Verwaltungsgericht Berlin
Kirchstraße 7
10557 Berlin
Berlin, den 27.11.2002
Klage und Antrag gem. § 123 VwGO
des Herrn Harald Glöde, [...]
Klägers und Antragstellers,
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen,
Silke Studzinsky, Kottbusser Damm 72, 10967 Berlin,
Andrea Würdinger, Motzstraße 1, 10777 Berlin
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium
des Inneren,
Alt- Moabit 101 D, 10559 Berlin,
Beklagte und Antragsgegnerin,
wegen Aufhebung der Sperrerklärung gem. § 96 StPO.
Namens und in Vollmacht des Klägers erheben wir Klage und
beantragen, die Beklagte zu verpflichten,
- die mit Bescheid vom 2.7.02 -Geschäftszeichen IS4-614300-R/24
- erteilte Sperrerklärung aufzuheben und die Niederschriften
über sämtliche, jedoch mindestens sechs mit Tarek Mousli
zwischen dem 17.4.2000 und dem 7.9.2000 geführten Gespräche
des Bundesamtes für Verfassungsschutz ungeschwärzt an
den 1. Senat des Kammergerichts herauszugeben
Zur Begründung der Klage nehmen wir Bezug auf die nachfolgende
Begründung des Antrags auf einstweilige Anordnung.
Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt, die Antragsgegnerin
zu verpflichten,
- die mit Bescheid vom 2.7.02 -Geschäftszeichen IS4-614300-R/24
erteilte Sperrerklärung aufzuheben und die Niederschriften
über sämtliche, jedoch mindestens sechs mit Tarek Mousli
zwischen dem 17.4.2000 und dem 7.9.2000 geführten Gespräche
des Bundesamtes für Verfassungsschutz ungeschwärzt an
den 1. Senat des Kammergerichts herauszugeben
und
- dem Kläger und Antragsteller unter unserer Beiordnung Prozeßkostenhilfe
zu bewilligen.
Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse wird unverzüglich nachgereicht.
Begründung:
Gegen den Antragsteller wird seit dem 17.5.2001 vor dem 1. Strafsenat
des Kammergerichts (1 - 4/200) ein Verfahren wegen Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung u.a. geführt. Ihm wird
zur Last gelegt, von Februar 1989 bis März 1995 Mitglied in
der Vereinigung RZ gewesen zu sein.
Er soll an einem Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle
für Asylbewerber am 5./6.Februar 1987 und am 15.1.1991 an einem
Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule beteiligt gewesen sein.
Beweis und Glaubhaftmachung: Anklage des Generalbundesanwalts anbei
Die Strafandrohung für das Sprengstoffdelikt beträgt
1- 15 Jahre, für die Mitgliedschaft 1- 10 Jahre. Den Kläger
und Antragsteller, der sich zum Tatvorwurf nicht äußert,
erwartet im Falle der Verurteilung eine erhebliche Freiheitsstrafe.
Die Anklage stützt sich ganz wesentlich auf den unter Zeugenschutz
stehenden Hauptbelastungszeugen Tarek Mousli. Dieser machte seit
seiner dritten Inhaftierung am 23.11.1999 umfassend Angaben vor
den Ermittlungsbehörden. Dabei gab er an, selbst in der Zeit
von 1985 bis 1995 Mitglied in der terroristischen Vereinigung Revolutionäre
Zellen (RZ) gewesen zu sein. Als Ergebnis der Vernehmungen wurden
insgesamt sechs Personen ermittelt und inhaftiert, davon fünf
in der Bundesrepublik, die nach Angaben des Kronzeugen ebenfalls
in dieser Vereinigung gewesen sein sollen.
Der Antragsteller befand sich sodann vom 19.12.1999 bis zum 7.5.
2002 in Untersuchungshaft und ist seitdem gegen eine Kaution von
60.000 Euro von der Haft verschont.
Der Kronzeuge wurde vom 2. Strafsenat beim Kammergericht am 18.12.2000
zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt, die
rechtskräftig ist. (Aktenzeichen : 2 - 3/00)
Seit dem 17.5.2002 läuft gegen den Antragsteller die Hauptverhandlung
vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts. Bisher ist terminiert
bis zum 31.1.2003.
