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24. Prozesstag: 27. September 2001

RZ-Verfahren vor dem Aus?

Beweismaterial konnte bisher nicht gesichtet werden

Zu der vorgesehenen Vernehmung der Zeugin Janet O. kam es am heutigen Verhandlungstag nicht. Auch kam die Vorsitzende Richterin nicht dazu, den offenbar bereits gefassten Beschluss zu verlesen, den die Verteidigung bereits vor 14 Tagen gestellt hatte und der die Aussetzung der Verhandlung forderte. Die Anträge auf die Aufhebung der Haftbefehle der Angeklagten dagegen wurden bereits am 25. September abschlägig von ihr beschieden und der Verteidigung per Fax zugesandt. (s. Beschluss)

Vielmehr ergänzten die Rechtsanwältinnen Studzinsky und Würdinger ihren Antrag mit einer umfangreichen und schlüssigen Erklärung um weitere Anträge. Zum einen müsste allen VerteidigerInnen eine ausreichende Anzahl von Kopien der 955 Kassetten umfassenden Telefonüberwachung (TÜ) zur Verfügung stehen, zum anderen aber auch deren Übereinstimmung mit den Originalen überprüft werden. Weiterhin verlangten sie die Fertigung von Wortprotokollen der überwachten Gespräche und die Ergänzung des Materials um die offensichtlich fehlenden Tondokumente. Das Gericht hatte in der letzten Woche bereits eingeräumt, dass eine Fortführung der Vernehmung des Kronzeugen vor Sichtung dieser Beweismittel nicht sachdienlich ist und wollte zwischenzeitlich den Prozess mit der Ladung von Zeugen und Sachverständigen zum Komplex Hollenberg füllen.

Erweiterter Antrag der Verteidigung

Die Verteidigerinnen führten dagegen aus, dass in diesem ganzen Verfahren der Kronzeuge das einzige Beweismittel ist, dessen weitere Befragung also von zentraler Bedeutung sei. Bereits das Abhören eines Teils der Bänder der ersten Lieferung (allein hier 825 Kassetten) und die Prüfung von 23 Aktenordnern mit Wortprotokollen hätten bereits Widersprüche zwischen den Angaben Tarek Mouslis vor Gericht und seinen Aussagen in den abgehörten Telefongespräche ergeben. Vorhalte dieser Widersprüche im größeren Umfang seien also gegenüber Zeugen und Sachverständigen zu erwarten, was allerdings erst nach gründlicher Auswertung der Kassetten und der 23 mitgelieferten Ordner des BKA möglich sei.

Weiterhin trugen die Rechtsanwältinnen vor, schon das teilweise Abhören der bereits vorliegenden TÜ-Bänder hätte große Lücken offenbart, von einer Vollständigkeit könne keine Rede sein. Als Nachweis verlasen sie Zitate aus aufgezeichneten Telefonaten zwischen dem Bundesanwalt Monka bzw. einem Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) namens "Thorsten" einerseits und der geladenen, aber heute nicht gehörten Zeugin und damaligen Lebensgefährtin Mouslis, Janet O., andererseits.

Zum einen ging es in diesen Telefonaten um ihre Bitte nach einer Dauerbesuchsgenehmigung in der Justizvollzugsanstalt Köln für den Kronzeugen, zum anderen um den Auftrag an Janet O., gegenüber dem damaligen Verteidiger von Mousli "jetzt nicht länger zu lügen".

Arbeitsaufwand von mehreren hundert Stunden

Die Beweisrelevanz dieser bisher zurückgehaltenen Unterlagen für diesen Prozess, die von der Staatsanwaltschaft wiederholt bestritten wurde, wäre damit ausreichend dokumentiert. Einer weiteren wörtlichen Wiedergabe eines Telefongespräches zwischen dem Kronzeugen und einer "Agentur" könne zudem entnommen werden, so die Anwältinnen weiter, dass ein dabei verabredetes und unmittelbar auch folgendes Telefonat mit dieser Agentur in der TÜ vollständig fehlt. Dies mache die erneut deutlich, dass die lückenlose Überprüfung des Beweismaterials unerlässlich sei.

Letztlich wiesen sie erneut auf den erheblichen Arbeitsumfang allein für die Erarbeitung der Beweismittel hin. Zudem erinnerten sie daran, dass sich erst dann die Möglichkeit ergibt, das Beweismaterial auch entsprechend zu würdigen. Auch dem Strafsenat und der Bundesanwaltschaft würde schließlich der gleiche Aufwand bevorstehen, denn offenbar seien auch ihnen die Inhalte der Kassetten und Akten weitgehend unbekannt. Eine Bearbeitung dieser Beweise - allein das Abhören der Tonbänder wird von ihnen auf über 700 Arbeitsstunden geschätzt - und eine parallele Weiterführung der Verhandlung sei also von keinem der Prozessbeteiligten zu leisten.

In der folgenden Erörterung schlossen sich die VerteidigerInnen Lunnebach, Dr. König und Kaleck diesen Ergänzungsanträgen an. Sie alle wiesen darauf hin, dass die Einschätzung der Bundesanwaltschaft, diese Unterlagen wären für den Prozess nicht relevant, spätestens durch die ausführliche Antragsbegründung und die Prüfung der Kassetten in Stichproben widerlegt sei.

Entscheidung erst in der nächsten Woche

Bundesanwalt Homann räumte bei seiner Entgegnung zumindest ein, dass es wohl unumgänglich sei, der Verteidigung eine ausreichende Anzahl von Kopien der Kassetten und BKA-Akten zur Verfügung zu stellen; eine vollständige Protokollierung der Kassetten schloss er jedoch wegen zu geringer Kapazitäten der Bundesanwaltschaft aus. Auch eine Aussetzung des Verfahrens wurde von ihm weiterhin nicht für nötig erachtet. Dahingegen wollte er die Wahrung des Persönlichkeitsschutzes, die er durch das Verlesen von wörtlichen Zitaten aus der TÜ verletzt sah, garantiert wissen.

Auch heute konnte sich das Gericht, trotz zweimaliger Verhandlungsunterbrechung und wiederholter Aufforderungen durch die Verteidigung, nicht zu einem Beschluss durchringen. Nicht nur die Geduld der diesmal rund ein Dutzend ZuhörerInnen wird weiterhin stark strapaziert, mehr noch sind für die Inhaftierten fortwährende Prozessverzögerungen und Verfahrensfehler kaum erträglich.

Abschließend setzte sich das Gericht auf Bitten von Rechtsanwalt Nicolas Becker mit der Frage auseinander, ob Rechtsanwalt Birkhoff, der bereits der Rechtsbeistand des Kronzeugen Mousli ist, auch der Rechtsbeistand für die noch zu hörende Zeugin Janet O. sein solle. Das nämlich hatte die Vorsitzende Richterin auf Antrag von O. entschieden. Die Rechtsanwälte Becker, Johannes "Jonny" Eisenberg und Dr. Stefan König gaben aber zu bedenken, dass Birkhoff damit in eine schwierige Lage geraten könne, denn es handele sich gegebenenfalls um widerstreitende Interessen, denen er als Rechtsbeistand gerecht werden müsse. Würden sich etwa beide ZeugInnen gegenseitig belasten, so könne das durchaus dazu führen, dass diese Form der Mehrfachverteidigung Birkhoff in große Schwierigkeiten bringen könne.

Die Vorsitzende Richterin Hennig beschloss, das Verfahren bis zum 4. Oktober zu unterbrechen und will erst dann eine Entscheidung über den Antrag der Verteidigung treffen.

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