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65. Prozesstag: 28. März 2002
Verliebt, verlobt, verheiratet - bangen, bibbern,
beißen
Durch zahlreiche Prozesspausen unterbrochen spielte der Kronzeuge
in Persona nur an einem Teil des Tages (s)eine Rolle. Bei seiner
Befragung, die heute ihr vorläufiges Ende fand, ging es - wie
in den letzen Verhandlungstagen auch - vor allem um das angebliche
RZ- Waffen- und Sprengstoffdepot im MehringHof und den Anschlag
auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber. Am Ende
dann griff die Bundesanwaltschaft noch einmal tief in die Kiste
der Freund- Feind- Justiz: Sie regte an, die Anklage gegen Sabine
E. und Matthias B. um "Rädelsführerschaft" nach § 129a
Abs. 2 zu erweitern.
Verliebtes Bangen
Bevor das Gericht ankündigte, den Kronzeugen am heutigen Tag
aus dem Zeugenstand zu entlassen, wurde Tarek Mousli zum wiederholten
Male mit seinen widersprüchlichen Aussagen zum angeblichen
RZ- Depot im MehringHof konfrontiert. Was folgte, war eine erneute
Darbietung dessen, was das Aussageverhalten des Kronzeugen generell
kennzeichnet. In den polizeilichen Vernehmungen belastete er die
Mitangeklagten schwer, dabei behauptet er, er könne sich mit
100% Sicherheit an Einzelheiten erinnern. Zug um Zug gibt er diese
Position dann auf, um schließlich in der Hauptverhandlung
bei einem "Ich kann mich nicht mehr erinnern" oder Einschränkungen,
wie: er könne nur vom Hörensagen berichten, zu landen.
So hatte Mousli etwa in der Hauptverhandlung angegeben, er habe
das Sprengstoffdepot nie selbst gesehen, sondern habe dessen Lage
nur erzählt bekommen. Wie aus den Vernehmungsprotokollen bekannt
ist, hat er das damals aber ganz anders dargestellt: "Sebastian"
(laut Mousli Lothar E.) soll ihm demnach einmal die Stelle gezeigt
habe, die als Depot genutzt werden sollte. Dabei habe es sich um
einen unter Wasser stehenden Schacht, der mit einem Metalldeckel
abgedeckt war, gehandelt. Heute wollte er diese Örtlichkeiten
niemals gesehen haben.
In einer richterlichen Vernehmung vom 7.4.2000 gab er an: "Ich
erinnere mich, dass ich blaue Pakete gesehen habe. Es hieß,
darin sei Sprengstoff". Heute will er sich an diese Aussage nicht
mehr erinnern. Hatte er doch kurz zuvor angegeben, die Verpackung
des Sprengstoffes erst nach dem Einbruch in seinem Keller 1995 gesehen
zu haben.
Auch bei den Nachfragen nach seinen Kontakten zu Palästinensern
und palästinensischen Gruppen flüchtete sich der Kronzeuge
in Ausflüchte und offensichtliche Halbwahrheiten. Er räumte
zwar Kontakte zu Vertretern des PFLP in Berlin ein, gefragt nach
seinen Motiven, Anfang der 80er Jahre mit dem Gedanken gespielt
zu haben nach Beirut zu gehen, fabulierte er jedoch etwas von "Wiederaufbaugeschichten".
Zuvor war allerdings zu Tage getreten, dass er an Gesprächen
teilgenommen hatte, bei denen es um eine strukturelle Zusammenarbeit
zwischen linksradikalen Gruppen aus Deutschland und der PFLP ging.
