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141. Prozesstag: 04. September 2003
Reiche Ernte - Aussetzungsantrag abgelehnt
Anscheinend kann es im Berliner RZ-Prozess derzeit nur noch darum
gehen, "in den Genuss revisionsrechtlicher Früchte zu gelangen",
wie es Rechtsanwalt Johnny Eisenberg heute in seiner unnachahmlichen
Art ausdrückte. Dass dem Senat an einer "richtigen" Verhandlung
nicht mehr gelegen ist - trotz gegenteiliger Bekundung -, zeigt
heute nicht nur die Prozessdauer von nicht einmal dreißig Minuten.
Deutlich wurde dies auch an der Nonchalance, mit der der 1. Strafsenat
den Aussetzungsantrag der Verteidigung von Harald G. vom 28. August
ablehnte.
Nachdem eine so genannte Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums
(BMI) über die geschwärzten Passagen der Gesprächsprotokolle zwischen
dem Verfassungsschutz und dem Kronzeugen Tarek Mousli vom Verwaltungsgericht
(VG) als rechtswidrig aufgehoben worden war (vgl. Extra-Meldung
vom 18.8.2003), hatte die Verteidigung beantragt, das Verfahren
bis zur Übermittlung der ungeschwärzten Protokolle auszusetzen.
(vgl. 140. Prozesstag) Der
Senat allerdings konnte keine "maßgeblich veränderte" Sachlage erkennen,
die eine Revision seines Beschlusses vom 4. Juli notwendig machen
würde, in dem er bereits das erste Mal eine Aussetzung in diesem
Zusammenhang abgelehnt hatte.
Als habe man damals nicht das Gegenteil behauptet, tat man heute
so, als hätten am "Ausgang des Hauptverfahrens (vor dem Verwaltungsgericht)
kaum Zweifel" bestehen können. (vgl. 134.
Prozessbericht) Gleichzeitig verwies der Senat darauf, dass
das Urteil noch nicht rechtskräftig sei, und es deshalb weder den
Senat noch andere Behörden binden würde. Zudem sei das BMI sowieso
nur dazu verpflichtet, eine neue Sperrerklärung zu formulieren,
die dann allerdings den vom VG benannten Kriterien entsprechen müsste,
wenn es weiterhin auf eine lediglich zensierte Weitergabe der Gesprächsprotokolle
bestehe. Aber ohnehin habe man mit dem Beschluss vom 4. Juli bereits
eine ausreichende Abwägung zwischen den Belangen "der Wahrheitsermittlung
und der Verfahrensbeschleunigung" vorgenommen, die auch nicht nach
der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu revidieren sei. Gleiches
gelte für die vom Senat unterstellte geringe Beweisbedeutung der
Gesprächsprotokolle. Insofern lehnte der Senat es auch ab, beim
Bundesamt für Verfassungsschutz erneut auf Herausgabe der ungeschwärzten
Protokolle vorstellig zu werden.
Die Angeklagten und die Verteidigung nahmen - Kummer gewohnt? -
die Beschlussverkündung kommentarlos hin. Lediglich die Mikrophonanlage
im Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit hob zu einem minutenwährende
Protestpfeifen an - so könnte man zumindest den Ausfall der Technik
interpretieren, wäre man nicht frei von metaphysischen Anwandlungen.
Die in der Folge abgeschaltete Verstärkeranlage hinderte Rechtsanwalt
Eisenberg ("Bei mir geht's auch ohne Mikrophon bekanntlich!") nicht
daran, einen Brief von Mouslis Zeugenbeistand an das Gericht zum
Thema zu machen. Mit diesem Brief informiert Rechtsanwalt Birkhoff
den Senat, dass sein Mandanten sich jetzt sicher sei, dass alle
Einzahlungen für einen später abgesagten Kinderlehrgang in Oberoderwitz
an die Eltern zurückgezahlt wurden.
Nicht alleine der Inhalt des Schreibens, vor allem die Art und
Weise seines Zustandekommens war Anlass für Rechtsanwalt Eisenberg
zur Frage, "ob der Inhalt der Hauptverhandlung Tarek Mousli oder
seinem Zeugenbeistand von der Bundesanwaltschaft oder den Senat
kommuniziert wird". Der Senat wies dies natürlich weit von sich.