Im Laufe der Hauptverhandlung gab der Kronzeuge Mousli an, er habe
mehrere Gespräche mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz
geführt. Er habe keine Verpflichtungserklärung unterschrieben
und sei auch mündlich nicht dazu verpflichtet worden, über
den Inhalt der Gespräche zu schweigen.
Die Verteidigung beantragte darauf hin die Beiziehung der Protokolle
dieser Gespräche. Am 25.1.2002 stellte die Antragsgegnerin
einen Hefter mit insgesamt 197 Seiten zur Verfügung. Der größte
Teil davon ist geschwärzt und folglich völlig unverständlich.
Glaubhaftmachung: Kopien der Protokolle anbei
In der Hauptverhandlung vom 21.2.02 wurde das Gericht aufgefordert
darauf hin zu wirken, daß die Protokolle vollständig
und ungeschwärzt zur Verfügung gestellt werden, da sie
für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit unerläßlich
sind.
Glaubhaftmachung: Kopie des Antrags anbei
Das Kammergericht ersuchte daraufhin das Bundesamt für Verfassungsschutz
mit Schreiben vom 13.3.02 um ungeschwärzte und vollständige
Vorlage der Protokolle.
Glaubhaftmachung: Kopie des Schreibens anbei
Mit Schreiben vom 28.3.02 nahm das Bundesamt für Verfassungsschutz
dazu Stellung und lehnte eine Offenlegung und Vervollständigung
ab.
Glaubhaftmachung: Schreiben vom 28.3.02 in Kopie
Mit Schreiben vom 17.6.02 erinnerte die Vorsitzende die Antragsgegnerin
an die Abgabe der angekündigten Sperrerklärung.
Glaubhaftmachung: Schreiben vom 17.6.02 in Kopie anbei
Laut Vermerk der Vorsitzenden über einen Anruf eines Herrn
Eulentisch (phon.) vom Bundesamt für Verfassungsschutz vom
2.7.02 teilte dieser mit, daß der Bericht wegen der "Vollversion"
z.Zt. beim BMI in der Bearbeitung sei. Es handele sich um eine Ministervorlage,
weshalb die Bearbeitung so viel Zeit in Anspruch nehme. Er bat um
noch einige Wochen Geduld.
Glaubhaftmachung: Kopie des Vermerks vom 2.7.2002 anbei
Mit Schreiben vom selben Tag (!), 2.7.02, gab das Bundesministerium
für Inneres eine Sperrerklärung gem. § 96 StPO ab.
Glaubhaftmachung: Kopie des Sperrerklärung anbei.
Das Kammergericht unternahm keine weiteren Anstrengungen, um die
Vorlage ungeschwärzter Protokolle zu erreichen.
1.
Der Antrag ist zulässig. Der Rechtsweg vor dem Verwaltungsgericht
ist gegeben.
Eine einstweilige Anordnung ist angesichts des baldigen Endes der
Hauptverhandlung (voraussichtlich 31.1.2003) und damit der einzigen
Tatsacheninstanz für den Antragsteller trotz Vorwegnahme der
Hauptsache nötig im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, um
wesentliche Nachteile abzuwenden.
Diese bestehen in dem Recht des Antragstellers auf ein rechtsstaatliches,
faires Verfahren, da durch die Sperrerklärung wesentliche Angaben
des einzigen Belastungszeugen Tarek Mousli in dem Strafverfahren
nicht zur Verfügung stehen würden und die Aussage dieses
Kronzeugen nicht ausreichend geprüft werden könnte.
Die Unterzeichnerinnen konnten erst am 22.11.02 in die laufende
Ermittlungsakte des Kammergerichts, Bd. XI, Einsicht nehmen und
mußten feststellen, daß die Vorsitzende des Senats seit
der Sperrerklärung des Ministeriums für Inneres vom 2.7.02
keine weiteren Bemühungen mehr unternommen hatte, so daß
der Antrag auf einstweilige Anordnung geboten ist.
2.
Der Antrag ist begründet, denn der Bescheid vom 2.7.02 ist
rechtswidrig und der Antragsteller hat einen Anspruch auf Vorlage
der ungeschwärzten Protokolle von den Gesprächen des Zeugen
Tarek Mousli mit der Antragsgegnerin.
