D. Rechtliche Würdigung
1) Die Angeklagten haben sich der gemeinschaftlichen Bildung
einer terroristischen Vereinigung in der Beteiligungsform der Mitgliedschaft
schuldig gemacht (§§ l29, 129a Abs. 1 Nr. 3 (a.F.), 25
Abs. 2 StGB). Sie gehörten den Berliner Revolutionären
Zellen an, bei denen es sich um einen auf gewisse Dauer angelegten
organisatorischen Zusammenschluß von mehr als drei Personen
handelte, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den
Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgten und unter sich
derart in Beziehung standen, daß sie sich untereinander als
Verband fühlten. Sie hatten sich zu dem Zweck zusammengeschlossen,
unter anderem Sprengstoffanschläge auf öffentliche Einrichtungen
zu begehen. Mithin war die Vereinigung auch auf die Begehung von
Taten nach § 311 StGB (a.F.) gerichtet.
Bei den Berliner RZ handelte es sich nicht um zwei Organisationen,
sondern um eine Vereinigung, die aus zwei nicht selbständigen
Gruppen bestand, deren Mitglieder nur aus Gründen der Sicherheit
zur Erschwerung der Strafverfolgung in kleine Einheiten getrennt
wurden. Denn Planung, Vorbereitung und Ausübung der Taten geschahen
gemeinsam, wobei die Angeklagten Sch. und E. sowie der Angeklagte
B. zum Zwecke der Abstimmung gemeinsamen Handelns miteinander Verbindung
hielten. Soweit Angeklagte an der unmittelbaren Tatausführung
der Anschläge auf Hollenberg und Dr. Korbmacher und der Angeklagte
G. durch seine Inhaftierung zur Zeit des Anschlages auf die ZSA
nicht unmittelbar beteiligt waren, müssen sie sich das Vorgehen
der anderen zurechnen lassen. Durch das Ausscheiden des Zeugen Mousli
und später der Angeklagten Sch. und E. und den Übertritt
des Angeklagten G. und des Lothar E. zu der Gruppe des Angeklagten
B. entstand keine neue Vereinigung, vielmehr setzten sie ihr Tun
mit lediglich geringerer Besetzung fort.
a) Die Angeklagten gehörten seit mindestens Ende 1985 der
Vereinigung an.
Der Angeklagte Sch. ist vom Landgericht Frankfurt am Main am 15.
Februar 2001 vom Vorwurf als Mitglied der Revolutionären Zellen
zum Anschlag auf die Teilnehmer der OPEC-Konferenz in Wien am 21.
Dezember 1975 Beihilfe geleistet zu haben, freigesprochen worden.
Das Verfahrenshindernis des Verbrauchs der Strafklage besteht in
soweit nicht. Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte er
sich nach seinem Untertauchen in den Untergrund im Jahre 1978 bis
zu dem Zeitpunkt, als er seine Aktivitäten für die Berliner
Revolutionären Zellen aufnahm, weder aktiv am Verbandsleben
der RZ (vgl. BGH NJW 2001,1734,1735 f) noch hatte er die Fortsetzung
seiner Tätigkeit geplant, sich vielmehr in der Absicht der
Beendigung vollständig zurückgezogen; er stand den Revolutionären
Zellen auch nicht als "Schläfer" zur Verfügung.
Der Angeklagte G. ist durch Urteil des Landgerichts Berlin am 27.
Februar 1989 - rechtskräftig seit dem 11. Mai 1989 - wegen
Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilt worden.
Auch wenn seinerzeit die Hintergründe der Straftat nicht erkannt
worden waren - nämlich die Geldbeschaffung für die Revolutionären
Zellen im Rahmender sog. Postsparbuchaktion (oben unter C. VI. 2))
- ist damit Strafklageverbrauch für die Verfolgung der vor
der Verurteilung liegenden mitgliedschaftlichen Betätigungsakte
des Angeklagten einschließlich der Beteiligung an dem Anschlag
auf Dr. Korbmacher eingetreten. Nicht erfaßt davon ist jedoch
seine Beteiligung an dem Anschlag auf die ZSA. Denn der Strafklageverbrauch
gilt nicht für ein mit § 129 a StGB in Tateinheit stehendes
Delikt, das - wie hier § 311 StGB (a.F.) - eine schwerere Strafdrohung
enthält.
b) Die Angeklagten E. und Sch. gehörten bis 1990 der Vereinigung
an. Wie bereits ausgeführt. belegt das von der Angeklagten
E. verfaßte Anti-Patriarchats-Papier nicht die Beendigung
ihrer und der Mitgliedschaft des Angeklagten Sch. in den Berliner
RZ bereits 1988/89.
Die übrigen Angeklagten waren bis März 1995 Mitglieder
der Berliner Revolutionären Zellen. Sie verübten 1991
den Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule. Noch 1994 erhielt
der Angeklagte G. auf seine Bitte für die RZ über den
Zeugen Mousli einen hohen Betrag von Michael W.. Zu dieser Zeit
waren die Berliner RZ noch im Besitz des Sprengstoffs. Im März
1995 übergab der Angeklagte G. den restlichen Sprengstoff der
Berliner RZ dem Zeugen Mousli zur vorübergehenden Aufbewahrung.
Bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls bestanden die Berliner RZ, der
noch die Angeklagten B., G. und H. angehörten. Danach sind
keinerlei Aktivitäten der Berliner RZ festgestellt worden.
c) Tätige Reue gemäß §§ 129 Abs. 6 Nr.
