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Übersicht: schriftliches
Urteil
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2) Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle
für Asylbewerber
a) Der Angeklagte Sch. hat sich wie oben unter III. 1) b) ausgeführt
zu dem Anschlag auf die ZSA eingelassen. Dieser sei von Anfang an
das Projekt des Tarek Mousli gewesen, der den Sprengsatz selbst
gefertigt und am Tatort abgelegt habe. Er, Sch., habe auf dessen
Bitte das Gelände auf der Seite des Kanals gesichert.
Mit dieser Einlassung machte sich der Angeklagte im Rahmen seiner
von taktischen Überlegungen geprägten Angaben den Umstand
zu nutze, daß, anders als bei den sog. Knieschußattentaten,
der Anschlag auf die ZSA nicht unmittelbar von Zeugen beobachtet
worden war. Die Angaben sind jedoch, soweit sie mit den Feststellungen
nicht übereinstimmen, widerlegt. Bereits aus sich heraus ist
die Einlassung nicht plausibel und damit unglaubhaft. Die Flüchtlingskampagne
war nach den Angaben des Angeklagten ein ganz wesentliches Motiv,
warum er und die Angeklagte E. sich nach ihrem Aufenthalt im Ausland
Mitte der 80er Jahre den Berliner RZ anschlossen. Der Anschlag auf
die ZSA fügte sich nahtlos in diese Kampagne ein, und die ZSA
war für den Angeklagten Sch. und die anderen Mitglieder der
RZ ein geeignetes Objekt, um das gewünschte revolutionäre
Zeichen zu setzen. Bei den Anschlägen auf die Zeugen Hollenberg
und Dr. Korbmacher, die ebenfalls integraler Bestandteil der Flüchtlingskampagne
waren, beteiligte sich der Angeklagte Sch. eigenhändig am unmittelbaren
Tatgeschehen. Es liegt daher nahe, daß er auch bei dieser
Aktion in der vordersten Reihe mitwirken wollte und dies auch tat
zumal er als Praktiker den technischen Ablauf des Tatgeschehens
gestalten und kontrollieren konnte. Demgegenüber ist es nicht
glaubhaft, daß sich der Angeklagte Sch. dem an Lebensjahren,
aber auch an Jahren der Zugehörigkeit zu den RZ deutlich jüngeren
Zeugen Mousli untergeordnet haben will, damit dieser "sein
Projekt" verwirklichen konnte. Die Behauptung, es habe sich
um ein gewissermaßen persönliches Projekt des Zeugen
gehandelt, ist auch schon deshalb nicht überzeugend, weil alle
anderen Aktionen im Rahmen der Flüchtlingskampagne in den Berliner
RZ diskutiert und letztlich mit der Zustimmung aller Mitglieder
ausgeführt wurden. Daß dem Zeugen die Aktion gestattet
worden sein soll, die ausdrücklich im Namen der RZ durchgeführt
wurde, aber nicht die Billigung aller Berliner RZ-Mitglieder gefunden
haben soll, ist unglaubhaft. Das gilt auch für die von dem
Angeklagten Sch. behaupteten Tatumstände. Danach soll der Zeuge
Mousli das weitläufige Gelände über Wochen allein
ausgekundschaftet haben: dies entsprach nicht den Gepflogenheiten
bei anderen Anschlägen der Berliner RZ, zur Minderung der Entdeckungsgefahr
die Observationen durch mehrere Mitglieder durchführen zu lassen.
Der im Bau eines Sprengsatzes unerfahrene Zeuge soll einen solchen
allein hergestellt haben; die Gefahr der Entdeckung oder eines Fehlschlages,
etwa beim Bau des Sprengsatzes, aber auch bei der Ausführung
der Tat, hätte ein Sicherheitsrisiko auch für die Berliner
RZ insgesamt bedeutet. Und schließlich soll der Zeuge Mousli
- ebenfalls anders als bei anderen Anschlägen - das Bekennerschreiben
allein im Namen der RZ verfaßt haben, obgleich diese mit dem
Anschlag nicht einverstanden gewesen sein sollen.