Die Offenlegung, darf nur versagt werden, wenn sie dem Wohl des
Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereitet oder die Erfüllung
öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährdet oder erheblich
erschweren würde.
3.
Hierzu ist es erforderlich, daß die Behörde Gründe
geltend macht, und im Rahmen des Möglichen belegt, die die
Feststellungen zulassen, daß aus einem der im Gesetz genannten
Gründe die Verweigerung unumgänglich ist.
Bei der Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen vorliegen,
unter denen ausnahmsweise eine Verweigerung der Offenlegung möglich
ist, hat die Behörde die von ihr wahrzunehmenden Aufgaben -
mögen diese auch noch so bedeutsame Anliegen betreffen - nicht
schon als genügende Rechtfertigung zu betrachten, sich der
grundsätzlichen Auskunftsverpflichtung zu entziehen. Der hohe
Rang der gerichtlichen Wahrheitsfindung für die Sicherung der
Gerechtigkeit und das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschuldigten
gebieten es vielmehr, diese Belange bei der Entscheidung zu berücksichtigen
und ihnen genügendes Gewicht zu verleihen.(BVerfG in NJW 1981,
1724)
Wann im Einzelfall die Beschränkung einer Auskunft und die
dadurch ausgelöste Beeinträchtigung der Beweiserhebung
rechtsstaatlich nicht zu beanstanden ist, bedarf einer sorgfältigen
Abwägung der im Spannungsfeld stehenden Rechtsgüter und
entsprechender Würdigung des gesamten Sachverhaltes. Besonders
bedeutend sind dabei regelmäßig
- die Schwere der Straftat
- das Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile
- das Gewicht der einer bestmöglichen Aufklärung entgegenstehenden
Umstände und
- der Stellenwert des Beweismittels im Rahmen der Beweislage.
(vgl. BVerfG IN NJW 1981, 1724)
Es ist zu überprüfen, ob
- die Entscheidung der Behörde formell ordnungsgemäß
zustande gekommen ist.
- die oberste Dienstbehörde einen zutreffenden rechtlichen
Maßstab angelegt hat
- und alle nach diesem Maßstab erheblichen Umstände
bei der Entscheidung berücksichtigt hat.
(BVerfG in NJW 1987, 202 f.)
3.
[Nummmerierung im Original falsch]
Der angefochtene Bescheid genügt diesen Anforderungen nicht.
Die Begründung für die Sperrerklärung enthält
im wesentlichen die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes und die Behauptung,
es sei zwischen den maßgeblichen Interessen abgewogen worden.
Dort heißt es, eine Offenlegung der geschwärzten Passagen
würde dem Bund Nachteile i.S.d. § 96 StPO bereiten.
Es seien die Interessen der Angeklagten an einem fairen Verfahren
abgewogen worden gegenüber der Verpflichtung des Staates, die
zukünftige Erfüllung der Aufgaben des BfV durch Preisgabe
dort bekannter Vorgänge zu erschweren. Die Stellung des Zeugen
Mousli im Strafverfahren und die im Falle einer Verurteilung nicht
unerhebliche Verurteilung sei berücksichtigt worden.
Die geschwärzten Passagen beträfen zu ganz überwiegenden
Teilen Sachverhalte wie auch Personen, die nicht Gegenstand des
Strafverfahrens seien, aber operative Erkenntnisse des BfV beträfen.
Dadurch könne auf Arbeitsweise und Erkenntnisstand des BfV
geschlossen werden.
Im übrigen seien personenbezogene Daten Dritter betroffen.
Daß diese Begründung formelhaft und unzureichend ist,
erkennt auch die Antragsgegnerin, denn sie rechtfertigt sie damit,
daß von einer detaillierteren Begründung zum Schutz der
Geheimhaltung der operativen Arbeit abgesehen werden mußte.
Die Begründung in der angegriffenen Sperrerklärung, warum
die Protokolle nur geschwärzt vorgelegt werden können,
ermöglicht dem Gericht gerade keine Nachprüfung.
