zugang
zur sozialen Frage angestrebt.
Wieder zu Tarek Mouslis Abwendung von den RZ. Bundesanwalt Griesbaum
fragt, warum er trotz seiner Kritik an den Aktionen gegen Hollenberg und
Korbmacher mitgemacht habe? Tarek Mousli wiederholt, man steige nicht
gleich wieder aus, wenn man gerade eingestiegen sei. Es habe gegolten,
daß Widersprüche intern angesprochen und abgeklärt
würden. Er habe seine Bedenken mit "Siggi" und
"Sebastian" geteilt.
Dann, 1999, sei ihm bereits im April die Kronzeugenregelung erstmals
angeboten worden. Seine Lebensumstände seien nun ganz andere gewesen
als Ende der 80er Jahre. Er habe sich von der Szene und ihren Inhalten
entfernt gehabt und sein Leben neu organisiert. Es gebe persönliche
Umstände, über die er nicht sprechen wolle. Schließlich
wolle er nicht geradestehen für Vorwürfe, die er nicht zu
verantworten habe. Er sei kein "Rädelsführer" gewesen,
er habe nicht geschossen.
Bundesanwalt Griesbaum erwähnt, in einigen Medien werde das Leben
eines Kronzeugen in rosigen Farben gemalt. Wie er denn das sehe? Tarek
Mousli betont, die Medien seien ihm egal. Er habe vieles aufgeben
müssen, seine Stellung im Karate- Verband, seine engen Beziehungen
v.a. zu seinen jungen Schülern, und auch zu deren Eltern. Er habe auch
sein Hobby aufgeben müssen, das ihn "mit sehr viel Liebe
erfüllt" habe.
Ende der Befragung. Es geht in die Mittagspause.
Auffällig ist, daß Tarek Mousli seine Worte genau
wählt, in seiner Aussage sortiert, was er selbst zu wissen behauptet,
vom Hörensagen wisse oder auch erst aus Vernehmungen erfahren habe.
Der Clou an der Sache ist, daß dies den Bundesanwälten und v.a.
dem Gericht völlig egal ist - in der schließlichen
Wahrnehmung und Würdigung verschwimmt alles zu einem allgemeinen
Tatsachenbrei.
Tarek Mousli bemüht sich, auch politisch nicht denunziatorisch
zu argumentieren, benutzt keine häßlichen Worte selbst für
Leute, die er offenkundig ans Messer liefert bzw. liefern will. Das wird
insbesondere bei "Judith" deutlich, die er per Hörensagen
(Schreibtischtat!) als (Mit-)Mörderin von Karry hinstellt und die er
insgesamt in zurückhaltender Art und Weise charakterlich abzuwerten
versucht. Er sagt vornehm, "es fielen wohl auch härtere
Worte", was meint, sie habe ihn beschimpft; gleichzeitig würdigt
er ihre intellektuelle Leistung. Diese objektivierende Distanz soll
gleichzeitig seine eigene Glaubwürdigkeit stützen als auch das
negative Bild von "Judith" verstärken.
Auch das schon erwähnte Eingestehen unrühmlicher Episoden
dient dazu, eigene Sicherheit zu demonstrieren (und sich vielleicht auch
für weitere unrühmliche Episoden in den bevorstehenden Prozessen
emotional zu rüsten).
Nach der Mittagspause erscheint als Zeugin Karmen Tollkühn,
eine 34jährige Verkäuferin aus Ost-Berlin.
Sie begrüßt Tarek Mousli mit vorsichtigem Lächeln, das
er beantwortet. Sie ist bei der Befragung (verständlicherweise)
nervös, antwortet nur in kurzen Sätzen, bestätigt
öfters lediglich Vorhalte oder vorformulierte Sätze vom Richter
oder Bundesanwalt.
Sie sagt aus, Tarek Mousli habe sich ihr gegenüber nicht
ausdrücklich als "RZ- Mitglied" bezeichnet. Von dem
Sprengstoff habe sie erst erfahren, als der schon weg war. 1995 habe er
sich als der Gruppe nahestehend, aber nicht mehr Mitglied bezeichnet. Er
habe sich seiner Rolle in der Gruppe nicht gebrüstet, aber auch nicht
nur als ein Mitläufer dargestellt. Zu den Schüssen auf Korbmacher
bestätigt sie den Vorhalt aus der Vernehmung, ja, er habe gesagt, es
seien zwei Männer gewesen. Er selbst sei dabeigewesen. Auf Nachfrage:
"Mir war so, als ob er gesagt hat, er hat geschossen." Sie
hätten Kombis angehabt. "Er hat sich nicht gebrüstet, nicht
explizit, daß er geschossen hat."
Über ihr Konto sei Geld geflossen, sie habe gedacht, es sei von
Tarek Mouslis Bruder.
Die Bundesanwälte fragen weiter. Erstmals habe sie von
"Revolutionären Zellen" bei ihrer Vernehmung durch das BKA
gehört. 1995 habe Tarek von einer in Berlin tätigen
gewaltbereiten Gruppe gesprochen.
