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112. Prozesstag: 16. Januar 2003
Ungeeignet, unnötig, bereits bewiesen - meint das Gericht
Zwei Zeugen, Stellungnahmen der Bundesanwaltschaft (BAW) zu Anträgen
der Verteidigung, weitere Anträge der Verteidigung und zahlreiche
Beschlüsse des Kammergerichts waren heute Gegenstand des Prozesstages.
BKA und Berliner Staatsschutz im Zeugenstand
Der BKA-Beamte Jürgen Birkner gab Auskunft über die Zusammenstellung
einer "Lichtbildmappe", die Harald Hollenberg 1987 im Zusammenhang
mit dem Knieschussattentat der RZ auf ihn im Oktober 1986 vorgelegt
worden war. Dabei hatte er das Bild einer Frau entdeckt, das "nach
Alter und Gesichtsform" der Täterin am nächsten komme.
(vgl. 110. Prozesstag) Der
46-jährige Zeuge erklärte, wie beim BKA solche Fotosammlungen
zusammengestellt werden. Ein so genanntes Grundwerk werde angelegt,
das dann immer wieder aktualisiert werde. Nur diese aktualisierten
"Lichtbildmappen" seien gültig; die nicht mehr aktuelle Version
werde "unverändert" archiviert. Welche Mappe bei der Vernehmung
durch das LKA Berlin verwandt worden sei, könne er nicht sagen.
Auf die Frage von Richter Alban, "Normalerweise muss der Kollege
die momentan aktuelle Lichtbildmappe vorlegen?", wollte der BKA-Mann
das weder bestätigen, noch bestreiten.
Dieter Helmut Piethe war bis zu seiner Pensionierung beim Staatschutz
der Berliner Polizei. Am 6.11.1987 erhielt er vom Sicherheitsbeauftragten
des Senators für Justiz einen Anruf, in dem er über ein
anonymes Telefonat im Vorzimmer des Senator informiert wurde. Der
anonyme "männliche Anrufer ohne ausländischen Akzent
hätte von einem Waffen- und Sprengstoffdepot im Mehringhof
in einem Büro der Alternativen Liste (AL) und in einem Buchladen
gesprochen, so der 65-Jährige heute. Er könne sich an
diesen Anruf deshalb so gut erinnern, weil der Mehringhof damals
"aus vielerlei Gründen im Zentrum der Aufmerksamkeit des polizeilichen
Staatsschutzes" gestanden habe. Gleichwohl - so stellte sich in
der weiteren Befragung heraus - kam es in der Folge zu keinen "Exekutivmaßnahmen".
Einerseits sei die Verdachtslage eher schwach bei einem anonymen
Hinweis, "der nicht durch andere Hinweise verstärkt werden
kann", zum anderen hätte es damals so wie so aus Gründen
der Verhältnismäßigkeit im Mehringhof wenige polizeiliche
Aktionen gegeben. Weder vom Einsatz polizeilicher, noch von "undercover-agents"
des Verfassungsschutzes wollte Piethe wissen, auch habe es keine
Beobachtungsmaßnahmen gegeben.
Alles ungeeignet, meint die BAW
Die Wartezeit auf den zweiten Zeugen hatte die Bundesanwaltschaft
genutzt, um zu Anträgen der Verteidigung von Harald G. vom
9.1.03 Stellung zu nehmen. Insgesamt waren damals fünf Anträge
gestellt worden. Vier Anträge waren aus Sicht der BAW unbegründet,
beim fünften Antrag regte sie an, den zugrundeliegenden Anlass
zu prüfen. Bei den Anträgen ging es der Verteidigung zum
wiederholten Male darum, die Vorgehenswiese des Kronzeugen bei der
Aussageproduktion, die Methoden des Bundeskriminalamts und der BAW
und das fehlende Aufklärungsinteresse des Senats zu thematisieren.
