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23. Prozesstag: 21. September 2001

Mouslis erinnert sich nur zögerlich an Schulden und Beteiligung an der Vorbereitung weiterer Anschläge. Neu aufgetauchtes Beweismaterial manipuliert?

Zunächst befragte die Verteidigung Tarek Mousli noch einmal en Detail zum Zustandekommen einer Schuldanerkenntnis über 40.000 DM, die schon am vorangegangenen Verhandlungstag thematisiert worden war. Zu dieser Schuldanerkennung hatte seine frühere Lebensgefährtin Karmen T. bei ihrer Befragung ausgesagt, sie hätte das entsprechende Papier zufällig entdeckt. Auf ihre Frage habe Mousli damals geantwortet, dieses Schriftstück sei lediglich pro forma aufgesetzt worden. Hintergrund dafür sei "Geldwäsche" für die "Organisation" gewesen. Am gestrigen Verhandlungstag hatte der Kronzeuge ausgesagt, gegenüber Frau T. den lediglich "fiktiven" Charakter des Schuldbekenntnisses behauptet zu haben, um sie zu beruhigen. Von einer "Geldwäsche" wollte er ihr allerdings nichts gesagt haben. Er selbst habe die Schulden inzwischen anerkannt. Ebenfalls am gestrigen Verhandlungstag hatte Rechtsanwältin Studzinsky dem Zeugen aus den Protokollen des Bundeskriminalamtes (BKA) eine Aussage vom 4. April 2000 vorgehalten. Auch dort hatte der Zeuge gegenüber den Beamten behauptet, die Schuldanerkennung habe lediglich "fiktiven Charakter".

Darlehen ohne Zins und Tilgung

Auf Nachfrage der Verteidigung führte Mousli heute aus, dass die Schuldanerkennung auf ein Darlehen aus dem Jahr 1986 zurückgehe. Er habe diesen Kredit für seine damalige Firma aufgenommen. Gläubiger sei ein früherer Freund gewesen, mit dem er viel unternommen und eine gewisse Zeit auch zusammen gewohnt habe. Die Vergabe des Darlehens sei 1986 schriftlich festgehalten worden. Aber weder damals noch in der Folgezeit sei von Verzinsung oder einer Rückzahlung die Rede gewesen. Auf die Frage der Verteidigung, was 1995 den Anlass dafür gebildet habe eine Schuldanerkennung schriftlich zu fixieren, konnte sich der Zeuge zwar daran erinnern, dass der Gläubiger dies angeregt habe, der konkrete Hintergrund, so Mousli, sei ihm jedoch "nicht mehr gegenwärtig". In all den Jahren habe er den Eindruck gewonnen, dass er das Geld nicht zurückzahlen müsse. Auch nach der schriftlichen Fixierung der Schuldanerkennung sei "nie die Rede davon gewesen, dass das vollstreckt würde. Darum dachte ich es wäre fiktiv". Den Beisitzenden Richter Lechner drängten die Ausführungen Mouslis zu der Zwischenbemerkung: "Das hört sich absurd an. Das ist für mich nicht nachvollziehbar". Auf die Frage von Rechtsanwalt Euler, ob Mousli gewusst habe, aus welchen Quellen sein damaliger Freund 1986 das Geld beschafft hatte, antwortete der Kronzeuge, dass es vermutlich aus einer Hypothek stamme, die sein Freund auf seinen Hausbesitz aufgenommen habe. Dem BKA gegenüber habe er im April 2000 ebenfalls von einer "fiktiven" Schuldanerkennung gesprochen, weil er keine andere Möglichkeit gesehen habe dem BKA klar zu machen, dass die Schuld nicht bestehe. Allerdings hätte er sich wohl etwas "unglücklich ausgedrückt". Inzwischen erkenne er die Schuld an und sei auch bemüht das Geld zurückzuzahlen.

"Jetzt nachdem sie mir das vorgehalten haben......"

