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Aktion gegen die Staatskanzlei und das Ministerium für Arbeit
und Soziales, Düsseldorf
(Januar 91)
Rassistische und sexistische Angriffe gegen Roma in Osteuropa
Die
Unterdrückung der Roma in den osteuropäischen Staaten
hat eine lange Geschichte. Sie wurde in den 45 Jahren des "Realen
Sozialismus" keineswegs aufgeknackt. Im Gegenteil, rassistische
und sexistische Politik von oben sorgten zum einen dafür, daß
die Roma auch weiterhin diejenigen waren, denen es wirtschaftlich
am schlechtesten ging, zum anderen trug sie sicher nicht dazu bei,
dieses Gedankengut in den Köpfen der Menschen zu verändern.
Durch die Entwicklung der letzten Jahre, der immer stärkeren
kapitalistischen Durchdringung dieser Staaten, spitzte sich für
die Roma die Situation noch mehr zu. Sie trifft die wirtschaftliche
Lage am härtesten. In ganz Jugoslawien, z.B. besonders im Kosovo,
droht den Roma die wirtschaftliche Existenzvernichtung, die Lebenshaltungskosten
haben sich dort innerhalb eines Jahres versiebenfacht, während
der Reallohn nur um 6% stieg, die Preissteigerung z.B. bei Brot
ist 655%, bei Zucker 1608%. Die Arbeitslosenqote unter den Roma
liegt bei ca. 90% (Statistiken gibt es nicht), Krankenversicherungen
sind für die Familien unerschwinglich. In Schultka, jenem Ghetto
bei Skopje, in das die nordrhein- westfälische Landesregierung
1.400 Roma "auf freiwilliger Basis reintegrieren" will,
leben 40.000 bis 50.000 Roma - oft ganze Familien - in "Hütten"
aus Lehm und Blech, ohne Wasser, Strom, Heizung und Kanalisation.
Doch wenn wir von Migrationsbewegungen reden, "mit denen die
neu entstehende osteuropäische Armutsbevölkerung, ihrer
Lebensgrundlage beraubt, nach Überlebensmöglichkeiten
in Westeuropa sucht", dann stellt dies im Zusammenhang mit
den Roma nur einen Teil der Gründe dar, die sie dazu zwingt,
hierher zu kommen. Zunehmend sind sie in ihren Herkunftsländern
mit sowohl staatlich betriebenem oder geduldetem Rassismus wie auch
mit Pogromen von Seiten nationalistisch gesinnter Teile der Bevölkerung
konfrontiert - und die Roma- Frauen mit permantenten brutalen sexistischen
Angriffen.
"Ich war gerade draußen, um Wasser zuholen, und als
ich zurückkam, sah ich, wie meine beiden Töchter von den
Polizisten vergewaltigt wurden. Wir haben es wieder den Behörden
gemeldet. Sie sagten: Ach, ihr Zigeuner, immer das gleiche mit euch.
Meine Kinder, die noch in Jugoslawien sind, und ich telefonieren
oft zusammen. Sie flehen mich an, auch nach Deutschland kommen zu
dürfen. Sie sagen mir jedesmal, daß die Lage in Jugoslawien
noch viel schlimmer geworden ist. Meine Tochter hat mir am Telefon
gesagt: ganz egal, welcher Mazedone oder Polizist vorbeikommt, ich
muß mit ihm schlafen ..."
(Aus einem Gesprächsprotokoll der Roma- Union mit einer Frau
aus Skopje, Mazedonien.)
Von solchen Angriffen berichten fast alle Roma- Frauen, die aus
Jugoslawien kommen. Welchen, die schon einmal hier in der BRD waren,
einen Asylantrag stellten und dann wieder abgeschoben wurden, droht
der Tod. Sie werden direkt am Ankunftsflughafen von den Bullen abgeholt
und in den Knast gesteckt. Von einigen ist seither nichts mehr bekannt,
sie haben sich seit ihrer Abschiebung nicht mehr gemeldet ...
In Bulgarien wurden 1954 knapp 200 Kulturvereinigungen einer antifaschistischen
Romaorganisation geschlossen, zahlreiche Roma wurden als "soziale
Parasiten" in Lager eingewiesen und umgebracht. In den letzten
Jahren wurden viele Romadörfer zerstört, die BewohnerInnen
getrennt und in Wohnblocks untergebracht. Als 1989 die bulgarischen
TürkInnen in die Türkei vertrieben wurden, befanden sich
unter ihnen zahlreiche Roma. Sie wurden von den türkischen
Behörden sofort wieder zurückgeschickt.
