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67. Prozesstag: 11. April 2002

Spreng-, Brand- und Zeugensätze
Zahlreiche Vernehmungen von Polizeizeugen

Der heutige Prozesstag hatte den Brandsatzfund im nicht abgebrannten Fluchtfahrzeug nach den Beinschüssen auf Korbmacher und die Sprengstofffunde an der Siegessäule zum Gegenstand. Berichtet wurde zudem über die Meldeadressen und Aufenthaltsorte, soweit bekannt, von Sabine Eckle und Rudolf Schindler zwischen den 50er und 90er Jahren. Abschließend widersprach die Bundesanwaltschaft, vertreten durch die Bundesanwälte Bruns und Maegerle, verschiedenen Beweisanträgen der Verteidigung oder stellte sie unter Vorbehalte. Der Vorsitzenden Richterin war es abschließend ein Bedürfnis, den Vorgang "Separat" als zukünftigen Gegenstand durch die Vernehmung - "nur der noch lebenden", wie sie zugestand - MfS-Mitarbeiter in die Verhandlung einzuführen.

"Feuerwalze" verhindert Beerdigungsbesuch

Der 56-jährige Joachim Löber äußerte sich zu dem nicht gezündeten "Sprengbrandsatz" im Fluchtwagen, der für die Beinschüsse auf Korbmacher genutzt wurde und vier Monate unentdeckt in der Ihnestraße in Dahlem gestanden hatte. Der Polizeiliche Staatsschutz habe ihn und seine Kollegen zum Fundort des Wagens beordert, weil dort eine Brandsatzvorrichtung gefunden worden sei. Nachdem sie den Wagen geöffnet hätten, sei einer der Staatsschützer an auf der Rückbank abgelegte Sportutensilien geraten und unter den Worten "Hilfe, Hilfe, hier tickt was!" mit seinen Kollegen weggelaufen. Löber und seine Kollegen jedoch rannten hin, "und ich durchtrennte den Draht".

Der "Sprengbrandsatz" sei erstmalig in Berlin eingesetzt worden, und sei nur den Kollegen bei der IRA bekannt, "den Kollegen, die mit der IRA zu tun haben" musste sich Löber sodann verbessern. Solche Sprengsätze seien besonders gefährlich, weil die entstehende "Flammenwand Sie bei dreißig Litern Benzin problemlos einholt". Eine solche "Feuerwalze", die das Selbstlaborat aus Natriumchlorat mit dem Benzin entfachen könne, sei durch die vier Monate Lagerung im Pkw so durchgehärtet gewesen, dass es wie gewerblicher Sprengstoff wirken könne.

Nach diesem Horrorszenario musste Löber dann auf Nachfragen zugeben, dass es sich erstens nur um fünf Liter Benzin gehandelt habe, dass zweitens die leicht geöffneten Fenster für einen Brand- und nicht Sprengsatz sprachen. Drittens schließlich gestand er auch ein, dass er bei der Sprengung nicht zugegen war, und Berichte über die Folgen solcher Brandsätze keinesfalls von "Feuerwalzen" und "Flammenwände" zu berichten wussten; auch sein Kollege Matussek hatte nach Begutachtung des Sprengstoffes in seinem Bericht keinesfalls von "Feuerwänden" gesprochen.

Natriumchlorat, das in der Bundesrepublik nicht mehr in Unkraut-Ex Verwendung findet, kann als Pflanzengiftgemisch derzeit nur noch in Frankreich - dort unter dem Namen "Plantex" - bezogen werden. In bundesrepublikanischen Apotheken lässt sich reines Natriumchlorat in einer Menge von maximal 100g ohne Personalienfeststellung beziehen, bei größeren Menge müssen Ausweispapiere vorgelegt werden - warum und für wen Löber diese präzisen Angaben machte, wurde nicht geklärt. Löber, der nach eigenen Worten vor seiner Polizeitätigkeit "auch einen ehrlichen Beruf, nämlich Elektroinstallateur", erlernt hatte, wurde nach religiöser Vereidigung entlassen. Noch beim Hinausgehen pöbelte er über "diese Rechtsanwälte, diese Arschlöcher", offensichtlich ungehalten darüber, an einer Beerdigung nicht teilnehmen zu können, aber zu feige, gegen Gisela Hennig zu hetzen.

Göttin zu Pflugscharen?

Der Kriminalbeamte Arnold Fischer (57) wurde mit seinen Kollegen auf Grund einer dpa-Meldung über einen Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule zum Tatort gerufen. Die erste Arbeit vor Ort, im immer wieder beeindruckenden Fachvokabular der Polizeibeamten "der erste Angriff", oblag ihm und seinen Kollegen, die zunächst die von der Säule gefallenen Gegenstände begutachteten und auf das Gartenbauamt warten mussten, weil die Eingangstür verschlossen war. Oben hätten sie noch weiteres Material gefunden, "auch Parolen und Sterne, so RZ-Sterne". Fischer, der sich noch gut entsann, dass es Beschädigungen an der "Göttin" gegeben habe und vermutete, dass die Täter "wohl einen Nachschlüssel hatten", wurde nach fünf Minuten unvereidigt entlassen.

