"This is not a love song!"
Juli 1991
Fast wie im wahren Leben
Im Frühsommer trafen sich in einem ehemaligen Erholungsheim
der FDJ [6] drei
nicht mehr ganz junge Leute: HerMann (der mit dem großen M),
Artur und Zorro.
Nachdem das Eis zwischen ihnen mal wieder gebrochen war, HerMann
und Zorro den mitgebrachten Krimsekt bereits geleert hatten, setzte
sich Artur, von dem Ritual ziemlich angeekelt, vor den Schwarz- Weiß- Fernseher.
Es war so kurz nach halb elf, da glaubte Artur, der inoffizielle
Mitarbeiter der Bonner Regierung wolle ihn verkohlen. Auch noch
Stunden später, als seine beiden Freunde längst wieder
nüchtern waren und die erste Rauferei des Treffens zu Gunsten
von HerMann längst entschieden war, schwor Artur, daß
er nicht geträumt hatte. Friedrichs [7]
habe nämlich mit einem besonders verschmitzten Grinsen gemeldet,
daß sich die Revolutionären Zellen in der Hauptstadtfrage
jetzt auch für Bonn ins Zeug geschmissen hätten. Der Reichstag
wäre - zum Glück der Nation - zwar nicht abgebrannt, Menschen
auch nicht zu Schaden gekommen, aber es wären zwei Stelltafeln
in der Ausstellung zur deutschen Geschichte bis auf die Aluminiumträger
abgebrannt.
Als
daraufhin aus allen Wohnstuben der Republik ein unglaubliches Gelächter
aufbrauste, das wohl die Ursache für einen sekundenlangen Stromausfall
in dem ehemaligen FDJ- Heim war, kam es zu dem bereits erwähnten
Zwischenfall unter Genossen. Artur, vor Schreck zunächst wie
gelähmt, kriegte einen dermaßenen Wutanfall, daß
er mit dem Aschenbecher nach dem Regierungssprecher schmiß.
HerMann und Zorro brachte der Krach des implodierenden Fernsehers
auf die Palme, weil dadurch ihre Sicherheit in dem Dorf gefährdet
sei. Als Artur dann dazwischen schrie und dann etwas gefaßter
erklärte, was in Berlin passiert war, kam es zu einem erbitterten
Wortgefecht, in dessen Verlauf erst Artur auf die Problematik einer
solchen Aktion vor dem Hintergrund des Reichtstagsbrandes Ende Februar
33 verwies. Zorro meinte, das Objekt wäre eh das falsche, wenn
schon Kampf gegen die Umstrukturierung der Stadt, dann müßte
man schließlich Daimler angreifen, aber nicht isoliert, sondern
als Teil einer Massenkampagne gegen das Projekt am Potsdamer Platz.
[8] Als HerMann dann
auch noch einwandte, ob Bonn oder Berlin, Daimler oder sonstwas,
das müßte Mann von antipatriarchalen Ansatz her überlegen,
bzw. erst mal die Zora fragen und als er dann auch noch abhob auf
das Problem der männlichen Definitionsmacht, kriegte er plötzlich
von Zorro eins auf die Glocke ...
Im wirklichen Leben
würden die Leute natürlich nicht über uns lachen.
Die Situation ist für uns auch bitter ernst. Tatsächlich
kommt uns einiges von dem, was militante Gruppen in den letzten
Monaten gemacht haben, als traurige Karrikatur dessen vor, wofür
mehrere Generationen Militanter seit Anfang der 70er Jahre in diesem
Land gekämpft haben.
Wir meinen damit den Beschuß der Bonner US- Botschaft [9]
durch ein Kommando der RAF, Anfang Februar; den Versuch Revolutionärer
Zellen, die Goldelse von der Siegessäule in Berlin zu sprengen
und die Brandstiftung einer RZ im Berliner Reichstag vor einigen
Wochen.
Insbesondere meinen wir damit das tödliche Briefbombenattentat
auf den Berliner Baustadtrat Klein. [10]
Da aufgrund einer anonymen Erklärung nicht mehr ausgeschlossen
werden kann, daß die Urheber des Attentats aus den Reihen
der Linken kommen, halten wir eine selbstkritische Auseinandersetzung
über das Verhältnis von Politik und Moral für dringend
erforderlich.
In einer politischen Situation, in der die Linke insgesamt fast
völlig bedeutungslos geworden ist, ist diese Diskussion existentiell.
Angesichts gesellschaftlicher Marginalisierung linker Politk insgesamt
und militanter Positionen im besonderen, verlangt der Einsatz revolutionärer
Gewaltmittel ein besonderes Maß an Verantwortung und Genauigkeit.
Ihr Einsatz hat in dieser Situation im Wesentlichen exemplarischen
Charakter.
Die o.g. Aktionen werden allesamt dieser Verantwortung nicht gerecht.
Sie nehmen zwar alle für sich in Anspruch, richtige Antworten
auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu geben, sie entwerten
jedoch den Einsatz revolutionärer Gewalt selbst. Der Beschuß
der US- Botschaft durch ein Kommando der RAF war die endgültige
Bankrotterklärung einer gesamten Fraktion der bewaffneten Linken
in der BRD.