Sie selbst komme aus Ostberlin. Auf die Frage, welche emotionale
Befindlichkeit Tarek Mouslis Eröffnungen bei ihr damals ausgelöst
hätten, Unverständnis. Er habe Angst gehabt, sie darum auch. Er
habe befürchtet, Leute aus der Gruppe hätten das Zeug
geklaut.
Bundesanwalt Griesbaum legt ihr nahe: Angesichts der ganzen
Aufregung, könne es da nicht sein, daß sie Tarek Mousli
mißverstanden habe, als es darum ging, ob er selbst geschossen habe?
Sie sagt, es habe sich so bei ihr festgesetzt, er habe gesagt, er habe
geschossen.
Bundesanwalt Griesbaum, geduldig: "Sind Sie sich sicher,
oder erinnern Sie sich nur so daran?" Ob es nicht doch sein
könne, daß Tarek Mousli von "wir" gesprochen habe, sie
aber, da sie ja nur ihn kannte, das irrtümlich als "ich"
gedeutet habe? Sie ist endlich hinreichend verunsichert und will sich auf
nichts mehr festlegen.
Die Zeugin wird unvereidigt entlassen. Zum Abschied bedankt sie sich bei
Bundesanwalt Monka und lächelt noch einmal Tarek Mousli zu.
Nunmehr werden Texte der RZ verlesen, der Vorsitzende Richter hat
sich einzelne Textpassagen herausgesucht (sagt er), teils sind es nur
Halbsätze, teils längere Abschnitte. Sie stammen aus:
"Revolutionärer Zorn
Nr.1", Mai 1975:
-
"Anschlagtafel
1973 bis 1975";
-
"Interview mit einer Revolutionären Zelle" (zu
finden im Buch "Früchte des Zorns", ID-Verlag, Band 1,
Seite 88-91 und 96-115, das Interview nur in Auszügen).
"Revolutionärer Zorn" Nr.4 oder Nr.5 (vom Richter nicht
genannt), 1978:
-
Seite 21, die letzten 2 Sätze;
-
"Zum Nulltarif", Auszug: "Vorschläge"
für Aktionen
-
Seite 23, Erklärung
zur Aktion gegen die Schwarzfahrerkartei der Berliner BVG.
"Revolutionärer Zorn
Nr.6", 1981:
Der Vorsitzende Richter weist darauf hin, daß es in der Nr.6 um
"8 Jahre RZ" geht und daß sich durch die ganzen Texte
dieser Nummer die Aufforderung zieht: "Schafft viele
revolutionäre Zellen".
-
Auszüge aus dem "Vorwort"
-
"Der Wind dreht sich - die Zeichen stehen auf
Sturm"
-
Seite 13: "Unser Ziel" ("Früchte des
Zorns", Band 1, S.263-265, S.283 Fettgedrucktes).
Hatte die RZ-Erklärung zur Aktion gegen Richter Korbmacher noch
verhaltenen Beifall im Publikum ausgelöst, so setzt sich nun
Ermüdung durch. Es scheint, als gehöre auch diese
"Entdeckung der Langsamkeit" zur Regie des Verfahrens.
Ende des 2.Prozeßtages
Tarek Mousli und seine Begleitung entschwinden in einem schwarzen
Daimler der S-Klasse mit getönten Scheiben, gefolgt von zwei
Begleitfahrzeugen, in Richtung City-West.
Der 3.Prozeßtag, 13.12.2000
Ein Zeuge des BKA erscheint: EKHK Klaus Schultzke oder Schulzke,
seit 6 Monaten im Ruhestand, zu laden über BKA Meckenheim.
Der ex-BKAler verfügt über viel Detailwissen, sagt aber kein
Wort mehr als notwendig, wenn es ans Eingemachte geht. Selbst bei
prozeßrelevanten Fragen wie etwa nach dem verräterischen
typischen "Täterwissen" des Angeklagten bleibt er
zurückhaltend und sagt nur eben genug, um den Richter
zufriedenzustellen - was ja bekanntermaßen wenig ist.
Er schildert den Werdegang der RZ, erst 1973 als Zelle, damals meist
gegen us-amerikanische Einrichtungen; 1976 erstmals mit feministischem
Zweig, später als Rote Zora. Aktiv im Norden, in Berlin, in NRW und in
Rhein/Main.
In Berlin sei es den Behörden 1973 -1990 nicht gelungen, eine
Person zu identifizieren.
Zu den Strömungen führt er aus, es habe in den 70ern deutliche
Abgrenzungen zur RAF gegeben wegen der Frage des Untergrundes. Es habe aber
damals logistische Kontakte gegeben zu RAF und ausländischen
Terrororganisationen. Dies habe sich im Laufe der Zeit geändert.
Er erwähnt die Druckschriften "Revolutionärer
Zorn".
Hochzeit der RZ sei die Mitte der 80er gewesen, v.a. 1986/87.
1978 habe es erste Verfahren im Gebiet Rhein/ Main gegeben, vier
Personen seien in den Untergrund gegangen.
Die RZ hätten übergeordnet koordinierte Anschlagsserien
gemacht.