Polizeizeuge Reutsch (42), "mein Beruf ist Maschinenbauer, meine Tätigkeit ist Polizist", war damals beim Staatsschutz, Abteilung Linksextremismus tätig. Er fröstelte heute noch innerlich, als er berichtete, es sei "damals so eine nasskalte Zeit gewesen". Bei seiner Ankunft sei die Siegessäule wegen Renovierungsarbeiten eingerüstet und die Tür unten schon offen gewesen. Erinnern konnte er sich an Schmauchspuren, die sich bei einer Beule, die von der Detonation in den Sockel gedrückt worden sei, befanden. "Zunächst haben wir gedacht", so Reutsch, "die Puppe kommt vielleicht runter." Auch er konnte unvereidigt gehen.

Richter, 1991 noch Sprengstoffermittlungsbeamter und jetzt für das BKA in Vilnius/Litauen tätig, hatte am 17. Januar 1991 die Ermittlungen zum Anschlag auf die Siegessäule übernommen. Eigene Erinnerungen hatte er keine mehr, konnte aber aus seinem Aktenstudium angeben, er habe im November 1992 festgestellt, dass der an der Siegessäule gefundene Sprengstoff nicht mehr lagerfähig sei. Er habe ihn daher "zur Vernichtung freigegeben". An das Ergebnis der Kriminaltechnischen Untersuchung konnte er sich auch nicht mehr erinnern; lediglich dass er die Feinasservierung nach einem numerischen System (1, 1.1, 1.2, 1.2.1 usw.) durchgeführt habe - "das machen wir immer so" - war ihm noch erinnerlich. Die nachfolgende Inaugenscheinnahme entsprechender Photographien beendete seinen - ebenfalls unvereidigten - Auftritt.

Nachdem nach der Mittagspause die verschiedenen Wohnorte von Sabine Eckle bzw. Rudolf Schindler geklärt und auch deren berufliche Laufbahn nachvollzogen war, konnte der junge BKA-Mann Igelmann gehen. Wegen seiner, wie Rechtsanwalt Becker sichtlich berührt äußerte, "beeindruckenden Memorationsleistung" in Hinblick auf die Wohnorte Sabine Eckles wurde er von der Vorsitzenden Richterin, Gisela Hennig, in dessen Abwesenheit gar als "Hoffnung der Polizei" dargestellt - vermutlich ein Scherz ...

BAW pflegt Flurschaden

Zu insgesamt fünf Anträgen nahm sodann die Bundesanwaltschaft Stellung. So wurden die Anträge von den Rechtsanwältinnen Würdinger und Studzinsky vom 28. März 2002 moniert (vgl. Prozessbericht vom 28.3.), die ein erneutes Gutachten des Untersuchungsmaterials des ZSA- Anschlages fordern und einen weiteren Gutachter damit beauftragen wollen. Der Vernehmung des BKA- Gutachters Dr. Ibisch hingegen stimmten sie zu. Die Vernehmung eines weiteren Zeugen, der belegen soll, dass Mousli auch im Falle der Herstellung des ZSA-Sprengsatzes gelogen hat, lehnten die Bundesanwälte erwartungsgemäß ebenso ab, wie den Antrag, durch die Beiziehung der U-Bahnfahrpläne des Jahres 1986 nachzuweisen, dass Mousli nach dem Anschlag die letzte U-Bahn nicht hätte erreichen können wie er es in seinen Vernehmungen behauptet hat. Aus ihrer Sicht sei nicht belegt, dass der Sprengsatz um 00.45 Uhr detonierte, mithin mit 15-minütiger Zündverzögerung Mousli die 1,1 km zum nächstgelegenen U-Bahnhof hätte in sieben Minuten zurücklegen müssen, um die letzte Bahn um 00.37 Uhr noch erreichen zu können.

Dem Antrag von Rechtsanwalt von Schlieffen auf die erneute Vernehmung der Zeugen Wiedemann und Holst wurde entsprochen. Das galt auch für den Antrag vom vergangenen Montag durch die Verteidigung des Angeklagten Borgmann, die den "BZ"- Artikel vom 17. Januar 1991 verlesen lassen will, aus dem hervorgeht, dass Mousli nicht wie angegeben Täterwissen wiedergegeben, sondern lediglich einen Zeitungsartikel aufgesagt hat. Widersprochen wurde hingegen dem Antrag der beiden VerteidigerInnen auch den Wortlautabschrift des Videos von der zweiten MehringHof-Durchsuchung verlesen lassen zu wollen; im Abgleich mit den Aussagen Mouslis, die dieser am selben Tag, an dem das Video im Gerichtssaal gezeigt wurde, gemacht hat, würde jedoch deutlich, dass er erneut versucht, das Gericht zu belügen. Die von Mousli beständig produzierten Flurschäden an seiner Geschichte will die BAW so weit wie möglich durch Verweigerung decken.

Zum Prozessende kündigte die Vorsitzende Richterin, Gisela Hennig, die Einführung des MfS-Vorgangs "Separat" an, der dazu beitragen soll, Aufschluss über die Identität desjenigen zu erlangen, der unter dem Decknamen "Heiner" in den "RZ" gearbeitet haben soll. Mousli behauptet, gestützt auf dubiose Guerilla-Spaziergänge, an denen er teilgenommen haben will, "Heiner" sei der angeklagte Matthias Borgmann. Entsprechende Zeugenvernehmungen sollen bei der Identifizierung behilflich sein.

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http://www.freilassung.de/prozess/ticker/berichte/110402.htm