Durch den ziellosen Beschuß wurden nicht nur völlig
unbeteiligte Menschen in Gefahr gebracht, sondern - um das Maß
noch voll zu machen - handelte es sich um Menschen aus der Anti- Kriegsbewegung,
die als potentielle Bündnispartner angesehen werden. Besser
kann eine bewaffnete Gruppe das von ihr gezeichnete "terroristische
Schreckgespenst" gar nicht medienwirksam in Szene setzen. Der
Hinweis in der Kommandoerklärung, die Gefährdung Unbeteiligter
durch die Mischung der tödlichen Geschosse mit Leuchtspurmunition
ausgeschlossen zu haben, ist ein nicht zu überbietender Zynismus.
Mit
dem Anschlag auf das mittlerweile politisch völlig unbedeutende
Denkmal des deutschen Militarismus von 1871, die Siegessäule
in Berlin, beweisen Revolutionäre Zellen, daß sie sich
mittlerweile völlig außerhalb von Zeit und Raum befinden.
Der Versuch, die Goldelse vom Sockel zu holen, war angesichts des
Kriegsbeginns am Golf völlig unangemessen und lächerlich.
Abgesehen davon, daß die Aktion zeitlich deplaziert war, haben
die Genossen gezeigt, daß sie keine Antworten haben auf die
von ihnen aufgegriffenen, objektiv richtigen Fragen - nämlich
nach dem Verhältnis von Nationalismus, Rassismus und Sexismus
und der eigenen politischen Praxis. In der Erklärung fehlt
jegliche politische Orientierung - das bringt den Etikettenschwindel
der Genossen auf den Punkt. Sie täuschen Klarheiten vor, wo
keine erkennbar sind - beispielsweise nach dem Verhältnis von
Militanz und antipatriarchalem Widerstand von Männern. Für
den Brandanschlag auf die Ausstellung zur deutschen Geschichte im
Reichstag, Anfang Juni, gilt die alte militante Weisheit, wonach
eine Aktion gegen das falsche Objekt eine falsche Aktion ist, auch
wenn in der Erklärung das Gegenteil behauptet wird.
In dem unter unserem Markenzeichen herausgegebenen schriftlichen
"Votum für Bonn" steht zu lesen, daß eine Voraussetzung
für den Kampf sei, "das politische Terrain zu erhalten
und in aktuellen Auseinandersetzungen konkrete Ziele zu benennen
und durchzusetzen." Das wird zwar flott dahergesagt, drückt
sich aber weder in der Aktion noch im Inhalt der Erklärung
aus. Konkrete politische Ziele oder Kristallisationspunkte, an denen
sich der Kampf gegen die Umstrukturierung der Stadt entwickeln könnte,
werden nicht genannt. Was von der Aktion bleibt, ist der Bezug auf
den herrschenden Diskurs - die "Hauptstadtfrage". Vor
dem Hintergrund des Reichstagsbrandes 1933 verkommt die Aktion zur
Farce.
Dieser Ort ist - wegen seiner widersprüchlichen historischen
Bedeutung - als Angriffsziel militanter Politik völlig ungeeignet.
Der Reichtstag ist sowohl Symbol des deutschen Nationalismus, als
auch der historischen Niederlage der Linken in Deutschland.
Entgegen der Behauptung in der Erklärung von "der Einzeltat
des Marinus van der Lubbe" sind die genauen Umstände der
Brandstiftung bis heute nicht geklärt. Es deutet zumindest
einiges darauf hin, daß die SA an der Brandstifung beteiligt
war.
Es ist "blödsinnig", eine Aktion gegen ein Objekt
zu machen, dessen Symbolik nicht eindeutig ist und sich nicht selbst
vermittelt.
Der Tod des Berliner Baustadtrats Klein durch die Explosion einer
Briefbombe ermöglichte und provozierte Spekulationen über
Zielsetzung und Motive der Urheber.
In der Erklärung einer anonymen Gruppe vom 15. Juni wird behauptet,
daß der Tod Kleins nicht beabsichtigt, Folge einer "Ungenauigkeit"
gewesen sei und die Gefährdung Unbeteiligter auf dem Postweg
zu "100% ausgeschlossen" wurde. Letzteres können
wir uns zwar kaum vorstellen, das schließt aber nicht aus,
daß nicht der Baustadtrat, sondern etwa eine Sekretärin
den Brief hätte öffnen können.
Für Bestrafungsaktionen gelten - wie für andere Aktionen
- zu allererst politische Kriterien, dabei muß es absolut
ausgeschlossen sein, daß die angegriffene Person getötet
wird und Unbeteiligte gefährdet werden, auch wenn sich das
eigene Risiko dadurch erhöht.
Für das Regime sind Menschen Schachfiguren; unser Kampf spielt
nicht mit dem Leben von Menschen!
