Vorbemerkung Kapitel XV
Der Anschlag auf die Düsseldorfer Staatskanzlei und das Sozialministerium
in Düsseldorf zur Unterstützung der Roma und Sinti im
Januar 1991 ist die letzte bekanntgewordene Aktion der Revolutionären
Zellen in ihrer Kampagne gegen die staatliche Flüchtlingspolitik.
Auch die Rote Zora hat nach der Aktion gegen das Biotechnische
Institut an der Technischen Universität Berlin im Februar
1988 ihre Praxis offensichtlich eingestellt.
Anfang 1991 waren die Erklärungen zu einem Brandanschlag auf
das Berliner Reichstagsgebäude
und einem Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule
in Berlin mit dem Namen RZ gezeichnet, beide werden von einer "Gruppe
aus dem Traditionszusammenhang der Revolutionären Zellen"
in dem Text "This is not
a love song" als ungenau und militaristisch kritisiert.
Für den in diesem Text ebenfalls kritisierten Anschlag auf
den Berliner Bausenator Klein hatte sich eine anonyme Gruppe verantwortlich
erklärt. Bis heute ist jedoch unklar, wer dafür verantwortlich
ist, und es wird bezweifelt, ob die Urheber überhaupt aus der
Linken kommen.
Im Juli 1991 erklärt sich eine Revolutionäre Zelle für
Anschläge gegen die Tengelmann/
Kaiser- Kette verantwortlich, da diese auf dem Gelände
des ehemaligen KZ Ravensbrück einen Supermarkt errichten wollen.
Die wichtigsten politischen Ereignisse der letzten Jahre sollen
im folgenden kurz umrissen werden, um den Hintergrund dieser Aktionen
zu beleuchten:
Die Veränderungen im ehemaligen "Ostblock"
Nach
seiner Wahl zum Generalsekretär der KPdSU im Jahr 1985 setzte
Michail Gorbatschow politische und wirtschaftliche Reformen in der
Sowjetunion und eine weitgehende Öffnung gegenüber dem
Westen durch. Ein ökonomischer und politischer Zusammenbruch
der Sowjetunion war jedoch nicht mehr aufzuhalten. In einigen Republiken
brachen bewaffnete Konflikte zwischen unterschiedlichen ethnischen
Gruppen auf, andere, wie die drei baltischen Republiken erklärten
sich zunächst wirtschaftlich, dann auch politisch unabhängig,
um ihre wirtschaftlichen Vorteile in der Konkurrenz um eine Zusammenarbeit
mit den westlichen Regierungen und Unternehmen zu wahren.
Im Dezember 1991 schlossen sich 10 ehemalige Sowjetrepubliken in
der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zusammen. Die Sowjetunion
existiert nicht mehr. Gorbatschow wurde von dem ehemaligen Moskauer
Parteivorsitzenden Jelzin abgelöst.
Auch in den anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks fand ein Machtwechsel
statt: am 12. September 1989 wurde in Polen die erste nicht kommunistische
Regierung seit Kriegsende gewählt, im Dezember 1989 folgte
der Sturz Ceaucescus in Rumänien. Ähnliches ereignete
sich in der Tschechoslowakei und in Albanien. Begleitet wurde diese
Auflösung des osteuropäischen Gefüges von Nationalitätenkonflikten.
Die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in den Vielvölkerstaaten
Jugoslawien oder CSFR streben - mit politischen und militärischen
Mitteln - nach Autonomie.
Zusammenbruch der DDR und deutsche Wiedervereinigung
Im Jahr 1989 wanderten tausende von DDR- Bürgern in die Bundesrepublik
Deutschland ab. Als Ungarn im September 89 die "grüne
Grenze" zur BRD öffnete, reisten sie über Ungarn
und die Tschechoslowakei ein. Gleichzeitig demonstrierten in der
DDR Tausende für politische Veränderungen in der DDR,
ermutigt durch die "Perestroika" in der Sowjetunion. Der
Protest griff wie ein Lauffeuer um sich. So schwoll die "Montagsdemonstration"
in Leipzig innerhalb von zwei Wochen von 8.000 auf 70.000 Teilnehmer.
Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) signalisierte
daraufhin Gesprächsbereitschaft, der Staatsratsvorsitzende
Honnecker wurde von Egon Krenz abgelöst. Doch für Reformen
war es zu spät. Auf Druck der Bevölkerung wurden am 9.
November 1989 die Grenzen zur BRD geöffnet, im Dezember 89
traten das Politbüro und das ZK der SED zurück, wenige
Tage später löste sich die SED auf. Für März
1990 wurden Neuwahlen angesetzt, aus denen die konservativen Parteien
(CDU und die "Allianz für Deutschland") gemeinsam
mit den Liberalen als Sieger hervorgingen.
Am 2. Juli 1990 traten die Währungsunion und der Staatsvertrag
in Kraft, am 3.Oktober 1990 war die Wiedervereinigung Deutschlands
vollzogen.