Widerlegt wird die Einlassung des Angeklagten Sch. durch die Angaben
des Zeugen Mousli. Dieser schilderte mit überzeugendem Detailwissen
und einleuchtend die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung
des Anschlages so, wie festgestellt. Er differenzierte sorgfältig
danach, was er aus eigenem Erleben und was vom Hörensagen erfahren
hatte. Lediglich zu dem Einsatz von brisanten Sprengstoffen hat
der Zeuge nichts beizutragen vermocht. Dies beeinträchtigt
jedoch, wie auszuführen sein wird, die Glaubhaftigkeit seiner
Angaben im übrigen nicht.
b) Ziel des Anschlags war nach den Bekundungen des Zeugen Mousli
eine Zentralcomputeranlage, auf der nach dem damaligen Kenntnisstand
der RZ die Daten von Asylbewerbern gespeichert waren. Die ZSA besaß
zwar, wie die Zeugin Eidt bekundet hat, zur Tatzeit noch keinen
Zentralrechner, sondern nur einen PC, auf dem die Daten von Asylbewerbern
gespeichert waren. Dieser Umstand spricht aber nicht gegen die Glaubhaftigkeit
der Angaben des Zeugen Mousli. Es belegt lediglich, daß die
Informationen zu dem Anschlagsobjekt insoweit unzuverlässig
recherchiert wurden. Immerhin bezeichnete auch der Angeklagte Sch.
- freilich nicht mit der Intention, die Glaubwürdigkeit des
Zeugen Mousli zu stärken - den vermuteten Zentralcomputer als
Anschlagsziel.
c) Verfasserin der im Vorfeld des Anschlages geschriebenen Tatbekennung
war die Angeklagte E. unter Mitarbeit des Angeklagten B.; sie redigierte
die Erklärung. Auch an diesen Angaben des Zeugen Mousli zweifelt
der Senat nicht. Der Zeuge hat bekundet, daß er die Erklärung
inhaltlich richtig gefunden habe, ihn allerdings der sprachliche
Stil gestört habe: er und die Angeklagte E. seien da nicht
"auf einer Wellenlänge" gewesen. Dies ist ohne weiteres
nachvollziehbar, wenn man die Tatbekennung zum Anschlag auf Dr.
Korbmacher und das sog. Anti-Patriarchats-Papier sowie die von der
Angeklagten E. unter dem Titel "Die Wahrheit hat einen Zeitkern"
hierzu vorgetragene Erläuterung miteinander vergleicht. Alle
drei von ihr verfaßten und/oder mitverfaßten Schriftstücke
weisen einen "abgehobenen" Sprachstil aus. Ein solcher
Duktus findet sich auch in der Tatbekennung zum Anschlag auf die
ZSA. Sätze wie "Mit einem optimierten Verwaltungsapparat
und einer rigiden Anwendung des sozialtechnischen Instrumentariums
setzt diese rassistische Sonderbehörde Maßstäbe
für die Kontrolle kommender sozialer Auseinandersetzungen."
oder "Nicht zuletzt erschwert der um die Lager gezogene Stacheldraht
eine Vermischung mit dem hier existierenden Milieu." sind beredte
Beispiele für eine nicht eben volksnahe Ausdrucksweise. Die
in der Hauptverhandlung verlesenen handschriftlichen Einlassungen
des Zeugen Mousli unterscheiden sich in ihrer stilistischen Schlichtheit
und Klarheit deutlich davon.
d) Aufgrund der Bekundungen des Zeugen Mousli ist erwiesen, daß
die Angeklagten Sch., E. und G. sowie der Zeuge Mousli und Lothar
E. sich vor dem Anschlag in der von dem Zeugen B. zur Verfügung
gestellten konspirativen Wohnung in der Oranienstraße trafen
und der Angeklagte Sch. dort einen Sprengsatz baute, der bei der
Aktion zum Einsatz kommen sollte.