Und auch die BAW gab sich wie die Unschuld vom Land: "Es ist eine
Frechheit, das gefragt zu werden", so Bundesanwalt Wallenta. Der
dann allerdings nicht einmal Manns genug war, zu seiner Aussage
zu stehen, sondern seinen Adlatus mit der Bemerkung vorschickte,
nicht die Frage als solche, der Unterton sei eine Frechheit.
Keine gute Figur machte Wallenta auch bei der anschließenden Stellungnahme
der Bundesanwaltschaft (BAW) zu dem Beweisantrag der Verteidigung
von Harald G. in Sachen Kinderlehrgang Oberoderwitz, mit dem Mousli
eine weitere Falschaussage nachgewiesen werden soll. (vgl. 140.
Prozesstag) Die Stellungnahme war offensichtlich noch in Unkenntnis
des Briefes von Birkhoff verfasst worden. Die Angaben Mouslis in
der Hauptverhandlung seien alle unter "Erinnerungsvorbehalt" gemacht
worden, behauptete Wallenta ahnungslos, also keinen Pfifferling
wert. Außerdem seien "die unter Beweis gestellten Tatsachen für
die Entscheidung ohne Bedeutung". Und selbst wenn sich erweisen
würde, dass Mousli vor Gericht gelogen habe, gab sich die BAW überzeugt:
Der Senat wird daraus nicht den Schluss ziehen, "dass der Zeuge
generell unglaubwürdig ist". So einfach geht das.
Vor dem Hintergrund des sich aus dem Schreiben von Mouslis Zeugenbeistands
neu ergebenden Sachverhalts, tauchte die Frage auf, ob das Gericht
eine erneute Zeugenladung Mouslis vorsehe. "Bisher nicht", so die
knappe Antwort der Vorsitzenden Richterin. Und trotz ihrer Ankündigung,
man werde über Beweisanträge noch am selben Tag entscheiden, gab
sie trotz einwöchiger Verspätung bekannt, dass heute kein Beschluss
über den Antrag vom 28. August gefällt werde. "Wir haben zwar einen
gefertigt, wollen ihn aber noch einmal überdenken", bekannte die
Vorsitzende Richterin. Ob dadurch der Genuss weiterer revisionsrechtlicher
Früchte verhindert werden sollte, wird sich also erst an den nächsten
Verhandlungstagen zeigen.
Auch wenn die BAW erneut gezeigt hat, dass für sie die Glaubwürdigkeit
des Kronzeugen nur von untergeordneter Bedeutung ist, lässt die
Verteidigung an diesem Punkt nicht locker. Dieses Mal war es Rechtsanwalt
Dr. König der im Namen seines Kollegen Euler mit einem Beweisantrag
am Ball bleib. Gefordert wurde die Ladung und Befragung des Richters
am Kammergericht Scharf gefordert, der bestätigen wird, dass Mousli
in seinem Prozess im Dezember 2000 ausgesagt hat, er habe während
seines Studiums in Kiel von Gelegenheitsarbeiten und einem Erbe
von 10.000 bis 15.000 DM gelebt. Drei Jahre später, im August 2003,
stellt sich die Sache allerdings anders dar: So hat die Zeugin H.
am 7. August ausgesagt, Mousli habe in dieser Zeit ein Erbe von
rund 100.000 DM angetreten. Mit dieser Aussage konfrontiert, hatte
Mousli in der Hauptverhandlung am 15. August diese bis dahin nicht
erwähnte Erbschaft bestätigt und sogar von "etwas mehr als 100.000
Mark" gesprochen. Laut Mouslis Mutter in einer Vernehmung vom 10.8.1999
hat das Erbe rund 180.000 Mark betragen - also "tatsächlich etwas
mehr", wie es Euler charmant formulierte. Die Verteidigung will
mit diesem Antrag beweisen, wie taktisch und auf den eigenen Vorteil
bedacht der Kronzeuge mit der Wahrheit umgeht, wie er es "mit der
Wahrheit nicht nur nicht genau nimmt, sondern 'seine' Wahrheit"
den Umständen entsprechende "variiert".
Ob die Verteidigung mit diesem Beweisgegenstand beim Senat Erfolg
hat, oder ob es wieder nur reicht, um die Genusssucht in Sachen
Revision zu befriedigen, blieb heute offen - und auch morgen ist
keine Antwort auf diese Frage zu erwarten. Die Hauptverhandlung
am Freitag wurde aufgehoben. Weiter geht's am 11. September um 9.15
Uhr. Ein ausführlicher Bericht entfällt.
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