Kurze Zeit später entschied sich die Bundesregierung für
Berlin als Bundeshauptstadt.
Die politischen Felder der westdeutschen Linken
Ein
Schwerpunkt der politischen Arbeit der westdeutschen Linken im Jahr
1988 war der Widerstand gegen die Tagung des Internationalen Währungsfonds
(IWF) im September 88 in Berlin.
Wenig später - im November 1988 - initiierte die "Initiative
zum Erhalt der Hafenstraße" aus Hamburg eine Kampagne
zur Zusammenlegung der politischen Gefangenen. Im Februar 1989 traten
die Gefangenen aus RAF und Widerstand in den 10. Hungerstreik, der
von unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Gruppen
unterstützt wurde. Nach Beendigung des Hungerstreiks, ohne
daß die gesetzten Ziele erreicht wurden, zerfiel dieses breite
Bündnis.
Auf die Auflösung der DDR und die deutsche Wiedervereinigung
reagierte die deutsche Linke ziemlich hilflos. Unter dem Motto "Nie
wieder Deutschland" fand eine Großdemonstration in Frankfurt
statt. Durch diese Aktion, sowie die politischen Diskussionen der
"radikalen Linken", entstand jedoch kein weitergehender
politischer Handlungsrahmen.
Je mehr sich neonazistische Überfälle im Zuge eines neu
aufkommenden nationalistischen Bewußtseins im Osten wie im
Westen häuften, gründeten sich Antifa- Gruppen, um sich
gegen Angriffe auf linke Treffpunkte, Zentren und auch Flüchtlingsheime
zu wehren.
Gleichzeitig versuchten Linke in Berlin einer Zerstörung ihrer
Kiez- Strukturen Widerstand entgegenzusetzen. Bereits seit mehreren
Jahren gab es Aktionen gegen die "Yuppisierung" typischer
Szene- Stadtteile. Mit der Entscheidung der Bundesregierung für
Berlin als Bundeshauptstadt verschärfte sich die Situation
in Berlin, vor allem in Kreuzberg, das nun im Zentrum des wiedervereinigten
Berlin liegt.
Die Rechtsextremisten in Europa
In
mehreren europäischen Ländern konnten rechtsexstremistische
Parteien ab Mitte der 80er Jahre hohe Stimmengewinne für sich
verbuchen. In Frankreich kam die Front National unter Le Pen auf
14,4% der Stimmen, ein ähnliches Bild ergibt sich in Italien.
Die 1983 unter Leitung von Schönhuber gegründeten Republikaner
(REPs) erhielten 1985 in Bayern 3%, in den Folgejahren blieben sie
bei Landtagswahlen allerdings unter 1,5%. Ab Januar 1989 konnten
sie mit Ausländerstopp- Parolen wieder Stimmen gewinnen, in
Berlin kamen sie auf 7,5%, bei Komunalwahlen in Hessen erhielten
7 bis 10,5%.
Die nationalistische und rassistische Ideologie, die in unterschiedlicher
Form - mal mehr, mal weniger offensichtlich - von allen Parteien
verbreitet wird, trägt nun Früchte. Zur gleichen Zeit
beginnen rassistische Überfälle auf Flüchtlinge.
Die neue Weltordnung und der Golfkrieg
Am 20. August 1988 beendete ein Waffenstillstand den seit 1980
dauernden Krieg zwischen dem Iran und dem Irak. Die Aufrüstung
beider Länder vor allem durch die Sowjetunion, Frankreich,
die USA und die BRD wurde allerdings fortgesetzt. So wurde bekannt,
daß bei den Angriffen der irakischen Armee auf die kurdische
Bevölkerung in Halabja Giftgas aus deutscher Produktion eingesetzt
wurde.
Im Juli 1990 warf Saddam Hussein Kuwait Öldiebstahl, Grenzverletzungen
und Überschreitung der vereinbarten Öl- Fördermengen
vor. In einem Gespräch mit Saddam Hussein, in dem dieser offensichtlich
die Haltung der USA erkunden wollte, erklärte die US- Botschafterin
im Irak, die USA hätten zu diesem irakisch- kuwaitischen Streit
"keine Meinung". Am 2. August 1990 besetzten irakische
Truppen Kuwait. Im UN- Sicherheitsrat wurde die Annexion für
"null und nichtig" erklärt und ein Embargo über
den Irak verhängt. Die USA begannen mit der Verlegung von Truppen
und militärischem Material nach Saudi- Arabien. Die anderen
NATO- Staaten, aber auch Staaten der arabischen Liga sagten ihre
militärische und finanzielle Unterstützung für multinationale
Truppen zu.
In arabischen Nachbarländern - vor allem in den von Israel
besetzten Gebieten - kam es zu pro- irakischen Demonstrationen aus
der Bevölkerung, als Hussein zum "heiligen Krieg"
gegen die westlichen Alliierten aufrief und mit der Forderung nach
einer "globalen Lösung aller Besatzungsprobleme in der
Region" die Besetzung Kuwaits mit dem Palästina- Problem
verknüpfte.