Die erforderliche Abwägung zwischen dem Wohl des Bundes und
den Interessen des Antragstellers an einem fairen Verfahren wird
nur behauptet.
Es handelt sich um einen sogenannten Textbaustein, der bei Sperrerklärungen
regelmäßig verwandt wird, ohne daß der Inhalt in
Bezug zum jeweils konkret zu entscheidenden Sachverhalt gesetzt
wird.
Die Tatsachen, die der Geheimhaltung zu Grunde liegen, sind nicht
einleuchtend dargelegt
Der bloße Hinweis, die Arbeitsweise des Bundesamtes könne
gefährdet werden bzw. die Angaben des Zeugen Mousli könnten
bekannt werden, genügt den Anforderungen an eine nachvollziehbare
Begründung dann nicht, wenn das Bundesamt den Zeugen Mousli
noch nicht einmal zur Geheimhaltung verpflichtet, also damit rechnen
kann und muß, daß der Zeuge von diesen Gesprächen
in der Öffentlichkeit und im Gericht berichtet, da ihm gerade
kein Zeugnisverweigerungsrecht zu steht.
Ein ernsthaftes Geheimhaltungsinteresse und eine nachvollziehbare
Notwendigkeit besteht für die Antragsgegnerin dann wohl nicht,
wenn sie dieses Risiko so leichtfertig in Kauf nimmt.
Entweder hat die Antragsgegnerin dem Zeugen Mousli in seinen Gesprächen
nichts Geheimhaltungsbedürftiges erzählt, was aus ihrer
Sicht vernünftig wäre, denn der Zeuge wurde ja gerade
nicht zur Geheimhaltung verpflichtet, dann kann und muß erst
recht der Antragsteller für den im Falle der Verurteilung eine
erhebliche Freiheitsstrafe im Raum steht, erfahren, was Inhalt der
Gespräche gewesen ist.
Oder die Antragsgegnerin hat gegenüber dem Zeugen leichtfertig
über ihre Arbeitsweise, ihren Kenntnisstand und ihre Beobachtungsfelder
und personenbezogenen - angeblich besonders schützenswerten
-Daten Dritter gesprochen und dies ohne Sorge dafür zu tragen,
daß der Zeuge darüber schweigen muß.
In diesem Fall kann sich die Antragsgegnerin jedenfalls nicht mehr
auf Geheimhaltung berufen.
Es überzeugt noch nicht einmal, daß die Schwärzung
auch dem Schutz der Mitarbeiter des Bundesamtes dienen, denn auf
die Frage, wie die Männer vom Bundesamt hießen, antwortete
der Zeuge Mousli in der Hauptverhandlung am 8.3.02:
" Thielke oder Thiele und der andere Dahl oder Dahlke"
Glaubhaftmachung: anwaltliche Versicherung der Unterzeichnerinnen,
hiermit abgegeben
dienstliche Erklärung der Vorsitzenden Richterin am Kammergericht
Hennig
Diese Angabe des Zeugen wird bezüglich des Namens "Thielke
oder Thiele" bestätigt, da sich in den Protokollen auf
Seite 99 an einer Stelle der Anfangsbuchstabe eines Mitarbeiters
der Antragsgegnerin ungeschwärzt befindet. Es handelt sich
um ein "T"
Da die geschwärzten Passagen bereits die Klarnamen bzw. Anfangsbuchstaben
ihrer Namen enthalten sollen, ist davon auszugehen, daß sie
sich mit diesen Namen, also Klarnamen, auch dem Zeugen Mousli vorgestellt
haben.
Danach ist nicht nur die Begründung des Bescheid mangelhaft
und der Bescheid folglich rechtswidrig, sondern auch die behauptete
Interessenabwägung ist nicht haltbar.
4.
Der Bescheid ist unvereinbar mit Art. 6 Abs. 3 d i.V.m. Art 1 MRK.
Nach dieser Vorschrift müssen alle Beweise in Gegenwart des
Angeklagten in öffentlicher Verhandlung erhoben werden.
Ein Angeklagter muß die Gelegenheit haben, Zugang zu jeglichen
Vernehmungen bzw. Befragungen des einzigen Belastungszeugen haben,
wenn dieser sich zu dem Verfahrensgegenstand äußert.
