Übersicht
Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund
Mailingliste
Mail
Suche
|
98. Prozesstag: 26. September 2002
Eine Einlassung, mehrere Anträge und ein weiterer
Zeuge der Verteidigung
"Beschlossen und verkündet", diese Justizfloskel war heute
zu Beginn der Hauptverhandlung mehrmals zu hören. Abgelehnt
wurde vom Gericht ein Antrag der Verteidigung von Matthias B. vom
4. Juli, in dem die Beiziehung der Akten des Prozesses gegen Tarek
Mousli vom Dezember 2000 gefordert wurde. Ebenfalls abgelehnt wurde
ein Antrag der Verteidigung von Harald G. zur Einsichtnahme des
Besucherbuchs der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit. Dadurch sollte
geklärt werden, von wem Mousli wann ausgeführt und besucht
worden war. Die Vorsitzende Richterin Hennig selbst allerdings -
so war heute ihren Ausführungen zu entnehmen - habe recherchiert
und telefonisch die Information erhalten, dass in dem Besucherbuch
der JVA nur Privatbesuch festgehalten würde. Da also der Besuch
von BKA-, LKA- oder gar Verfassungsschutzbeamten nicht festgehalten
worden seien, wäre das Buch als Beweismittel unerheblich. Außerdem
verkündetet die Richterin, dass ihr auf ihre Anfrage hin schriftlich
mitgeteilt worden sei, dass Tarek Mousli nur ein Mal, am 16.6.1999,
"ausgeführt" worden sei. Damit war auch dies geklärt.
Präzisierung, die nach Frankreich führen
Für eine kleinen Überraschung sorgte anschließend
Rechtsanwalt Euler, der eine kurze Erklärung seines Mandanten
Rudolf Sch. verlas, die sich auf die Aussage der Entlastungszeugin
Barbara W. vom 4.7.2002 (vgl. 85.
Prozesstag) bezog. Darin nannte Rudolf Sch. den Ort, an dem
er mit Barbara W. im Frühjahr 1986, in Vorbereitung auf den
Anschlag gegen Herrn Hollenberg, Schießübungen gemacht
haben will. Frau W. hatte sich bei ihrer Aussage nicht mehr konkret
an den Übungsort erinnern können. Rudolf Sch. ließ
heute von seinem Anwalt erklären, dass er nach der Aussage
von Frau W. Kartenmaterial studiert habe und es ihm damit gelungen
wäre, die genaue Lage des Orts der Schiessübungen, die
in einem Bunker an der Küste der Bretagne stattgefunden hätten,
zu rekonstruieren. In einer eigenen Erklärung bestätigte
Rechtsanwalt Euler die Angaben seines Mandanten und gab bekannt,
dass er sich selbst in die Bretagne begeben habe, um den Ort zu
besuchen. In einem Antrag
forderte er das Gericht auf, das selbe zu tun und den Ort der Schießübungen
selbst in Augenschein zu nehmen. Außerdem forderte
er den Zeugen Greg N. aus den USA zu laden. Dieser werde bestätigen,
dass Frau W. schon Mitte der 70er Jahre in den USA privat an Schiessübungen
teilgenommen habe. Euler erklärte, dass es ihm bei der Ladung
dieses Zeugen darum ginge eine "Fehleinschätzung der Bundesanwaltschaft"
zu widerlegen. Diese hatte am 11.7.2002 (vgl. 87. Prozesstag) in
einer spontanen Stellungnahme zur Aussage von Barbara W. erklärt,
dass die Art, wie die Zeugin auf Aufforderung das Halten einer Pistole
gemimt hatte, deutlich machen würde, dass sie noch nie geschossen
habe.
Hin und Her beim Seegraben
In einem zweiten Antrag
forderte Euler erneut das Gericht auf eine Ortsbesichtigung am Seegraben
durchzuführen. Dies sei notwendig, um zu beweisen, dass Mousli
in seinen Angaben zum Verbringen des Sprengstoffs gelogen habe.
Denn - so Euler - "Fragen oder Kommentare zu Fragen von Prozessbeteiligten,
die den Parkplatz und den Seegraben betreffen, zeigen immer wieder,
dass eine zutreffende Vorstellung von den dortigen tatsächlichen
Gegebenheiten nicht besteht und offenbar auch ... nicht durch Zeugenaussagen
und in den Akten befindlichen Fotos und Skizzen hergestellt werden
kann". Nur eine Ortsbesichtigung könne deutlich machen, dass
der Seegraben im Vergleich zu seiner Umgebung ein "unverwechselbarer
Ort" sei. In längeren Ausführungen, die von Richter Alban
demonstrativ mit einem Nickerchen quittiert wurden, arbeitete Euler
die Widersprüchlichkeit der Angaben Mouslis zu diesem Komplex
heraus. Mousli hatte am 16.6.1999 zum ersten Mal Angaben über
den Ort gemacht, wo er den Sprengstoff entsorgt haben will. Auf
einer Skizze hatte er die Einwurfstelle direkt am Parkplatz markiert.