aa) Der Zeuge Mousli hat schon im Ermittlungsverfahren angegeben,
"Jon" habe den Sprengsatz gebaut. Dort hat er, anders
als in der Hauptverhandlung, später auch behauptet, "Jon"
und "Judith" hätten den Sprengsatz gebaut. Daß
die Angeklagte E. dabei maßgeblich, über Handlangerdienste
hinaus, mitwirkte, glaubt der Senat nicht; denn der Zeuge hat nie
behauptet, die Angeklagte habe über Kenntnisse zum Bau eines
solchen Gerätes verfügt, vielmehr stets angegeben, der
Angeklagte Sch. sei der Mann für das Praktische gewesen und
die Angeklagte die Theoretikerin. Daher überzeugt es auch,
daß der Zeuge in der Hauptverhandlung die Angeklagte als am
Bau des Sprengsatzes aktiv Beteiligte nicht erwähnte und bekundete,
der Angeklagte Sch. habe den Sprengsatz gebaut.
Der Senat ist gleichermaßen davon überzeugt, daß
neben den Angeklagten Sch. und E. sowie Lothar E. und dem Zeugen
Mousli auch der Angeklagte G. an dem Treffen teilnahm, bei dem ein
Sprengsatz hergestellt wurde. In seinen handschriftlichen Aufzeichnungen
vom 5./6. Februar 2000 hat der Zeuge Mousli ihn als einen der Anwesenden
bezeichnet. In späteren Vernehmungen Ende März und Anfang
April 2000 hat er ihn zwar unerwähnt gelassen. Dieser Umstand
begründet aber keine Zweifel an der Anwesenheit dieses Angeklagten.
Denn in diesen Vernehmungen stand das Handeln des Lothar E. im Mittelpunkt,
weshalb es dem Zeugen offenbar darauf ankam, dessen Anwesenheit
zu erwähnen, wohingegen andere Personen weniger im Blickpunkt
standen. Daß der Zeuge Mousli von seiner eingehenden Darstellung
vom 5./6. Februar 2000 abweichen wollte, ist dem nicht zu entnehmen.
Der Angeklagte G. spielte im übrigen, da er erst wenige Wochen
vor dem Anschlag auf die ZSA aus Nicaragua zurückgekehrt war,
in diesem Zusammenhang ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. In
der Hauptverhandlung führte der Zeuge ihn ohne Unsicherheiten
konstant als Anwesenden an; es entstand dabei nie der Eindruck,
daß er ihn zu Unrecht belastete.
bb) Die Aussage des Zeugen ist entgegen der Ansicht der Verteidigung
des Angeklagten Sch. nicht deshalb unglaubhaft, weil es zu gefährlich
gewesen wäre, einen Sprengsatz in Anwesenheit so vieler Leute
zu bauen, wie das Schicksal des Hermann Feiling zeige, der sich
bei einer solchen Tätigkeit 1978 schwer verletzt habe. Zum
einen wurde nach den Bekundungen des Zeugen bei der Fertigung des
Sprengsatzes sehr vorsichtig vorgegangen. Dies ist plausibel, weil
das Gemisch immerhin hätte abbrennen können, wie der Sachverständige
Dr. Ibisch ausgeführt hat. Zum anderen stellte sich der Bau
des Sprengsatzes eher als demonstrativer Akt dar, zumal der Sprengsatz
so nicht explosiv war, was der Angeklagte Sch. auch wußte,
weil er ihn später um Explosivstoffe ergänzte (nachfolgend
unter cc)).
cc) Der Zeuge Mousli hat weiter bekundet, der in der Wohnung gefertigte
Sprengsatz habe aus einer Mischung von aus Frankreich stammendem
orange- rotem Unkraut- Ex und Puderzucker, welches vorsichtig in
einer Plastikschüssel zusammengerührt worden sei, und
einem ca. 15 - 20 cm großen doppelwandigen, von innen mit
Plastik- und teilweise Aluminiumfolie isolierten Pappkarton bestanden.