In der Tschechoslowakei wurden tausende Roma- Frauen zwangssterilisiert.
Oft direkt nach einer Geburt, ohne ihr Wissen, schon gar nicht mit
ihrem Einverständnis wurden sie in den örtlichen Krankenhäusern
sterilisiert.
Unabhängig davon wurden viele durch die Ausnutzung ihrer Situation,
dem wirtschaftlichen Überlebensdruck, zur Sterilisation gebracht.
Seit 1966 existiert in der CSFR ein Gesetz, das Frauen die Sterilisation
möglich macht. Sie müssen zum Zeitpunkt der Operation
mindestens 35 Jahre alt sein und schon 3 Kinder zur Welt gebracht
haben ... Dieses Gesetz wurde 1986 modifiziert. Seither können
sich Frauen ab 18 Jahren sterilisieren lassen und bekommen dafür
bis zum 25.000 Kronen (ungefähr das zehnfache eines guten Monatsgehaltes).
Roma- Frauen erhalten mehr Geld als Nicht- Roma. Und je jünger
die Frauen, je weniger Kinder sie bereits haben (plötzlich
interessieren die 3 Kinder niemanden mehr), umso höher ist
die Geldsumme, die sie erhalten. Diese direkten oder indirekten
Zwangssterilisationen sind nichts anderes als rassistische Bevökerungspolitik
mit dem Ziel, die Roma langfristig auszurotten.
In Rumänien agiert die faschistische Organisation "Vatra
Romaneasca" mit stillschweigender Unterstützung der neuen
Regierung offen gegen die Roma. Sie rief schon zum "blutigen
Kampf gegen die Zigeuner" auf. Auch in Ceausescus [39]
Zeiten waren sie in Rumänien massiver Repression ausgesetzt.
Zugunsten "agro- industrieller Zentren" wurden u.a. auch
Roma aus ihren Häusern gezwungen, die Häuser zerstört
und die Familien "umgesetzt" oder ihrem Schicksal überlassen.
Die Behörden Ceausescus führten jahrelang Übergriffe
gegen Roma aus und verschleppten sie zur Zwangsarbeit ins Donaudelta,
wo sie - wie Angehörige anderer Nationalitäten - starben.
Dies waren nur einzelne Beispiele, die verdeutlichen sollen, wie
die Roma in ihren Herkunftsländern mit rassistisch/sexistischer
Unterdrückung konfrontiert sind. In der Hoffnung, diesen Angriffen
zu entgehen, kommen sie nach Deutschland, in ein Land, in dem vor
fünfzig Jahren ungefähr eine halbe Million ihrer Eltern
und Großeltern von den Nazis ermordet wurden. Um geplanten
Abschiebungen zu widerstehen, haben in Hamburg vor 2 Jahren Romafamilien
ein ehemaliges KZ, die Stätte dieser Vernichtung besetzt. Und
heute entscheiden saubere deutsche Beamte über die "Zumutbarkeit
einer Rückführung", entscheiden deutsche Männer
darüber, ob sich Roma- Frauen von Männern in ihren Herkunftsländern
bedroht fühlen oder nicht. Sorgen wir dafür, daß
diese Schreibtischtäter ihre Drecksarbeit nicht ungestört
durchziehen können und vor allem dafür, daß Abschiebungen
verhindert werden.
Vor nahezu einem Jahr haben Roma mit einem Bettelmarsch von über
tausend Menschen zu Fuß durch NRW gegen ihre rassistische
Unterdrückung und Verfolgung protestiert. Diese wochenlange
Demonstration sollte ihrer Forderung nach einem Bleiberecht Nachdruck
verleihen. Ende Januar 90 brachen die Roma den Marsch ab, nachdem
ihnen die Regierung Rau zugesichert hatte, daß alle bleiben
könnten, die in einem neuen Aufenthaltsverfahren ihre de- facto-
Staatenlosigkeit glaubhaft machen können. Obwohl diese Vereinbarung
bereits an selektive Kriterien und Bedingungen (u.a. Integrationsbereitschaft,
längerer Aufenthalt) gebunden war, schien sie doch den Roma
ein Bleiberecht zu sichern.
