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55. Prozesstag: 15. Februar 2002

Aussage gegen Aussage im RZ-Prozess

Die Teilnehmer an den Pausengesprächen vor dem Gerichtssaal haben sich inzwischen vermehrt: Nicht nur Sabine E. und Rudolf S. werden nicht mehr abgeführt - auch der Angeklagte Matthias B. darf sich inzwischen frei bewegen. Er hat diese neue Freiheit einem zwiespältigen Umstand zu verdanken: Ein Familienmitglied ist schwer verunglückt und muss gepflegt werden, weshalb er letzte Woche gegen Kaution von 100.000 DM vorläufig aus der U-Haft entlassen worden ist.

Auftakt zum heutigen Prozesstag bildeten mehrere Anträge der beiden Verteidigerinnen von Harald G.: Erstens sollen alle noch fehlenden Telefonüberwachungsprotokolle vom 31.5. bis 12.8.99 herbeigezogen und der Verteidigung zur Verfügung gestellt werden; zweitens die Kopien mit den Originalen beim BKA abgeglichen werden (da hier Unvollständigkeiten festgestellt wurden); drittens soll vollständige Akteneinsicht in das Ermittlungsverfahren gegen Mousli gewährt werden. Die gerichtliche Entscheidung wurde auf nächste Woche vertagt.

"Ich heiße Jürgen"

Vor dem erneuten Auftritt des Kronzeugen, der mit einer gewissen Spannung erwartet wurde, musste zunächst der pensionierte Finanzbeamte Jürgen L. im Gerichtssaal Rede und Antwort stehen. Der extra von den Philippinen eingeflogene Zeuge sollte Auskunft geben über einen im August 1986 stattgefundenen Autoverkauf, was er nur widerwillig und sichtlich ohne großes Verständnis für die Wahrheitsfindungsbemühungen des Strafsenats tat. Eigentlich weiß er gar nichts mehr und wundert sich, warum man statt seiner nicht seine Exfrau geladen habe, die schließlich 13 Jahre jünger sei. "Wenn ich diese Aussage damals gemacht habe, wird sie richtig sein", entgegnete er wiederholt der sichtlich entnervten Vorsitzenden. "Ich werde die Beamten ja nicht belogen haben".

Bei dem von Jürgen L. vor mehr als 15 Jahren in Berlin- Neukölln veräußerten Gebrauchtwagen handelt es sich offensichtlich um einen grünen Passat- Kombi, der später als Tatfahrzeug im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Richter Hollenberg identifiziert worden war. Mousli hatte in einer seiner früheren Vernehmungen fälschlicher Weise angegeben, das Auto sei im Vorfeld der Aktion gestohlen worden.

Der 55-jährige Jürgen L. konnte heute wie damals so gut wie nichts dazu beitragen, das Interesse der Verfolgungsbehörden an den näheren Umständen des Autoverkaufs zu befriedigen. Schon im Rahmen der Ermittlungen, die dem Anschlag gefolgt waren, war es trotz der Vorlage von zahlreichen Lichtbildern und der Anfertigung von Phantomzeichnungen nicht gelungen, die Identität des männlichen Käufers zu klären. Jürgen L. wurde nach einer einstündigen Befragung unvereidigt aus dem Zeugenstand entlassen.

Mousli weist in den wesentlichen Punkten die Darstellungen Schindlers zurück

Nach einer mehr als zweiwöchigen Verhandlungspause präsentierte sich der Kronzeuge Mousli heute sichtlich gut vorbereitet und beantwortete die meisten Fragen des Gerichts eloquent und souverän. Noch vor den ersten Vorhaltungen (Richterin Hennig las aus den Einlassungen von Rudolf Schindler vor), wurde für das offizielle Protokoll festgehalten, dass der Zeuge im Vorfeld der Befragung selbstverständlich keinen Einblick in die Erklärung von Schindler erhalten hatte.