Die BKA-Aktion "Zobel" am 18.12.87 habe dazu geführt,
daß etliche Personen abgetaucht seien: Adrienne Gerhäuser,
Thomas Kram, Juliane Bahlke, Wolfgang Ehmer, Corinna Kawaters.
"Viele" seien zurückgekehrt. Bei der Erwähnung des
"Bonner Amtes" lachen Tarek Mousli und Rechtsanwalt Püschel
leise (Anspielung worauf? Etwa auf "Kölner Amt" = Bundesamt
für Verfassungsschutz und sein "Benz-Programm" für
Aussteiger?? Der Protokollant kann es nicht erklären).
Im Zuge eines dieser Verfahren sei der Sprengstoff aus dem
Salzhemmendorf- Einbruch überprüft worden.
Qualitativ von z.B. der RAF unterschieden die RZ sich dadurch, nur in
der BRD aktiv zu sein (mit Ausnahme der Internationalisten-Fraktion), und
Personen nicht anzugreifen, jedenfalls nicht, um sie zu töten. Dies
sei auch so umgesetzt worden, wenn man absehe vom "Tod des Herrn
Minister Karry" und den "sogenannten Knieschüssen".
Die RZ-Mitglieder hätten bewußt in "gutbürgerlichen
Verhältnissen" gelebt.
Kontakte zu ausländischen Gruppen ließen sich schwer belegen,
eben weil die Leute legal lebten. Es sei dann z.B. schwer zu sagen, ob eine
bestimmte Reise als ETA-Kontakt oder als bloßer Aufenthalt auf einem
spanischen Weingut anzusehen sei. "Das war ja gerade das
Problem." Es habe aber diese Kontakte mit Sicherheit gegeben.
Es habe gemeinsame Ausbildung von RZ- Mitgliedern mit Leuten von anderen
Gruppen im Ausland gegeben. "Aber Details kann ich hier nicht
darstellen."
Zur Finanzierung der RZ: Erst durch Tarek Mouslis Aussagen seien die
Methoden bekannt geworden. Die Abgetauchten seien auch durch Verwandte
finanziert worden.
Der fragliche Apotheker sei identifiziert worden, aber er (der Zeuge)
könne nicht sagen, ob überhaupt diesbezüglich Ermittlungen
eingeleitet seien.
Ein Bundesanwalt fragt nach Status der RZ zum Zeitpunkt der
Pensionierung des Zeugen. Er legt sich ungern fest. Die erklärte
Selbstauflösung stamme nur von Teilen aus NRW, sie gelte nicht
für Berlin. Die Rote Zora habe 1993 ein Papier veröffentlicht
(Milis Tanz auf dem Eis) und im Juli 1995 eine Aktion durchgeführt.
Die Frauen seien "mit der Technik oft nicht so gut
zurechtgekommen" und hätten darum unter der Auflösung von
RZ-Gruppen und deren Infrastruktur zu leiden gehabt. Bis 1997 habe es
Aktionen gegeben, die er den RZ zurechnen würde. Das schränkt er
später ein unter Verweis auf ungewisse Urheberschaften, die letzte
eindeutige Aktion sei Juli 1995 (Lürßen- Werft) gewesen. Das BfV
in Köln habe 285 RZ-Aktionen gezählt, das BKA ca.185, davon ca.40
in Berlin. Die Differenz sei aber erklärbar (was er nicht tut).
Es habe z.T. sehr hohe Schäden gegeben. Ein Beispiel: 15 Millionen
DM bei einer Firma in NRW, die auch Fallschirmseide hergestellt habe, die
nach Südafrika geliefert wurde. Die Firma sei in Konkurs gegangen, 260
Arbeitsplätze seien "vernichtet" worden. Diese Aktion sehe
er als ganz falsch an. Es habe zwar Verdachtsmomente gegeben, aber eine
Aufklärung des Anschlages sei nicht gelungen.
Die RZ hätten Waffen besessen, obwohl sie sie nicht/kaum
einsetzten, da sie sich vom Konzept her auf den "großen
Wurf", sprich die Vermassung und die revolutionäre Massenbewegung
vorbereitet hätten und überzeugt gewesen seien, dann das System
gewaltsam beseitigen zu müssen.
Ziel der RZ sei gewesen, Akzeptanz und Rückhalt in der
Bevölkerung zu finden.
Bis 1998 habe das BKA nichts über die Berliner RZ gewußt,
erst durch Tarek Mousli seien die Anschläge aufgeklärt
worden.
Die "F-Kampagne" (Flüchtlingskampagne) sei ein wichtiger
Baustein in den 80er Jahren bzw. 1985-1993 gewesen.
Zum Siegessäulen-Anschlag:
Das BKA habe gewußt, daß Sprengstoff aus dem Diebstahl von
1987 verwendet worden sei. Es habe "Tatmittelbezüge" aus dem
Kawaters-Verfahren gegeben. Damals sei geprüft worden, für welche
Anschläge anhand der verwendeten Mittel 100%ig die RZ verantwortlich
gewesen seien ("Autorenschaft"). Bei dem Einbruch in
Salzhemmendorf sei u.a. Gelamon 40/22 entwendet worden. Daß der bei
den RZ gelandet war, habe sich als Verdacht erstmals 1988 bei dem Anschlag
der Zora in Braunschweig ergeben.
