Pressemittelung des VG Berlin:
Strafprozess gegen die "Revolutionären Zellen":
Klage gegen eine sog. "Sperrerklärung" vor dem Verwaltungsgericht
erfolgreich (Nr. 30/2003)
Berlin, den 18.08.2003
Die sog. "Sperrerklärung" des Bundesinnenministeriums,
die der Offenlegung von zahlreichen Gesprächsprotokollen des
Bundesamtes für Verfassungsschutz im Strafprozess gegen Harald
G. entgegensteht, ist rechtswidrig. Dies entschied heute die 34.
Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin und hob die Sperrerklärung
auf.
Herrn G. wird vorgeworfen, als Mitglied der "Revolutionären
Zellen" unter anderem an Sprengstoffanschlägen beteiligt
gewesen zu sein. Hauptbelastungszeuge im derzeit durchgeführten
Strafverfahren vor dem Kammergericht ist Herr Tarek M. Dieser hat
den Strafermittlungsbehörden gegenüber umfangreiche Aussagen
gemacht und auch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz mehrere
Gespräche geführt. Dieses hat dem zuständigen Strafsenat
des Kammergerichts auf dessen Anforderung hin zwar 197 Blatt Gesprächsprotokolle
vorgelegt; weite Teile der Fragen und Antworten waren jedoch geschwärzt
und wurden, abgesehen von wenigen Passagen, auch auf die Gegenvorstellung
des Vorsitzenden des Strafsenats nicht ungeschwärzt zur Verfügung
gestellt.
Am 2. Juli 2002 gab das Bundesministerium des Innern eine sog.
Sperrerklärung ab, nach der das Bekanntwerden der geschwärzten
Teile der Protokolle dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten werde.
Die dagegen von Herrn G. beim Verwaltungsgericht erhobene Klage
hatte heute Erfolg. Nach Auffassung der Kammer ist die Sperrerklärung,
die aus sich heraus verständlich sein müsse, aus verschiedenen
Gründen rechtlich nicht haltbar. So lasse ihre Begründung
nicht erkennen, dass die Behörde neben den Interessen des Klägers
einerseits und ihrem Geheimhaltungsinteresse andererseits auch das
staatliche Interesse bzw. dasjenige von Nebenklägern an einer
geordneten Strafverfolgung hinreichend berücksichtigt habe.
Auch habe die Behörde nicht alle erheblichen Belange in ihrer
Abwägung hinreichend berücksichtigt. Sie habe insbesondere
die Art der dem Kläger vorgeworfenen Taten und das Maß
der ihm drohenden Bestrafung nicht hinreichend berücksichtigt.
Auch könne nicht bestritten werden, dass dem Zeugen bei seiner
Befragung Hilfestellungen für sein Erinnerungsvermögen
gegeben, ihm etwa Fotos und Namen anderer Personen vorgehalten worden
seien. Welcher "Entwicklung" der Kenntnisstand des Zeugen
hinsichtlich der einzelnen Aussagekomplexe unterworfen war, werde
aus der Sperrerklärung nicht deutlich. Schließlich fehle
es an einer hinreichend konkreten Zuordnung der verschiedenen Weigerungsgründe
zu den einzelnen Komplexen der Gespräche (vgl. im Übrigen
auch die Pressemitteilung 10/2003 zum Eilverfahren).
Die Pflicht zur Aktenherausgabe selbst war nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens. Eine solche Klage müßte gegebenenfalls
gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz vor dem Verwaltungsgericht
Köln erhoben werden.
Die Kammer hat in ihrem Urteil die Berufung zum Oberverwaltungsgericht
Berlin zugelassen, die von der unterlegenen Beklagten binnen eines
Monats nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe erhoben
werden kann.
Urteil der 34. Kammer vom 18. August 2003 - VG 34 A 42.03
|