Übersicht
Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund
Mailingliste
Mail
Suche
|
94. Prozesstag: 5. September 2002
Kein blauer Müllsack im Seegraben gesichtet
und kein Treffer beim BKA
Zum Thema Seegraben wurden heute zwei im Fachjargon als Grabenläufer
bezeichnete Zeugen befragt. Deren Aufgabe war es, zwischen 1995
und 1997, bzw. im Jahre 1999, den Seegraben regelmäßig
abzulaufen und auf Verunreinigungen zu kontrollieren. Den zweiten
Schwerpunkt der heutigen Hauptverhandlung bildete die Vernehmung
eines Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA), der 1995 beim Tatmittelmeldedienst
die so genannte Sprengstoffsofortmeldung des Berliner Landeskriminalamtes
(LKA) bearbeitet hatte. Dabei ging es um den Sprengstoff der Marke
Gelamon 40, der 1995 bei Daniel S. gefunden worden war. Obwohl beim
BKA zu dieser Zeit schon Datensätze zu Gelamon 40 vorhanden
waren, konnte der Beamte zwischen dem fraglichen Sprengstoff und
Anschlägen der RZ keinen Zusammenhang herstellen. Nach offizieller
Lesart gelang dies erst 1997. Erst ab diesem Zeitpunkt interessierte
sich das BKA für Daniel S., der die Beamten im weiteren Verlauf
auf die Spur des Kronzeugen gebracht haben soll.
Hier schimmerte nichts
Doch zunächst zu den Grabenläufern. Olaf H. (44), von
Beruf Bau- und Gewässeraufseher, war 1999 für die Begehung
des Seegraben zuständig. Er hatte am 3.8.1999 das fragliche
Gewässer abgeschritten und vermessen, um die Menge des Wassers
zu bestimmen, das für die letzte und dann auch erfolgreiche
Suche nach dem von Mousli angeblich dort 1995 versenkten, in blaue
Mülltüten verpackte Sprengstoffpaket abgelassen werden
musste. Dazu war er mit einem Zollstock den Graben von Staukopf
zu Staukopf abgeschritten. Blaue Mülltüten oder ähnliches
waren ihm dabei nicht aufgefallen. Auch Günter R. (63), der
von Anfang 1995 bis Ende 1997 den Wassergraben monatlich abzugehen
hatte, konnte sich an einen entsprechenden Fund nicht erinnern.
Das Gericht nahm im Anschluss zusammen mit den Zeugen die so genannten
"Begehungsbücher" der fraglichen Jahre in Augenschein. Darin
werden die Tätigkeit der Grabenläufer, besondere Funde
sowie die Erteilung von Aufträgen an Fremdfirmen vermerkt,
wenn etwas entsorgt werden muss. Umfangreiche Eintragungen wurde
bei der Inaugenscheinnahme festgestellt. So war zwar von Autoreifen,
Holz und gar von einer Waschmaschine die Rede, blaue Müllsäcke
spielten jedoch auch hier keine Rolle. Wäre derartiges gefunden
worden, so Günter R. heute, hätte man nachgeprüft,
was darin sei, um die Umweltpolizei entsprechend informieren zu
können. Auch Überschwemmungen in diesem Bereich, so beide
Zeugen auf Nachfrage der Verteidigung, habe es nie gegeben. Damit
scheidet wohl auch die von der Bundesanwaltschaft (BAW) geäußerte
Vermutung aus, Hochwasser könnte das Sprengstoffpaket an den
Fundort getragen haben, der von der von Mousli behaupteten Einwurfstelle
170 Meter entgegen der Fließrichtung liegt. Auch hatte der
Kronzeuge angegeben, das Paket bei späteren Spaziergängen
durch das trübe Wasser blau hindurch schimmern gesehen zu haben.
Die Grabenläufer jedenfalls konnten dies nicht bestätigen.
Einmal mit, einmal ohne Treffer
Nach der Mittagspause folgte die Befragung des dritten Zeugen.
Andreas Brandmeier (43), der als Kriminalbeamter beim BKA seit 1992
im Bereich "Tatmittelzuordnung" tätig ist, wurde zur Bearbeitung
der "Sprengstoffsofortmeldung" des LKA Berlin 1995 befragt. Der
BKA-Mann erklärte heute, dass es seine Aufgabe gewesen sei,
die von den Berliner Kollegen gesandten Daten in ein Datenarchiv
des BKA einzugeben und zu recherchieren, ob der Sprengstoff schon
einmal eine Rolle gespielt habe. "Ich kann nicht mehr nachvollziehen,
warum ich damals keinen Treffer gelandet habe", so der Zeuge heute.
Er hätte das Ergebnis einem Kollegen in Berlin mitgeteilt.
Dieser habe angekündigt, er werde zur Herstellerfirma des Sprengstoffs,
dem VEB Schönbeck, Kontakt aufnehmen und sich dann wieder melden.
Brandmeier will dann den Vorgang in einen Ordner abgelegt haben.
