1. Strafsenat des Kammergerichts in der Hauptverhandlung
vom 28. Juni 2001
(1) 2 StE 11/00 (4/00)
1. Eine wirksame Verpflichtungserklärung gewährt ein Zeugnisverweigerungsrecht
nach § 54 StPO i.V.m. §§ 2 Abs. 2 Nr. 2, 1 VerpflG, wenn der sie
abgebende Zeuge keine Aussagegenehmigung hat, die gestellte Frage
zu beantworten.
2. Die förmliche Verpflichtung eines Zeugen bezieht sich auch auf
die zeugenschutzrelevanten Umstände, die vor der Verpflichtung vorgelegen
haben, ohne daß dies ausdrücklicher Erwähnung in der schriftlichen
Verpflichtungserklärung bedarf.
3. Die Übergabe einer Abschrift der Niederschrift der Verpflichtungserklärung
nach § 1 Abs. 3 Satz 2 VerpflG gehört nicht zu den wesentlichen
Förmlichkeiten nach dem Verpflichtungsgesetz.
4. Wenn das Gericht ernsthaft befürchten muß, daß ein Zeuge durch
wahrheitsgemäße Aussage in Lebensgefahr geraten würde, und wenn
es keine ausreichenden Schutzmöglichkeiten sieht - oder solche durch
die Aussage beeinträchtigt werden könnten - kann das Gericht nicht
verpflichtet sein, durch Anwendung von Zwangsmaßnahmen je nach dem
Aussageverhalten des Zeugen dessen Gefahrenlage zu verschärfen oder
eine Falschaussage hervorzurufen.
StPO § 54; VerpflG § 2 Abs.2 Nr. 2; VerpflG § 1; StPO § 70
1. Strafsenat des Kammergerichts in der Hauptverhandlung vom 28.
Juni 2001:
b.u.v.
Der Antrag des Verteidigers Rechtsanwalt Eisenberg vom 15. Juni
2001, den Zeugen M. durch geeignete Beugemittel zur Beantwortung
der Frage nach dem Inhalt des zwischen ihm und J. am 24. November
1999 geführten Telefongesprächs anzuhalten, wird zurückgewiesen.
Gründe:
Nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme hat der Zeuge M.
anläßlich eines Gesprächs mit Staatsanwalt M. über die Inanspruchnahme
der Kronzeugenregelung am 24. November 1999 mit J. ein Telefongespräch
geführt, von dessen Ergebnis er abhängig machen wollte, ob er umfassende
Angaben im Sinne der Kronzeugenregelung machen werde.
Die Frage nach dem Inhalt dieses Gesprächs hat er nicht beantwortet
und sich zur Begründung darauf berufen, daß die Aussage über dieses
Gespräch Berührungspunkte zum Zeugenschutz habe und seine Sicherheit
gefährde und daß er sich verpflichtet habe, Stillschweigen über
alle Aspekte des Zeugenschutzes zu wahren.
Die Androhung und Festsetzung von Beugemitteln (§ 70 StPO) gegen
den Zeugen zur Beantwortung der Frage ist unzulässig, denn der Zeuge
ist berechtigt, die Auskunft auf die gestellte Frage zu verweigern.
1. Der Zeuge M. ist in das Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes
aufgenommen worden und hat eine Verpflichtungserklärung nach dem
in Art. 42 EGStGB enthaltenen Gesetz über die förmliche Verpflichtung
nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) abgegeben. Der Senat
hat zu den näheren Umständen dieser Erklärung den Leiter der Zeugenschutzdienststelle
des Bundeskriminalamts, Elmar S., als Zeugen vernommen. Danach ist
der Zeuge M. am 22. Dezember 1999 förmlich auf der Grundlage des
Verpflichtungsgesetzes verpflichtet worden, gegenüber Dritten keine
Angaben zu machen über sämtliche Umstände, die sich auf den Zeugenschutz
beziehen. Die Verpflichtung zur Geheimhaltung ist mündlich vorgenommen
und der Zeuge ist auf die strafrechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung
(§ 353 b StGB) hingewiesen worden. Ihm ist dargelegt worden, daß
sich die Pflicht zur Verschwiegenheit auch auf alle zeugenschutzrelevanten
Umstände bezieht, die zeitlich vor der Verpflichtung vorgelegen
haben. Der Zeuge M. hat eine schriftliche Verpflichtungserklärung
gegengezeichnet. Die Verpflichtung ist wirksam und gewährt ein Zeugnisverweigerungsrecht,
da der Zeuge M. keine Aussagegenehmigung hat, die gestellte Frage
zu beantworten (§ 54 StPO i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 1 VerpflG).
Die wesentlichen Förmlichkeiten nach dem Verpflichtungsgesetz sind
eingehalten worden. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VerpflG sind
erfüllt. Die von dem Zeugen gegengezeichnete schriftliche Verpflichtungserklärung
stellt eine Niederschrift im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 VerpflG
dar.