Dann habe es seit 1980 den typischen Emes-Sonochron-Wecker als
"Anfasser des BKA" zu den RZ gegeben.
1986 sei die Postsparbuchaktion gewesen, bei der es in Berlin
eine Festnahme gegeben habe. Hier eine unklare Äußerung des
Zeugen, die offen läßt, ob der RZ-Bezug damals dem BKA unbekannt
war oder sich nur nicht belegen ließ.
Er listet die im Prozeß behandelten Anschläge 1986 bis 1993
noch einmal aus dem Gedächtnis auf.
Das BKA habe aufgrund der Stasi-Akten "Verdachtspersonen"
gehabt. Es sei bekannt gewesen, daß es in Berlin zwei RZ-Gruppen gab,
dies sei von Tarek Mousli bestätigt worden. Er habe überdies 90%
der Beteiligten mit Decknamen benannt, alle außer "Toni"
seien identifiziert worden. Es bestehen Haftbefehle (der Zeuge zählt
die 6 Namen auf).
Die Aussagen von Tarek Mousli seien "korrekt", daher
glaubhaft. Z.B. bezüglich der "Wäldler":
"Malte" sei Thomas Kram, der auch schon mal in Berlin gewohnt
habe und zusammen mit Adrienne Gerhäuser in den Untergrund gegangen
sei. Kram sei vermutlich an dem Einbruch in Salzhemmendorf beteiligt
gewesen, denn er sei in der fraglichen Zeit nicht in Hamburg gewesen, wie
sich aus der damaligen Telefonüberwachung ergeben habe.
Auch der Begriff "Miez" sei aus Stasi-Unterlagen bekannt,
"assamblea" dagegen nicht.
Aussagen Tarek Mouslis zu "Jon" und "Judith" deckten
sich mit BKA-Erkenntnissen.
Tarek Mousli habe auch von einer "Mäggi" gesprochen, die
"Heiner" kenne. Sie sei in Italien im Knast gewesen und habe mit
Hubschrauber befreit werden sollen. Dabei müsse es sich um Christel
Fröhlich handeln, die dem BKA nur als "Heidi" bekannt
gewesen sei.
Zur Frage, ob Tarek Mousli "objektives Täterwissen"
vorweisen konnte: Ja. Als Beispiele, er habe gewußt, daß das
Tat-Motorrad im Fall Korbmacher in NRW gestohlen worden sei. Auch habe er
die Methode beschrieben, wie VW Passats geknackt worden seien, nämlich
mithilfe einer Art umgebauten Dosenöffners zum Öffnen der
Türe und mit einem angefeilten Schlüssel zum Entfernen des
Lenkrad-Schließzylinders.
Die Postsparbuchaktion sei eine offensichtlich koordinierte Aktion
gewesen, an über 40 Orten an einem Tag, da habe der eine damals
Beschuldigte nicht überall sein können. Daß die RZ
dahinterstanden, sei nicht zu belegen gewesen.
Zum Sprengstoff: Die nach dem Keller-Diebstahl beschlagnahmte Menge sei
4,8kg gewesen. Nochmal 4,8kg seien nach Tarek Mouslis Angaben in dem
Seegraben gefunden worden, zusätzlich noch ein Wecker. Der Sprengstoff
stamme eindeutig aus dem Einbruch in Salzhemmendorf.
Zu Tarek Mouslis Aussageverhalten:
Die erste Durchsuchung habe Anfang 1999 bei Tarek Mousli in
Schönow, Heidestr.38, stattgefunden. (Tarek Mousli guckt
mißmutig, weil der BKAler seine alte Adresse nennt). Damals habe er
alles abgestritten.
Die Spurensuche im Keller in Prenzlberg sei positiv gewesen.
Am 19.5.99 dann erfolgte die erste Festnahme, Tarek Mousli habe weiter
alles bestritten.
Erst nach den Aussagen von K.Tollkühn habe er eingelenkt. Es sei
zudem ein Asservat gefunden worden, das ihn stark belastet habe.
Daher 23.11.99 erneute Festnahme. Tarek Mousli sei auf der Fahrt nach
Karlsruhe belehrt und ihm die Kronzeugenregelung erläutert worden.
Nach der Verkündung des Haftbefehles, auf der Fahrt nach Köln,
habe er dann am Abend des Tages erklärt, Angaben zur Sache machen zu
wollen. Er habe die Bedingung gestellt, vorher mit seiner
Lebensgefährtin sprechen zu dürfen. Nach Rücksprache mit
Bundesanwalt Monka sei dies genehmigt worden, das Telefongespräch habe
stattgefunden. Am Morgen des 24.11.99 habe in Köln-Ossendorf die
Vernehmung durch das BKA begonnen. Das BKA sei bald zu dem Schluß
gekommen: der sagt nur etwas zu seinem eigenen Part, aber zu anderen
Personen hätte er mehr zu sagen.
