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121. Prozesstag: 28. März 2003

Senat und BAW schon wieder angezählt

Welche Auswirkung die angekündigte positive Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin zur Frage der Beiziehung ungeschwärzter Verfassungsschutz-Protokolle auf das RZ-Verfahren haben wird oder haben könnte, war heute Gegenstand lebendiger und mit Verve geführter rechtskundiger Erörterungen. Zwei Aussetzungsanträge von der Verteidigung Glöde und der Verteidigung Borgmann vervollständigten den Sieg in dieser Runde für die Angeklagten im RZ-Prozess.

Bernd mit den Scherengittern

Doch vorher wollte ein weiteres Mal das unbemerkte Anschleichen an die Siegessäule zwecks Sprengung ventiliert werden: Heute war es der 1991 zuständige technische Angestellte der Senatsverwaltung, Bernd H, der über die Scherengitter an den Eingängen der beiden Straßenunterführungen nebst Stichtunneln zur Verkehrsinsel auf dem großen Stern, auf welcher sich die Siegessäule in den Himmel reckt, Auskunft zu geben hatte. Zunächst gab der 56-Jährige Einblick in die komplizierten Kompetenzgeflechte rund um die Gold-Else, denn an ihr hängen das Hoch-, das Tief- und das Brückenbauamt, so dass man sich über die Finanzmisere der Stadt gar nicht mehr wundern mag. Die Scherengitter am Eingang und Ausgang der Zugänge zu den Tunneln sind jedenfalls während dieser Zeit von der Firma "Wachschutz" stets pünktlich um 21 Uhr versperrt und früh morgens um 6 Uhr wieder geöffnet worden. Für die Wahrheitsfindung erheblich war auch die Bemerkung des Zeugen, dass man im Winter da schon auch mal flexible Sperrzeiten gehabt und erst um 7 Uhr geöffnet habe: Dieser Hinweis könnte in der Tat auf die Spur jener skrupellosen Terroristen führen, welche sich listig Nachschlüssel besorgt haben könnten, um im Schutze der Nacht zwei Scherengitter zu überwinden und sich der Siegessäule in schändlicher Absicht zu nähern. Und das ohne den Asphalt der Straße rund um das Bauwerk in verdächtiger Weise zu berühren. Während der "Love Parade" und am "Christopher Street Day" seien die Gitter ohnehin geschlossen, ließ der Zeuge die gespannten ZuhörerInnen wissen. Die Polizei habe ihren Schlüssel irgendwann mit der bezeichnenden Bemerkung zurück gegeben, sie wolle sich damit nicht belasten! So waren Schlüssel nur noch beim Wachschutz und den befassten Ämtern. Zur Siegessäule selbst kommt nur, wer Schlüssel für wieder andere Schlösser hätte. Der Wachschutz hat, nach Einschätzung des beflissenen Zeugen, stets sehr korrekt, um nicht zu sagen penibel, seine Aufgabe bewältigt und immer sofort etwaige Störungs- oder Schadensmeldungen an die Zuständigen durchgefaxt. "Das beruhigt mich als Bürger", kommentierte RA Kaleck schmunzelnd.

Ja, das Grundgesetz

Auf die Frage der Vorsitzenden Hennig, ob denn neue Akten bei der BAW angekommen seien, erklärte Oberstaatsanwalt Bruns, er wolle sich dazu kommende Woche ausführlich äußern. Darauf bestand er trotzig auch, nachdem die Nachfrage der Verteidigung ergab, dass Bruns der Vorsitzenden bereits weit konkretere Andeutungen gemacht hatte, nämlich - so presste sie verkniffen heraus - dass es um einen Leitzordner gehe.

RA Silke Studzinky stellte sodann den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens und verlas zu diesem Behufe den Beschluss des Verwaltungsgerichts zur Gänze vor. Das Gericht habe nach Grundgesetzartikel 19 Absatz 4 eine Aufklärungspflicht, welcher es nur mit einer Aussetzung des Verfahrens nachkommen könne, zumal eine Beschwerde des Bundesinnenministeriums wenig Aussicht auf Erfolg hätte, so ihre Argumentation.

