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23. Mai 2002: 76. Prozesstag

Hauptsache die Chemie stimmt

Zwei Sprengstoff- Sachverständige hielten heute den Anwesenden zeitweilig eine Chemievorlesung für Fortgeschrittene. Die überraschende Zusammensetzung des Sprengstoffes vom Fundort 'Seegraben' sorgte für erste Ungereimtheiten. Die wissenschaftliche Vermutung über eine nur sehr kurze Wasserberührung des angeblichen Gelamon 40 vertiefte die Zweifel an den bisherigen Aussagen des Kronzeugen. Und letztlich ergaben die sachverständigen Vermutungen über die mögliche spätere Nachweisbarkeit von Sprengmitteln im angeblichen Sprengstofflager die gewohnten Widersprüche in diesem Verfahren.

Mars macht manchmal mobil ...?

Dr. Robert K., 57jähriger Chemiker aus Berlin, hatte die Zusammensetzung zweier Proben zu untersuchen, die angeblich von dem Sprengstoff und im 'Seegraben' (siehe dazu frühere Berichte) entnommen sein sollen. Über die Entnahme selber sei ihm nichts bekannt, er habe nur die chemische Untersuchung durchgeführt. Demnach habe er bei der Probe 1 eine wesentliche Abweichung der Inhaltsstoffe gegenüber den Angaben des Herstellers des Gelamon feststellen können. Ein chemischer Wirkstoff (Ammoniumnitrat) fehle komplett. Der könne sich auch nicht nachträglich z.B. durch Auswaschungen rückstandslos aufgelöst haben. Ein anderer, ähnlich wie diese Probe zusammengesetzter Sprengstoff, sei ihm nicht bekannt. Es könne sich höchstens um eine 'Abart' des Gelamon handeln. Der Wissenschaftler versicherte aber, Ammoniumnitrat könne durch andere Stoffe wirkungsgleich ersetzt werden. Mit einer didaktischen Meisterleistung erklärte RA Kaleck diesen Sachverhalt mit dem Unterschied der Schokoriegel 'Mars' und 'Snickers': beide süß und braun, aber mit unterschiedlicher Füllung. Aha! Ein dankbares Aufatmen ging durch den Saal. In der Probe 2 hätte er dann auch deutliche Abweichungen gegenüber der ursprünglichen chemischen Beschaffenheit feststellen können. Diese können aber durchaus einem 'normalen' Alterungsprozess des Materials zugeschrieben werden.

Manchmal auch nicht....!

Allein die BAW und Richter Alban hatten die Lektion noch nicht begriffen. Die Qualität ihrer Nachfragen trug sehr zur fortgesetzten Erheiterung des heutigen Verhandlungstages bei. Doch auch die so festgestellten Differenzen zu den bisherigen Aussagen ihres Kronzeugen Mousli beunruhigte sie. Ob der Sachverständige denn Gelamon als Sprengmitteltyp bei Probe 1 nicht völlig ausschließen könne, wollten sie wiederholt dem Zeugen entlocken. In seinen Aussagen hatte der Kronzeuge behauptet, Gelamon 40 sei ihm von angeblichen RZ- Mitgliedern zur Aufbewahrung übergeben (siehe frühere Berichte), den er dann später im Seegraben entsorgt haben will. Trotz dieser sehr plumpen Versuche blieb der Chemiker bei seiner Analyse.

Diffuse Penetration

Der BKA- Beamte Peter Koller, ebenfalls Chemiker und angeblicher Sprengstoffexperte, sollte sachverständlich über die mögliche Lagerdauer des Materials im Seegraben Stellung nehmen. Da ihm relevante äußere Rahmenbedingungen (wie z.B. Wassertemperatur, Strömungsgeschwindigkeit, ph-Wert und Wassertiefe) nicht bekannt waren, habe er sich ein ihm passend erscheinendes Modell auf der Grundlage von Fotos und Materialangaben ausgedacht, auf dem seine Berechnungen beruhen. Es folgte ein Vortrag über Diffusionsgesetze, Penetrationseigenschaften, spezifische Gewichte, chromatographische Verfahren und chemische Begrifflichkeiten, der nicht nur beim Autor unübersehbare Ahnungslosigkeit hinterließ. Jedenfalls hätten seine Rechenkünste ergeben, dass der Sprengstoff weniger als zwei Monate direkten Kontakt zum Wasser gehabt haben könne. Keinesfalls mehrere Jahre, wie der Kronzeuge fortgesetzt behauptet, weil davon ausgegangen werden könne, dass auch eine sehr dichte Verpackung das Eindringen von Wasser auf Dauer nicht gänzlich aufhalten würde. Ob die Beschädigung der Verpackung Folge der Bergung des Paketes war oder es erst kurz vor dem Auffinden überhaupt ins Wasser gelangt war (und zum Volllaufen und Absinken auch aufgerissen wurde), beide Möglichkeiten bleiben möglich.

