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106. Prozesstag: 5. Dezember 2002
Drei Meckenheimer in Berlin
An einer Hand abzuzählen waren die heutigen ProzessbeobachterInnen.
Sie bekamen eine erlesende Auswahl polizeilicher Zeugen des Bundeskriminalamtes
(BKA) präsentiert: der eifrig Suchende, der gehorsam Handelnde
und zum Schluss der eigentlich Unbeteiligte. Wie sie so sind, die
Herren aus Meckenheim.
Reinhold Becker, 36jähriger BKA-Beamte, machte den Auftakt.
Systematisch, sorgfältig und ohne zeitliches Limit habe er
fast genau vor drei Jahren Kellerräume der Mehringhofes nach
Sprengstoff, Waffen und Funkgeräten durchsucht. Wie seine vielen
Leidensgenossen vor ihm auch, musste er die absolute Erfolglosigkeit
der ganzen Aktion eingestehen, nicht mal den Hinweis auf ein verdächtiges
Staubkorn hätte er entdecken können.
War ja bloß mal so 'ne Frage...
Ziemlich genau vor einem Jahr gastierte der nächste Polizeizeuge,
Herr Kröschel, bereits bei den Kammerspielen und kam so heute
zu seinem zweiten Auftritt. Gemeinsam mit einem Kollegen hätte
ihn Bundesanwalt Griesbaum am 08. November 2000 nach Berlin in Trab
gesetzt, angeblich um dem Kronzeugen Mousli weitere Details über
Personen im Zusammenahng mit der Roten Zora zu entlocken. Oder ihm
welche einzureden und sich nachträglich bestätigen zu
lassen? Obwohl sich dieser Verdacht bei der Befragung durch die
VerteidigerInnen wie so häufig aufdrängte, konnte er nicht
schlüssig bewiesen werden. Am 10.09.2000 soll der Kronzeuge
- auf Aufforderung der BKA - jedenfalls eine Schriftstück über
sein angebliches Wissen über die Zusammenarbeit von Rote Zora
/ Rote Zellen verfasst haben. Einen Anlass oder Verdacht, warum
sie zwei Monate später dem Kronzeugen dazu weiter auf den Zahn
fühlen sollten, war Herrn Kröschel angeblich nicht bekannt,
kurz vor dem Prozess gegen ihn selber. Auch der Grund für die
'nur' informelle Befragung, anstelle einer lückenlos zu protokollierenden
Vernehmung, wisse er nicht mehr, könne das nur rückwirkend
schlussfolgern. Er hätte schließlich das alles nur im
Auftrage der Bundesanwaltschaft durchgeführt.
Nachvollziehbar war auch nicht mehr, ob Mouslis Behauptung, zwei
namentlich genannte Frauen seien an dem Anschlag auf das Gentechnische
Institut im Jahre 1986 beteiligt gewesen, den vernehmenden Beamten
vorher bekannt war. Angeblich hätte er diese Beschuldigung
während der o.g. Befragung eindeutig bekräftigt. Davon
wollte der Kronzeuge jetzt im Laufe dieses Prozesses nichts mehr
wissen, allerdings erst nachdem eine der Betroffenen einen Auslandsaufenthalt
nachgewiesen hatte. Die Herkunft und die Inhalte der ihm vor der
Befragung zur Verfügung stehenden Informationen konnte er gleichfalls
nicht konkret benennen. Es wären wohl Kopien von Auszügen
aus Mousli's Vernehmungen gewesen, aber so tief stecke er schließlich
in der Materie auch nicht drin, natürlich nicht!
Müssen die denn alles wissen?
Die Spur systematisch verdeckter Polizeiarbeit war hier wieder
mal nicht zu übersehen. Besonders als der Beamte einräumte
am 20.11.02 einen weiteren seitenstarken Vermerk zu diesem Thema
verfasst zu haben, der bisher nicht in den Prozessakten aufgetaucht
war. In noch nie beobachteter hektischer Betriebsamkeit setzte sich
die Karlsruher Männerriege schwergewichtig in Bewegung, um
sogar noch innerhalb einer Sitzungspause das vermisste Papier zu
beschaffen. Dem Gericht war's egal, weil es ohnehin schon seit einem
Jahr ausschließlich mit dem Schreiben des Urteils ausgelastet
ist. Und die Aufregung der Verteidigung bleibt inzwischen auch unter
der Wahrnehmungsgrenze.
Kollege Gerd Brockmüller vom BKA konnte noch weniger Erhellendes
beitragen. Er hätte nur seinen Kollegen Kröschel unterstützt,
wäre noch viel weniger mit der Materie vetraut und hätte
ohnehin nur die Fährte einer dritten verdächtigen Frau
verfolgt. Da in diesem Fall der Kronzeuge angeblich nur spekulative
Aussagen gemacht hätte, wäre für den Polizisten diese
Erkenntnisse keine Reise nach Berlin wert gewesen. Sein Interesse,
seine Aufmerksamkeit und seine Erinnerung an die Umstände der
Befragung überhaupt wären deshalb inzwischen unter der
Nachweisbarkeitsgrenze. Wir danken für das Gespräch!
Sonstiges
Zur Abrundung des Geschehens gab's noch einige Beilagen:
Torsten Klein, BKA - Duzfreund vom Kronzeugen Mousli, wird zum
nächsten Prozesstag erwartet. Seine Stimme ist ja schon bekannt
aus Film, Funk und Video - jetzt, demnächst persönlich
anwesend im Saal 500.
RAin Studzinsky stellte einen Aussetzungsantrag
für dieses Verfahren, wenn eine anhängige
Sache beim Verwaltungsgericht nicht rechtzeitig entschieden
sein sollte. Dort klagt der Angeklagte Harald G. gegen den Bundesinnenminister
Otto Schily, der Protokolle von sechs Gesprächen des Bundesamt
für Verfassungsschutz mit dem Kronzeugen mit einem Sperrvermerk
versehen hat. Zu Unrecht und zu Lasten der Verteidigungsmöglichkeiten
für ihren Mandanten, wie die Rechtsanwältin in einer sehr
ausführlichen und detailreichen Klagebegründung darlegte.
Die zu erwartenden wesentlichen Erkenntnisse dieser Protokolle müssten
Eingang in den laufenden Prozess finden. Eine einstweilige Verfügung
wurde beantragt.
Die Verteidigerin von Harald G. will auch eine Kontoauskunft
mehrerer Kreditinstitute einholen. Dabei soll nachgewiesen werden,
dass der Kronzeuge Mousli keinen Orderscheck seines Onkels in Höhe
von DM 25.000,- einen seiner Konten gutschrieben ließ, so
wie während der Hauptverhandlung von ihm behauptet. Ein weiteres
Kron- Märchen?
Zum Schluß lieferten die beiden Bundesanwälte wieder
eine Kostprobe für eine schonende Arbeitsweise von Staatsbeamten.
Zwei Anträge von Rechtsanwalt Euler, zur Besichtigung des Sprenstoffpfuhls
Seegraben unter gleichzeitiger Beteiligung einer weiteren Zeugin,
wurden abgelehnt. Neben der ritualisierten rein formalen Ablehnungsbegründung
machten sich die beiden Karlsruher Cleverle diesmal eine frühere
Begründung des Kammergerichtes zu eigen und verwiesen - ohne
viel Umstände - einfach unkommentiert auf die Argumente der
Richter. Da wird immer der Mangel an Zusammenarbeit zwischen Behörden
beklagt, in Moabit klappt das ganz famos!
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