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21.08.2003: 139. Prozesstag: Bundesanwalt Bruns erkennt "abenteuerliche Verrohung der Sitten"

Eine Zeugin, ein Antrag der Verteidigung, ein Beschluss des Senats und eine Erklärung des Angeklagten Rudolf Sch. – so sah das (Kurz-)Programm der heutigen Hauptverhandlung aus.

Die Zeugin Anna-Magdalena W. (55), eine "preisgekrönte Stenografin" alter Schule, war im Dezember 2000 von der Verteidigung im hiesigen RZ-Verfahren beauftragt worden, die Aussagen von Tarek Mousli in dem gegen ihn gerichteten Strafprozess zu protokollieren. Laut der von der Zeugin abgelieferten Reinschrift ihrer stenografischen Notizen hatte Mousli am zweiten Verhandlungstag zu zwei Wohnungen in Berlin-Kreuzberg ausgesagt, in denen Ende der 1980er Jahre konspirative Treffen der Berliner RZ stattgefunden haben sollen. In seiner damaligen Aussage hat er sich bei einer der Wohnungen in der Oranienstraße auf die Hausnummern 7 oder 9 festgelegt. Inzwischen ist jedoch festgestellt, dass die Person, von der Mousli behauptet, er habe zum damaligen Zeitpunkt in dem bezeichneten Haus gewohnt und die Wohnung für Treffen zur Verfügung gestellt, dort erst ab November 1989 polizeilich gemeldet war.

Rechtsanwältin Edith Lunnebach stellte für ihren Mandanten Matthias B. einen Beweisantrag, in dem gefordert wurde, die Beamten des Bundesverfassungsschutz (BfV) zu laden, die Mousli nachweislich bei verschiedenen Gelegenheiten besucht hatten. Die Verteidigung möchte durch die Einvernahme der Zeugen klären, vor welchem Hintergrund Mousli zu verschiedenen Sachverhalten Inhalte vermittelt wurden. Dass schon allein auf Grund der zum Teil geschwärzten Gesprächsprotokolle des BfV deutlich wird, wie sehr der Kronzeuge durch Gespräche mit den Verfassungsschützern inhaltlich gefüttert wurde, hatte schließlich auch das Berliner Verwaltungsgericht am vergangenen Monatag dazu bewogen, die entsprechende Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums als rechtswidrig zu erklären. Die Verteidigung von Harald G., deren Klage vor dem Verwaltungsgericht stattgegeben worden war, kündigte für den kommenden Prozesstag einen erneuten Aussetzungsantrag an. In einem Gerichtsbeschluss zurückgewiesen wurde der Beweisantrag der Verteidigung von Matthias B. vom 27.6.2003, mit dem die Ladung des BfV-Präsidenten erreicht werden sollte. Der Antrag sei "spekulativ" und für eine "Sachaufklärung nicht dienlich", so das Gericht. Erneut wurde damit deutlich, dass der Senat offensichtlich ohne Wenn und Aber an den Aussagen des Kronzeugen festhält.

Für einige Aufregung bei der Bundesstaatsanwaltschaft (BAW) sorgte zum Abschluss der rund zweistündigen Verhandlung eine Erklärung von Rudolf Sch.. Darin hob er hervor, dass durch die Zeugin Irmgard H. zum wiederholten Male der schlechte Gesundheitszustand von Sabine E. in den 1980er Jahren deutlich geworden sei. Mousli hätte jedoch von Sabine E. für diese Zeit ein völlig anderes Bild gemalt, an dem er nun festhalten müsse, auch wenn mehrere Zeugen von Gegenteil berichtet hätten. Die Erklärung schließt mit dem Satz: "… man kann Tarek Mousli nichts glauben, es sei denn seine Angaben sind überprüfbar und verifiziert worden. Wenn man ihm einfach nur glaubt, macht man sich zu einem Idioten."

Insbesondere Bundesanwalt Bruns empörte sich über diesen Abschlusssatz. Er wertete diese Aussage als Indiz, dass in diesem Verfahren eine "abenteuerliche Verlotterung der Sitten" heraufziehen. Immerhin habe die BAW ja auf Grundlage der Aussagen von Mousli eine Anklageschrift verfasst. Die offensichtliche Betroffenheit von Bundesanwalt Bruns konnte dann auch Rechtsanwalt Euler nicht mehr auffangen, der sich redlich bemühte, den Inhalt des Satzes noch einmal in Ruhe vorzutragen. Schließlich – so Euler – werde darin ja nur derjenige als Idiot bezeichnet, der die Aussagen des Kronzeugen ungeprüft übernehme.

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