Der Deckel sei so zur Mitte hin gefaltet worden, daß sich
an diesem Punkt die maximale Sprengwirkung habe entfalten sollen.
Als Zündvorrichtung seien mit Streichholzköpfen präparierte
Blitzlichtbirnchen, die er mit E. vorher getestet habe, eine Blockbatterie
und Bananenstecker verwandt worden, außerdem ein Wecker, der
von außen auf dem Karton angebracht worden sei. Hinsichtlich
der Art und Weise der Befestigung des Weckers war sich der Zeuge
nicht mehr sicher, ob dieser aufgeklebt war.
Der damals die Ermittlungen führende Zeuge KHK Halfter, der
die durch die Explosion verursachten Schäden wie festgestellt
beschrieben hat, was durch die vom Tatort gefertigten Lichtbilder
bestätigt worden ist, hat weiter ausgesagt, die dort gefundenen
Teile seien zum Zwecke kriminaltechnischer Untersuchung und Begutachtung
aufgelesen worden. Diese hat der Sachverständige Dr. Ibisch
untersucht. In seinem überzeugenden Gutachten, dem sich der
Senat aufgrund eigener Würdigung angeschlossen hat, hat er
ausgeführt, daß bei den aus dem Bereich des Sprengzentrums
und dem Innenraum der ZSA gesicherten Anhaftungen als sprengfähige
Substanzen Natriumchlorat, Ammoniumnitrat und Trinitrotoluol (TNT)
nachgewiesen worden seien. Ammoniumnitrat und TNT würden in
gewerblichen Sprengstoffen verwendet, die auch ohne Verdämmung
eine Sprengwirkung erzielten. Das in Frankreich vertriebene Unkrautvernichtungsmittel
Unkraut-Ex habe in hoher Konzentration aus Natriumchlorat bestanden.
Natriumchlorat und Puderzucker eigneten sich in einem bestimmten
Mischungsverhältnis als Explosivstoff in unkonventionellen
Sprengvorrichtungen, wenn das Gemisch in eine feste Verdämmung
aus Metall eingefüllt und der Behälter fest verschlossen
werde. Hinweise auf ein zur Verdämmung eingesetztes Metallbehältnis
habe es allerdings im vorliegenden Fall nicht gegeben. Bei Zündung
in einem Pappbehältnis, wofür Blitzlichtbirnen verwendet
werden könnten, komme es lediglich zu einem schnellen Abbrand
der Substanz, nicht aber zu einer Explosion. Der Angeklagte Sch.
verwandte also bei dem Anschlag auch die sprengfähigen Substanzen
Ammoniumnitrat und TNT, die die an dem Gebäude der ZSA festgestellten
Schäden bewirkten, während der in der konspirativen Wohnung
hergestellte Sprengsatz mangels ausreichender Verdämmung dazu
untauglich war. Dem Zeugen Mousli war nicht bekannt, daß dem
Sprengstoff später brisante Sprengstoffe beigefügt wurden.
Das vom Sachverständigen Dr. Ibisch im übrigen vorgefundene
Spurenbild - Natriumchlorat, Batterieteile, Teile von Bananensteckverbindungen
und Teile eines Birnchens, Fragmente von Pappe und Klebeband sowie
Teile eines Quarzweckers - belegt die Angaben des Zeugen Mousli
und rechtfertigt den vom Senat gezogenen Schluß, daß
neben den später zugefügten brisanten Sprengstoffen der
von dem Zeugen beschriebene Sprengsatz zum Einsatz kam.
