Rechtsanwältin
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Rechtsanwältin
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Andrea Würdinger
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Silke Studzinsky
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Motzstraße 1
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Kottbusser Damm 72
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10777 Berlin
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10967 Berlin
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Kammergericht
Berlin, den 11.10.01
In der Strafsache
gegen Glöde
(2) StE 11/00 (4/00)
lehnen wir namens und in Vollmacht des Angeklagten Glöde die
Vorsitzende Richterin am Kammergericht Gisela Hennig, den abgeordneten
Richter am Landgericht Hanschke, den Richter am KG Lechner, Richter
am KG Alban, Richter am KG Genthe wegen der Besorgnis der Befangenheit
ab.
Begründung:
Sachverhalt:
Grund für die Ablehnung der genannten Richter wegen der Besorgnis
der Befangenheit ist der als Anlage beigefügte Beschluß
des Senats vom heutigen Tage, an dem die befangenen Richter mitgewirkt
haben.
Die Verteidigung des Angeklagten Glöde beantragte in der
Hauptverhandlung am 13.9.01 Akteneinsicht in sämtliche TÜ-
Protokolle der ab dem 7.9.99 durchgeführten TÜ Maßnahmen
und die dazugehörigen 955 Kassetten.
Kenntnis von der Existenz dieser Kassetten und Protokolle erhielt
die Verteidigung erst während der laufenden Hauptverhandlung,
als seitens der GBA 11 Stehordner mit TÜ Protokollen für
die Zeit November 98 bis Mai 1999 dem Senat auf Drängen der
Verteidigung Ende August 2001 nachgereicht wurden.
Zur Glaubhaftmachung:
- Kopie des Antrages vom 13.9.01
- Sitzungsprotokoll vom 13.9.01
- dienstliche Erklärungen der abgelehnten Richter
- anwaltliche Versicherung der Verteidigerinnen, die hiermit
abgegeben wird.
Die Verteidigung beantragte ferner aufgrund der Umfangs des jetzt
erst bekannt gewordenen Materials die Aussetzung des Verfahrens.
Zur Glaubhaftmachung: wie oben.
Die Entscheidung über diese Anträge wurde zurückgestellt.
Die Hauptverhandlung wurde am 14.9.01 fortgesetzt, ohne dass eine
Entscheidung erfolgte.
Zur Glaubhaftmachung: Sitzungsprotokoll vom 14.9.01; dienstliche
Erklärungen der abgelehnten Richter
Am 17.9.2001 lieferte die Bundesanwaltschaft 955 Bänder an
das Kammergericht und am 24.9.01 wurden 23 Stehordner der Verteidigung
zur Verfügung gestellt.
In der Hauptverhandlung am 27.9.01 gab die Verteidigung eine ergänzende
Begründung zum Aussetzungsantrag vom 13.9.01 ab und beantragte
u.a. die Fertigung ausreichender Anzahl von Kassetten- Sätzen
für das Gericht und die Verteidigung sowie die Fertigung von
Wortprotokollen und die Vervollständigung der bereits gelieferten,
aber unvollständigen Protokollbände.
Zur Glaubhaftmachung:
- Sitzungsprotokoll vom 27.9.01;
- Kopie der Erklärung vom
27.9.01;
- dienstliche Erklärungen der abgelehnten Richter.
- Anwaltliche Versicherung der Verteidigerinnen, die hiermit abgegeben
wird.
In der Stellungnahme wurde nochmals dargelegt, daß eine Aufarbeitung
des neuaufgetauchten Materials von 955 Kassetten mit den dazugehörigen
TÜ Protokollbänden während einer laufenden Hauptverhandlung
nicht möglich ist, da die reine Abspielzeit der Kassetten bei
einer zugrundegelegten 40 Stunden Woche ca. 4,5 Monate in Anspruch
nehmen würde.
Zur Glaubhaftmachung: wie oben.
Es wurde auch dargelegt, daß sämtliche bisher überreichten
TÜ- Protokollbänder unvollständig und auch wegen
fehlender Wortprotokolle sowie untauglicher Zusammenfassungen für
eine Auswertung nicht tauglich sind und das Abhören der Bänder
nicht entbehrlich machen.
Zur Glaubhaftmachung: wie oben.
Der überreichte Beschluß begründet aus der Sicht
eines verständigen und vernünftigen Angeklagten die Besorgnis
der Befangenheit.