Zwei Sachverständige, drei Meinungen

Diesen Eindruck hatten die 8 (acht) BesucherInnen auf den ZuschauerInnenbänken bei den weiteren Ausführungen. So behauptete der Zeuge Koller nun, trotz dem Fehlen von Ammoniumnitrat könne es sich trotzdem durchaus um Gelamon handeln. Die (aus dem Osten) Hersteller hätten angeblich je nach Verfügbarkeit chemischer Materialien die Sprengstoffe beliebig zusammengemischt. Und eine Qualitätskontrolle würde es bei diesen Produkten angeblich ohnehin nicht gegeben. (Wozu auch? der Autor)Öffentlichkeit Außerdem ließe sich das Fehlen von Nitrat sehr wohl durch Auflösung erklären, wenn der Stoff nur lange und umströmt genug Wasser ausgesetzt gewesen wäre. Die Verhinderung gerade dieses Auflösungsprozesses durch die fetthaltige und gelartige Verbindung mit Sprengölen, vom ersten Experten noch ausführlich dargelegt, spielte beim zweiten Chemiker keine Rolle mehr. Alles ist möglich, versuchte der Wissenschaftler volksnah zu vermitteln, es darf nur keiner rühren. Er bemühte nämlich, beflügelt von der Bounty- Pädagogik, ein Beispiel vom Zuckerstück im Wasserglas, was sich zwar langsam aber doch auflöst, wobei das Rühren mit dem Teelöffel (Strömung) den Prozess lediglich beschleunigt. Aber das Zuckerstückchen 'Gelamon' hatte nach seinen eigenen Erkenntnissen ja nun gar nicht lange im Wasser gelegen....? Es war halt ein Versuch...

Völlig neben der Spur

Eine weitere Frage sollte Herr Koller beantworten: welche Spuren gelagertes Gelamon in Räumen hinterläßt. Es folgt eine Aufzählung von Faktoren (Fußbodenbeschaffenheit, Verpackung, Lufttemperatur, Belüftung, Feuchtigkeit, Material des Behälters, usw.), die zu einer genauen Stellungnahme bekannt sein müßte. Nach mehreren Jahren angeblicher Sprengstofflagerung im Mehringhof hätten sich dort doch Spuren finden lassen müssen, versuchten die VerteidigerInnen sich vom Zeugen bestätigen zu lassen. Der Fehlschlag bei den Wisch- und Saugproben in dem angeblichen Depot durch das BKA könne ein früher existente Lager nicht ausschließen, sollte der Sachverständige hingegen den Bundesanwälten bezeugen. Der Chemiker konnte dieser bestechenden Logik zumindest nicht widersprechen. Dadurch ist eines gewiss: gerade das Fehlen jeglicher Anzeichen von Sprengstoffrückständen könnte auf das Vorhandensein eines Sprengstoffdepot hinweisen .....

Den Abschluss bildeten einige Anträge und Stellungnahmen. Zunächst lehnte die BAW die Beiziehung weiterer Protokolle der Telefonüberwachung des Kronzeugen, Observations- und Sachstandsberichte des BKA sowie vermutete Ermittlungsakten Berliner Polizeidienststellen ab. Bundesanwalt Bruns nannte dafür fast ausnahmslos formaljuristische Gründe. Den Anlass für die ständige Unvollkommenheit prozessrelevanter Aktenbestandteile kommentierte er nicht. Anschließend beantragten die Verteidigerinnen Würdinger und Studzinsky die Vorladung weiterer Polizisten zu Ermittlungen zum Gelamon/ RZ-Komplex. (Antrag 1, Antrag 2)

Und nächste Woche Donnerstag soll das Fernsehen kommen ........ wenn's denn hilft!!

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