dd) Gegen die Einlassung des Angeklagten Sch., der Zeuge Mousli
habe den Anschlag im wesentlichen allein begangen, spricht auch,
daß es keinen Sinn macht, wenn der Zeuge den Bau eines objektiv
ungeeigneten Sprengsatzes geschildert und den Einsatz der brisanten
Sprengstoffe verschwiegen haben sollte. Hätte er die exakte
Zusammensetzung des Sprengsatzes gekannt und den Angeklagten Sch.,
wie dieser behauptet, zu Unrecht belasten wollen, hätte es
sich aufgedrängt, den Ermittlungsbehörden die Verwendung
von TNT und Ammoniumnitrat mitzuteilen. Mit diesem "Täterwissen"
wäre die Glaubhaftigkeit seiner Angaben eher gestärkt
worden.
ee) Der Senat ist davon überzeugt, daß der von dem Zeugen
Mousli beschriebene Sprengsatz in der von dem Zeugen B. zur Verfügung
gestellten konspirativen Wohnung gebaut wurde. Der Zeuge B. hat
lediglich erklärt, daß dies nicht stimme; er hat sich
im übrigen auf das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß
§ 55 StPO berufen und sich damit Nachfragen zur weiteren Aufklärung
verschlossen. Der Senat glaubt nicht dem Zeugen B., sondern dem
Zeugen Mousli. Dieser machte, wie bereits an anderer Stelle dargelegt,
eine sehr differenzierte Gesamtaussage, die in vielfacher Hinsicht
durch das übrige Beweisergebnis bestätigt wurde. Anhaltspunkte
für eine wahrheitswidrige Belastung des Zeugen B. haben sich
nicht ergeben. Daß es eine konspirative Wohnung der RZ in
der Kreuzberger Oranienstraße gab, hat immerhin auch die Zeugin
W. angegeben, die ansonsten bemüht war, den Zeugen Mousli als
Lügner darzustellen.
Die genaue Lage der konspirativen Wohnung ist nicht festgestellt
worden. Der Zeuge Mousli hat bekundet, daß sie sich in der
Nähe seiner damaligen Wohnung Oranienstraße 13 befunden
habe, und zwar auf derselben Straßenseite zwischen seiner
Wohnung und der nächsten Querstraße Richtung U-Bahnstation
Görlitzer Bahnhof. Eine Hausnummer nannte er weder im Ermittlungsverfahren
noch in der Hauptverhandlung. Die Verteidigung des Angeklagten G.
hat allerdings unter Berufung auf einen entsprechenden Prozeßbericht
in der Szenezeitschrift "interim" behauptet, der Zeuge
habe in seiner eigenen Hauptverhandlung am 1. Dezember 2000 ausgesagt,
daß sich die konspirative Wohnung in der Oranienstraße
7 oder 9 befunden habe. Hieran anknüpfend hat sie den Beweis
zu führen versucht, daß der Zeuge B. zwar ab November
1989 in der Oranienstraße gemeldet gewesen sei. nicht jedoch
im Januar 1987, und daß er zur fraglichen Zeit weder in der
Oranienstraße 7 noch 9 eine Wohnung zur Verfügung gehabt
habe, woraus zu folgern sei, daß der Zeuge Mousli gelogen
habe.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht fest, daß
der Zeuge Mousli in seiner eigenen Hauptverhandlung die Hausnummern
7 oder 9 genannt hat. Die als Zeugen gehörten in dem Verfahren
gegen Mousli erkennenden Richter Dr. Dietrich, Halter, Libera und
Schaaf und die damaligen Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft,
die Zeugen Griesbaum und Monka, haben die angebliche Einlassung
des Zeugen Mousli, ebenso wie dieser selbst, nicht bestätigt.
Der Zeuge Monka hat hierzu ergänzend dargelegt, daß zwar
von konspirativen Wohnungen die Rede gewesen sei, auch von der Oranienstraße,
aber nur am Rande, da dies damals keine Rolle gespielt habe. Die
Zeugin Beisheim, die im Auftrag der Verteidigung des hiesigen Verfahrens
teilweise die Aussagen des Zeugen Mousli mit stenographiert hatte,
hat keine Erinnerung an dessen Einlassungen mehr gehabt und besitzt
ihre damaligen Aufzeichnungen nicht mehr. Ihr ist von der Verteidigung
ein Schriftstück mit dem Bemerken vorgehalten worden, daß
es sich hierbei um ihre damalige Mitschrift handele, in dem es heißt,
es hätten auch Treffen in konspirativen Wohnungen stattgefunden.