Allein in dem Vorenthalten der Protokolle liegt eine nicht hinnehmbare
Beschränkung seiner Verteidigungsmöglichkeit. Ein rechtsstaatliches
Verfahren ist damit nicht mehr gewährleistet.
5.
Der angebliche Nachteil für den Bund, der bei einer Offenlegung
entsteht, ist in das Verhältnis zu setzen mit dem Nachteil,
der für den Antragsteller und die weiteren Angeklagten entsteht,
wenn ihnen die Gelegenheit genommen ist, umfassende Angaben des
Zeugen Mousli zu den bereits in weit über 1500 Seiten Vernehmungsprotokollen
erörterten Themen nicht abgleichen zu können mit den beim
Bundesamt für Verfassungsschutz erstellten Protokollen.
Der Zeuge hat sich auch bereits in unzähligen Vernehmungen
in öffentlicher Hauptverhandlung zu denselben Komplexen wie
auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz geäußert.
Dies betrifft die Gruppenstruktur der RZ, ihr politisches Verhältnis
zu anderen Gruppen, zu Einschätzungen diverser Gruppenstrukturen,
wie 2. Juni, RZ, Rote Brigaden, Action Directe, ETA etc. und zu
diversen Einzelpersonen, die er dazu ins Verhältnis gesetzt
hat. All diese Angaben sind in öffentlicher Hauptverhandlung
erfolgt und darüber hinaus im Internet unter www.freilassung.de
dokumentiert.
Eine Geheimhaltung seiner Angaben zu all diesen Komplexen seitens
des Bundesamtes gegenüber dem Antragsteller ist deshalb nicht
mehr nachvollziehbar.
Darüberhinaus besteht auch kein Geheimhaltungsinteresse für
die Antragsgegnerin in Bezug auf ihre operativen Maßnahmen
in der Vergangenheit bezüglich Gruppen, die wie die Revolutionären
Zellen, die RAF, der 2. Juni u.a., die längst nicht mehr tätig
sind, sondern sich bereits vor Jahren aufgelöst haben.
Die angebliche Gefährdung der Interessen des Bundes ist bei
diesem Hintergrund nicht mehr nachvollziehbar.
6.
Die Antragsgegnerin verkennt die Rolle und Bedeutung der Aussagen
des Zeugen Mousli im hiesigen Strafverfahren. Da der Zeuge Tarek
Mousli der einzige Belastungszeuge ist, der Angaben zu den angeblichen
Taten des Antragstellers und der übrigen Angeklagten macht,
kommt der Überprüfung seiner Glaubwürdigkeit ein
besonderes Gewicht zu.
Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, daß er sich durch
seine Aussagen selbst belastet hat und für das Liefern von
Belastungen Dritter, die schon von der Qualität von "Knüllern"
sein sollten, so Bundesanwalt Monka, einen erheblichen Strafnachlaß
erhalten hat.
Er erhielt zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung im Vergleich
zu in Aussicht gestellten 5-6 Jahren im Falle des Schweigens.
Glaubhaftmachung: Kopie der Absprache (hiesige Verfahrensakten
Bd. 11, Bl. 95-98 )
Der Zeuge erhielt für seine Aussagen und Belastungen folgende
Gegenleistungen:
- Neue Identität,
- 2400,- DM monatliche Alimentierung,
- zuzüglich Mietwagen, Wohnungsmiete, Krankenversicherung
und Telefongrundgebühr.
Glaubhaftmachung: Schreiben des BKA vom 30.6.2000 anbei
Sollte sich herausstellen, daß der Zeuge Mousli im Ermittlungsverfahren
bzw. in der Hauptverhandlung die Unwahrheit gesagt hat, riskiert
er seinen weiteren Verbleib im Zeugenschutzprogramm und auch die
Alimentierung.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist es von besonderer Bedeutung,
wenn bei einem einzigen Belastungszeugen, zunächst erhobene
Vorwürfe geändert oder reduziert werden. (BGH in StV 1998,
362 ff. )
Auch kann bei einer solchen Konstellation der Aussage eines einzigen
Belastungszeugen, der bereits hinsichtlich einzelner Taten oder
Tatmodalitäten widerlegt ist, seinen übrigen Angaben nur
gefolgt werden, wenn außerhalb der Aussage Gründe von
Gewicht für ihre Glaubhaftigkeit vorliegen. (BGH in StV 1998,
580)
In solchen Fällen ist eine besondere Glaubwürdigkeitsprüfung
vorzunehmen, so daß es auf sämtliche Angaben des Zeugen
Mousli, auch die zum politischen Hintergrund der Revolutionären
Zellen und der Arbeitsweise und einzelner damit in Zusammenhang
stehenden Personen gemacht werden, von Bedeutung und muß vom
Antragsteller überprüfbar sein.
