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11. Prozesstag: 6. Juli 2001

Die "purzelnden Erinnerungen" des Zeugen Mousli -
"Bitte bereiten Sie sich auf Hollenberg und Korbmacher vor"

Am 11. Prozesstag setzte das Gericht die Vernehmung des Kronzeugen fort. Dabei wurde Tarek Mousli vor allem zu seinem Ein- und Ausstieg bei den "RZ" sowie zu einem Zusammentreffen befragt, das er als "Waldspaziergang" bezeichnete und an dem nach seinen Angaben fast alle Mitglieder der beiden Berliner RZ-Gruppen teilgenommen haben sollen. Des weiteren ging es um sein Verhältnis zu Gerd Albartus und zu den Angeklagten.

Die Befangenheitsanträge gegen den 1. Strafsenat spielten in der heutigen Hauptverhandlung keine Rolle mehr. Der Befangenheitsantrag gegen alle Mitglieder des Senats war nämlich zuvor schon außergerichtlich als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt worden. Als "nicht zulässig" wurde auch der Befangenheitsantrag der Rechtsanwälte Euler und Dr. König gegen den II. Strafsenat des Kammergerichts verworfen, der in dieser Sache zu entscheiden hatte. Die beiden Anwälte vertraten die Auffassung, dass dieser Senat nicht unbefangen in dieser Sache entscheiden könne, da er zuvor schon für zwei Entscheidungen, die im Zusammenhang mit diesem Prozess stehen, verantwortlich war:

  1. Die Verurteilung Tarek Mouslis im Dezember 2000 und
  2. die Ablehnung der Verfahrenseröffnung gegen Rudolf Sch., die zur Verbindung seines Verfahrens mit dem Verfahren der anderen Angeklagten geführt hatte.

Durch die Ablehnung der Befangenheitsanträge hat das Gericht erneut deutlich gemacht, wie es seine Rolle in diesem Prozess sieht. Es ist nicht nur nicht bereit, die Selbstbezichtigungen Mouslis und seine Anschuldigungen gegen die Angeklagten zu hinterfragen, vielmehr sieht es seine Aufgabe offenbar darin, ihn auch noch darüber hinaus mit allen Mitteln zu stützen, wenn er bei der Beantwortung seiner Fragen sein Heil in Ausflüchten sucht oder Aussagen mit der Behauptung verweigert, sie ließen sich nicht oder er dürfe sie angeblich wegen des Zeugenschutzprogramms nicht beantworten. Allerdings waren die heutigen Fragen der Vorsitzenden Richterin, Gisela Hennig, auch kaum zu beantworten.

Revolutionärer Zorn, Nummer 6

"So eine Befragung des Kronzeugen kann man nur als Tortur für alle Anwesenden bezeichnen", äußerten ProzessbeobachterInnen am Rande der Vernehmung Mouslis entgeistert. Sichtlich irritiert war auch Tarek Mousli. Immer wieder bat er um Konkretisierung der Fragestellungen ("Wenn Sie mir da ein wenig helfen könnten, Frau Vorsitzende?") oder bemerkte, dass er so allgemein die Fragen schlecht beantworten könne ("Das ist ein großer Bogen, den Sie da von mir verlangen."). Vor allem war die Vorsitzende Richterin an, wie sie sagte, "den ideologischen Grundlagen der 'RZ'-Politik" interessiert. Immer wieder wollte sie zu diesem Punkt Aufklärung. Allerdings derart unpräzise, dass selbst ein Kronzeuge, der Sachverhalte hätte erklären wollen, jegliche präzise Antwort schuldig bleiben musste.

Immerhin, soviel war zu erfahren: Für Mousli waren die Ausgabe Nr. 6 der "RZ"-Zeitschrift "Revolutionärer Zorn" und die "RZ"- Papiere zur Friedensbewegung und zum Widerstand gegen die Startbahn West zentrale Bezugspunkte (mindestes sechs Mal zählte er diese Schriften auf). "Ich fand in der Regel die Erklärungen richtig", so Mousli. Vor allem das Konzept einer "populistischen Guerilla" habe es ihm dabei angetan. "Ganz klar, ich war fasziniert, ich fand das richtig"; - Mousli schiebt eilig hinterher, entscheidend allerdings sei für ihn gewesen, dass dieses Konzept Aktionen gegen Menschen ausschloss. Aber Aktionen gegen staatliche Institutionen habe er "voll und ganz unterstützt".

