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104. Prozesstag: 22. November 2002

Ermittlungen akribisch und mit Sorgfalt - Wahrheitsfindung einseitig und voreingenommen

Nach einem Krankenhausaufenthalt der Angeklagten Sabine E. fand heute nach zweiwöchiger Unterbrechung die Hauptverhandlung ihre Fortsetzung. Geladen war ein Zeuge des Bundeskriminalamtes (BKA), der Auskunft über die Durchsuchung des MehringHofes am 19. Dezember 1999 geben sollte. Der Rest des Vormittags wurde mit der Verlesung von diversen Schriftstücken, der Verkündung von Gerichtsbeschlüssen und der Beantragung von Beweismitteln bestritten.

MehringHof- Durchsuchung: akribisch und erfolglos

Geladen war der BKA- Kriminalbeamter Marc- Arno Hartwig. Der 32-Jährige gehörte zu den mehreren hundert Beamten des BKA, des Bundesgrenzschutzes und der Berliner Polizei, die am 19.12.1999 im Einsatz waren, um das Politik- und Kulturzentrum MehringHof in Kreuzberg "abzusichern" und nach einem angeblichen Waffen- und Sprengstoffdepot der RZ zu durchsuchen. Wie bereits andere BKA- Beamte zuvor, versicherte auch Hartwig, er habe seine Arbeit akribisch, sorgfältig und ohne jeglichen Zeitdruck durchgeführt. Der Einsatz habe zwischen 6 Uhr und 6.30 Uhr begonnen. Im 2. oder 3. Stock des Gebäudes sei er zuerst auf etwa 20 Personen gestoßen, die "offensichtlich die Nacht durchgefeiert hatten und stark alkoholisiert waren". Nach und nach seien diese Personen - "das waren alles Südamerikaner" - nach Überprüfung der Personalien entlassen worden. Dass einige von ihnen in Abschiebehaft genommen wurden, erwähnte der 32- Jährige allerdings nicht.

Später habe er an der Durchsuchung des zweiten Hinterhofs teilgenommen und dort auch einen Lagerraum durchsucht. Auch bei der Durchsuchung eines Teelagers sei er beteiligt gewesen. Hier sei - man habe ja nach Hohlräumen gesucht - teilweise die verschraubte Dachabdeckung abgenommen worden, doch weder hier, noch an anderer Stelle habe er Sprengstoff oder Waffen gefunden. Auf die Frage, ob die gesamte Aktion zu irgendeinem Zeitpunkt abgebrochen worden sei, antwortete der BKA- Mann: "Abbruch wäre zu dramatisch. Nachdem die Suche negativ verlaufen ist, ist die Durchsuchung beendet worden." Bundesanwalt Homann allerdings hatte am 80. Verhandlungstag das Gegenteil behauptet. Die Aktion habe man "aus Verhältnismäßigkeitsgründen abgebrochen", so Homann damals.

Lesemarathon zur Absicherung der Gerichtswahrheit

Nachdem also erneut der Version von Bundesanwalt Homann widersprochen worden war, schickte sich das Kammergericht an, seiner Sicht der Dinge den Weg zu bereiten. Was folgte, war die Ablehnung zahlreicher Beweisanträge der Verteidigung. Zur Unterfütterung wurden zuvor ein Qualitätszertifikat des VEB Schönebeck, die Währungsfraktura einer DDR- Exportfirma und diverse Geschäftsdokumente der Westspreng GmbH verlesen: Rechnung, Lieferschein und ein Auszug aus einem Lagerbuch. Alle diese Schriftstücke kreisen um eine Lieferung von Sprengstoff der Marke Gelamon 40 vom Herstellerwerk VEB Schönebeck (DDR) zum Endabnehmer, der Firma Klöckner Durilit in Salzhemmendorf (BRD).