(vgl. 110. Prozesstag) Die
BAW beschied den Anträgen, sie seien aus "tatsächlichen
Gründen bedeutungslos", "selbst im Falle des Erwiesenseins"
besäßen sie keine Relevanz, weil sie in "keinem Zusammenhang
mit dem Tatgeschehen" stünden. Außerdem ließe der
Versuch, die allgemeine Glaubwürdigkeit des Kronzeugen in Zweifel
zu ziehen, keine Rückschlüsse auf seine konkrete Glaubwürdigkeit
zu. Eine "generelle Neigung des Kronzeugen Dritte zu belasten" ...
ließe sich mit diesen Anträgen so wie so "nicht feststellen".
Widersprüche und nachträgliches Korrigieren von Angaben
seien "eine Bestätigung des Bemühens um wahrheitsgemäße
Aussagen" usw.
Ebenfalls abzulehnen, weil ein "ungeeignetes Beweismittel", sei
- aus Sicht der BAW - auch der Antrag
der Verteidigung von Matthias B. vom 9. Januar 2003. Mit Ladung
der beantragten Zeugen sei aus "sicherer Lebenserfahrung" die Größenbestimmung
des Sprengstoffpakets, das im August 1999 im Seegraben Berlins gefunden
wurde, nicht ermittelbar. (siehe auch das Sprengstoffpaket
als PDF-Datei (500kB)) Außerdem verfüge das Gericht
mittlerweile über "Eigensachkunde", um diese Frage beantworten
zu können, so die BAW.
Fast alles ungeeignet, meint das Gericht
Nach den Zeugen und der BAW kam die Zeit des Senats: Verlesung
wurde auf Antrag der Verteidigung von Rudolf Sch. ein Abschnitt
aus einem RZ-Text zum Umgang und zur Lagerung von Explosivstoffen,
worin ausgeführt wird, dass keine größeren Mengen
solcher Stoffe in bewohntem Gebiet gelagert werden dürften.
Ebenfalls auf Antrag der Verteidigung von Rudolf Sch. nahmen alle
Prozessbeteiligten eine französische Straßenkarte und
Fotos eine Bunkeranlage in der Bretagne "in Augenschein". In der
Bunkeranlage sollen nach Angaben von Rudolf Sch. und der Zeugin
Barbara W. Schießübungen im Vorfeld des Knieschussattentates
auf Harald Hollenberg stattgefunden haben. In Augenschein genommen
würde auch eine Fotosammlung von Bildern des Seegrabens.
Im Anschluss daran verkündete dann der Senat die Beschlüsse
die Anträge auf Ortsbesichtigung
des Bunkers sowie des Seegrabens
zurückgewiesen. Für den Bunker-Antrag, ebenso wie für
den Antrag, einen Zeugen aus den
USA zu laden, der bestätigen soll, dass Barbara W. dort
ebenfalls Schießübungen gemacht habe, hieß es dann:
Die Tatsachen werden so behandelt, als wären sie wahr. Im Fall
des Seegrabens meinte das Gericht, eine Ortbesichtigung sei zur
"Erforschung der Wahrheit nicht notwendig". Man habe sich schon
so intensiv mit den Gegebenheiten vor Ort auseinandergesetzt, so
dass ein Lokaltermin unnötig sei. Zum Antrag Karmen T. zu befragen,
ob die Örtlichkeiten am Seegraben heute noch so seien wie 1995,
hieß es, unter der Maßgabe, dass man die natürliche
Veränderung der Landschaftsformation mit einrechne, sehe auch
dies der Senat als bewiesen an.