Im weiteren konfrontierte Rechtsanwältin Lunnebach den Zeugen mit den Aussagen von Frau T., Mousli habe ihr von einem abgebrochenen Anschlag auf Fahr- oder Flugzeuge berichtet. Dieser sei abgebrochen worden, so die Erinnerung von T., weil Wachpersonal in der Nähe gewesen sei und 'die Organisation' keine Personen gefährden oder verletzen wollte. (vgl. 21. Prozesstag, 13. September). Mousli meinte heute sich "daran erinnern zu können", mit Frau T. über diesen Zusammenhang gesprochen zu haben. Er bestritt jedoch mit dem geplanten Anschlag direkt zu tun gehabt zu haben, vielmehr hätte er die Informationen darüber aus einem Gespräch mit Lothar E. erhalten. "Mit Sicherheit" habe er seiner damaligen Freundin erzählt, dass die Gruppe bei Aktionen immer darauf geachtet habe, dass keine Menschen zu Schaden kämen. Die Aktionen gegen Korbmacher und Hollenberg hätten eine Ausnahme dargestellt. Die Frage von Rechtsanwältin Lunnebach, ob während Mouslis aktiver Zeit in der Gruppe weitere Aktionen abgesagt worden waren, weil eventuell Menschen zu Schaden hätten kommen können, verneinte der Zeuge. Daraufhin verlas Frau Lunnebach die Aufzeichnungen einer BKA-Vernehmung mit Mousli vom 26.11.1999. Damals hatte er Aussagen gemacht zu den Vorbereitungen auf die Sprengung eines RIAS-Sendemastes in der Nähe des Hahn-Meitner-Instituts in Zehlendorf. Nach der Erkundung des Geländes habe die Gruppe beschlossen, so Mousli damals gegenüber dem BKA, den Anschlag nicht durchzuführen, da die Gefahr der Verletzung Unbeteiligter bestanden hätte. Dieser Vorhalt regte Mouslis Erinnerungen wieder an. Er konnte sich nun auch daran erinnern, dass die Planung für diese - dann nicht durchgeführte - Sprengung zeitlich nach dem Anschlag auf die ZSA oder nach dem auf Korbmacher gelegen hätte, an denen er ja beteiligt gewesen sei.

Rechtsanwalt Euler befragte Mousli dazu, ob er noch wisse, wo er sich in der Zeit seines Zusammenlebens mit Karmen T. in zwei Nächten aufgehalten habe, in denen er - nach den Aussagen von T. - nicht zu Hause gewesen sei. Mousli erklärte heute, mehr als zwei Mal nicht zu Hause genächtigt zu haben. Er sei in diesen Fällen mit seinem Geschäftspartner unterwegs gewesen, um Werbeplakate für das Sportstudio zu kleben.

Die weiteren Fragen von Euler, ob er wisse, dass Frau T. im Herbst 1999 die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm angeboten worden sei und ob ihm zu diesem Zeitpunkt der Aufenthaltsort von Frau T. bekannt gewesen wäre, verneinte der Zeuge.

Unverständnis über Haltung des Gerichts

Nach Abtritt des Zeugen gab Rechtsanwältin Lunnebach eine Erklärung ab. Darin äußerte sie ihr Unverständnis über die Haltung, die das Gericht gegenüber dem Kronzeugen zum Ausdruck bringe. Insbesondere der Beisitzende Richter Alban drücke seine Voreingenommenheit gegenüber den Angeklagten durch verbale und nonverbale Äußerungen mit aller Deutlichkeit aus. Sie frage sich, was noch getan werden müsse, um das Gericht "irgendwie wachzurütteln". Es sei offensichtlich, dass der Kronzeuge eine Vielzahl von Dingen wisse, die er aber erst auf Vorhalt preisgäbe. Das Gericht habe bisher das Aussageverhalten des Zeugen "nicht kritisch beleuchtet" und "nicht nachgehakt".

Bundesanwalt Homann wertete diese Äußerungen als "Beschimpfung des Senats", die jeder Grundlage entbehre. Vielmehr habe der Senat und auch die Vertreter der Bundesanwaltschaft (BAW) die Befragung des Kronzeugen durch die Verteidigung aufmerksam verfolgt und selbst da nicht unterbrochen, wo der Zeuge hart angegangen worden sei.

Beweismaterial manipuliert?