Die Kaltschnäuzigkeit, mit der die fatalen Folgen der Aktion
kurzerhand vom Tisch gewischt werden, entspricht der Unfähigkeit,
weder die beabsichtigte politische Wirkung der Aktion, noch politische
Konzepte und Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf den noch zu
entwickelnden Widerstand gegen die Umstrukturierung Berlins benennen
zu können.
Diese Unfähigkeit charakterisiert sich in einer verhängnisvollen
Tendenz zum Militarismus. So ist es auch nicht verwunderlich, daß
in der Erklärung "Krieg" als zentrale Begrifflichkeit
unterstrichen ist.
Diese verhängnisvolle Tendenz zum Militarismus hat immer wieder
Aktionen mit fatalen politischen Folgen für die Linke hervorgebracht:
die Karry- Aktion [11],
die Schüsse an der Startbahn [12],
der Mord an dem US- Soldaten Pimental. [13]
Die Liste ließe sich noch verlängern.
Diese Tendenz ist Ausdruck einer Haltung eines Teils der militanten
Linken, die sich weigert, aus der Geschichte zu lernen, deren Handeln
sich allein aus dem subjektiven Verhältnis zu Staat und Kapital
begründet, aus ihrem "Drauf- Sein", deren Praxis nicht
an einem politischen Ziel der Verankerung und Verbreiterung revolutionärer
Politik in die sozialen Prozesse der Gesellschaft hinein orientiert
ist.
Wir
lehnen den politischen Mord als Mittel revolutionärer Politik
ab, weil der Stand der sozialen Kämpfe in diesem Land weit
davon entfernt ist, daß die Liquidierung des politischen Gegners
zu einer Macht- und Überlebensfrage geworden wäre. Wir
kämpfen um das Bewußtsein der Menschen und unser eigenes
- nicht um die Macht.
Der politische Mord legitimiert sich auch nicht aus der Funktion
des Gegners, wie die RAF uns das seit Jahren predigt. Die politische
Wirkung muß verpuffen, weil ihre einzige Wirkung darin besteht,
daß ein bis dahin anonymer Schreibtischtäter als Toter
bekannt wird. Ihr Tod verschafft niemandem eine Atempause, hat nichts
befreiendes und mobilisierendes. Im Gegenteil - die inflationäre
Anwendung dieses Mittels zerstört den revolutionären Befreiungsanspruch
von Innen - dieses letzte Mittel im revolutionären Kampf verkommt
zum Spektakel.
Eine militante Linke, die die absolut verpflichtenden Grundsätze
von Politik und Moral leichtfertig aufgibt und die ihre Skrupel
verliert - dieses wesentliche Merkmal, was revolutionäre Frauen
und Männer vom Gegner unterscheidet - verliert den Kredit und
den Anspruch, einen revolutionären Kampf für eine herrschaftsfreie
Gesellschaft zu führen.
Spätestens an dieser Stelle werden sich viele fragen, was
der Subjektivismus, der Militarismus und der Verlust revolutionärer
Moral, wie sie in der Aktion gegen den Berliner Baustadtrat zum
Ausdruck kommt, mit den von uns kritisierten Aktionen Revolutionärer
Zellen zu tun hat. Die Gemeinsamkeit besteht in dem verantwortungslosen
Aktionismus, der die militante Aktion selbst zum Fetisch macht.
Diese Praxis setzt auf die spektakuläre Geste, verwechselt
politische Vermittlung mit bürgerlicher Öffentlichkeit.
Sie transportiert keine Hoffnung auf Befreiung, sondern transportiert
Erklärungen durch den Einsatz von Feuer, Sprengstoff oder Waffen
in eine diffuse Öffentlichkeit. Sie hat die grundlegenden Kriterien
revolutionären Handelns aufgegeben oder erinnert sich nicht
mehr an sie, weil sie die Orientierung längst verloren hat.
Sie wird zur tragischen Figur, weil sie Opfer ihres eigenen Mythos
geworden ist.
Militante Aktionen haben zum Ziel, die gesellschaftlichen Widersprüche
zu verschärfen, soziale Kämpfe voranzubringen und erkämpfte
Freiräume abzusichern oder zu erweitern. Sie sollen die Gewalt
des Systems sichtbar machen, dem Unrecht einen Namen geben, Projekte
der Herrschenden sabotieren und das System der sozialen und repressiven
Kontrolle zerstören. Sie sollen entgegen dem weitverbreiteten
Gefühl der Ohnmacht Widerstand immer wieder möglich machen
und den Mythos der Macht zerstören. Sie sollen die Herrschenden
politisch treffen, sie verunsichern oder der Lächerlichkeit
preisgeben.
Militante Aktionen - so begreifen wir auch unsere Praxis gegen
die rassistische und sexistische Ausländerpolitik - sind ein
unverzichtbares Mittel politischer Intervention.
Wir reden nicht der Selbstentwaffnung der Linken das Wort - die
militante und bewaffnete Widerstandserfahrung ist im Gegenteil ein
gewichtiges Faustpfand für zukünftige Kämpfe.
Eine Gruppe aus dem Traditionszusammenhang der Revolutionären Zellen
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