in der Wohnung der Funkgruppe "und in einer Wohnung in der
Oranienstraße 7 oder 9". Die Zeugin hat aber nicht bestätigt,
daß es sich hierbei tatsächlich um ihre Mitschrift handelte:
sie hatte Zweifel daran, die sie mit dem Hinweis auf die abweichende
Schrifttype und ihrer Angewohnheit begründete, stets die Worte
Staatsanwaltschaft/Staatsanwalt, anders als in dem vorgelegten Schriftstück,
mit "StA" abzukürzen. Die Zeugin L., die freimütig
eingeräumt hat, einige Berichte für die der sog. Solidaritätsszene
zuzurechnenden Internetseite freilassung.de geschrieben zu haben,
und die aus ihrer politischen Verbundenheit mit den Angeklagten,
von denen sie einige kennt, keinen Hehl machte, hat bekundet, daß
nach ihrer Mitschrift der Zeuge Mousli von Treffen in konspirativen
Wohnungen "z.B. Oranienstraße 7 oder 9" gesprochen
habe. Mit Blick auf das Beweisergebnis zu dieser Frage im übrigen
- die Befragung der genannten Richter und Staatsanwälte bezweifelt
der Senat aber, daß der Zeuge Mousli sich tatsächlich
so geäußert hat, wie von der Zeugin, möglicherweise
aufgrund eines Vor- oder Mißverständnisses, notiert.
Warum er sich so hätte äußern sollen, nachdem er
im Ermittlungsverfahren dies nicht getan hatte, wäre nicht
verständlich. zumal die genaue Lage der Wohnung in seiner Hauptverhandlung
keine Rolle spielte und die angebliche Benennung "7" oder
"9" ohnehin deutlich gemacht hätte, daß der
Zeuge sich an die genaue Lage der Wohnung nicht mehr erinnerte.
Auch der Umstand, daß das Bundeskriminalamt in dem Verfahren
gegen Unbekannt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
-2 BJs 169/99-2- nach Anklageerhebung im vorliegenden Verfahren
Ermittlungen zu der konspirativen Wohnung, konkret zur Oranienstraße
9, vorgenommen hat, belegt nicht, daß der Zeuge diese Hausnummer
(oder die Nummer 7) genannt hat. Der Zeuge Igelmund hat hierzu nachvollziehbar
dargelegt, daß auf der Grundlage von Tarek Mouslis Angaben
zu einer von Wolfgang B. zur Verfügung gestellten Wohnung in
der Oranienstraße - ohne Benennung von Hausnummern - beim
Einwohnermeldeamt Erkundigungen über den Zeugen B. eingeholt
worden seien und man dabei auf dessen früheren Wohnsitz in
der Oranienstraße 9 gestoßen sei. Dies sei der Ermittlungsansatz
gewesen. Man habe den Bewohnern der Oranienstraße 9 mit Blick
auf die Angabe des Zeugen Mousli, daß sich in der konspirativen
Wohnung zeitweise die Angeklagten Sch. und E. aufgehalten hätten,
Fotos von diesen vorlegt. Diese Ermittlungen seien negativ verlaufen,
wenn auch zwei Mieter jedoch vage und nicht weiterführende
Angaben dahin gemacht hätten, der Angeklagte Sch. bzw. die
Angeklagte E. käme ihnen bekannt vor.