Am 20.12.99 (der BKAler erwähnt nicht, daß das unmittelbar
nach der Großaktion in Berlin war) habe er Tarek Mousli im Knast
besucht und ihm sehr deutlich erklärt, daß seine bisherigen
Aussagen unzureichend seien und die Kronzeugenregelung am 31.12.99
auslaufe, er also nicht mehr viel Zeit habe, es sich zu überlegen.
Tarek Mousli habe dann kurz nach Weihnachten von sich aus um einen Besuch
gebeten - er wäre aber auch von selbst noch einmal an ihn
herangetreten - , und so seien dann die Aussagen entstanden zwischen
Weihnachten und Neujahr.
Zu früheren BKA- Erkenntnissen über die RZ: 1978 sei der
Unfall von Hermann Feiling gewesen (er
sagt: Veiling), durch dessen "Aussagen" habe es "gewisse
Kenntnisse über die RZ im Raum Frankfurt/Main gegeben."
Der Zeuge wird unvereidigt entlassen.
Nun wird wieder vorgelesen:
Auszugsweise aus Erklärungen zur Flüchtlings-Kampagne.
"Kämpfen" als zentraler Begriff.
Dann der Brief "Lieber Luka!", den "Franka"
überbringen sollte. Darin geht es um den offenbar teils abgerissenen
Diskussionfaden innerhalb der RZ ("Wir nehmen die verschiedenen
Diskussionen nur noch aus gewissen Zeitschriften wahr") und v.a. um
eine Kritik an "Das Ende unserer Politik", ausdrücklich als
Einzelmeinung und ins Unreine geschrieben. Ein Kommentar von Oliver Tolmein
wird erwähnt, ebenso etwas aus der Zeitschrift "Interim".
Der Stil ist ziemlich sachlich. Sinngemäße Zitate: "Wenn
die Situation offen ist (wie ihr schreibt), sollte man auch seine
Handlungsmöglichkeiten offen lassen" (anstatt sich
aufzulösen). "Ist nicht die Niederlage 1977ff der Guerilla
weltweit viel entscheidender" (als die Ereignisse hierzulande 1989)?
Der in der Interim veröffentlichte Text "This is not a lovesong"
sei von denselben AutorInnen wie "Das Ende unserer
Politik", die Unterschiede zwischen den Texten seien nicht
nachvollziehbar. Begriffe der Herrschaftssprache wie "internationaler
Terrorismus" würden verwendet, was nicht angehe. Der Teil
über die Zeit vor 1977 "ist Quatsch".
Der Brief ist laut eigener Aussage von einem der Autoren des Textes
"Gerd Albartus ist tot".
Es folgt die unvermeidliche Mittagspause.
Um 13.30 kommt als zweiter BKA- Zeuge der KHK Möller. Er war
mit der erwähnten Tatmittelabgleichung im Verfahren gegen C. Kawaters
befaßt, allerdings nicht als Techniker, Chemiker o.ä., folglich
nur als Bearbeiter der gelieferten Daten. Er erinnert sich an vieles kaum
bzw. nur auf Vorhalt aus den Akten, wo er dann das Vorgehaltene
bestätigt.
Dieser Zeuge hat offenbar zwei Aufgaben: Er soll erklären,
daß der Sprengstoff bei Tarek Mousli wirklich
"RZ-Sprengstoff" war und somit dessen entscheidenden
Glaubwürdigkeits- Einstieg stützen, und dabei auch gleich die
seltsame Lücke von 4 Jahren zwischen dem Auftauchen des Sprengstoffes
1995 und der Verhaftung 1999 erklären.
Er erklärt, wieso der Sprengstoff aus Salzhemmendorf
identifizierbar war. Es habe sich um Gelamon aus DDR-Produktion und um
einen anderen Sprengstoff namens Hablastat gehandelt. Originalverpackt habe
das Zeug sog. "Losnummern", die eine ziemlich genaue Zuordnung
einzelner "Lose", d.h. bestimmter verpackter Mengen, erlaubten.
Der Sprengstoff sei gewerblich und werde in sehr großen Mengen
benutzt. Sprengstoff dürfe rechtlich nur eine gewisse Zeit lang
aufbewahrt und verwendet werden, nur ein paar Jahre, und Gelamon sei nach
Ende der 80er nicht mehr hergestellt worden. Daher habe man sehr sicher
sagen können, daß Sprengstoff mit den Losnummern von
Salzhemmendorf, wenn er in den 90ern auftauchte, auch wirklich von dort
stamme. Überdies gebe es chemische Unterschiede, die eine
Differenzierung möglich machten. Das sei aber im Falle Tarek Mousli
nicht nötig gewesen, weil die Originalverpackungen mit den Losnummern
noch dabei gewesen seien.
Die Auswertung der Fundstellen beim o.g. Verfahren habe ergeben,
daß der Sprengstoff Gelamon 40 aus dem Einbruch 1987 verwendet wurde
bei mehreren Anschlägen (1988 Braunschweig, 1991 Düsseldorf, 1991
Berlin, 1993 BGS Brandenburg, 1995 Lemwerder). Außerdem sei er 1988
in einem RZ- Depot in einem Wald bei Bielefeld und 1991 (1992?) in einem
Keller in Duisburg sowie eben 1999 bei Tarek Mousli gefunden worden.