Mit dem Kabinettsbeschluß vom 4.12.90 hat die Regierung Rau
[40] die Vereinbarung
endgültig gekippt und jede Hoffnung auf ein Bleiberecht, zumindest
für einen Teil der hierher geflüchteten Roma, zunichte
gemacht. Der Skandal eines als "neue Flüchtlingspolitik"
etikettierten Deportationsprogramms ist nicht der "Wortbruch"
eines Ministers. Die jetzt unmittelbar bevorstehende Abschiebung
der Roma, die am Bettelmarsch teilgenommen haben, ist nur ein Teil
eines umfassenden Programms, das darauf aus ist, NRW (und später
auch die gesamte BRD) "zigeunerfrei" zu machen. Das Abschiebeprogramm,
dem nach Ablauf der Asylverfahren nach und nach alle 5.000 Roma
aus NRW unterworfen werden sollen, wird flankiert von einer sozialpolitischen
Offensive, mit der die Roma rausgeekelt werden sollen.
Die "neue Flüchtlingspolitik" der SPD- Landesregierung
ist die administrative Umsetzung und Verallgemeinerung einer gezielt
rassistischen Politik im letzten Jahr, die die nationalistische
Stimmung in Großdeutschland gegen die aus Osteuropa geflohenen
Roma bündelt und sozialpolitisch mit Ausgrenzung und Druck
gegen sie durchsetzt.
Im Sommer waren es die Sozialverwaltungen der Städte, die
aktiv als "kämpfende Verwaltung" das Instrumentarium
zur Vertreibung der Roma erprobten. Streichungen von Sozialhilfe,
Zelt- und Containerlager, Naturalienzuweisung waren die Mittel,
mit denen die "Zigeunerfrage" sozialtechnisch inszeniert
wurde und den Boden bereitete, mit der verhetzte Bürger und
bezahlte Schlägertrupps gegen die Roma mobilisiert wurden.
In diesen Wochen und Monaten zeigte das sich wiedervereinigte Deutschland
seine rassistische Fratze.
Was zunächst als Einzelmaßnahme exekutiert wurde, faßte
das Ministerium für Arbeit- , Gesundheit- und Sozialordnung
(MAGS) und die Staatskanzlei auf Betreiben der flüchtlingsfeindlichen
Forderungen kommunaler Verwaltungsspitzen in einem Katalog repressiver
Sozialmaßnahmen zusammen, mit denen das Leben der Roma und
der Flüchtligen insgesamt unerträglich gemacht wird. Beide
Institutionen fungieren in diesem Prozeß als die Planungszentren
einer endgültigen Bereinigung der "Zigeunerfrage"
in NRW. Sie bestimmen und geben die Systematik vor, mit der die
Sozialverwaltungen und Ausländerbehörden den politischen
Druck umsetzen, um die Vertreibung der Roma durchzusetzen.
Während das MAGS die Speerspitze der sozialpolitischen Abschreckung
darstellt, wurde im Kabinett und in der Staatskanzlei das "Rückführungsprojekt"
nach Jugoslawien ausgeheckt. Wieder einmal tut sich die SPD mit
einer verschärften Abschottungspolitik hervor und übernimmt
die Vorreiterrolle. Erinnert sei hier an die sozialdemokratischen
Bemühungen von 1987, das "Berliner Loch" durch einen
Kreditvertrag mit der DDR zu stopfen. Und auch diesmal ist es als
Kernpunkt wieder ein Kreditvertrag, heute mit der jugoslawischen
Regierung, der Massendeportation von mehreren tausend Roma nach
Skopje möglich machen soll. Zwar wird das "Reintegrationsprogramm"
mit Millionenbeträgen flankiert, die jedoch in einem ökonomischen
Nutzenkalkül mit den hier entstehenden Kosten aufgerechnet
werden und die darüber hinwegtäuschen sollen, daß
die Roma gegen ihren Willen in die gleiche Not- und Verfolgungssituation
zurückgebracht werden, aus der sie geflohen sind. Es bedeutet
einen grenzenlosen Zynismus, die Roma in ein Land zu schicken, das
sich in einem unübersehbaren Auflösungsprozeß befindet
und in dem die Verfolgung von ethnischen Minderheiten sich in rassistischen
Pogromen und staatlich betriebenen oder geduldeten Zwangsmaßnahmen
entlädt.
Als Kern des "Rückführungsprogramms" bleibt
der brutale Wille, sich der Flüchtlinge, die vor Armut und
Verfolgung geflohen sind, zu entledigen und die Verarmungsprozesse
in Osteuropa hier in den reichen Metropolen unsichtbar zu machen.
Der Staat weiß sich mit einem Großteil der Metropolenbevölkerung
in Übereinstimmung, den Wohlstand - zusammengeraubt durch die
Ausbeutung überall in der Welt - gegen die heranrückenden
Armen zu sichern.