Vorweggenommene Beweiswürdigung und Beweislastumkehr
zu Lasten des Angeklagten
Die Begründung des Gerichtsbeschlusses
legt aus Sicht des Angeklagten offen, daß sich der Senat -
in vorweggenommener Beweiswürdigung - die Einschätzung
des BKA zur Relevanz der TÜ- Protokolle zu eigen macht.
In dem angegriffenen Beschluß führt der Senat aus:
"Der Senat hat aufgrund der bisherigen Sichtung (des TÜ-
Materials) in Übereinstimmung mit der Einschätzung des
BKA, daß sowohl für das Verfahren gegen Mousli als auch
das vorliegende Verfahren nicht von einer Beweisrelevanz ausgegangen
worden ist, keine Anhaltspunkte dafür, daß die Ergebnisse
der TÜ- Maßnahmen Bedeutung für die Beurteilung
der Schuld- und Rechtsfolgenfrage haben. Auch die Verteidigung des
Angeklagten Glöde trägt hierzu nichts Wesentliches vor.
Wenn die weitere Sichtung Relevanz für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage
ergeben sollte, ist es ohne weiteres möglich, die Beweisaufnahme
in der Hauptverhandlung zu erstrecken, etwa durch Vorhalte an den
Zeugen Mousli, dessen Vernehmung noch nicht abgeschlossen ist."
Der Senat gibt damit zu erkennen, daß er nur auszugsweise
und überschlägig das nunmehr umfangreiche Material gesichtet
hat. Mehr als nur eine oberflächliche Sichtung kann es nicht
gewesen sein, da die reine Abhörzeit für die nachgelieferten
955 Bänder 716, 25 Stunden beträgt und die TÜ- Protokolle
weder vollständig sind noch umfangreiche Wortprotokolle und
überwiegend nur den Vermerk "Ohne Relevanz" enthalten.
Darüber hinaus befinden sich seit dem Eintreffen der Bänder
die Kassetten zu den Anschlüssen Schönow, Handy O. und
Snoops bei der Verteidigung Glöde, so daß dem Senat wesentliche
Bänder nicht zur Verfügung standen. Diese Bänder
hat der Senat zur Sichtung auch nicht von der Verteidigung Glöde
angefordert.
Dies bedeutet, daß sich die Sichtung des Materials lediglich
auf die unvollständigen, lückenhaften und verkürzten
Auswertungsprotokolle bezogen haben kann.
Glaubhaftmachung: Dienstliche Erklärung der abgelehnten Richter
Dies zeigt, daß der Senat offensichtlich ohne wesentliche
eigene Prüfung die Einschätzung des BKA, das Material
sei ohne Relevanz, übernimmt und damit eine vorweggenommene
und lediglich vom BKA übernommene Beweiswürdigung vornimmt.
Die Tatsache, daß die der Verteidigung bisher überreichten
23 Stehordner jeweils zu großen Teilen Einschätzungen
der Ermittlungsbehörden "Ohne Relevanz" enthalten
sind, bedeutet für die tatsächliche Beweisrelevanz
nichts.
Der Grundsatz der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren besagt
vielmehr, daß den Angeklagten durch seine Verteidiger rechtzeitig
vor Beginn einer Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden
muß aus seiner Sicht das Beweismaterial zu sichten und auf
Beweisrelevanz zu überprüfen. (Art.6 Abs.3b EMRK)
In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, daß
der Begriff "Akten - Verfahrensakten" i.S.d. §199 Abs.2
StPO in dem Sinne zu verstehen ist, daß sämtliche
bei der Staatsanwaltschaft entstandenen Vorgänge dem Gericht
und damit der Verteidigung zugänglich gemacht werden müssen.
Entgegen einer immer wieder bei der Staatsanwaltschaft anzutreffenden
Meinung hat die Staatsanwaltschaft kein "Zurückbehaltungsrecht"
oder kein Auswahlrecht. (Kleinknecht/ Meyer §199 RN 2)
Aus Sicht des Angeklagten deckt das Gericht mit seiner Ablehnung
des Aussetzungsantrags die Versäumnisse der Ermittlungsbehörde.
Anders auch das Kammergericht in einem Beschluß vom 29.4.1988
(STV 1989, 9f.):
"Die Strafkammer weist insoweit mit Recht darauf hin, daß
schon die Bezeichnung einiger Leitzordner, in denen sich eine Vielzahl
von Schriftstücken befinden, die Vermutung zuläßt,
daß sich darunter auch verfahrensbezogene Unterlagen befinden.