Der Zeuge wird unvereidigt entlassen.
Es werden noch einige Textstellen verlesen, u.a. eine interne Kritik der
RZ am "Militarismus" der RAF.
Zuletzt schließt der Vorsitzende Richter im Einvernehmen mit der
BAW die Beweisaufnahme und bittet für den 18.12.00, 10 Uhr, um die
Plädoyers.
Ende des 3.Prozeßtages.
4. Verhandlungstag 18.12.00
Passenderweise genau ein Jahr nach dem großen Schlag des BKA.
Die Bundesanwälte halten arbeitsteilig ihr
Plädoyer.
Bundesanwalt Griesbaum: drückt seine Befriedigung über den
raschen und reibungslosen Prozeßverlauf von nur vier Tagen aus, nicht
zuletzt aufgrund frühzeitiger Absprachen mit der BAW. Am 29.11.00 habe
es ein vorbereitendes Gespräch der Bundesanwaltschaft gegeben,
Absprachen seien aber laut BGH- Entscheid legal.
Er nimmt Bezug auf öffentliche Reaktionen: Der "offene
Brief" (in der "taz" abgedruckt) enthalte Drohungen gegen
Tarek Mousli. Die Szene nenne ihn bezeichnenderweise
"Verräter", das erhärte die Glaubwürdigkeit seiner
Aussagen.
Tarek Mousli gehe offen mit seiner Vergangenheit um, er lüge
nicht.
Bundesanwalt Monka: liefert eine wohlwollende Kurzbiografie von Tarek
Mousli. Er sei jetzt im Zeugenschutzprogramm und habe radikal mit seiner
Vergangenheit gebrochen. Es gehe jetzt um die Zeit Ende 1985 bis März
1995. Die Berliner Zelle sei begrenzt als selbstständige Vereinigung
anzusehen. Den RZ seien insgesamt rund 186 Anschläge zuzurechnen.
Tarek Mousli sei 1985 eingestiegen; daß er damals in seiner
linksalternativen WG wegen "kleinkapitalistisch-bourgeoisem
Verhalten" kritisiert worden sei, sei sozusagen eine perfekte Tarnung
gewesen.
1990 habe es einen Bruch gegeben. "Toni" sei ausgestiegen.
"Jon", "Judith" und "Heiner" seien
Wortführer gewesen, "Jon" und "Judith" aber
aufgetaucht, so daß "Heiner" übriggeblieben sei.
Dieser sei am 3.10.93 an dem Anschlag in Frankfurt/Oder beteiligt
gewesen.
"Jon" und "Judith" hätten auf Hollenberg
geschossen. "Malte" habe die Erklärung mitverfaßt.
Bei der ZSA habe Tarek Mousli zusammen mit "Sebastian"
ausgespäht, "Jon" und "Sebastian" hätten den
Sprengsatz abgelegt, der ein medizinballgroßes Loch gerissen habe.
Das Ziel sei nach Angaben der Wortführer die Computeranlage gewesen,
die ZSA habe aber damals noch gar keine solche besessen. Vielleicht sei die
Gasleitung eben doch das Ziel gewesen, aber die Hardliner hätten die
"Weicheier" bewußt im Unklaren darüber gelassen, um
keinen Widerspruch wegen der Unkalkulierbarkeit der Wirkung zu
provozieren. Das ganze trage die Handschrift von "Judith" und
"Heiner". Der Korbmacher-Anschlag sei als Höhepunkt der
"F- Kampagne" konzipiert gewesen. Es habe vorher heftige interne
Diskussionen gegeben. "Jon" und "Judith",
"Heiner" und "Malte" seien die Drahtzieher gewesen.
"Heiner" habe das Motorrad gesteuert, "Jon" habe
geschossen. Von 5 Schüssen hätten 2 in den Unterschenkel
getroffen. In der Schottmüllerstr. (an einem anderen Ort, als
gemäß Planung Tarek Mousli bekannt gewesen sei) sei man in den
PkW umgestiegen. Dessen Brandsatz habe nicht gezündet aufgrund einer
kleinen Panne. Das Bekennerschreiben stamme von "Judith",
"Heiner" und "Malte". "Judith" habe
nachträglich etwas daran verändert.
Die "Aktion Zobel" 1987 habe u.a. zum Abtauchen von
"Malte" und "Lea" geführt. Die RZ seien in die
Krise gekommen. Gerd Albartus sei von einem palästinensischen
Revolutionstribunal ermordet worden. Im Zuge des
"Waldspaziergangs" 1989 sei Tarek Mousli mit einigen Gesichtern,
Kontakten und Konflikten vertraut gemacht worden.
1990 habe er als Konsequenz aus seinen Bedenken sich zurückgezogen
und nur noch als "Schläfer" zur begrenzten Verfügung
gestanden. "Siggi" und "Sebastian" hätten aber
weiter regen Kontakt zu ihm gehalten.