Nie und nimmer ungeeignet, meint die Verteidigung
Was denn ihren Mandanten konkret beim Anschlag auf die Siegessäule
vorgeworfen werde, wollten die Anwälte von Axel H.[Antrag]
und Matthias B. wissen. Bislang werde in der Anklage lediglich pauschal
der Vorwurf erhoben, beide wären an der Tatortaufklärung
und -absicherung, sowie beim Ablegen des Sprengsatzes beteiligt
gewesen. (Im Haftbefehl von Matthias B. war zuerst nur von Tatortaufklärung
und -absicherung die Rede. Welche Erkenntnisse der BAW vorliegen,
um in der Anklage die Vorwürfe auszuweiten, ist ebenfalls unklar)
Nachdem Mousli nun auch in der Hauptverhandlung zum Siegessäulenanschlag
befragt worden sei, müsse der Senat endlich sagen, was konkret
vorgeworfen werde. Ansonsten sei eine Verteidigung nicht möglich,
so Rechtsanwalt von Schlieffen.
Die Verteidigung von Axel H. beantragte zudem Rechtsanwalt Euler
- Verteidiger von Rudolf Sch. - als Zeugen zu laden. Er könne
bestätigen, dass es keine Absprachen mit der Zeugin Barbara
W. gegeben habe, sich als Schützin beim Anschlag auf Harald
Hollenberg zu erkennen zu geben. Bereits unmittelbar nach den Verhaftungen
am 19.12.1999 und noch vor dem 11.2.2000 (als auch Anwaltsbesuche
nur noch mit Trennscheibe möglich waren) habe ihm sein Mandant
in einem vertraulichen Gespräch mitgeteilt, dass weder er noch
seine Frau Sabine E. auf Hollenberg geschossen hätten. Gefragt
wer der Schütze gewesen sei, habe Rudolf Sch. den Namen von
Barbara W. auf einen Zettel geschrieben. Euler habe von sich aus
keinen Kontakt zu Frau W. aufgenommen. Erst im Juni 2001 sei es
zu einer Begegnung mit Barbara W. gekommen, nachdem diese sich entschlossen
hatte im hiesigen Verfahren auszusagen.
Mit einer Gegendarstellung reagierte die Verteidigung von Axel
H. auf den Beschluss des Gerichts vom 26.9.02, in dem einer Verlesung
handschriftlicher Aufzeichnungen des Kronzeugen aus dem Jahr 2000
widersprochen wurde. Dass Gericht hatte damals argumentiert, die
Urheberschaft vom Mousli sei unbestritten. Die Verteidigung machte
allerdings klar, dass es ihr mit ihrem Antrag nicht um diese Frage
gegangen sei, vielmehr sollte gezeigt werden, wie sich im Verlauf
der Vernehmungen des Kronzeugen Mutmaßungen zu Wissen vom
Hörensagen bzw. eigenem Wissen verdichtet habe.
Dieses Thema stand auch im Zentrum dreier Anträge der Verteidigung
von Matthias B.. So soll der Leiter des Bauamts Mitte geladen werden,
der bestätigen soll, dass kein unterirdischer Zugang zur Siegessäule
existiert, wie es Mousli in seiner Aussage behauptet. Zudem sollen
diverse Artikel aus verschiedenen Zeitungen verlesen werden, die
kurz nach dem Anschlag auf die Siegessäule erschienen waren.
Damit soll gezeigt werden, dass das vermeintliche Insider-Wissen
des Kronzeugen nicht über die dort publizierten Details hinausgeht.
Mit der Ladung des Leiters des Referats Grundstücks- und Gebäudebetreuung
der Technischen Universität Berlin (TU) und der Leiterin der
Personalabteilung der TU will die Verteidigung beweisen, dass Matthais
B. keine Möglichkeit gehabt habe, Räume für RZ-Treffen
zu beschaffen, wie es Mousli behauptet, und darüber hinaus
deutlich machen, wie der Kronzeuge seine Aussagen immer wieder revidierte,
um Widersprüche zu kaschieren. So hat er zuerst angeben, "Heiner"
(laut Mousli Deckname von Matthias B.) habe 1986/87 "im Ausländerbereich
der TU" gearbeitet, was er nachweislich nicht getan hat, um dann
zu behaupten, diese Information habe er erst im Nachhinein von Dritten
erhalten.
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