Weit von sich wies Mousli, etwas mit dem Anschlag auf das "Maison
de France" in Berlin 1983 zu tun gehabt zu haben. Der Anschlag war
von der so genannten Carlos- Gruppe verübt worden. Maßgeblich
daran beteiligt war Johannes Weinrich, der aus der RZ kam und sich
Mitte der 70er Jahre der Gruppe um "Carlos" anschloss. Mousli hielt
sich 1983 regelmäßig (zwei oder drei Mal in der Woche)
in einer Wohnung in der Uhlandstraße in unmittelbarer Nähe
zum "Maison de France" auf. Diese Wohnung gehörte einem Mitglied
der Funkgruppe und wurde im Rahmen der Funkaufklärung dieser
Gruppe genutzt. Wie Mousli auf Nachfrage zugeben musste, war Gerd
Albartus seine Tätigkeit bei der Funkgruppe en detail bekannt,
auch das sie den VS- Funkverkehr abhören konnten. Das RZ- Mitglied
Albartus, der entscheidenden Anteil an der Rekrutierung Mousli für
die RZ gehabt haben soll, stand bis zu seiner Hinrichtung im Nahen
Osten im Kontakt zu Weinrich und der "Carlos- Gruppe".
Eine Aufklärung blieb Mousli heute auch darüber schuldig,
warum Rudolf Sch. nach seinen Angaben als Illegaler Unkraut- Ex
in Frankreich beschafft und nach Berlin gebracht haben soll, obwohl
Mousli selbst, wie er in der Hauptverhandlung zugegeben hatte, in
Berlin Unkraut- Ex besorgt hat. Wortkarg beschied der Kronzeuge
die Fragen, welche Art der Unterstützung er nach seinem Austritt
aus der RZ 1990 geleistet haben will (lediglich Sprengstoffverwahrung
und Geldbeschaffung) und ob er auch noch nach seinem Ausstieg als
RZ- Mitglied aufgetreten sei (Nein).
Verlobte bibbern
Ganz verschwiegen gab sich Mousli dann bei der Frage der Vorsitzenden
Richterin zu seinem Verhältnis zu Janette O. Die Freundin Mouslis
befindet sich ebenso wie er im BKA-Zeugenschutzprogramm. Nun beabsichtigt
Frau Hennig, Janette O. als Zeugin zu laden. Deshalb wollte sie
wissen, ob beide verlobt oder eventuell verheiratet seien. Doch
Mousli wollte dazu nichts sagen, und verwies dabei auf seine Verpflichtungserklärung,
die ihm verbieten würde, über Dinge zu reden, die im Zusammenhang
mit dem Zeugenschutzprogramm stünden. Unterstützt von
seinem Zeugenbeistand, angefeindet von Rechtsanwalt Eisenberg und
mit einem Gerichtsbeschluss im Rücken, der das Ansinnen der
Vorsitzenden Richterin zurückwies, konnte Mousli sich durchsetzen.
Der anwesende Zeugenschutz nahm das zufrieden mit Kopfnicken zur
Kenntnis.
Was folgte war der Vorhalt widersprüchlicher Aussagen des
Kronzeugen zum angeblichen RZ-Depot im MehringHof durch das Gericht.
Am Ende immer wieder gefragt, ob er das so gesagt habe, antwortete
Mousli im Verlauf immer flüssiger und nur auf das wesentliche
Detail beschränkt: "Ja, ich erinnere mich." Nachdem die Verteidigung
von Axel H. einen Antrag auf Verlesung weiterer Teile der polizeilichen
Vernehmungen des Kronzeugen zum angeblichen RZ-Depot im MehringHof
gestellt hatte, kündigte die Vorsitzende Richterin an, sie
wolle nun die Befragung des Kronzeugen beenden. Nach der Erörterung
juristischer Einzelheiten und unter Ablehnung durch die Verteidigung
wurde der Kronzeuge nach einigen Prozessunterbrechungen aus dem
Zeugenstand entlassen.
Was folgte waren drei Beweisanträge, die von der Verteidigung
von Axel H. und Harald G. gestellt wurden. Rechtsanwalt v. Schliefen
beantragte, eine Hausmeisterkollegin
von Axel H. als Zeugin zu laden. Sie werde bestätigen,
dass sein Mandant erst ab August 1989 Hausmeister im MehringHof
war. Darüber hinaus könne sie Auskunft geben über
die allgemeine Zugänglichkeit der Örtlichkeiten, die Mousli
als geeignet für ein Sprengstoffdepot hinstellen will, was
sie dafür jedoch gänzlich ungeeignet macht.