e) Der Zeuge Mousli hat das Tatgeschehen in der Nacht zum 6. Februar
1987 und die Nachbereitung des Anschlags, wie im einzelnen festgestellt,
geschildert. Dabei hat er sorgfältig zwischen dem, was er selbst
unmittelbar erlebt hatte, und seinem Wissen vom Hörensagen
unterschieden. So hat er angegeben, daß bei einem Nachbereitungstreffen
der Angeklagte Sch. und der gesonderte Verfolgte E. davon berichtet
hätten, wie sie den Sprengsatz abgelegt und daß sie zuvor
einen Zaun durchtrennt hätten. Die anderen Sicherungsposten
während des Anschlages habe er nicht gesehen. Es sei aber auf
der Nachbesprechung gesagt worden, daß von der anderen Gruppe
alle da gewesen seien. Er, Mousli, sei ursprünglich davon ausgegangen,
daß entsprechend der Planung und dessen Anwesenheit bei der
Vorbereitung auch der Angeklagte G. in der Tatnacht dabei gewesen
sei, habe sich jedoch geirrt.
Die Angaben des Zeugen fügen sich in das Gesamtergebnis der
zu diesem Anschlag durchgeführten Beweisaufnahme ein und sind
glaubhaft.
aa) Der Angeklagte Sch. hat gegen die Aussage des Zeugen Mousli
eingewandt, daß nicht sieben Leute - gemeint: außer
ihm und E. die das Terrain sichernden Personen B., H., "Toni",
Mousli und (so die Planung) G. - erforderlich gewesen seien, da
die Aktion nachts an einem menschenleeren, nicht einsehbaren und
unkontrollierten Ort stattgefunden habe. Diese Plausibilitätsüberlegung
überzeugt nicht. Das Gelände der ZSA und das angrenzende
Bahngelände waren sehr weiträumig. Kontrollen durch Polizei
und Wachschutz waren zwar, wie die vorherige Beobachtungen des Geländes
ergeben hatten, zur geplanten Tatzeit unwahrscheinlich, mit völliger
Sicherheit auszuschließen waren sie aber ebenso wenig wie
etwa das Auftauchen von Fahrzeugen oder Passanten auf dem öffentlichen
Straßenland an der ZSA. Einer solchen Gefährdung zu begegnen
war überaus sinnvoll. Das entsprach auch dem Sicherheitskonzept
der RZ. Denn im "Revolutionären Zorn" wird u.a. zu
genauer Planung und absoluter Sorgfalt in der Vorbereitung und Durchführung
der Taten aufgefordert. So heißt es in "Revolutionärer
Zorn" Nrn. 3 und 5: "Bereitet man eine Aktion vor, so
muß man immer von den schlechtesten Bedingungen ausgehen.
D.h.. jede Eventualität mit einkalkulieren. Die ganze Geschichte
immer wieder durchspielen. bis sie nicht 100 % sondern 1000 % sitzt."
und in "Revolutionärer Zorn" Nr. 5 weiter: "Das
einzige, was einem das Kreuz brechen kann ist ein dicker Fehler
oder ein gottverdammter Zufall." Genau das sollte zur Überzeugung
des Senats ausgeschaltet werden. und zu der erstrebten größtmöglichen
Sicherheit trägt bei einem weitläufigen und unübersichtlichen
Gelände eben die Überwachung durch mehrere Personen mit
Funkgeräten bei.
bb) Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß der Angeklagte G.
(Deckname "Sigi") in der Tatnacht nicht am Tatort anwesend
war, denn er befand sich, wie durch die Verlesung der entsprechenden
Aktenbestandteile belegt ist, seit dem 5. Februar 1987 morgens bis
zum 17. Februar 1987 in Polizeigewahrsam bzw. Untersuchungshaft.