Ebenso notwendig ist für die Beurteilung der Entwicklung seiner
Aussage im Laufe der monatelangen Vernehmungen unterscheiden zu
können, welche Angaben von ihm sind und ob Angaben unter Mitwirkung
des Bundesamtes für Verfassungsschutz "entwickelt"
und welche "Strecken und Linien erarbeitet" wurden, die
er in späteren Vernehmungen beim Bundeskriminalamt und vor
dem Kammergericht sodann als eigene Erkenntnisse angibt.
Daß dies der Fall ist, kann selbst schon an Hand der bruchstückhaft
vorgelegten Protokolle des Bundesamtes für Verfassungschutz
nachgewiesen werden.
Als Beispiel für die Aussageentwicklung und seine differierenden
Angaben soll folgendes dienen:
a)
- Der Zeuge Mousli gab in seiner Vernehmung am 13.12.99
an:
"Den Decknamen Horst habe ich noch nie gehört."
( Bd. 17, Bl. 377)
- Seite 107 im Protokoll vom BfV, 20.4.2000. : "Hier
taucht ( geschwärzt....) Horst auf. So, (geschwärzt......)
Horst."
- In der Vernehmung vom 4.7.2000 Mouslis heißt es
(Bd. 19, Bl. 1292):
"Nach der BKA- Aktion 1987 wurden folgende Decknamen geändert:
Horst in Jon"
b)
- In der Hauptverhandlung gab Mousli wiederholt an, er kenne
keinen anderen Decknamen von Judith (Klarname Sabine Eckle,
Anm. der Unterzeichnerinnen)
- Seite 14, Protokolle des BfV: " Vera war so ein alter
Deckname von Judith"
Glaubhaftmachung: anwaltliche Versicherung der Unterzeichnerinnen,
hiermit abgegeben
dienstliche Erklärung der Vorsitzenden Richterin am Kammergericht
Hennig
c)
- Seite 91/ 92 Protokolle des BfV vom 19.4.00:
"Dann ist das der, wo ich dachte, das ist vielleicht der
Luka ( Christian Gauger) (geschwärzt.....) Mir sind mal Bilder
vorgelegt worden, wo ich zu Herrn Schulzke gesagt habe, das ist
vielleicht der Luka. Ich weiß noch genau wie dieses Bild
aussah. ...Ich habe dieses Bild vor Augen und ich habe diese Person
vor Augen, vielleicht ist das ja auch kein Hinweis auf Luka, sondern
(geschwärzt....) Es ist auf jeden Fall ein Paßfoto
gemacht worden, wo ein Paßfoto existierte und dieser hatte
keinen Schnurrbart, (geschwärzt...) und dann paßt auch
ganz viel zusammen, weil dann ist wahrscheinlich (geschwärzt.....)
gemacht worden.
- In seiner Vernehmung am 5.4.00, Bd. 19, Bl. 1053 gibt er bei
Vorlage der Lichtbildmappe 1/00 (u.a. mit Christian Gauger) auf
die Frage:
"Kennen Sie diese Personen?" an:
" Nein."
Die Frage, wer welche Decknamen besessen hat, ist auch von wesentlicher
Bedeutung, da sich außerdem Unterlagen des Ministeriums für
Staatssicherheit in den Akten befinden, wo bestimmten Decknamen
Personen und wiederum Gruppen wie den RZ zugeordnet werden.
7.