Die Ladung eines
BKA-Sachverständigen und eines führenden Mitarbeiters
der Firma Gardé, ehemals Firma Ruhla beantragt im Anschluss
daran Rechtsanwältin Studzinsky. Die Ausführungen der
beiden würden beweisen, dass die Angaben Mouslis zum Bau des
Sprengsatzes, der beim Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle
für Asylbewerber (ZSA) 1987 zur Verwendung kam, falsch sind.
Der von Mousli beschriebene Aufbau des Sprengsatzes und die verwendeten
Mittel hätten weder zu der tatsächlichen Explosionskraft
und -wirkung geführt, noch stimme sie mit den Tatmitteluntersuchungen
überein. Laut Mousli soll mittels eines Quarzweckers der Marke
Ruhla, der auf den Sprengsatz geklebt war, am Tatort die Zündzeit
eingestellt worden sein. Allerdings waren bei allen Ausführungen
dieser Wecker die Einstellrädchen für Weck- und Uhrzeit
sowie die Klappe für die Batterie auf der Rückseite der
Wecker angebracht. Der zweite
Beweisantrag der Verteidigung von Harald G. stand ebenfalls
im Zusammenhang mit diesem Anschlag. Rechtsanwältin Würdinger
beantragte, die Angaben Mouslis über den Zeitpunkt seines Entfernens
vom Tatort mit den U-Bahn-Fahrplänen der BVG aus dieser Zeit
zu vergleichen. Außerdem regte sie an " den Zeugen Mousli,
der sicherlich in Begleitung des Zeugenschutzes als Aufklärungsgehilfe
zur Mithilfe bereit ist, den Weg zu Fuß zurücklegen zulassen."
Dadurch würde bewiesen, dass die Zeitangaben Mouslis nicht
mit seiner Behauptung, nach dem Anschlag mit der U-Bahn nach Hause
gefahren zu sein, in Einklang zu bringen sind.
Verheiratete beißen
Die BAW ihrerseits nahm heute zu zwei bereits gestellten Beweisanträgen
der Verteidigung Stellung: Den Antrag zur Untersuchung eines Klebebandes
lehnte sie ab, dem Antrag, ein Gutachten über die Grundwasserstände
unter dem MehringHof einzuholen, stimmte sie zu.
Um ja keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, schoben die
Sitzungsvertreter des Generalbundesanwaltes allerdings noch einen
"rechtlichen Hinweis" nach: Die in der Hauptverhandlung zu Tage
getretenen Erkenntnisse ließen ihrer Ansicht nach eine Ausweitung
der Anklage gegen Sabine E. und Matthias B. nach § 129b Abs. 2 in
Frage kommen. Von "Führungswirken" und "intellektuellen Triebfedern"
war da die Rede und davon, dass es auf "das objektive Heraustreten
solcher Kräfte" ankäme. Wo, wie und wann die BAW dieses
"objektive Heraustreten" in der Hauptverhandlung erkannt haben will,
müsste allerdings noch geklärt werden. Weder die glaubhafte
Einlassung von Rudolf Sch., noch das Wissen vom Hörensagen
des Kronzeugen geben für diese Behauptungen etwas her. Klar
ist nur, was die BAW mit diesem "Hinweis" bezweckt: Sie schafft
die juristische Voraussetzung, um gegebenenfalls die beiden als
"Rädelsführer" anklagen und aburteilen zu können.
Diese Drohgebärde der BAW, so war auf den Gerichtsfluren von
Moabit zu vernehmen, war bereits für den Fall angekündigt,
dass ihnen die Felle wegschwimmen würden. Mann/frau darf auf
den weiteren Verlauf des Prozesses gespannt sein.
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