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15. Prozesstag: 20. Juli 2001

Das Gericht geht in die Sommerpause - die Angeklagten verweilen in Haft

Am heutigen letzten Prozesstag vor der Sommerpause wurde die Befragung des vorzeitig aus dem Dienst entlassenen BKA-Beamten Schulzke fortgesetzt.

Der Prozessbeginn verzögerte sich zunächst um eine dreiviertel Stunde, da die Anwaltschaft mit dem Gericht und der Bundesanwaltschaft (BAW) in einem informellen Gespräch die Frage einer möglichen Haftverschonung erörterte. In einer kurzen mündlichen Stellungnahme kurz vor Beendigung des heutigen Prozesstages erklärte dazu Rechtsanwalt Becker, dass die Kammer bei diesem Gespräch erneut "mehr als deutlich" gemacht hatte, keine Haftverschonung gewähren zu wollen, weil sie weiterhin "Fluchtgefahr" unterstelle. Rechtsanwältin Lunnebach kündigte trotz dieser Prognose eine mündliche Haftprüfung für ihren Mandanten Matthias B. an.

"... steht das so in den Akten?"

Die Fortsetzung der Vernehmung von Schulzke, die sich über etwa drei Stunden hinzog, stieß heute auf die gleichen Schwierigkeiten wie am vorausgegangenen Verhandlungstag. Erneut vermittelte Schulzke den Eindruck, sich nur sehr lückenhaft an die verschiedenen Befragungen Mouslis erinnern zu können; vor allem, wenn es um die angebliche Identifizierung der Angeklagten ging. Präzisen Fragen der Verteidigung wich er immer wieder mit ausschweifenden Stellungnahmen aus; die Formulierung "wenn das so in den Akten steht, dann ist das so gewesen", blieb auch an diesem Morgen sein Standardsatz.

So konnte auch heute aufgrund der "verminderten Erinnerungsleistung" Schulzkes (Rechtsanwalt Eisenberg) die Vorgehensweise der BKA-Beamten, die zur vermeintlichen Identifizierung von 'Heiner' als Matthias B. geführt haben soll, nicht weiter erhellt werden. Laut Akten hatte Mousli noch am 7. Dezember 1999 geglaubt, den ihm auf einem Lichtbild vorgelegten Hans-Ulrich D. als 'Heiner' identifizieren zu können. Ebenfalls geht aus den Akten hervor, dass Mousli auf diese Angaben hin von Schulzke erklärt worden war, dass D. nicht 'Heiner' sein könne, da sich dieser - nach Erkenntnissen des BKA - seit 1987 und damit seit über "zehn Jahren im 'Wald' befunden habe". 'Wald', so glaubt die BAW, bedeute 'sich in der Illegalität befinden'. Schulzke gab auch heute zu diesen widersprüchlichen Vorstellungen Mouslis nur an, dass die entsprechenden Aufzeichnungen in den Akten "korrekt" seien und ergänzte, Mousli diese Zusammenhänge erläutert zu haben. Was er genau gesagt habe, könne er aber nicht erinnern.

Und immer wieder: fehlende Aktenteile

Nicht nur Schulzkes ungern eingestandene Erinnerungslücken, die die Wahrheitsfindung deutlich erschwerten, wurden heute deutlich, sondern auch, dass Schulzke für das Fehlen verschiedener Gesprächsprotokolle verantwortlich ist. So hatte Bundesanwalt Morré in seiner gestrigen Vernehmung ausgesagt, beim Verhör Mouslis am 18. und 19. Januar 2000 - das zufällig zur Identifizierung von 'Heiner' als Matthias B. geführt haben soll - hätte Schulzke sich als Vernehmungsleiter Notizen gemacht. Auf Vorhalt von Rechtsanwalt Kaleck, dass sich diese Notizen nicht in den Akten finden, gab Schulzke an, er habe angenommen, Bundesanwalt Morré habe die Sache aktenkundig werden lassen. Er habe sich nur Namen und Daten aufgeschrieben, um diese später nicht zu verwechseln.

Ebenfalls nicht vermerkt ist der Ablauf eines längeren Gesprächs zwischen Mousli und Schulzke am 30. Dezember 1999. Schulzke räumte auch heute ein, im Dezember 2000 Mousli "eindringlich" auf das Ablaufen der Kronzeugenregelung hingewiesen zu haben: "Ich legte ihm nahe, mit den Ungereimtheiten in seinen Aussagen aufzuräumen". Die Frage von Rechtsanwältin Lunnebach, warum sich in keinem Protokoll über dieses "Angebot" ein Vermerk finden lässt, blieb ohne Antwort.

Können Sie sich erinnern? - Nachdem Sie mir das vorgehalten haben: Ja!

Schulzke hatte am Vortag angegeben, Mousli habe - anders als bei den anderen Angeklagten - Axel H. sofort und eindeutig als 'Anton' identifiziert. Heute verbesserte er sich auf den Vorhalt der Vorsitzenden Richterin, Gisela Hennig, dahingehend, Mousli habe "die RZ-Mitgliedschaft von Axel H. zunächst verneint" und ihm den Decknamen 'Anton' erst später zugeordnet.