Schon aus der Aussagegenese, die sich aus der Ermittlungsakte und
der Hauptverhandlung ergibt, wird deutlich, daß der Zeuge
Mousli seine Aussage revidiert bzw. anpaßt, wenn er weitere
Informationen durch die Ermittlungsbehörden erhält, die
sich mit seiner Aussage nicht vereinbaren lassen.
a.
Ein Beispiel für nachweislich falsche Belastung - hier des
Antragstellers - ist die anfängliche Behauptung des Zeugen
Mousli, der bei diesem Anschlag von Anfang bis Ende selbst eingebunden
gewesen sein will, der Antragsteller sei vor Ort beim Sprengstoffanschlag
auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in der
Nacht 5./6.2.1987 beteiligt gewesen.
Dann stellte sich jedoch heraus, daß der Antragsteller zur
Tatzeit im Polizeigewahrsam war, also ein absolut sicheres Alibi
hatte.
Sodann paßte der Zeuge Mousli seine Aussage an und behauptete
nunmehr, daß der Antragsteller dann eben bei der Vorbereitung
beteiligt gewesen sei.
An diesem Beispiel zeigt sich bereits, daß die Angaben des
Zeugen in einem ganz zentralen Punkt, nämlich der Zuschreibung
eines konkreten Tatbeitrags, falsch waren.
Glaubhaftmachung: Beiziehung der Ermittlungsakten beim Kammergericht
1 - 4/00
b.
Ein weiteres Beispiel zu unrichtig angegebenen Tatmodalitäten
ist die ursprüngliche Behauptung des Zeugen, Nummernschilder
für gestohlene Fahrzeuge seien ebenfalls gestohlen worden.
Die Ermittlungen haben ergeben, daß die Nummernschilder nachgedruckt
wurden.
Sodann behauptete der Zeuge, dann sei er eben zur Täuschung
falsch informiert worden.
Da der Zeuge in dem Strafverfahren auch zu Strukturen der RZ, ihrem
Bezug zu anderen Gruppen, der Bewertung und Zuordnung bestimmter
Anschläge zur RZ bzw. zu anderen Gruppen , der Kenntnisse über
Decknamen und Zuordnung von Decknamen zu Personen, der Stellung
der einzelnen Angeklagten zu Diskussionen, deren Beiträge darin
etc. Angaben gemacht hat, ist es zur Überprüfung seiner
Glaubwürdigkeit erforderlich, ihm an anderer Stelle, nämlich
während der Gespräche beim Bundesamt für Verfassungsschutz
gemachte Ausführungen vorhalten zu können, da bereits
jetzt so weit die Schwärzungen dies zulassen ersichtlich ist,
daß er in seinen Vernehmungen bei den Ermittlungsbehörden
andere Angaben gemacht hat als bei der Antragsgegnerin.
Glaubhaftmachung: Beiziehung der Ermittlungsakten beim Kammergericht
1 - 4/00
insbesondere Sachaktenordner 14-19/1
8.
Die Behauptung der Antragsgegnerin , die geschwärzten Passagen
beträfen jedenfalls nicht die Angeklagten, ist, so weit man
den nicht geschwärzten Teilen entnehmen kann, ebenfalls unzutreffend.
Hierzu sollen einige Beispiele angeführt werden:
Seite 58 der BfV Protokolle:
"Wo der Sigi mit drinhängt, nicht wahr?" Rest geschwärzt
Mit dem Decknamen "Sigi" soll laut Aussage des Zeugen
Mousli der Antragsteller gemeint sein. (Anm. der Unterzeichnerinnen)
Seite 83 der Protokolle:
"Er hat ja mit (...geschwärzt) geschrieben"
Offensichtlich spricht der Zeuge Mousli hier von einem RZ-Papier
oder auch einem Bekennerschreiben. (Anm. der Unterzeichnerinnen)
In seinen Vernehmungen in der Hauptverhandlung hat er zahlreiche
RZ-Papiere und Bekennerschreiben verschiedenen Personen zugeordnet,
so daß auch diese Passage unmittelbar den hier angeklagten
Zeitraum betrifft und es dem Antragsteller möglich sein muß,
zu erfahren, was der Zeuge Mousli gegenüber der Antragsgegnerin
angegeben hat.