Der Sprengstoff war nach mindestens dreimaliger Suche am 5.10.1999
über 190 Meter entfernt entgegen der Fließrichtung des
Grabens gefunden worden. Obwohl Mousli zwischenzeitlich von seiner
ursprünglichen örtlichen Festlegung abgerückt war
und dabei als Alternative "einen anderen Graben" ins Spiel gebracht
hatte, kam er laut Vernehmungsprotokoll vom 5.10.1990, also nach
dem Auffinden des Sprengstoffs, auf seine ursprüngliche Aussage
vom 16.6.1999 zurück. Mehr noch, er bestätigte, "bei späteren
Spaziergängen das Blau des Plastiksackes aus dem Wasser durchschimmern
gesehen zu haben". Trotz des Hin und Her sahen die beiden BKA-Ermittler
Trede und Schulzke keinen Handlungsbedarf. Eine Haltung, die sich
offensichtlich bis in den Gerichtssaal fortgesetzt hat.
Um eine bessere Vorbereitung der Entscheidung über den Antrag
zu ermöglichen, fügte Euler eine aus 44 Bildern bestehende
Lichtbildmappe bei, die den Parkplatz, den Seegarben und dessen
nähere Umgebung dokumentiert. Man darf gespannt sein, ob sich
das Gericht dieserart vielleicht doch noch an den viel beschriebenen
Seegraben heranführen lässt.
LKA Berlin: Wie bei Hempels unterm Sofa
Der einzige Zeuge des heutigen Tages war der LKA- Beamte Dirk Wegner
(43). Er sollte Licht in das Wirrwarr bringen, wann der Sprengstoff,
der im April 1995 bei dem Zeugen Daniel S. sichergestellt worden
war und die Fahnder später auf die Spuren von Mousli gebracht
haben soll, von der zuständigen LKA- Einheit zerstört
worden war. Laut Akten stehen gleich drei Termine zur Auswahl. Wegner
glaubte heute anhand vorliegender Aufzeichnungen rekonstruieren
zu können, dass der Sprengstoff am 7. April 1995 beschlagnahmt
und bei seiner Einheit asserviert worden war. Am 25. Oktober 1995
sei festgestellt worden, dass Sprengöl austrete, deshalb habe
man den Sprengstoff zerstört. Versäumt habe man allerdings,
die zuständigen ermittelnden Stellen darüber zu informieren.
Am 20. Februar 1996 habe die Staatsanwaltschaft - die also noch
der Meinung war, der Sprengstoff existiere - verfügt, dass
der Sprengstoff zerstört werden solle. Dies habe dazu geführt,
dass die übrig gebliebene Sprengschnur am 29. Februar 1996
vernichtet wurde. Am 1. März 1996 sei dann ein Schreiben an
die Staatsanwaltschaft gegangen, in dem die Vernichtung auf den
29. Februar 1996 datiert wurde, jedoch sei in diesem Schreiben nicht
vom 25. Oktober 1995 die Rede. Selbst Bundesanwalt Bruns zeigte
auf Grund der miserablen Mitteilungspolitik des Berliner LKA ein
kurzzeitiges Interesse an der Befragung des Beamten Wegner. Der
Zeuge hatte dann noch ein Protokoll in Augenschein zu nehmen, in
dem als Vernichtungsdatum der 1. März 1996 festgehalten war.
Da dies von einer anderen Einheit stammte, konnte sich der Zeuge
nur in weitere Spekulationen ergeben. Unklar blieb auch, ob der
Sprengstoff je gewogen wurde. Im Beschlagnahmeprotokoll sind ursprünglich
4,8 Kilogramm vermerkt. Im so genannten Sprengbuch ist lediglich
von 4,3 Kilogramm die Rede, die vom LKA vernichtet wurde.
Ein hartes Stück Arbeit
Zum Abschluss des Prozesstages appellierte Rechtsanwalt Euler an
den Senat zu prüfen, ob es denn tatsächlich den Tatsachen
entspräche, dass über den Besuch am Seegraben vom 8. Juli
1999 keinerlei Vermerke angelegt worden sei. Er schlug vor, den
damals zuständigen Oberstaatsanwalt Griesbaum darüber
zu befragen. Die Vorsitzende Richterin Hennig versprach dies innerhalb
des Senats zu besprechen.
Nach der immer wieder aufschlussreichen Mimik von Richter Alban
zu urteilen, dürfte Richterin Hennig, falls sie diesen Vorschlag
wirklich aufgreifen will, einiges an Überzeugungsarbeit bei
Richter Alban zu leisten haben.
|