Eingeführt wurden diese Dokumente, weil sich das Gericht im weiteren bei seinen Ablehnungsbegründungen immer wieder darauf bezog. Abgelehnt wurden Beweisanträge der Verteidigung vom Matthias B. und der Verteidigung von Harald G. vom 31.Mai 2002 und 9. August 2002. Als unbegründet wurde vom Kammergericht die Ladungen zweier Zeugen aus dem VEB Schönbeck und die Ladung eines Mitarbeiters der Bundesanstalt für Materialprüfung verworfen. Das Gericht sah es nicht der Wahrheitspflicht geschuldet, sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob der Sprengstoff, der in einem Seegraben im Norden Berlins im August 2000 gefunden worden war, tatsächlich aus einem Sprengstoffdiebstahl stammt, der den RZ zugeordnet wird. Ganz im Gegenteil, das Gericht zeigte sich überzeugt, die zuvor verlesenen Dokumente würden unumstößlich belegen, dass der Sprengstoff aus dieser Lieferung stamme. Zwar konnte in einer Probe des im August 2000 gehobenen Sprengstoffes der Bestandteile Ammoniumnitrat nicht gefunden werden (vgl. 76. Prozesstag, 23. Mai 2002), doch diese objektive Tatsache wog in den Augen des Gerichts nicht so schwer, wie die Beweiskraft von Lieferscheinen und Rechnungsschreiben.

Wer observiert hier wen

Wie die Vorsitzende Richterin bekannt gab, liegen der Berliner Generalstaatsanwaltschaft Informationen über eine polizeiliche Observation von Axel H. nicht vor. Daher zielten die Anträge seiner Verteidigung heute darauf ab, beim Berliner Landesamt für Verfassungsschutz und beim Bundesamt für Verfassungsschutz Auskünfte darüber einzuholen, ob sie die Wohn- und Arbeitsstätte ihres Mandanten im Jahre 1986 observiert hatten. Wie Axel H. in seiner Einlassung ausführte, war er im Zusammenhang mit Ermittlungsmaßnahmen gegen die Zeitschrift "radikal" ins Visier der Fahnder geraten. Daraufhin habe er den Kontakt zu Mitgliedern der RZ abgebrochen. (vgl. 57. Prozesstag, 28. Februar 2002) Erst im Frühsommer 1987 sei es wieder zu einzelnen Kontakten gekommen.

Dieses Verhalten deckt sich mit der Schilderung des Kronzeugen Tarek Mousli, es hätte zum Sicherheitskonzept der RZ gehört, im Falle einer polizeilichen Observation sofort den Kontakt mit anderen RZ- Militanten und alle Aktivitäten einzustellen. Insofern erscheint eine Beteiligung von Axel H. am Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle im Februar 1987, wie es der Kronzeuge behauptet, wenig plausibel.

Dem Ausweichen das Handwerk legen

In einem weiteren Antrag verlangte die Verteidigung von Axel H. die Ladung eines BKA- Zeugenschutzbeamten namens Thorsten, der bestätigen werde, dass der Kronzeuge Tarek Mousli - entgegen seiner Behauptung in der Hauptverhandlung - bei der zweiten Durchsuchung des MehringHof im Mai 2000 nicht irritiert über die Lage und die Beschaffenheit des Aufzugschachts gewesen sei.

In die gleiche Richtung, nämlich die Überführung des Kronzeugen als Schwindler und Lügner, zielte der Antrag der Verteidigung von Matthias B., alle Akten aus möglichen Struktur- bzw. Ermittlungsverfahren gegen Einzelpersonen herbeizuziehen, die in Folge der Aussagen von Tarek Mousli über Personen und Strukturen der RZ/ Roten Zora eröffnet wurden. Dies sei erforderlich, um die widersprüchlichen Aussagen des Kornzeugen nachweisen und dessen Unglaubwürdigkeit aufzeigen zu können.

Die Hauptverhandlung wird am Donnerstag, den 28.11. um 9.15 Uhr fortgesetzt. Der Verhandlungstermin am Freitag, den 29.11. wurde bereits heute aufgehoben.

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