Ferner haben die Verteidiger vorgebracht, daß sich die Anklage
gegen einen Teil der Angeklagten ausschließlich auf die Angaben
des früheren Mitbeschuldigten B. stützt, daß dessen
Angaben aber von den Angeklagten bestritten werden, so daß
es notwendig sein wird, zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit
des Zeugen B. auch auf die nur ihn betreffenden Unterlagen zurückzugreifen."
Ähnlich auch LG Duisburg, Beschluß vom 16.7.1983 ( StV
1984, 19f.)
" Werden Akten und Beweisstücke durch die Ermittlungsbehörden
erst in der Hauptverhandlung vorgelegt und kann nicht ausgeschlossen
werden, daß der Beschuldigte bei Kenntnis der nachträglich
vorgelegten Gegenstände seine Verteidigung anders hätte
gestalten können, ist das Verfahren auszusetzen, um ihm Gelegenheit
zu geben, seine Verteidigung nunmehr umfassend und einheitlich gegenüber
den ihn betreffenden Vorwürfen anhand der neuen beweiserheblichen
Unterlagen vorzubereiten."
Durch die Verfahrensweise des Senats hat der Angeklagte den Eindruck,
daß ihm und seiner Verteidigung die Möglichkeit genommen
wird zu einem ihm zustehenden frühest möglichen Zeitpunkt
den einzigen Belastungszeugen umfangreich zu befragen und auf seine
Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu überprüfen.
Ferner wird für die Relevanz des neu vorliegenden Materials
auf die Anträge und Stellungnahmen der Verteidigung vom 13.9.01,
27.9.01 und 5.10.01
Bezug genommen.
Diese sind als Anlage beigefügt.
Die jetzige Verfahrensweise bürdet unzulässigerweise
dem Angeklagten und seiner Verteidigung auf, das Beweismaterial
zu sichten und durch Vorhalte oder Beweisanträge in das Verfahren
einzuführen.
Wahrheitsermittlung contra Verfahrensbeschleunigung
Bei der getroffenen Abwägung zwischen Wahrheitsermittlung
einerseits und Verfahrensbeschleunigung andererseits hat sich das
Gericht mit seiner Entscheidung aus Sicht des Angeklagten tatsächlich
gegen beide Prinzipien ausgesprochen.
Für die Wahrheitsermittlung ist - wie oben ausgeführt
- die Überprüfung des neuen Beweismaterials erforderlich;
für eine Verfahrensbeschleunigung, die den Namen verdient die
Erstreckung der Beweisaufnahme auf die für die Schuldfrage
bedeutsamen Beweismittel.
Gerade dies geschieht aber, wie sich aus dem Ladungsplan ergibt,
nicht.
Nach Aktenlage kann keiner der geladenen bzw. gehörten Zeugen
zum Komplex Hollenberg zur Überführung des bzw. der Angeklagten
beitragen.
Der Komplex Hollenberg ist für den Angeklagten Glöde überhaupt
nicht von Bedeutung und für die anderen Angeklagten lediglich
im Rahmen der Strafzumessung wegen Verjährung.
Auch zur Bewertung der Angaben des Zeugen Mousli ist diese Beweiserhebung
ohne Relevanz.
Aus dem Ladungsplan ergibt sich bereits, daß lediglich pro
Verhandlungstag nur ein maximal zwei Zeugen vorgesehen sind mit
überschaubaren Beweisthemen und damit von einer Verfahrensbeschleunigung
nicht die Rede sein kann.
Aus Sicht des Angeklagten klingt es daher nur zynisch, wenn seitens
der abgelehnten Richter der Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung
nun ein Grund dafür sein soll, daß die Wahrheitsermittlung
(Glaubwürdigkeit des Mousli und Glaubhaftigkeit seiner Angaben)
zunächst - auf nicht absehbare Zeit zurückgestellt wird.
Auch bei vernünftiger Würdigung kann der Angeklagte nicht
mehr davon ausgehen, daß der Senat die Aufklärung der
Anklagevorwürfe unparteilich durchführen wird.
Vor einer Entscheidung über dieses Gesuch bitten wir uns die
zur Bescheidung über dieses Gesuch berufenen Richter namhaft
zu machen.
Gleichfalls beantragen wir,
uns die eingeholten dienstlichen Erklärungen der abgelehnten
Richter vor einer Entscheidung über dieses Gesuch zur Kenntnis
zu bringen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Angesichts
der Inhaftierung ist dazu eine Frist von 3 vollen Werktagen erforderlich.
Würdinger, Rechtsanwältin
Studzinsky, Rechtsanwältin
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