Mouslis Einstieg in die "Revolutionären Zellen"

Durch seine Mitarbeit bei der Zeitschrift "radikal" und im Zusammenhang mit deren Kriminalisierung habe er 1983 Gerd Albartus kennen gelernt. Mit dem 1978 wegen "RZ"-Mitgliedschaft zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt Albartus habe er in der Folge zahlreiche Diskussionen geführt. Im Mittelpunkt stand dabei die Politik der "RZ". Das Thema habe ihn damals einfach interessiert. So habe er in der Zeitschriftenredaktion der "radikal" mitgearbeitet dort auch einen "eher oberflächlichen Artikel" - wie er heute sagt - geschrieben.

Bei den Treffen mit Albartus, der in Düsseldorf wohnte, aber mehrmals im Jahr nach Berlin kam, habe er nie den Eindruck gewonnen, dass dieser noch in den "RZ" aktiv sei. Insofern sei er schon überrascht gewesen (aber auch geehrt, wie er zugab), als Albartus ihm anbot, in die "RZ" einzusteigen.

Über dieses Angebot habe er dann mit seinem Freund Lothar E. diskutiert - der laut Mousli zeitgleich von einer anderen Person angeworben worden sein soll -, denn es "war klar, wenn man Mitglied wird, dass man sein Leben ändern muss".

Es folgten allgemeine Angaben über die Gespräche mit Lothar E. und die ersten Kontakte mit Rudolf Sch. und Sabine E.. Dabei sei es vor allem um konspiratives Verhalten gegangen. Konkret könne er sich daran erinnern, dass Sabine E. verlangt hätte, dass beide ihre Berufe aufgeben "und sich ganz der Sache widmen" sollten, was sie beide allerdings abgelehnt hätten.

In der weiteren Befragung schilderte der Kronzeuge aus seiner Sicht - so wie die Fragen gestellt wurden, brauchte er das auch hier nur sehr allgemein - die Diskussionen um die so genannte Flüchtlingskampagne der "RZ" Mitte der 80er Jahre und stellte die Umstände der von ihm so bezeichneten Postsparbuchaktion Anfang 1986 dar.

Mutmaßungen und Rollenzuschreibungen

Nach der Pause kam es zu einem Disput zwischen Verteidigung und Gericht, denn der Kronzeuge Mousli nötigte - allein an diesem Tage mit drei verschiedenen Rechtsbeiständen im fliegenden Wechsel ausgestattet, von denen zwei nicht eingearbeitet waren -, den Gefangenen und Rechtsanwälten fast zwei Stunden Unterbrechung auf, damit sich der Rechtsbeistand Mouslis mit diesem beraten konnte.

Die Vorsitzende Richterin, Gisela Hennig, setzte daraufhin ihre Befragung zur ideologischen Ausrichtung der "RZ" in Hinblick auf die Abgrenzung zur RAF fort. Mousli wiederholte, genauso allgemein gefragt wie schon vor der Pause, entsprechend allgemein die Texte, die er zu diesem Zusammenhang gelesen habe; insgesamt sechsmal antwortete er so auf Fragen von Hennig zum Verhältnis von Ideologie und Praxis der "RZ" mit Verweis auf die sechste Ausgabe der Zeitschrift "Revolutionärer Zorn".

Der Bericht erstattende Richter Hanschke setze die Befragung sodann mit Fragen zum Einstieg von Mousli in die "RZ" fort. Gegenstand waren Fragen zu seinem Verhältnis zur Gewalt gegen Personen. Obwohl die "RZ", so Mousli, auch Aktionen gegen Personen in Betracht gezogen und vorbereitet hatte, sei er nicht ausgestiegen, denn diese Perspektive habe sich in der Berliner "RZ" erst nach seinem Einstieg ergeben, und auch da "sei das nicht Anlass genug gewesen, wieder auszusteigen." Mousli betonte in diesem Zusammenhang, er hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, wieder auszusteigen, Druck habe es nicht gegeben.

