Übersicht
Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund
Mailingliste
Mail
Suche
|
151.Prozesstag: 13.11.2003
Über das "historische Verfallsdatum" des Besten
Anfangs schien sich dieser Verhandlungstag auf eine
etwas länger andauernde Verleserunde, zum Thema Auflösung bzw. Nicht-
Existenz der Berliner RZ und entsprechende Anwendbarkeit einer Regelung
des §129a StGB in einem derartigen Fall, zu beschränken, am Ende
allerdings kam noch eine Überraschung.
Den Beginn der Lesestunde machte die Angeklagte Sabine
E. mit einer längeren Erklärung,
in der sie der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft (BAW) vom 30.
Oktober (vgl. 149. Prozesstag) ihre eigene Interpretation über den
Inhalt und die Zielsetzung des Papiers "Das Spiel ist aus. Anmerkungen
zur Geschlechterdifferenz" (auch unter dem Titel "Was ist das Patriarchat"
bekannt) entgegen zu setzen versuchte. Im Kern ging es darum, noch
einmal zu betonen, wie sehr sie und ihr Ehemann Rudolf Sch. sich
bereits 1987, nach dem Knieschussattentat auf den Asylrichter Dr.
Korbmacher, für die Auflösung der RZ eingesetzt haben, deren "historisches
Verfallsdatum" sie damals schon erkannt hätten.
"Ich habe mein Bestes getan und wir sind nicht für
Leute verantwortlich, die partout nicht aus ihrem sozialrevolutionären
Denkschema herauskamen." Ob ihre philosophischen Ausführungen zur
Geschlechterdifferenz und ihr historischer Ausflug in die Zeit der
Aufklärung im 17. und 19. Jahrhundert, um nur einige Beispiele zu
nennen, den Adressaten, die BAW und das Kammergericht, erreicht
haben und entsprechend honoriert werden, dürfte allerdings sehr
zweifelhaft sein.
Der Angeklagten Sabine E. folgte als Vorlesender
ihr Verteidiger Rechtsanwalt Nicolas Becker, der in, für dieses
Gerichtsverfahren ungewöhnlich selbstkritischer Art, feststellte,
"alle Verfahrensbeteiligten müssten eigentlich ehrlicherweise ein
peinliches Versehen eingestehen, nämlich dass sie die Norm des §129
Abs. 6 letzter Satz StGB mit ihrem Verweis auf §129a StGB übersehen
haben ... Erst der Beschluss des OLG Naumburg , die anschließende
aufgeschreckte Reaktion BA Griesbaums sowie die letztlich bloß dialogische
Zwischenentscheidung des BGH haben den §129 Abs. 6 auf die Tagesordnung
gesetzt." (vgl. Stellungnahme von
heute) Ergänzend zu den philosophischen Ausführungen seiner
Mandantin versuchte RA Becker die BAW und deren Interpretation des
§129a mit einer ausführlichen juristischen Argumentation zu widerlegen
und insbesondere auf den "optimalen Einsatz" seiner Mandantin für
eine Auflösung zu verweisen.
Als nächstes verlas RA Dr. Stefan König den Antrag
als Sachverständigen Prof. Dr. Herfried Münkler zu laden, der aus
der Analyse des Textes "Das Spiel ist aus" zur Schlussfolgerung
kommen werde, dass der Text sich sehr deutlich von anderen RZ-Papieren
unterscheiden würde und nur als ein "Auflösungspapier" bewertet
werden könnte. Die allgemeine Vorlesestunde wurde dann fortgesetzt
durch Richter Alban, der verschiedene RZ-Diskussionstexte aus dem
Jahre 1992 vortragen durfte. Angefangen von "Wenn die Nacht am tiefsten
... ist der Tag am nächsten" über "Tendenz für eine internationale
soziale Revolution" bis zu "Wir müssen so radikal sein, wie die
Wirklichkeit" sowie der dazugehörigen Vorbemerkung aus den "Früchten
des Zorns". (alle Texte sind unter www.freilassung.de nachzulesen)
Auch die Erklärung von RZ zu den Anschlägen 1993 auf Bundesgrenzschutz-Einrichtungen
in Frankfurt/Oder und Rothenburg mussten sich die Prozessbeteiligten
noch anhören. Danach attestierte die BAW den Richter dieses Strafsenats
noch genügend Sachkunde in Sachen RZ, die sie in immerhin 150 Verhandlungstagen
gewonnen hätten, weswegen der heutige Antrag auf Ladung eines Sachverständigen
abzulehnen sei. Ob die BAW an einem Verhandlungstag gefehlt hat
oder schlicht nicht richtig zählen kann, wurde von OstA Bruns nicht
beantwortet, da selbst der Senat auf 151 Verhandlungstagen bestand.
Die ruhige Vorlesestimmung wurde jäh unterbrochen,
als die Vorsitzende für alle überraschend ihr Vorhaben ankündigte,
den heutigen Verhandlungstag für zwei Stunden zu unterbrechen, danach
Beschlüsse zu verkünden und am morgigen Freitag noch diverse Schriftstücke
zu verlesen, um damit die Beweisaufnahme abzuschließen.
Vorschläge von RA Johnny Eisenberg, die Beschlüsse
doch vielleicht erst morgen zu verkünden, um damit ein Wiedererscheinen
am heutigen Tag überflüssig zu machen, wurden in der bekannt charmanten
Art der Vorsitzenden ("Das wird heute gemacht") und mit der ihr
eigenen überzeugenden Argumentationsweise ("Ich muss das nicht begründen")
beschieden.
Also wurden dann nach zwei Stunden Mittagspause noch
zehn Minuten lang drei Beschlüsse verlesen, bevor das Ende für den
heutigen Verhandlungstag verkündet wurde. Der Antrag des RA König
wurde mit dem Verweis auf die Sachkunde des Senats abgelehnt, der
Antrag von RA Eisenberg hinsichtlich der Anwendung eines persönlichen
Strafaufhebungsgrundes nach §129a Abs. 5 i.V.m. §129 Abs. 6wurde
abgelehnt, da die Einlassung der Angeklagten nicht geeignet seien,
"ein auf das Nichtfortbestehen der Berliner RZ zielendes freiwilliges
und ernsthaftes Bemühen zu belegen". Der ebenfalls auf die Strafaufhebung
nach §129a zielende Antrag von RA Kaleck wurde ebenfalls abgelehnt,
da "es der Beurteilung des Senats (unterliegt), ob den Angeklagten
der Strafaufhebungsgrund nach §129a zur Seite steht. Die Auflösung
der Berliner RZ oder Einstellung ihrer Aktivitäten allein sagt darüber
ohnehin nichts aus".
Der Prozess wird morgen, Freitag, 14. November, zur
gewohnten Stunde (9.15 Uhr fortgesetzt).
|