1994 habe "Siggi" ihn zum Wiedereintritt bewegen wollen, Tarek
Mousli habe abgelehnt, sich aber kurz darauf bereiterklärt, 10kg
Sprengstoff zu übernehmen aus einem offenbar aufgelösten
zentralen Depot.
Am 28.3.95 sei dann der Einbruchdiebstahl des Herrn Slawinski geschehen,
der "die Lawine ins Rollen brachte".
Monka würdigt das Problem des Zeugen und die Gefahr, er könne
den Ermittlungsbehörden "zu Diensten sein". Tarek Mouslis
Aussagen seien nüchtern, sachlich und weitgehend widerspruchsfrei.
Sein Wissen habe mit anderen Quellen übereingestimmt. Der Hintergrund
der Postsparbuch- Aktion sei nicht aus öffentlichen Quellen bekannt
gewesen. Die Aussagen von Frau Tollkühn bestätigten ebenfalls
seine Angaben. Auch die Reaktion der linken Szene bestätige ihn, da er
als "Verräter", nicht als "Lügner",
beschimpft werde und "an seinen Aussagen verrecken solle".
Zu bewerten sei nun seine "aktive Teilnahme am Verbandsleben"
1985-1995.
Er wiederholt die Paragrafen aus der Anklageschrift (§129a StGB,
§§306-308, 311 Sprengstoffgesetz alte Fassung).
Bundesanwalt Griesbaum spricht die Schlußworte, beginnend mit der
Frage, ob die Kronzeugenregelung Anwendung finden könne. Das
Kronzeugengesetz sehe in §1 vor, daß man zur Aufklärung von
Taten und zur Ergreifung von Tätern beitragen müsse. Das sei
erfüllt. Die Aussagen diesbezüglich seien in ihrem wesentlichen
Kern bis zum 31.12.99 erfolgt. "Ohne das Geständnis wäre
es sehr schwierig geworden, seine eigene Tatbeteiligung
nachzuweisen."
Der Strafrahmen reiche von 15 Jahren bis zu Straffreiheit. In
Abwägung der Aussagen gegen Tatbeteiligte vs. eigener Schuld sei eine
Strafe von 2 Jahren auf Bewährung angemessen.
"Schuldeinsicht" und "Reue" seien gegeben. Tarek Mousli
sei "auf seine Weise bemüht, den Schaden
wiedergutzumachen."
Strafantrag: 2 Jahre Freiheitsentzug, auszusetzen auf 3 Jahre zur
Bewährung und verbunden mit den Auflagen, sich dem
Zeugenschutzprogramm zu unterstellen, dessen Weisungen nachzukommen und auf
Antrag als Zeuge in anderen Verfahren zur Verfügung zu stehen.
Plädoyer Rechtsanwalt Püschel: Ich schließe mich den
Ausführungen des Bundesanwaltes an.
Schlußwort Tarek Mousli sinngemäß: "Die
folgenden Bemerkungen mögen vielleicht einen falschen Eindruck
erwecken und künstlich wirken, doch sie kommen von ganzem Herzen. Ich
möchte mich an dieser Stelle bei der Witwe von Herrn Hollenberg und
bei Herrn Dr. Korbmacher entschuldigen."
Es folgen 2 Stunden Mittagspause und Beratung des Gerichts
Urteilsverkündung
Tarek Mousli wird gemäß des Strafantrages der
Bundesanwaltschaft zu 2 Jahren Freiheitsentzug auf 3 Jahre Bewährung
verurteilt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Angeklagte.
(einige Frauen stehen auf, werfen Pfennigstücke und rufen eine
Parole gegen "Deal mit dem Staat". Vorsitzender Richter:
"Sind Sie fertig oder kommt noch mehr? Wenn Sie fertig sind,
dürfen Sie bleiben, ansonsten lasse ich Sie des Saales
verweisen." Die beiden BKA-Personenschützer stellen sich locker
zwischen Tarek und die Werferinnen)
Der Vorsitzende Richter erklärt den Haftbefehl für aufgehoben
und die beantragten Weisungen der Bundesanwälte für gesetzlich
nicht vorgesehen und sowieso überflüssig, denn "wir gehen
davon aus, daß Herr Mousli weiter als Zeuge zur Verfügung stehen
wird."
Der Vorsitzende Richter kündigt für die Urteilsbegründung
unvermeidliche Überschneidungen und Wiederholungen bez. des
BAW-Plädoyers an.
Er referiert die schwierige Kindheit von Tarek Mousli, kommt von Kiel
nach Berlin. Dann kommt die Funkgruppe ... 1985 sei Tarek Mousli durch
Gerd Albartus geworben worden.
"Judith" und "Malte" seien die Vordenker bei den RZ
gewesen.
Es wird weitgehend die Ausführung der BAW übernommen.
"Kai" sei bei Hollenberg beteiligt gewesen.
Die drei wichtigen Aktionen (Hollenberg, ZSA, Korbmacher) werden
referiert.
Die Unstimmigkeit, ob bei der ZSA die Gasleitung oder die vermeintliche
Computeranlage getroffen werden sollte, legt das Gericht so aus, "wie
das für den Angeklagten am günstigsten ist."
"Kai" sei auch bei Korbmacher beteiligt gewesen.