Befragt nach weiteren Papieren, die gemeinsam gelesen, geschrieben oder diskutiert worden seien, antwortete Mousli erneut sehr allgemein und skizzierte aus seiner Sicht drei Linien, die innerhalb der "RZ" und der "Roten Zora" eine Rolle gespielt hätten: Erstens einen Zugang der Politik der "RZ" über sozialpolitische Themen, zweitens eine anti-imperialistische Linie, die sich vor allem entlang der Auseinandersetzungen in und um Palästina herausgebildet habe sowie, drittens, eine Linie entlang der Auseinandersetzung um Patriarchat und Sexismus. Zur Struktur oder zu gemeinsamen Treffen mit der "Roten Zora", so Mousli, könne er nichts sagen; nur zwei Frauen aus der "Roten Zora" in Berlin habe er gekannt.

Finanzierungsthesen und Charakterstudien

Sodann wurde Mousli zu den Angeklagten und seinem Verhältnis zu Gerd Albartus befragt, den er als "Freund" bezeichnete. Mousli konnte entweder keine genauen Angaben dazu machen, wann er wen kennen gelernt haben will, oder wusste über die Angeklagten viele Dinge nur "vom Hörensagen" oder aus "eigenen Schlussfolgerungen". Da das Gericht nahezu vollständig auf intensives Nachfragen zu Sachverhalten verzichtete, blieb Mouslis vermeintliches Wissen entsprechend unhinterfragt und ungeklärt.

Das galt auch für einen weiteren Sachverhalt, die Finanzierung der "RZ". Mousli ordnete den Angeklagten Rudolf Sch. und Sabine E. die Decknamen 'Jon' und 'Judith' zu und meinte sich zu erinnern, dass diese in der Illegalität gelebt hätten, als er zur "RZ" gestoßen sei. Zur Finanzierung der "RZ" und der Illegalen habe es in Berlin - "wie genau weiss ich nicht" - einen "Koordinierungsausschuss gegeben, aus dem jährlich DM 100.000,- bis DM 150.000,- für die Illegalen in der 'RZ' geflossen" seien; das wisse er "aus Diskussionen".

Befragt nach seinem Wissen um die Biographien der Angeklagten und deren jeweilige Rolle in den "RZ" konnte sich Mousli wiederum nicht genau erinnern, wann er wen wo kennen gelernt habe. Die Aufforderung Hanschkes, die Angeklagten zu beschreiben und ihm auffällige Veränderungen zu benennen, beantwortete Mousli lapidar mit dem Satz "Wir sind alle älter geworden". Hanschke, der wenigstens kurz einmal den Eindruck erweckte, er wolle das vermeintliche Wissen Mouslis prüfen, bezeichnete diese Feststellung Mouslis als "naheliegend, aber ihm zu unpräzise" und versuchte Mousli dazu zu bringen, wenigstens etwas genauer zu seinem Wissen um die Biographien der Angeklagten Stellung zu nehmen.

Auch hier bekannte Mousli, er habe "geschlussfolgert", dass 'Jon' Gründungsmitglied der "RZ" gewesen sei; ob 'Judith' Gründungsmitglied der "RZ" gewesen sei, daran könne er sich "nicht erinnern"; bei Harald G., dem er den Decknamen 'Siggi' zuordnete, habe er ebenfalls "geschlussfolgert", dieser sei schon vor ihm Mitglied in den "RZ" gewesen; zwar habe niemand gesagt, 'Siggi' und 'Anton' (das sei der Deckname für Axel H. gewesen) hätten an der sechsten Ausgabe des "Revolutionären Zorn" mitgeschrieben, doch habe er "die Diskussion so verstanden". Beide will er schon privat als Personen im MehringHof gekannt haben, konnte aber nicht sagen, was diese dort genau getan haben.

Daran anschließend forderte Richter Hanschke Mousli auf, die einzelnen Gruppenmitglieder zu charakterisieren. Alle seien, so Mousli, sehr zuverlässig gewesen, bis auf 'Judith' alle auch eher ruhig; sehr intelligent und belesen seien alle gewesen, 'Siggi' und 'Anton' nannte er "sehr lieb", den in Kanada im Auslieferungsverfahren befindlichen Lothar E. einen "engen Freund". 'Judith' und 'Heiner' (nach seiner Aussage der Angeklagte Matthias B.) seien, "was Aktionen angeht, Hardliner" gewesen und in der Gruppe "sehr dominant".