Rechtsanwältin Studzinsky fragte an, wann das Gericht und die Anwaltschaft mit der Überstellung von 23 Aktenordnern rechnen könnten, die Gesprächsprotokolle der kürzlich aufgetauchten 955 Kassetten aus Telefon-Überwachungsmaßnahmen aus dem Zeitraum September 1999 bis Januar 2000 enthalten. Bundesanwalt Homann kündigte daraufhin an, dass es gelungen sei einen Fahrer zu organisieren, der das Material am kommenden Montag nach Berlin bringen werde.

Rechtsanwalt Eisenberg betonte, er erhoffe sich von der Lektüre der Protokolle Erkenntnisse darüber, warum sich das Gespräch zwischen Tarek Mousli und seiner Freundin Janette O. vom 24.11.1999 nicht auf der entsprechenden Kassette befinde, was Richterin Hennig und Rechtsanwältin Studzinsky heute bestätigten. Schon am vorhergehenden Prozesstag hatten die Rechtsanwälte König und Euler, die die Gelegenheit gehabt hatten das entsprechende Band abzuhören, auf das Fehlen dieses Gesprächs hingewiesen. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte Mousli sich geweigert vor Gericht den Inhalt dieses Gesprächs wiederzugeben. Unmittelbar vor seiner Entscheidung, die Kronzeugenregelung anzunehmen, hatte Mousli vom Karlsruher Bundesgerichtshof aus mit seiner Freundin telefoniert (vgl. 7. Prozesstag, 15. Juni 2001). Bundesanwalt Bruns machte die Prozessbeteiligten darauf aufmerksam, dass ihm Protokolle vorlägen, aus denen hervorginge, dass das fragliche Gespräch abgehört und aufgezeichnet worden sei. Beim Abgleich der Protokolle, die dem Bundesanwalt und der Verteidigung heute vorlagen, wurde jedoch deutlich, dass Bruns auf ein Protokoll Bezug nahm, dass erst kommenden Montag an den Senat und die Verteidigung ausgehändigt werden soll.

Rechtsanwältin Studzinsky wies darauf hin, es gebe insgesamt 47 Bänder aus der Telefonüberwachung von Janette O.. Davon sei ein Band vom 24.11.1999, worauf sich aber lediglich ein Gespräch befinde. Der Rest des Bandes sei leer.

Bundesanwalt Homann macht weitere Vorschläge

Bundesanwalt Homann, der am vorhergehenden Prozesstag noch die Meinung vertreten hatte, die Bänder seien "nicht von Beweisbedeutung", regte heute an, dass der Senat die Kassetten nicht "einfach aus der Hand geben" sollte. Schließlich - so seine heutige Argumentation - handele es sich um Beweismittel und er sehe die Gefahr, dass Teile der Bänder durch unsachgemäße Behandlung durch die VerteidigerInnen gelöscht werden könnten. Auch ihm sei es schließlich schon passiert - so seine weiteren Ausführungen - dass er Musikkassetten beim Abhören gelöscht habe. Er forderte den Senat deshalb auf, die Bänder nicht herauszugeben und der Verteidigung das Abhören lediglich auf der Geschäftsstelle zu ermöglichen. Mit der Bemerkung des Beisitzenden Richters Hanschke, dass es sich auch bei der Verteidigung um "Organe der Rechtspflege" handele, wies das Gericht diesen Vorschlag von Homann zurück. Auf die Frage der Verteidigung, ob Homann denn wisse, ob es sich bei den Bändern um Kopien oder Originale handele, antwortete Bundesanwalt Bruns, dass der BAW "Arbeitsbänder", dies bedeute Kopien, zur Verfügung gestellt worden seien. Rechtsanwältin Würdinger forderte das Gericht auf, auch die Originale anzufordern, da die gelieferten Bänder offensichtlich nicht vollständig seien.

Auch die Vorsitzende Richterin Hennig gab zu erkennen, dass sie darüber nachdenke, "wie wir damit umgehen sollen". Mit den Worten "wir werden sehen, wie wir das klären", vertagte sie die Hauptverhandlung auf kommenden Donnerstag, den 27.9., um 9.15 Uhr. Dann soll Janette O. als Zeugin vernommen werden.

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