Glaubhaftmachung: anwaltliche Versicherung der Unterzeichnerinnen
Seite 74 der Protokolle:
"Wenn überhaupt, dann gibt's nur eine Klammer, die wäre
"Sigi" (= Harald Glöde)"......(Rest geschwärzt)
Seite 49 der Protokolle:
M: "Klar, kenne ich natürlich....(geschwärzt),
da können Miez (= getarnte Versammlungen der RZ) stattgefunden
haben. Die gab's in den 80er Jahren schon?"
....:
"Ich gehe davon aus."
M: "Da war die Rede von bei den RZ.,.....(geschwärzt)"
Bisher hatte der Zeuge Mousli angegeben:
"Das alte Wort für Zusammenkünfte in der RZ hieß
'asamblea', es wurde später auf 'Miez', abgeleitet von dem
Verb 'to meet' in der englischen Sprache, umbenannt. Diese Umbenennung
dürfte Anfang 1988 nach der Durchsuchungsaktion im Dezember
1987 gegen die RZ erfolgt sein." (Ermittlungsakte Bd. 17, Bl.
373, Vernehmung vom 13.12.1999)
An unzähligen Stellen werden Angeklagte einschließlich
der Antragsteller erwähnt und Aussagen über sie geschwärzt.
Auch diese Passagen sind ungeschwärzt vorzulegen.
Die Angeklagten im Strafverfahren sind Sabine Eckle ( "Judith"),
Rudolf Schindler (" Jon")
Matthias Borgmann ("Heiner"), Axel Haug ("Anton")
und Harald Glöde ("Sigi").
(Die in Klammern angegebenen Namen sind laut Aussage des Kronzeugen
Decknamen)
9.
Auch der Einwand des Antragsgegners, die personenbezogenen Daten
Dritter wären berührt im Falle einer Offenlegung, ist
nicht nachvollziehbar.
Der Zeuge Mousli macht bereits in seinen über 40 Vernehmungen
vor dem BKA, der Bundesanwaltschaft und dem Ermittlungsrichter unzählige
Angaben über Dritte. In seinen zahlreichen Vernehmungen in
öffentlicher Hauptverhandlung wiederholte er dies Äußerungen.
Der Inhalt der Aussagen vor dem Kammergericht ist im Internet (s.o.)
veröffentlicht.
Glaubhaftmachung: wie vor
Für die Überprüfung der Glaubwürdigkeit dieses
Zeugen ist es erforderlich festzustellen, ob er gegenüber dem
Bundesamt für Verfassungsschutz dieselben Angaben macht, bzw.
müssen dem Zeugen Vorhalte von differierenden Angaben gemacht
werden können.
10.
Der Zeuge Mousli ist nach eigenen Angaben nicht zur Geheimhaltung
verpflichtet und ist im hiesigen Strafverfahren in persona vor dem
Gericht aufgetreten.
Auch steht ihm kein sonstiges Zeugnisverweigerungsrecht zu.
Die Geheimhaltung der Angaben einer bereits bekannten Quelle, ist
bereits in sich widersprüchlich, zumal der Zeuge zu den Inhalten
- so weit die Themen erkennbar sind - , zu denen er sich gegenüber
dem Antragsgegner äußert auch im hiesigen Ermittlungsverfahren
geäußert hat.
Der Vorwand, persönliche Daten Dritter schützen zu wollen,
ist damit obsolet. Dies gilt um so mehr, wenn das Bundesamt für
Verfassungsschutz einem offensichtlich aussagebereiten Zeugen leichtfertig
seine angeblich geheimen Erkenntnisse über Dritte "anvertraut"
und nun vorgibt, diese schützen zu wollen, obwohl der Antragsteller
in seinen Verteidigungsrechten so erheblich eingeschränkt ist,
daß angesichts eines solch vertrauensseligen Umgangs der Antragsgegnerin
mit dem Zeugen Mousli eine Geheimhaltung jedenfalls nicht mehr zu
rechtfertigen ist.
Nach alledem ist der Bescheid der Antragsgegnerin rechtswidrig
und damit aufzuheben.
Abschrift anbei.
Studzinsky, Rechtsanwältin
Würdinger, Rechtsanwältin
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