Als
der Aufmarsch der multinationalen Truppen am Golf abgeschlossen
war, setzte der UN- Sicherheitsrat am 29. November 1990 dem Irak
ein letztes Ultimatum, bis zum 15. Januar 1991 Kuwait zu räumen.
Nach erfolglosem Ablauf dieses Ultimatums würden "alle
notwendigen Mittel" angewandt.
In der Nacht zum 17. Januar 1991 beginnen die multinationalen Truppen
unter Führung der USA mit schweren Bombenangriffen auf irakisches
und kuwaitisches Gebiet. In den Medien wurde das Bild eines hochtechnisierten,
"sauberen" Krieges vermittelt, bei dem die Bombenangriffe
von den US- Truppen so exakt gezielt würden, daß militärische
Objekte im Irak zerstört werden, ohne daß die Zivilbevölkerung
getroffen werde.
Am 27. Februar nahmen die Truppen der Aliierten die Stadt Kuwait
ein, daraufhin nahm die irakische Regierung am Abend des gleichen
Tages alle UN- Resolutionen bedingungslos an.
Auf einer Pressekonferenz am 1. März 1991 bezeichnete US-
Präsident Bush das Ergebnis dieses Krieges, der zu hunderttausenden
- irakischen und kuwaitischen - Toten führte, als einen "Sieg
der Menschheit" und der "neuen Weltordnung".
In den westeuropäischen Ländern und den USA gingen im
Januar 1991 Tausende von Menschen gegen den Golf- Krieg auf die
Straßen. Nach dem Beginn des amerikanischen Bombardements
kam es am 18. Januar 1991 in arabischen Ländern, vor allem
im Maghreb, zu Massendemonstrationen für den Irak, in Europa
gab es Arbeitsniederlegungen, Blockaden von Brücken und Militäreinrichtungen,
Mahnwachen, Friedensgebete und Demonstrationen, die bis zum Ende
des Krieges nicht abbrachen.
Abschottung Europas
Am 26. April 1990 wurde eine Neufassung des Ausländergesetzes
im Bundestag verabschiedet, das es der Bundesregierung erleichtert,
die Zahl der in der BRD lebenden AusländerInnen entsprechend
den innenpolitischen Zielen zu steuern.
Am 19. Juni 1990 wurde von Frankreich, Belgien, Luxemburg, den
Niederlanden und der BRD das sog. Schengener Abkommen unterzeichnet,
in dem sich diese EG- Staaten auf eine einheitliche Sicherheits-
und Asylpolitik verpflichten. Asylsuchende und Flüchtlinge
sollen bereits an den Außengrenzen der Vertragspartner aufgehalten
werden. Die Entscheidung eines Mitgliedsstaates über den Asylantrag
oder den Aufenthalt eines Ausländers ist für die anderen
Mitgliedländer bindend. In den meisten Vertragsstaaten führte
diese "Angleichung" der unterschiedlichen Gesetzgebungen
zu einer Verschärfung des bisher geltenden Rechts.
Propadandistisch begleitet wurden diese Gesetzesänderungen
von "Warnungen" der Politiker der im Bundestag vertretenen
Parteien, das Boot sei voll, die BRD könne eine größere
Anzahl von Flüchtlingen - von denen unter Hinweis auf die Anerkennungsquoten
die meisten als "Wirtschaftsflüchtlinge" diffamiert
werden - nicht mehr verkraften, vor allem einem zu befürchtenden
Zustrom aus Osteuropa müsse vorgebeugt werden.
Angriffe gegen Flüchtlinge
Diese Propaganda zeigte bald ihre Wirkung. Rassistische Überfälle
auf Flüchtlinge, Brandsätze in Flüchtlingswohnheime
nahmen in erschreckendem Tempo zu. Waren es 1990 "noch"
246 offiziell registrierte Angriffe, sind es im Verlauf des Jahres
1991 bereits 1.823.
Die tagelange "Schlacht" um ein Flüchtlingswohnheim
in Hoyerswerda im Herbst 1991, bei dem sich die angreifenden Faschisten
der Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung sicher
waren, wiederholten sich in den folgenden Monaten in mehreren Städten
der ehemaligen DDR. Diese Übergriffe in den neuen Bundesländern
fanden in breitester Öffentlichkeit und unter großer
Akzeptanz durch die Anwohner statt. Die Zahl der einzelnen Brandanschläge
und Angriffe auf Personen in den alten Bundesländern ist jedoch
wesentlich höher.
Rückendeckung geben die öffentlichen Erklärungen
von Politikern, die um Verständnis für die Ängste
und sozialen Probleme der Angreifer werben und im Ergebnis die Opfer
aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit zu den eigentlichen Tätern
machen.
Die Anmerkungen zu diesem
Kapitel befinden sich im Buch auf Seite 750 f.
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