"Nein, meine Informationen habe ich nur aus der Presse und dem Internet" - die Publikation "Interim" ( in der die Erklärung Schindlers veröffentlicht worden war) beziehe er nicht.

Und dann ging es im Laufschritt durch die Aussagen/ Einlassungen Schindlers. Selten sah der Prozess eine so zügig geführte Befragung: kurzer Vorhalt/ knappe Frage - klare, relativ präzise Antwort/ Bestätigung seiner früheren Aussagen. Keine weiterreichenden Nachfragen durch die Richterin, kein Zweifel seitens des Kronzeugen, keine Erinnerungslücken. Alle Angaben von Schindler, die die Vorkommnisse abweichend von seinen eigenen Aussagen darstellten, wies Mousli zum Teil differenziert, zum Teil entschieden zurück.

1. Fragekomplex: Wie lange kreuzten sich die Wege von Sabine E. / Rudolf S. und Mousli? Unstimmigkeiten in den Aussagen zu den "Strukturen" der RZ (Treffen, Hierarchien, Kontakte etc.).

Laut Schindler war Mousli schon, bevor er und Sabine E. nach Berlin kamen, Mitglied der Berliner RZ und auch noch danach, als sich die beiden schon aus der Gruppe zurückgezogen hatten. Laut Mousli dauerte die gemeinsame Zusammenarbeit wesentlich länger, bzw. will er vor den anderen ausgestiegen sein. Die gemeinsamen Treffen in Cafés, Wohnungen und den "berühmten" Waldspaziergang im Grunewald hätten in der von ihm dargestellten Form stattgefunden, entgegen der Aussage von Schindler, zu den von Mousli angegebenen Zeitpunkten hätten sich er und Sabine E. zum Teil überhaupt nicht in Berlin bzw. Deutschland aufgehalten. Außerdem hatte Schindler auf die klaren Strukturen der RZ ("wir waren keine Quatschbude") verwiesen, die bestimmte Formen der Kontaktaufnahme gar nicht erlaubt hätten . "Es war so, wie ich es dargestellt habe", so Mousli wörtlich und meinte hiermit u.a. seine Aussagen zu Gert Albartus und zu den internationalen Kontakten der RZ. Andere Widersprüche und Behauptungen Schindlers wies er mit einem klaren "stimmt nicht" zurück .

Einigkeit bestand in er Einschätzung zum damaligen Verhältnis zwischen Mousli und Schindler, das als "gut" gekennzeichnet wurde, während Mousli heute erneut die "Ausfälle und Beschimpfungen" durch Sabine E. betonte, die vor allem ihm und "Sebastian" gegolten hätten. Trotzdem habe man sich um ein einvernehmliches Verhältnis bemüht, da man als Gruppe aufeinander angewiesen gewesen wäre. Von Geschenken an Sabine E. wollte Mousli nichts wissen. Manchmal habe er jedoch Bücher für die "Illegalen" organisiert, da die ja nichts selbst kaufen konnten.

2. Fragenkomplex: Anschlag auf Hollenberg

Mit der allgemeinen Einschätzung der politischen Situation durch die Berliner RZ (nach dem La Belle-Anschlag verstärkte Repression gegen Flüchtlinge, Tote in der Abschiebehaft, Verantwortung durch Asylrichter Hollenberg) habe er damals überein gestimmt, meinte Mousli. Aber so eindeutig, wie von Schindler behauptet, sei die Diskussion nicht verlaufen. Nicht alle in der Gruppe seien eindeutig für einen direkten körperlichen Angriff auf Hollenberg gewesen. Mousli wiederholte seine Aussagen, Rudolf S. sei der Schütze der RZ gewesen und habe nach eigenen Angaben stets eine Waffe bei sich gehabt. Das habe er so in Erinnerung. Schindler hatte dagegen in seiner Einlassung explizit geäußert, dass es eine Frau war, die auf Hollenberg geschossen hat, jedoch nicht Sabine E.. Mousli kenne die Identität der Schützin, da er ihr nach der Aktion direkt gratuliert habe. Mousli blieb jedoch bei seinen früheren Aussagen und antwortete ohne Zögern: Es habe in der Berliner RZ keine andere Frau außer "Judith" gegeben. "Jon" habe geschossen, das hätte er selbst behauptet, aber Mousli selbst sei am Tatort nicht zugegen gewesen.