"Jon" habe geschossen.
Spuren am Fluchtfahrzeug haben mit den Angaben Tarek Mouslis
übereingestimmt.
Das Gericht zeigte sich erstaunt, "wie weit es gelungen war, in die
Logistik von Polizei und Verfassungsschutz einzudringen."
Tarek Mousli habe auch in den 90ern durch "Siggi" Nachrichten
über Aktionen erhalten. Er habe auch den "Brief an Luka"
besessen und den 60.000-Kredit vermittelt.
1995 sei das Mehringhof- Depot unsicher und daher aufgelöst
worden.
Die Kostenentscheidung sei gesetzlich geboten, zum Bedauern des
Richters.
Revision könne eingelegt werden ... aber beide Seiten
erklären den Verzicht auf Rechtsmittel.
Und damit war's vorbei und Tarek Mousli erstmal wieder
entschwunden.
Mein Gesamteindruck dieser Vorstellung war folgender.
Über die Richter braucht nichts gesagt zu werden - Knallchargen,
die wie bestellt herumsaßen. Der Rechtsanwalt wäre mit zwei
Ohrfeigen bestraft genug.
Die Bundesanwälte saßen auf ihrem Podest wie Olympiasieger
auf dem Treppchen: strahlend, gelassen, Herren des Verfahrens. Es war
offensichtlich, daß Tarek Mousli ihnen ein sehr angenehmer Kronzeuge
war. Sie konnten es sich erlauben, die aus früheren Prozessen
bekannte, für sie sonst geradezu typische Kampfhund- Mentalität
in der Garderobe zu lassen, weder verspannte Schultern noch gefletschte
Zähne waren vonnöten. Ihr Kalkül, das ganze Verfahren rasch,
unspektakulär und ohne Kanten über die Bühne zubringen, ging
auf - wer hätte es auch verhindern sollen? Natürlich ist auch
Monka und Griesbaum klar, daß es sich nur um einen Probelauf handelt,
um ein Warmlaufen für den großen Auftritt im nächsten Jahr.
Wie schon Tareks Auftritt im OPEC-Prozeß in Frankfurt sind diese
Probeauftritte ihnen sehr willkommen.
Was Tarek Mousli angeht, so ist nicht zu leugnen, daß er
zumindest aus Sicht des Gerichtes einen guten Eindruck gemacht hat - und
das ist nun mal die prozeßentscheidende Sicht -, selbst wenn die
begrenzte Zurechnungsfähigkeit des vorsitzenden Richters
herausgerechnet wird. Aber auch "unvoreingenommene"
BetrachterInnen konnten an seinem Auftreten nicht viel mehr
Kritikwürdiges erkennen als das charakterlich zweifelhafte
"Verpetzen" von Freunden und Bekannten, womit indirekt seiner
Glaubwürdigkeit ein positives Zeugnis ausgestellt wurde. Es hilft
nichts, den Kopf in den Sand zu stecken: Auftreten und Aussage Tareks
hinterließen einen weitgehend überzeugenden und authentischen
Eindruck. Kleinere Widersprüchlichkeiten helfen dabei letztlich noch,
den Anschein des inszenierten und manipulierten Zeugen zu vermeiden. Wie
schon zu Beginn erwähnt, macht es sich bezahlt, daß Tarek weder
als gebrochener Verlierertyp noch als Denunziant der eigenen Vergangenheit
auftritt. Das erlaubt es ihm auch, nachdem die ersten kritischen Stunden
des Prozesses heil überstanden sind, vorsichtig den verordneten
Autismus in Richtung Publikum zu lockern. Zwar vermeidet er Blickkontakt zu
seinen alten Bekannten aus den 80ern, aber Bekannte aus jüngerer
Vergangenheit grüßt er lächelnd, zwinkert auch schon mal
lausbübisch; sein Kommentar zu den Rufen aus dem Publikum ist
körpersprachlich, wenn er den Saal verläßt: ein leichtes
Kopfschütteln, ein Lächeln zwischen Nachsicht und Resignation -
die da draußen kapieren einfach nicht, daß er nicht anders
handeln konnte, daß sie der Zeit und den Ereignissen hoffnungslos
hinterherhinken, er möchte die mal sehen, wenn sie in der gleichen
Lage wären, all diese künstliche Aufregung um vergangene
Geschichten... Diese seine Selbstsicherheit, der vermittelte Eindruck,
jemand zu sein, der irgendwie immer oben schwimmt und den Überblick
behält, ist ein guter Panzer - zusätzlich zu dem emotionalen
Panzer, den er sich im psychologischen Training beim BKA zugelegt haben
wird, um die letzten Reste persönlicher oder politischer
Loyalitäten nicht wirksam werden zu lassen. Klar ist, getreu dem Motto
"The harder they come, the harder they fall", daß ein
erfolgreiches Unterminieren dieser coolen Pose durchaus zu einem
Zusammenbruch seiner ganzen "Rolle" führen könnte.
Hoffen wir, daß dies im Prozeß nächstes Jahr gelingt - es
wird ein verdammt hartes Stück Arbeit.
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