Darauf hub die grundsätzliche Debatte darüber an, welche Folgen der Verwaltungsgerichtsbeschluss den nun wirklich habe: Der Schlagabtausch zwischen der Bundesanwaltschaft, vertreten durch den schnaubenden Libero Bruns, und einem unverhofft dribblingstarken Johnny Eisenberg verlief eindeutig zu Ungunsten des ermittelnden Oberstaatsanwalts. Eisenberg meinte, das Verwaltungsgericht habe mit seiner Feststellung einer Erfolgsaussicht für den Antragsteller Glöde keine Anordnung an das Kammergericht ausgesprochen, die ungeschwärzten Protokolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gegen den Willen des zuständigen BMI und zum Schutze der Rechte des Angeklagten Glöde beizuziehen. Vielmehr habe es, das VG, dem Kammergericht eine Handreichung zur Wieder- oder erstmaligen Herstellung eines Verfahrens nach rechtsstaatlichen Prinzipien gegeben, welche das Kammergericht nun selber umsetzen müsse, um eben rechtsstaatlichen Kriterien nach dem Grundgesetz zu genügen, so Eisenberg eloquent und mit Blick darauf, dass das Gericht bisher "noch nicht als sehr rechtskundig aufgefallen" sei.

Kein Entscheidungsbedarf

Bruns gab sich "begeistert" von den "zutreffenden" Erörterungen des "Kollegen" Eisenberg, vermutet hinter dem nach seiner Einschätzung "fehlerhaften" Beschluss des VG jedoch geradezu eine gegen ihn und den Staat, den er vertritt, gerichtete Verschwörung: dass das VG mit dem Beschluss gleich an die Öffentlichkeit gegangen sei, beweise "wo's hier lang gehen soll". Mehr noch: Bruns stellte klar, dass das Kammergericht an keinerlei Weisungen gebunden sei. "Solange die Beweisaufnahme läuft, gibt es hier keinen Entscheidungsbedarf", womit er dem Senat signalisieren wollte, dass in der peinlichen Situation das bewährte Aussitzen am wenigsten Schaden anrichten würde. Denn, so Bruns apodiktisch weiter, wenn man hier noch zwei Jahre, jedenfalls auf unabsehbare Zeit weiter sitze, könnten die angekündigte Entscheidung des Verwaltungsgerichts längst gefallen sein, weshalb durchaus kein Grund bestehe das Verfahren auszusetzen. Das VG könne nicht anordnen und habe sich mit seinem Beschluss auf den "schwankenden Boden der Strafprozessordnung" begeben. Es gebe jedoch keinen Anspruch auf Aussetzung, doch die Verwaltungsrichter verstünden nach Bruns Meinung "nichts von der Prozessordnung". Sie bezögen sich auf ungesicherte Fundstellen und es werde ihm ein Vergnügen sein, dazu im Einzelnen Stellung zu nehmen. RA Eisenberg warnte das Gericht davor, den Ausführungen des Bundesanwalts zu folgen, denn er gehe in die Irre. Es sei, so Eisenberg, die Pflicht des Gerichts ein prozessual ordentliches Verfahren zu garantieren. (dem dazwischen bellenden Richter Alban warf Eisenberg in Fahrt zu: "Herr Alban, Sie werden sicher nichts dazu lernen!")

Gegen Beckmesserei und Einflüsterungen

Das Verwaltungsgericht habe hier als das zuständige Fachgericht in vorbildlicher Weise agiert. Und des Bundesanwalts "Beckmesserei" in Sachen Öffentlichmachung seines Beschlusses durch das VG gehe fehl: Nach § 4 des Landespressegesetzes habe die Öfentlichkeit Anspruch auf Auskunft der Behörden, es sei in Berlin eine Verpflichtung der Behörden, ihr Handeln bekannt zu machen. So werde der Eindruck unzulässiger Geheimhaltung vermieden. "Das mag in Karlsruhe, wo Sie sich auskennen, anders sein", so Eisenberg und rief den Senat erneut auf, nicht auf Bruns desaströse Einflüsterungen zu hören.

Ein weiterer Aussetzungsantrag kam im Anschluss von der Verteidigung Borgmann: RA Kaleck stellte fest, dass zwar nur der Angeklagte Glöde geklagt habe, das VG-Verfahren jedoch für alle Angeklagten und das gesamte hiesige Strafverfahren Relevanz habe. Schließlich gehe es um nicht weniger als das Prinzip der ordentlichen Strafrechtspflege, alle Beweismittel in das Verfahren einzubringen. Daraus folgt im aktuellen Verfahren zwingend eine Aussetzung, so Kaleck: das VG-Verfahren sei zeitlich nicht absehbar, dann könnte noch Revision vor dem Oberverwaltungsgericht und dem Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden, was erfahrungsgemäß Jahre in Anspruch nehmen könnte. Außerdem müsse nun die Offenlegung weiterer bisher nicht ins Verfahren eingeführter Akten geprüft werden. Nicht nur das Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern auch die Landesämter müssten hier in die Suche nach weiteren Akten einbezogen werden. Bereits im Jahr 2001 habe es hier einen Offenlegungsantrag der Verteidigung Borgmann gegeben: doch das Arbeitstempo des Bundesamtes lasse es wahr erscheinen, dass die vom BfV verwendete Formel, die Sache werde "einige Zeit" in Anspruch nehmen wörtlich genommen werden müsse. Und auch das unsachgemäße Vorgehen der Behörde bei bisherigen Schwärzungen lasse es geraten scheinen, alle bisherigen Ablehnungen von Beweisanträgen der Verteidigung nun noch einmal in Frage zu stellen.