Wie sich heute herausstellte, wurde das Fernschreiben des LKA Berlin
neben dem Referat von Brandmeier noch mindestens drei weiteren Referaten
bzw. Dienststellen zur Bearbeitung übersandt. Was dort damit
geschehen sei, darüber konnte der Zeuge heute keine Auskunft
geben. Erst 1997 habe ihn sein BKA-Kollege Möller wieder auf
seine ergebnislosen Recherchen von 1995 angesprochen. Dieser hatte
zu diesem Zeitpunkt auf Grund eigener Recherchen mit Hilfe der gleichen
Daten durchaus einen Treffer gelandet und einen Zusammenhang zwischen
dem fraglichen Sprengstoff und Anschlägen der Revolutionären
Zellen festgestellt. Auf Nachfrage der Verteidigung gab der Zeuge
heute an, nach dem Gespräch mit Möller noch einmal einen
eigenen Versuch gemacht zu haben und dabei ebenfalls "einen Treffer"
gelandet zu haben. Dergleichen sei ihm in seiner Laufbahn bisher
nicht passiert, musste der Zeuge auf Nachfrage eingestehen. Nachforschungen
innerhalb des BKA, wie es zu diesem Fehler gekommen war, so erklärte
der Zeuge, wurden nicht angestellt. Über seine Recherchen 1995
habe er zudem keine Notizen angefertigt, eine Berichtspflicht über
entsprechende Tätigkeiten gäbe es im BKA nicht.
Verschwörung ohne Richter Alban
Richter Alban erklärte in diesem Zusammenhang, dass die Verteidigung
offensichtlich vermute, dass in diesem Falle von interessierter
Seite Beweismittel manipuliert worden seien. Um dies auszuräumen,
so der Richter, der diese Vermutung offensichtlich nicht teilt,
fragte er den Zeugen, ob er 1995 von jemandem aufgefordert worden
sei, die entsprechende Recherche ins Leere laufen zu lassen. Das
zu erwartende klare "Nein" des Zeugen machte der Befragung ein Ende,
wohingegen das Kopfschütteln auf der Bank der Angeklagten und
Verteidigung noch eine Weile anhielt.
Seegraben: Gibt's da etwa Klärungsbedarf ?
Dass das Stochern im immer trüber werdenden Seegraben beim
Senat nach wie vor keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des
Kronzeugen aufkommen lässt, hat ein
Beschluss den die Vorsitzende Richterin bereits vor der Mittagspause
verkündete, erneut deutlich gemacht. Das Gericht lehnte den
Antrag der Verteidigung ab, ein mikrobiologisches Gutachten darüber
in Auftrag zu geben, ob das Verpackungsband, mit dem Mousli seinen
blauen Müllsack mit Sprengstoff umwickelt haben will, tatsächlich
nahezu fünf Jahre im Wasser gelegen haben kann. In Anlehnung
an die kürzlich erarbeiteten mikrobiologischen Grundkenntnisse
der Staatsanwaltschaft, sieht das Gericht das Beweismittel als "völlig
ungeeignet" an, da eine entsprechende Methode in der wissenschaftlichen
Literatur nicht bekannt sei. Dies könne auch nicht durch die
von dem Mikrobiologe Dr. Dieter Jendrossek vorgeschlagene Methode
kompensiert werden (vgl. 90. Prozesstag,
15.8.2002). Ebenfalls abgelehnt wurde zum Ende des heutigen Prozesstages
der Antrag der Verteidigung von Matthias B. zur Begehung des Seegrabens.
Der Senat ist der Meinung, sich durch Lichtbilder und Kartenmaterial
ein ausreichendes Bild gemacht zu haben. Auch über den Antrag,
die Haftbefehle für Sabine E. und Rudolf Sch. aufzuheben, wurde
negativ entschieden, da weiterhin dringender Tatverdacht und auf
Grund der Straferwartung Fluchtgefahr bestünde. Soweit die
Gerichtsbeschlüsse.
... Klärungsbedarf: Aber sicher!
Zu guter letzt meldete sich die Bundesanwaltschaft mit zwei Stellungnahmen
zu Wort. Rechtsanwältin Lunnebach hatte in der Hauptverhandlung
am 29.8.2002 beantragt, den Polizeifeuerwerker Wegener zu laden,
um Auskunft darüber zu geben, wann der bei Daniel S. gefundene
Sprengstoff schlussendlich vernichtet wurde. (vgl. 92.
Prozesstag) Hier stehen laut Akten mehrere Termine zur Auswahl.
Bundesanwalt Bruns vertrat heute die Ansicht, dass die Bestimmung
des Zeitpunktes "nicht aufklärungsbedürftig" sei, Wegener
also nicht geladen werden müsste. Ebenfalls ablehnend äußerten
sich die Bundesanwälte zum Antrag von Rechtsanwalt Euler, der,
um zu widerlegen, dass der BKA- Mann Trede und Mousli am 8.6.1999
einen gemeinsamen weiteren Besuch des Seegraben durchgeführt
hätten, alle Fahrtenbücher des BKA und der Berliner Polizeibehörden
im fraglichen Zeitraum zu beschlagnahmen. Wohl auf Grund der ablehnenden
Haltung der Bundesanwaltschaft schloss sich Rechtsanwalt Kaleck
nachträglich dem Antrag des Verteidigerkollegen an und beantragte
zusätzlich alle Dienstreisen der BKA Beamten Schulzke und Trede
im Juni, Juli und August 1999 zu ermitteln. Diesem erweiterten Antrag
schloss sich dann wiederum Rechtsanwalt Euler an und beantragte
zusätzlich die erneute Ladung von Bundesanwalt Reiner Griesbaum,
der - nach Ansicht von Euler - bekunden würde, dass Trede und
sein Kollege Barbian am 8.6.1999 nicht am Seegraben gewesen seien.
|