Der Zeuge Mousli hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, "Sigi"
sei in der fraglichen Nacht nicht am Tatort gewesen. Im Ermittlungsverfahren
war er sich hingegen noch nicht sicher, und er hat dies auch deutlich
gemacht. Bei seiner Vernehmung am 30. November 1999 hat er angegeben:
"Bei diesem Anschlag sicherten wir (ich selbst stand auf der
anderen Seite des Kanals, Toni oder Heiner oder Sigi oder Anton
stand glaube ich auf dem Bahngleis). Ich glaube, es waren fast alle,
außer Judith, vor Ort.". Diese Aussage betraf eine Information
vom Hörensagen, die naturgemäß in der Erinnerung
an ein lange Zeit zurückliegendes Ereignis weniger stark verankert
wird als unmittelbar Erlebtes. Am 7. Januar 2000, zu einem Zeitpunkt
also, als er mehr Zeit gehabt hatte, sich das Geschehen wieder in
Erinnerung zu rufen, hat er ausgesagt, daß "Sigi"
"vermutlich" beim Sichern in der Nacht des Anschlages
beteiligt gewesen sei, "sicher" sei jedoch, daß
er bei der Aufklärung zu diesem Anschlag beteiligt war; in
diesem Sinne hatte er sich auch in seinen handschriftlichen "Angaben
zu Harald G. (DN: Sigi)" vom 5. Januar 2000 geäußert:
"Hier war Sigi, glaube ich, beim Sichern beteiligt. sicher
aber war er bei der Aufklärung zu diesem Anschlag beteiligt".
Seine handschriftlichen Aufzeichnungen vom 9. Januar 2000 enthalten
zwar bezüglich der Beteiligung des Angeklagten G. an der Sicherung
des Geländes einen solchen einschränkenden Zusatz nicht.
Dies findet aber eine naheliegende Erklärung darin, daß
im Mittelpunkt dieser Aufzeichnungen nicht der Angeklagte G., sondern
Lothar E. und dessen Tatbeiträge standen. Daß der Zeuge
zwei Tage nach der vorangegangenen Vernehmung diese revidieren und
nunmehr den Angeklagten G. ohne Einschränkung der Anwesenheit
am Tatort bezichtigen wollte, läßt sich daraus nicht
entnehmen. Dementsprechend hat er auch in der Vernehmung vom 29.
Februar 2000, die eingangs die Person des "Sigi" zum Gegenstand
hatte, angegeben, daß er zum Anschlag auf die ZSA sicher sagen
könne, daß "Sigi" Anfang 1987, also im Januar,
bei Diskussionen und dem Ausspähen des Objektes beteiligt war;
ob "Sigi" während der Aktion zu den Leuten gehört
habe, die auf dem Bahndamm sicherten, wisse er nicht mehr. Erst
nach dieser Aussage ist dem Zeuge vorgehalten worden, daß
sich der Angeklagte G. zur Tatzeit in Untersuchungshaft befunden
hatte; das war dem Zeugen nicht bekannt. Daß der Angeklagte
G. entgegen der Planung bei der Tatbegehung nicht anwesend war,
konnte der Zeuge Mousli zur Tatzeit nicht erkennen. Er und die übrigen
Tatbeteiligten waren getrennt zum Tatort gefahren und dort lag die
(geplante) Position des Angeklagten G. außerhalb der Sichtweite
des Zeugen. Dementsprechend hat der Zeuge Mousli bei seinen Angaben
zur Beteiligung des Angeklagten G. regelmäßig zwischen
dessen Teilnahme an der Vorbereitung, derer er sich sicher war,
und dessen Anwesenheit zur Tatzeit unterschieden, die er mit ausdrücklichen
Einschränkungen versehen hat. Da seine insoweit unsichere Erinnerung
durch die ihm später von der Polizei gegebene Information der
Verhaftung des Angeklagten G. zur Tatzeit nach seiner Überzeugung
widerlegt war, hat er in der Hauptverhandlung dessen Anwesenheit
am Tatort verneint. Seine differenzierenden Angaben sprechen für
sein Bemühen um eine wahrheitsgemäße Aussage. Der
Senat zieht nicht den Schluß, daß mit Ausnahme des Angeklagten
G. die übrigen von dem Zeugen genannten Personen nicht vor
Ort waren. Der Angeklagte G. war zur Tatzeit in Haft und nur deshalb
nicht am Tatort erschienen. Bei den anderen Personen sind Hinderungsgründe
nicht bekannt geworden und in dem Nachbereitungstreffen nicht erörtert
worden.
weiter
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