Kammergericht Berlin
- Strafsenat
Elßholzstr. 30
10781 Berlin
12.11.2003
In der Strafsache, Herrn Rudolf Schindler u.a.
betreffend,
- 2 StE 11/00 (4/00)
beantragen wir
die Einholung eines Sachverständigengutachtens
zum Beweis der folgenden Tatsachen:
Der Text "Das Spiel ist aus" von Sabine Eckle
unterscheidet sich in Inhalt und Diktion wesentlich von allen anderen
Texten der Revolutionären Zellen. Aus der Perspektive eines
Mitgliedes der Berliner RZ wurde dieser Text als eine Aufforderung
zur Beendigung des bewaffneten Kampfes und der Auflösung der
Organisation verstanden.
Der zu beauftragende Sachverständige muss
ein Sprachwissenschaftler und/ oder Historiker mit besonderen Kenntnissen
von der Geschichte bewaffneter linksradikaler Gruppierungen, insbesondere
der Revolutionären Zellen, in Berlin sein. Ihm sind die bei
der Verfahrensakte befindlichen Texte, Bekennerschreiben und sonstigen
Verlautbarungen der Revolutionären Zellen - einschließlich
des Textes "Das Spiel ist aus" - zugänglich zu machen.
Als Sachverständigen schlagen wir vor:
Herrn Prof. Dr. Herfried Münkler, zu laden
über die Humboldt-Universität, Berlin. Er beschäftigt
sich als Politikwissenschaftler seit langem mit dem bundesdeutschen
Terrorismus und trat 1981 als einer der Autoren der vom Bundesinnenministerium
herausgegebenen Studie "Analysen zum Terrorismus" hervor.
Die Bundesanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme
zu den letzten Beweisanträgen der Verteidigung des Angeklagten
Schindler und der Verteidigung des Angeklagten Borgmann die Auffassung
vertreten, der Text "Das Spiel ist aus" dokumentiere kein Bemühen
der Angeklagten Eckle und Schindler in Richtung einer Auflösung
der Berliner RZ. Das ergebe zum einen der nahe zeitliche Zusammenhang
zu dem Anschlag auf Dr. Korbmacher und dem hierzu verfassten Bekennerschreiben,
das ein eindeutiges Bekenntnis zum bewaffneten Kampf enthalte. Überdies
sei dem Text "Das Spiel ist aus" selbst nicht zu entnehmen, dass
damit auf eine Auflösung der Berliner RZ hingewirkt werden
solle. Die Frage einer möglichen Auflösung der, wie es
in der Erklärung heißt, "bisherigen gemischtgeschlechtlichen
Zellen" bleibe vielmehr völlig offen. Mit dem Text sei lediglich
die Initiierung einer Debatte innerhalb der RZ bezweckt worden,
an deren Ende nicht etwa deren Selbstauflösung, sondern die
Überwindung der offenkundig bestehenden Probleme gemeinsamer
revolutionärer Praxis von Frauen und Männern stehen sollte.
Ein Sachverständiger, der sich, historisch
gebildet und mit der erforderlichen analytischen Schärfe, also
anders als die Bundesanwaltschaft, auch mit den übrigen Texten
der RZ auseinandersetzt, wird erkennen, dass in dem Text "Das Spiel
ist aus" ein ganz wesentlicher Topos des revolutionären Denkens
und auch der revolutionären Sprache aufgegeben wird: Nämlich
das Gleichheitspostulat. An seine Stelle tritt das Betonen des Ungleichen,
das Abstellen auf die Geschlechterdifferenz. Das bedeutete
einen fundamentalen Bruch mit Denken und Handeln der Revolutionären
Zellen durch die Verfasserin des Textes, Frau Eckle.
Eine Analyse der aus den sonstigen dem Sachverständigen
vorzulegenden, der hiesigen Verfahrensakte entnommenen Texte im
Kontrast zu diesem Text wird ergeben, dass für einen Menschen,
der sich in der Gedankenwelt bewegte, wie sie in den übrigen
Texten ihren Niederschlag fand, der in dem Text "Das Spiel ist aus"
niedergelegte Denkansatz sich grundsätzlich von allen Denkansätzen
der Revolutionären Zellen abhob und daher eine prinzipielle
Distanzierung von deren Politik darstellte.
Dieser Umstand findet pointiert Niederschlag
in der Überschrift des Textes, die bei Frau Eckle lautet: "Das
Spiel ist aus" und in dem Ergebnis, dass "alle bisherigen Revolutionsentwürfe...
Makulatur" und als "männliche linke Herrschaftsidyllen entlarvt"
werden. Dass es auch in der RZ Personen gab, die bemüht waren,
dem Bundesanwalt Bruns gleichsam vorauseilend den Text in einen
Beitrag zur Patriarchatsfrage umzudeuten, ändert an dieser
offensichtlihen Brisanz nichts. Im Gegenteil: Dieses Bemühen
belegt sie, es zeigt, dass man es für erforderlich hielt, dem
Text die Spitze abzubrechen, gerade weil er die dargestellte besondere
Brisanz besaß.
Ein Sachverständiger mit den geschilderten
Qualifikationen ist auch ein geeignetes Beweismittel, um die eingangs
formulierte Beweistatsache zu belegen. Es bedarf nämlich einer
intensiven Befassung mit der Gedankenwelt der - insbesondere Berliner
- RZ, um die Wirkung des Textes "Das Spiel ist aus" auf diesen Personenkreis
bewerten zu können. Zwar konnte sich der Senat in den vergangenen
Jahren bereits eine vertiefte Kenntnis revolutionärer Bildung
aneignen. Schon je Pflicht des Gerichts zur distanzierten Bewertung
des Sachverhaltes hindert es aber, in die revolutionären Gedankengebäude
so tief einzudringen, wie es zum Verständnis der besonderen
Brisanz des Eckle- Textes "Das Spiel ist aus" erforderlich ist.
RA König
|