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90. Prozesstag: 15. August 2002
Mikrobenmobilisierung: Wassergrabenlügen werden
aufgelöst
Am heutigen Donnerstag stand der Mikrobiologe Dr. Dieter Jendrossek
im Mittelpunkt der Hauptverhandlung. Der Stuttgarter Wissenschaftler
wurde gehört, weil mikrobiologische Untersuchungen klären
sollen, ob der Kronzeuge Tarek Mousli auch in Hinblick auf einen
angeblichen Sprengstofffund in einem Seegraben in Berlin-Buch die
Unwahrheit sagt. Mousli will diesen Sprengstoff dort 1995 versenkt
und die Polizei dann 1999 auf dessen Spur geführt haben. Die
Verteidigung bezweifelt, dass das Sprengstoffpaket dort tatsächlich
über Jahre gelegen hat.
MehringHof bleibt sprengstofffrei
Doch bis es soweit war, dass der Gutachter "informatorisch" gehört
werden konnte, hatten drei BKA-Beamte - wie in den vergangenen Prozesstagen
zahlreiche KollegInnen vor ihnen - zum wiederholten Male bestätigt,
dass am 19. Dezember 1999 der MehringHof zwar gründlich durchsucht
wurde, man jedoch weder Waffen noch Sprengstoff gefunden habe, obwohl
Schäden von über 60.000 Euro angerichtet wurden. Während
der BKA-Beamte Reinhold H. (52) sich genau erinnerte, aus Meckenheim
angereist zu sein und gründlich gesucht zu haben, weil die
Durchsuchung "ja vor Weihnachten war. Das war ja eine undankbare
Sache", machte der in Bonn lebende BKA- Beamte Ulf Z. (44) deutlich,
dass auch hinter Isolierungen durchsucht und Kontrolllöcher
gebohrt wurden. Die BKA- Beamtin Katharina K. (30) hingegen konnte
als Zeugin genauso wichtige Angaben machen wie der BKA-Beamte Hartwig.
Hartwig ist nämlich weder durch die BKA-Behörde noch durch
das Kammergericht zu ermitteln - mithin verschollen - und konnte
daher ebenso präzise Antworten geben wie die vorgeladene und
immerhin körperlich anwesende K.: keine.
Bundesanwaltschaft versucht erneut, Beweisaufnahmen
zu blockieren
Die Bundesanwaltschaft (BAW) lehnte in zwei Stellungnahmen Beweisanträge
der Verteidigung ab. In beiden Fällen geht es darum zu prüfen,
ob es sich bei dem in Rede stehenden Sprengstoff wirklich um Gelamon
40 handelt, denn in einer Probe war der wichtige Bestandteil Ammoniumnitrat
nicht gefunden und außerdem der asservierte Sprengstoff nicht
hinreichend untersucht worden. Die BAW hingegen ist der Meinung,
es reiche doch, dass die Beschriftung des Sprengstoffes geprüft
worden sei. Während Rechtsanwältin Studzinsky darauf hinwies,
dass nur eine präzise Analyse und Beweisaufnahme klären
könne, ob es tatsächlich eine behauptete Kette vom Sprengstoffdiebstahl
in Salzhemmendorf 1987 über den Keller Tarek Mouslis bis in
den Seegraben gebe, fasste Rechtsanwältin Edith Lunnebach das
in Richtung BAW knapper: "Sie meinen also im Ernst, nur weil irgendwo
Sprengstoff draufsteht, ist da auch Sprengstoff drin?"
Zugestimmt wurde hingegen seitens der BAW der Vernehmung des Sachverständigen
Koller, der nachgewiesen hatte, dass ein in Plastik eingewickeltes
Sprengstoffpaket von 4,5 Kilo nicht schwimmen könne, weil der
Lufteinschluss zu groß sei. Entsprechende Berechnungen sollen
für ein Paket in den Maßen von 45 cm Länge und je
zehn, elf und zwölf Zentimetern Durchmesser durchgeführt
werden.
Ausführliche Informationen durch Mikrobiologen
Gegenstand der "informatorischen" Anhörung - also einer Befragung,
die Informationen zur Beauftragung eines Gutachtens ohne offizielle
juristische Belehrung abfragt - des Experten war jenes Sprengstoffpaket
und die auf Naturkautschuk basierenden Klebestreifen, mit denen
es zusammengehalten wurde. Jendrossek wurde zu der Frage gehört,
ob vergleichende Laborversuche Aufschluss darüber geben können,
wie lange das Paket im Wasser lag. Das bestätigte der Mikrobiologe.
Analysen eines baugleichen Klebebandes und vergleichende Untersuchungen
mit dem damals sichergestellten Band "können klären helfen,
wie lange das Paket tatsächlich in dem Seegraben gelegen hat",
so der auf Kautschuk spezialisierte Stuttgarter. Schon andere, allerdings
vorläufige Gutachten hatten in diesem Verfahren von "maximal
einigen Monaten" Lagerzeit gesprochen. Der Mikrobiologe klärt
dies nun beweisfest in einem Laborversuch.
Dafür hatte er bereits im Juli 2002 erste Wasserproben des
Seegrabens genommen und diesen auch betreten, um so die Verschlickung
des Gewässers präzise beurteilen zu können. Erstes
Ergebnis dieser ersten Untersuchung sei gewesen, so Jessondrek,
"dass sich im Seegraben tatsächlich Mikroorganismen befinden,
die den auf Kautschuk basierenden Klebstoff des Klebebandes als
Nahrungsquelle nutzen." Ebenso hatte er bereits die Fotografien
gesichtet, auf denen der im August 1999 im Seegraben angeblich gefundene
Sprengstoff abgebildet war. Auch auf ihnen, so Jendrossek, sei zu
erkennen, dass dort Mikroorganismen tätig geworden seien.