1, 129 a Abs. 5 StGB (a.F.) oder der Strafaufhebungsgrund der §§
129 Abs. 6 Halbsatz 2. 129 a Abs. 5 StGB (a.F.) liegt bei keinem
der Angeklagten vor. Diese Vorschriften setzen voraus, daß
sich der Täter freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen
der terroristischen Vereinigung zu verhindern.
Das Anti-Patriarchats-Papier dokumentiert, wie bereits ausgeführt,
nicht das Ende der Mitgliedschaft der Angeklagten Sch. und E. und
keine an die anderen gerichtete Aufforderung zum Ausstieg. Für
ein derartiges Handeln ergab die Beweisaufnahme auch sonst nichts.
Im übrigen reicht die bloße Beendigung ihrer Mitarbeit
zur Strafbefreiung nicht aus. Hier fehlt es schon an der Freiwilligkeit.
Denn wer, wie die Angeklagten Sch. und E., in seinem weiteren Tun
keinen Sinn mehr sieht und die Ziele der RZ nicht mehr für
erreichbar hält, handelt nicht freiwillig. Er ist vielmehr
gescheitert, und von einer Abkehr von der Vereinigung durch eine
auf Entschärfung deren krimineller Aktivitäten gerichteten,
wenn auch punktuellen Mithilfe, wie sie die tätige Reue nach
den genannten Vorschriften voraussetzt, kann keine Rede sein.
Der Grundsatz in dubio pro reo kann zwar eingreifen, ist aber bei
den schweigenden Angeklagten B. und G. jedenfalls dann, wenn die
Tatumstände, wie hier, keine Rückschlüsse auf ihre
innere Einstellung gestatten, nicht anwendbar. Dies gilt auch für
den Angeklagten H., dem der Senat nicht geglaubt hat, bereits 1987/1988
seine Mitarbeit in den Berliner RZ beendet zu haben.
2) Die Angeklagten Sch., E. und B. waren Rädelsführer
der Vereinigung (§ 129 a Abs. 2 StGB (a.F.)).
Rädelsführer einer Vereinigung ist, wer maßgeblichen
Einfluß auf die Tätigkeit der Organisation hat. Diese
Rolle für die Vereinigung kann sich aus seiner Stellung, aus
der Bedeutung oder dem Ausmaß seiner Tätigkeit ergeben.
In diesem Sinne waren die drei Angeklagten Rädelsführer
der Berliner Revolutionären Zellen. Sie nahmen an den "Miez"-
Treffen der Revolutionären Zellen teil, d.h. dem Treffen der
führenden Mitglieder dieser Vereinigungen, waren die Verbindungsleute
der beiden Berliner Gruppen und setzten in ihren jeweiligen Gruppen
die auf den "Miez"- Treffen abgesprochenen Taten durch.
Die Angeklagten Sch. und B. beeinflußten die Vorbereitung
der Taten entscheidend, stellten Spreng- bzw. Brandsätze her
und führten die Taten an vorderster Front durch. Die Angeklagten
E. und B. waren darüber hinaus Verfasser von Bekennerschreiben,
die Angeklagte E. zudem die maßgebliche Theoretikerin.
3) Die Angeklagten B., H. und G. haben sich des gemeinschaftlichen
Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion (§§ 311
(a.F.), 25 Abs. 2 StGB) in zwei Fällen schuldig gemacht. Bei
den Anschlägen auf die ZSA und die Siegessäule sind Sachen
von bedeutendem Wert gefährdet worden.
Durch ihre Beteiligung an dem Anschlag auf die ZSA sind die Angeklagten
Sch. und E. des gemeinschaftlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion
(§§ 311 (a.F.), 25 Abs. 2 StGB) schuldig.
Bei den Angeklagten Sch., E., B. und H. steht dieses Delikt zu
der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Verhältnis
der Tateinheit (§ 52 StGB). Gleiches gilt für die Angeklagten
B. und H. auch hinsichtlich des Anschlages auf die Siegessäule.
Der Angeklagte G. hat sich des gemeinschaftlichen Herbeiführens
einer Sprengstoffexplosion (ZSA) (§§ 311 (a.F.), 25 Abs.
2 StGB), tatmehrheitlich (§ 53 StGB) hier - zu unter Berücksichtigung
des Strafklageverbrauchs ab dem 28. Februar 1989 der Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit dem gemeinschaftlichen
Herbeifuhren einer Sprengstoffexplosion (Siegessäule) schuldig
gemacht. Er ist auch der tateinheitlich mit den letzteren Delikten
begangenen Beförderung explosionsgefährlicher Stoffe nach
§§ 40 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 Nr. 3 SprengG (a.F.) schuldig.
4) Bei den zum Nachteil von Harald Hollenberg und Dr. Korbmacher
begangenen gefahrlichen Körperverletzungen ist Strafverfolgungsvejährung
eingetreten.
Gleiches gilt für das dem Angeklagten H. zur Last gelegte
Sprengstoffdelikt (Depotverwaltung). Die Verjährung beträgt
im Hinblick auf die Strafdrohung des § 40 Abs. 1 SprengG (a.F.)
nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre. Die erste gegen
den Angeklagten gerichtete, die Strafverfolgungsverjährung
unterbrechende Handlung war der Erlaß es Durchsuchungsbeschlusses
am 14. Dezember 1999 durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes
(§ 78 c Abs. 1 Nr.4 StGB). Es konnte jedoch nicht festgestellt
werden, daß der Angeklagte zumindest bis zu diesem Tage den
Sprengstoff noch aufbewahrte. Wegen dieses Deliktes hatte kein Freispruch
zu erfolgen, weil es zu der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung im Verhältnis der Tateinheit steht.
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