Selbst die Vorsitzende Richterin fand an den Aktenvermerken Schulzkes "sonderbar", dass Mouslis Aussagen - etwa die vom 7. Dezember 1999 - keine Nachfragen provoziert haben sollen. Denn immerhin sagte Mousli aus, er könne weder 'Heiner', 'Toni' noch 'Anton' "erkennen", weil er sie nie getroffen habe. Schulzke erklärte dies mit dem "anderen Aussageverhalten" Mouslis ab Ende Dezember 1999: Erst später, nach dem schon erwähnten und nicht zu Protokoll gelangten Gespräch über das Auslaufen der Kronzeugenregelung, habe Mousli sich "vollständig offenbart" und sei in die Materie eingetaucht. So müssen dann wohl auch die Widersprüche untergegangen sein.

Auf die Frage, welche Indizien überhaupt dafür gesprochen hätten, Mousli habe vor der Jahreswende 1999/2000 keine vollständigen Angaben gemacht, antwortete Schulzke: "Es war so ein Gefühl". Leidlich klar war Schulzke an anderer Stelle: Was er bereits am vorangegangenen Prozesstag ausgeführt hatte, konnte er heute bestätigen: Mousli wusste bei einigen Angeklagten "und besonders bei 'Siggi' nicht", wie deren Klarnamen waren; weder Vor- noch Nachname des vermeintlichen 'Siggi' - angeblich Harald G. - waren ihm bekannt.

Allerdings konnte oder wollte Schulzke nicht auf die Frage von Rechtsanwältin Studzinsky antworten, was genau 'besonders' in dieser Situation gewesen sei.

Diskreter Bilderzauber?

Studzinsky ging in ihrer Befragung erneut auf die Vernehmung Mouslis vom 30. November 1999 ein. Hier wurden Mousli eine größere Anzahl von Einzelbildern vorgelegt. Auf die Frage, nach welchen Kriterien die Bilder zusammengestellt wurden, zog sich Schulzke zunächst auf seine eingeschränkte Aussagegenehmigung zurück, erklärte dann jedoch, es habe sich bei den Bildern um "Material aus verschiedenen Quellen" gehandelt: Die Mousli vorgelegten Bilder zeigten Personen, die vermutlich in autonomen Zusammenhängen tätig seien oder die sonst im Verdacht stünden, Kontakte zur RZ oder der Frauenorganisation "Rote Zora" zu haben. Es gelang nicht, diese Kriterien näher zu spezifizieren, weil Schulzke keine weiteren Angaben machte.

Rechtsanwalt Euler sprach erneut das Telefongespräch vom November 1999 an: Tarek Mousli hatte im Karlsruher Bundesgerichtshof unkontrolliert die Möglichkeit, mit seiner Freundin Janet O. zu telefonieren. Der damals verantwortliche Staatsanwalt Monka hatte bei seiner Befragung dazu erläutert, das Gespräch "diskret" mitgehört zu haben. So ist bekannt, dass Mousli mit Janet O. über seine Entscheidung sprach, "entscheidende Schritte" zu gehen, was Monka als Kronzeugenregelung interpretierte. Euler wollte von Schulzke wissen, ob Staatsanwalt Monka mit ihm über die Inhalte des Telefongesprächs gesprochen habe. Schulzke gab an, sich daran nicht mehr erinnern zu können. Er glaube auch nicht, dass O. verhört wurde. Zur Erleichterung aller Prozessbeteiligten und ProzessbeobachterInnen wurde der BKA-Mann a.D. Schulzke, der zuvor vereidigt wurde, entlassen.

Nach der Entlassung des Zeugen verdeutlichte Rechtsanwalt Euler seine Befürchtung: Die ehemalige Freundin Mouslis verfügt über Täterwissen, wurde aber selbst nach diesem unbewachten Telefongespräch nicht befragt.

Neue Anträge der Verteidigung - Ablehnung alter Anträge

Rechtsanwalt Kaleck stellte, unterstützt von seinen KollegInnen, den Antrag, Mouslis Glaubwürdigkeit auch über die Vernehmungsakten des Bundes- und des Landesamtes Berlin für Verfassungsschutz (VS) zu prüfen. Ergänzt wurde dieser Antrag durch Rechtsanwältin Studzinsky: Um ein reales Bild zu gewinnen, seien VS-Vernehmungen auch aus früheren Jahren beizuziehen. Das beträfe auch den ehemaligen Wohnort Mouslis, also auch die Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz von Schleswig- Holstein. Ein älterer Antrag, ein VS-Vernehmungsprotokoll vom November 2000 bekannt zu machen und beizuziehen, war bisher vom Gericht abgelehnt worden.

Mehrere Anträge der Verteidigung, die sich auf den Zeugenbeistand Mouslis bezogen, wurden von der Vorsitzenden Richterin abgelehnt. Es ist unklar, ob das Gericht - trotz des vom BKA-Beamten Schulzke breit illustrierten Akten- Skandals und nach wie vor weitgehend fehlender Tatverdächtigungen - die Anträge auf Haftverschonung der Verteidigung weiterhin ablehnt.

Die Verhandlung wird am 17. August 2001 um 9:15 Uhr fortgesetzt und ist bis zum 4. Januar 2002 terminiert hat. Die Verhandlungstage sind weiterhin jeweils donnerstags und freitags.

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