Zwei Analysemethoden stehen dem Mikrobiologen zur Verfügung:
Einerseits kann mit einer mikrobiologischen Untersuchung geklärt
werden, in welchen Zeiträumen welche Abbauprozesse von Kautschuk
auf dem Klebeband ablaufen, die dann mit denen auf dem Asservat
verglichen werden können. Die so genannte Gelfiltrationsanalyse
wird es demgegenüber ermöglichen, das spezifische Molekülgewicht
von Proben und Originalklebeband zu vergleichen, was wiederum Aufschluss
über die Lagerdauer im Wasser ermöglichen würde.
Problematisch sei in beiden Fällen allerdings, dass er nicht
sicher sei, ob das zur Verfügung stehende Originalmaterial
ausreichen werde.
Während dem Kammergericht und dort insbesondere dem Beisitzenden
Richter Alban, anzusehen war, dass sie entweder überfordert
oder aber hartnäckig ignorant in Hinblick auf die vom Experten
vorgeschlagenen Untersuchungsmöglichkeiten reagierten, konnte
die BAW diese Ignoranz noch übertreffen. Insbesondere Staatsanwalt
Wallenta glänzte zusätzlich noch durch Arroganz. Ziel
der BAW war es, den Eindruck zu vermitteln, ein Vergleich zwischen
Laborversuch und den tatsächlichen Bedingungen im Freiland
sei nicht möglich, zudem wisse man nichts darüber, ob
die Bedingungen im Wassergraben 1995 mit denen von heute vergleichbar
seien. Zu beiden Sachverhalten hatte der Experte jedoch ausführlich
Angaben gemacht und unter anderem betont, dass sich die Bedingungen
in seinem Stuttgarter Universitätslabor sehr gut nachstellen
ließen. Er könne so "mit einer Abweichung von etwa zehn
bis 30 Tagen" Angaben zur Lagerdauer machen. Gleichwohl stritten
Alban und Wallenta weiter um Platz 1 auf der Liste dummdreister
(Selbst)Darstellung.
Gericht signalisiert erneut Desinteresse
Die Untersuchung wird bisher von der Verteidigung und nicht vom
zuständigen Gericht bezahlt, denn das Kammergericht unter Richterin
Gisela Hennig hat bisher über einen entsprechenden Antrag der
Verteidigerinnen Silke Studzinsky und Andrea Würdinger nicht
entschieden. Dass ist um so unverständlicher, als auch der
Strafsenat weiß, dass eine Untersuchung um so präzisere
Ergebnisse zeitigt, je näher sie jahreszeitlich an dem Zeitpunkt
liegt, an dem das Paket im Seegraben deponiert worden sein soll.
Da der Sprengstoff im Sommer deponiert worden sein soll, musste,
um ein möglichst genaues Ergebnis zu erzielen, jetzt gehandelt
werden.
Zu den Methoden befragt, äußerte der Experte, es könne
erstens das Original untersucht werden, dann könne man ein
gleichartiges Klebeband dem Wasser des Seegrabens aussetzen. Das
lasse sich unter gleichen Bedingungen im Labor bis zu vier Monate
lang umsetzen. Die Zersetzungen der Kautschukbänder, die durch
Mikroorganismen verursacht werden, könnten dann mit dem Originalklebeband
aus der Asservatenkammer verglichen werden. Der Vergleich beider
Klebebänder lasse dann klare Schlussfolgerungen zur Lagerdauer
des Originals im Seegraben zu.
In der fünfstündigen Befragung wurde nicht nur deutlich,
dass Gericht und Anklagebehörde große Verständnisschwierigkeiten
in Hinblick auf die Analysemethoden hatten, sondern auch nur geringes
Interesse für die Aufklärung mitbringen. Befragt, ob sie
nicht auch ein Interesse an der Aufklärung hätte, äußerte
die Vorsitzende Richterin, Gisela Hennig, "die Verteidigung hat
Beweisanträge gestellt, und die bearbeiten wir. Das ist der
Grund, warum wir bis Ende Januar 2003 terminiert haben." Offenbar
stehen aus der Sicht des Gerichts - und der BAW - die Urteile schon
fest. Entsprechend kam es gegen Ende des Prozesses noch zu einer
Auseinandersetzung zwischen Verteidigung und Kammergericht.
Bundesanwalt Michael Bruns wollte vom Mikrobiologen Jendrossek
wissen, wann und von wem er beauftragt worden sei, diese Untersuchungen
zu beginnen, das Gericht forderte den entsprechenden Vertrag zur
Kopie. Nun wollte Bruns Angaben zu den ersten Ergebnissen dieser
Analysereihe des von der Verteidigung Glöde beauftragten Experten.
Rechtsanwältin Studzinsky rügte diese Frage und forderte,
nachdem die Vorsitzende Richterin die Frage zulassen wollte, einen
Gerichtsbeschluss. Eine für das Gericht heikle Geschichte,
denn in der herrschenden juristischen Lehrmeinung ist umstritten,
ob ein Gutachter in einem solchen Fall als Berufshelfer gilt und
damit der Schweigepflicht unterliegt. In einer sich anschließenden
Gerichtspause einigten sich Gericht und BAW, auf die Frage zu verzichten.
Ob der Gutachter Jendrossek, der nach dem 9. September aus dem Urlaub
kommend wieder zur Verfügung steht, beauftragt werden wird,
ist noch nicht geklärt.
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