3. Fragenkomplex: ZSA

Bei diesem Teil der Befragung wirkte der Kronzeuge plötzlich nicht mehr ganz so souverän und aalglatt. "Das ist Quatsch" antwortet er auf den Vorhalt, dass der Anschlag auf die ZSA "sein Projekt und seine Idee" gewesen wäre. "Plötzlich soll ich der Hauptverantwortliche sein". Im Einzelnen ging es um den Bau der Zündsätze, die Herkunft des Sprengstoffs und die Frage, wer ausgekundschaftet und wer den Sprengstoff gezündet hat. Schindler und Mousli geben jeweils an, nur teilnehmende Beobachter gewesen zu sein, der jeweils andere habe die Zündung vorgenommen. Hatte Mousli bisher auf eine Bewertung der Einlassungen von Schindler verzichtet, so kam für einen Moment nun doch gespielte und/ oder echte Empörung zum Ausdruck: "Er vertauscht die Rollen", oder "Schindler versucht alles umzudrehen". Schindler solle sich mit seiner Kritik an der ZSA-Anschlagserklärung ("typisch Radikal-Layout") doch lieber direkt an seine Frau wenden, die hätte schließlich die Erklärung zusammen mit Heiner geschrieben. Dass Mousli Radikal-Redakteur gewesen ist, hätte er nie bestritten.

Richterin Henning ließ das alles indes vollkommen unbeeindruckt über sich ergehen - keine interessierten Nachfragen, kein Insistieren, keine Konfrontation mit offensichtlichen Widersprüchlichkeiten.

4. Fragenkomplex: Anschlage auf Korbmacher

"Da schiebt er mir was in die Schuhe", so Mouslis Reaktion auf den Vorhalt, er selbst habe beim Anschlag auf Korbmacher das Motorradfahrer gefahren. Auch heute blieb er bei seiner Version, er habe das Motorrad lediglich im Vorfeld der Aktion getestet und währenddessen in einer Wohnung den Polizeifunk abgehört. Selbst die Aussagen zum Diebstahl des Fluchtfahrzeugs versuchte er hinzubiegen, obwohl er bisher drei verschiedene, nachweisbar falsche Aussagen von sich gegeben hat. Die Einlassung von Schindler zum Tatkomplex Korbmacher erstaune ihn kolossal.

Weitere Vorhalte und Fragen bezogen sich auf die Urheberschaft der Anschlagserklärung, die Nachbereitungstreffen, die Quelle für das Unkraut-Ex, die Funküberwachung und vorhandene Zweifel innerhalb der Gruppe an der Richtigkeit der Aktion. Interessant wurde es für einen kurzen Moment, als Mousli ungefragt einwarf, dass es innerhalb der Gruppe eine Diskussion "über das Recht zu richten" gegeben habe.Erst danach hält ihm Richterin Henning die Passagen aus Schindlers Einlassung vor, wo behauptet wird, dass es gerade keine Diskussion "über das Recht zu richten" gegeben habe. Ein Schelm, wer da Böses denkt ...

Abschließend hatte die Bundesanwaltschaft das Wort. Es kam ihnen aber nur eine Frage in den Sinn, die schon zu Beginn des Prozesstages gestellt worden war: Haben Ihnen die Ermittlungsbehörden die Erklärung von Schindler zukommen lassen? Selten so ein klares und schnelles "Nein" von Herrn Mousli gehört.

Die Verhandlung wird am Donnerstag, den 21.2.02, mit der Befragung Mouslis durch die Verteidigung fortgesetzt.

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