Das sich neu formierende Westeuropa hat in den letzten Jahren das
Abschottungsinstrumentarium entwickelt und vervollkommnet, um sich
von den Flüchtlingsbewegungen aus dem Trikont in die imperialistischen
Metropolen abzukoppeln. Durch die Zerrüttung der osteuropäischen
Ökonomien, denen der imperialistische Zugriff und die Einführung
der kapitalistischen Marktökonomie den Todesstoß versetzt
hat, wird Westeuropa mit einer neu entstehenden Armutsbevölkerung
konfrontiert. Die politischen Planungstrategen der westeuropäischen
Metropolen arbeiten fieberhaft an Konzepten, die Verarmungsprozesse
im Zuge der imperialistischen Durchdringung Osteuropas nicht in
den Metropolen sichtbar werden zu lassen. Zwei Strategien lassen
sich heute ausmachen:
Die
Grenzen zwischen Arm und Reich werden dichtgemacht. So wie italienisches
Militär die Masseneinwanderung aus Nordafrika verhindern soll,
läßt die österreichische Regierung die Grenzen zu
Osteuropa militärisch sichern, sperren die CSFR und Polen ihre
Grenzen nach Osten, nachdem sie sie dem Westen geöffnet haben.
Gleichzeitig dient die Stabilisierung der ost- und südosteuropäischen
Reformstaaten im Zuge einer neu konzipierten europäischen Großraumpolitik
sowohl der hierarchischen und selektiven Zurichtung, Vernutzung
und Ausbeutung als auch der Schaffung eines politischen und ökonomischen
Schutzwalls gegen die unkontrollierte Migrationsbewegung, mit der
die neu entstehende osteuropäische Armutsbevölkerung,
ihrer Lebensgrundlage beraubt, nach Überlebensmöglichkeiten
in Westeuropa sucht.
Dabei stehen die Roma als der absolut unverwertbare "Bettel
der Straße" im Zentrum der Angriffe, zumal sie ihr Lebensrecht
hier nicht als Bittsteller vortragen, sondern offensiv einklagen
und einfordern. Gleichzeitig ist es ihr mittlerweile über zehnjähriger
zäher Kampf, der die Herrschenden mit einer sich formierenden
Flüchtlingsgruppe konfrontiert. In vielen provokativen Aktionen
und politischer Praxis haben die Roma an Kampferfahrung gewonnen,
der Bedeutung und Gewicht für alle Flüchtlinge in der
BRD zukommt, und gerade dies ist es, was die Herrschenden nun zur
raschen und endgültigen Zerschlagung des Romawiderstands treibt.
Schon jetzt haben hunderte von Roma- Familien aufgrund der sozialpolitischen
Angriffe das Land verlassen, teils haben sie sich "freiwillig"
abschieben lassen oder sind untergetaucht. Inzwischen hat sich das
Ausmaß der rassistischen Verfolgung und Drangsalierung der
Roma in NRW derart zugespitzt, daß in den kommenden Wochen
mit dem Beginn von Massenabschiebungen gerechnet werden muß.
Der Widerstand gegen diese Maßnahmen formiert sich.
Wir haben heute am Sitz der Düsseldorfer Staatskanzlei und
des Arbeits- und Sozialministeriums einen Sprengsatz gezündet.
Wir begreifen diese Aktion gegen die politische Schaltzentrale der
Vertreibungspolitik gegen die Roma als Unterstützung eines
Kampfes gegen die anstehenden Massendeportationen. Wir verstehen
diese Aktion als einen Beitrag, die Verantwortlichen zu treffen
und als Aufforderung, auf allen Ebenen Druck zu schaffen und praktische
Widerstandsformen zu entwickeln, die das Vertreibungsprogramm blockieren
und verunmöglichen. Die Massendeportationen müssen verhindert
werden.
Wir haben in den letzten Jahren gelernt, daß der Rassismus
eine wesentliche Säule imperialistischer Herrschaft ist.
Eine Linke, die ihre gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit durchbrechen
will, muß in einer umfassenden antirassistischen Mobilisierung
den Widerstand von Flüchtlingen und ImmigrantInnen aufgreifen
und unterstützen. Nur so ist es möglich, einen politischen
Gegenpol gegen die Politik der Herrschenden zu bilden, die sich
endgültig von der blutigen Geschichte Deutschlands abkoppeln.
Die Verankerung antirassistischer Initiativen ist eine Voraussetzung
für eine Widerstandsperspektive gegen das imperialistische
Großdeutschland.
In Gefahr und größer Not bringt der Mittelweg den Tod!!!
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