Unzumutbar und unökonomisch

RA Kaleck erinnerte in diesem Zusammenhang an einen Antrag vom 16.5.2002, in welchem die Beiziehung weiterer BKA- und LKA-Akten, der sogenannten Strukturakten sowie der TKÜ-Akten beantragt worden sei. Das Gericht habe ihn damals abgelehnt, denn eine Aufklärungspflicht seitens des Senats sei nicht gegeben, da die Akten nichts enthielten, was gegen die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen spreche. Das sei zumindest für die BKA-Akten zu der angeblich konspirativen Wohnung in der Oranienstraße jedoch in Zweifel zu ziehen. Diese Arbeit sei im Lichte der neuen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung nicht zu leisten, schon gar nicht unter dem "unzumutbaren und unökonomischen Druck", dem alle Prozessbeteiligten ausgesetzt seien, meint Kaleck. Die Aussetzung sei mithin zwingend. "Das Verfahren ist schon jetzt nicht mehr rechtsstaatsgemäß", ergänzte RAin Lunnebach. Ihr Mandant sei vor etwa zwei Jahren von dem Kronzeugen belastet worden. "Was machen wir aber seither?", fragte sie in die Runde. Man vollziehe hier etwas nach, was die zuständigen Ermittler nicht für wichtig hielten. Dabei war die ganze Zeit die Widersprüchlichkeit Mouslis aktenkundig, wie das VG jetzt bestätigte. Das Gericht vollziehe mit Hilfe der Anträge der Verteidigung nach, was die Ermittlungsbehörden verabsäumt hätten. Sie habe den Eindruck der Senat müsse in diesem Verfahren Akteneinsicht bei der BAW geradezu erbetteln. Sie appellierte an den Senat sich "freizuschwimmen" von den unsachgemäßen Ermittlungen, sonst werde da kein rechtsstaatliches Verfahren mehr draus.

Gute Verbindung mit E-Plus

Unbeirrt wies der angeschlagene Bruns nun einen Antrag der Verteidigung Borgmann zurück, Protokolle des Landesamtes für Verfassungsschutz (vom November 1999) ungeschwärzt beizuziehen: der Antrag sei unbegründet und nicht verfahrensrelevant, es sei nicht ersichtlich welche Ziele mit dieser "Ausforschung" erreicht werden sollten.

Kaleck betonte, dass, welche Erkenntnisse das Beweismittel enthalte, sich erst ergeben könne, wenn es bei den Akten sei, wo es sich längst befinden sollte.

Weitere Anträge der Verteidigung Glöde vom 20.3.2003 wurden zurück gewiesen. Bundesanwalt Wallenta erklärte, die Anträge seien zum Teil schon einmal gestellt worden und fußten auf Mutmaßungen über die Ermittlungen gegen Slawinsky, bei dem der Sprengstoff gefunden wurde, und den "Rauswurf" Mouslis aus der WG in der O-Straße. Die Melde- und Mietverhältnisse Mouslis seien jedoch nicht verfahrensrelevant.

RAin Studzinsky setzte mit zwei Gegenvorstellungen nach: Zum einen monierte sie, dass dem Gericht nicht wie gefordert die Verbindungsdaten des E-Plus-Netzbetreibers von der Abhörung des Handys von Mousli übergeben worden seien, sondern Datensätze, die lediglich auf BKA-Rechnern aus den E-Plus-Daten erstellt wurden. Das gehe aus dem Gutachten vom 22.April 2002 hervor, dessen technische Erläuterungen jedoch zu kompliziert wären, um sie nicht in der Aussage zusammen zu fassen: dass der Senat unzutreffend davon ausgehe, ihm lägen die Original-Verbindungsdaten vor. Eine weitere Gegenvorstellung soll Licht in Mouslis Aussageverhalten zum Zeugen Helmut H., den er dezidiert beschuldigt habe, er habe die RZ mit der Lieferung von Blanko- Ausweisen aus der Bundesdruckerei - zu der er als Mitarbeiter des Bundeszentralregisters nach Aussagen Mouslis Zugriff gehabt habe - unterstützt. Dies geht zumindest aus dem Urteil des gegen Mousli geführten Strafverfahrens hervor.

Der Termin am Freitag, 4. April 2003 ist aufgehoben. Weiter verhandelt wird am Donnerstag, 3. April 2003 um 9.15 Uhr

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