Bundesanwalt Michael Bruns befragte Mousli erneut zu dessen Einstieg in die "RZ", er hätte gern "eine sehr körperliche Schilderung", weil es ihm zuvor "doch sehr abstrakt geblieben" sei. Mousli wiederholte seine Äußerungen nahezu wortgleich und schilderte Albartus, den er seit 1983 gekannt haben will, als "menschlich angenehm". Dieser sei mehrmals aus Düsseldorf in Berlin gewesen, er habe viel mit ihm diskutiert und ihn "als Freund gesehen". Als Albartus, von dem er annahm, dieser sei nicht mehr in der "RZ" aktiv, ihn in Hinblick auf eine Mitarbeit in den "RZ" ansprach, war er "überrascht", dass dieser noch aktiv sei und habe sich "geehrt" gefühlt. Das Gespräch habe er allein mit Albartus in Berlin geführt; wo, könne er nicht mehr sagen. Er habe dann mit Lothar E. über dieses Zusammentreffen gesprochen, der daraufhin zu erkennen gegeben habe, dass er auch angesprochen worden sei. Er habe sich nochmals allein mit Albartus getroffen, und "dann war es klar".

"Irgendwann Ende 1985" habe dann das erste Gruppentreffen mit Gerd Albartus, Rudolf Sch., Sabine E., Lothar E. und ihm, Tarek Mousli, in einer konspirativen Wohnung am Bethaniendamm in Kreuzberg stattgefunden. Mit diesem Treffen sei klar gewesen, dass sie in der Gruppe dabei sind.

Mouslis Ausstieg aus den "Revolutionären Zellen"

Befragt zu seinem Ausstieg, betonte Mousli, er habe die ersten Überlegungen zu seinem Ausstieg zwischen 1989 und 1990 gehabt. Motive seien seine Diskrepanz zu den Aktionen, das Gehörte über die Ermordung von Gerd Albartus und sein Gefühl gewesen, dass eine "solche Politik so hart" macht. Als Drittes habe sich abgezeichnet, dass er einem schwer verunglückten Freund habe helfen wollen. Seine Zweifel haben, so Mousli, nach der Korbmacher-Aktion begonnen, hätten sich mit dem Tod von Albartus fortgesetzt und hätten sich dann bei einem von ihm als "Waldspaziergang mit wenig selbstkritischen Tönen" bezeichneten Treffen fortgesetzt. Auf diesem "Waldspaziergang" seien die BKA- Razzien vom Dezember 1997 und die Folgen für andere "RZ"-Mitglieder, die hätten abtauchen müssen, besprochen worden. Ein Erklärungsentwurf zu dem Tod von Gerd Albartus sowie je ein Papier zur Patriarchatsdebatte und zur sozialen Frage, die als Neuorientierung für die Politik der "RZ" gedacht waren, seien ebenfalls Gegenstand der Gespräche gewesen. In Hinblick auf den Tod von Albartus sagte Mousli, in der Gruppe "dominierte die Erschütterung" über dessen Tod. Man sei mit offenen Fragen und ohne Beschluss auseinandergegangen. Ein weiterer Diskussionspunkt, an den sich Mousli erst im weiteren Verlauf des heutigen Verfahrens zu erinnern meinte, sei die Aufhebung der inneren Abschottung der beiden in Berlin tätigen "RZ"-Gruppen und deren Zusammenfassung in eine gewesen: "So ist es dann ja auch gekommen, wie mir erzählt wurde."

In seiner Gruppe habe er über das Aussteigen erst nach dem "Waldspaziergang" gesprochen. Dafür sei er von 'Judith' als "bürgerlicher Moralist" beschimpft worden.

Er sei dann im Februar/ März 1990 nach Zypern zu seinem Onkel geflogen und hätte nach seiner Wiederkehr seinen Beschluss mitgeteilt. Er habe aber weiterhin strukturelle Hilfe angeboten, weil er darin "eine politische Verpflichtung gesehen" habe.

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