Zwar hat der Zeuge S. die Antwort auf die Frage, ob der Zeuge M.
eine Abschrift der Niederschrift erhalten hat (§ 1 Abs. 3 Satz 2
VerpflG) unter Hinweis auf seine nur eingeschränkte Aussagegenehmigung
verweigert. Die Aufklärung dieses Umstands ist aber nicht erforderlich,
da die Übergabe einer Abschrift der Niederschrift nicht zu den wesentlichen
Förmlichkeiten nach dem Verpflichtungsgesetz gehört. Im Übrigen
dürfte die Übergabe einer Abschrift der Niederschrift an den Zeugen
M. den Belangen des Zeugenschutzes zuwiderlaufen.
Das Verpflichtungsgesetz ist auch die Rechtsgrundlage für die Verschwiegenheitsverpflichtung
von Zeugen im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes, dessen
Zuständigkeit sich aus § 6 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz4Nr. 3 Bundeskriminalamtgesetz
(BKAG) ergibt Der Senat teilt nicht die im Schrifttum (vgl. Griesbaum,
NStZ 1998, 433, 436) vorgetragenen Bedenken, ob das Verpflichtungsgesetz
den Fall des gefährdeten Zeugen, der - im Gegensatz zu einer V-Person
- keine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, wirksam erfaßt. Denn nach
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 VerpflG steht, wer ohne Amtsträger zu sein, auf
Grund eines Gesetzes oder aus einem sonstigen Rechtsgrund zur gewissenhaften
Erfüllung seiner Obliegenheiten verpflichtet worden ist, einem nach
§ 1 VerpflG Verpflichteten gleich, wenn die Voraussetzungen des
§ 1 Abs. 2 VerpflG erfüllt sind. So liegt es hier. Die Verpflichtung
des Zeugen M. zur Geheimhaltung ist, wie dargelegt, mündlich vorgenommen
und der Zeuge ist auf die strafrechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung
hingewiesen worden. Der Zeuge ist auch auf Grund eines Gesetzes,
nämlich der Befugnisnorm des § 26 BKAG, zur Verschwiegenheit verpflichtet
worden. Diese Vorschrift gestattet es dem Bundeskriminalamt, die
zur Erfüllung seiner Aufgabe des Zeugenschutzes (§ 6 BKAG) notwendigen
Maßnahmen zu treffen. Eine solche Maßnahme ist die förmliche Verpflichtung
einer in das Zeugenschutzprogramm aufzunehmenden Person, über alle
damit im Zusammenhang stehenden Umstände Stillschweigen zu wahren.
Die Frage einer analogen Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder § 2
Abs. 2 Nr. 2 VerpflG auf den Fall des gefährdeten Zeugen bedarf
bei der aufgezeigten Rechtslage keiner Erörterung.
Die förmliche Verpflichtung des Zeugen M. bezog sich nach der Aussage
des Zeugen S. - und dem offenkundigen Zweck der Verpflichtung -
auch auf die zeugenschutzrelevanten Umstände, die vor der Verpflichtung
vorgelegen haben, ohne daß dies ausdrücklicher Erwähnung in der.
schriftlichen Verpflichtungserklärung bedarf. Sie erfaßt folglich
auch das Gespräch zwischen dem Zeugen M. und J. am 24. November
1999. Zeugenschutzrelevant ist dieses Gespräch bereits deshalb,
weil es über die Lebensumstände des Zeugen nach der Aufnahme in
das Zeugenschutzprogramm Rückschlüsse zuließe.
2. Es ist anerkannt, daß das Gericht auch gegenüber Zeugen eine
Fürsorgepflicht hat. Es muß prüfen, ob dem Zeugen die Aussage zuzumuten
ist. Wenn es ernsthaft befürchten muß, daß ein Zeuge durch wahrheitsgemäße
Aussage in Lebensgefahr geraten würde, und wenn es keine ausreichenden
Schutzmöglichkeiten sieht - oder solche durch die Aussage beeinträchtigt
werden könnten - kann das Gericht nicht verpflichtet sein, durch
Anwendung von Zwangsmaßnahmen je nach dem Aussageverhalten dessen
Gefahrenlage zu verschärfen oder eine Falschaussage hervorzurufen
(vgl. BGH NStZ 1984, 31., 32). Diese Voraussetzungen liegen nach
der vom Senat vorgenommenen Prüfung vor.
Aufgrund seiner Aussagen über Struktur und Straftaten der Revolutionären
Zellen besteht nach der Einschätzung der Zeugenschutzdienststelle
Gefahr für Leben und körperliche Integrität des Zeugen M.. Diese
Einschätzung, der der Senat folgt, beruht nach den Bekundungen des
Zeugen S. auf einer sorgfältig durchgeführten Gefahrenanalyse, die
auf allen der Polizei vorliegenden Informationsquellen gründet.
Soweit der Zeuge S. unter Hinweis auf seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit
im sensiblen Bereich des Zeugenschutzes es abgelehnt hat, Einzelheiten
über die konkreten Umstände zu nennen, auf denen die Beurteilung
der Gefahrenlage beruht, ist dies nachvollziehbar. Denn anderenfalls
würden diese Umstände auch denen zur Kenntnis gelangen, von denen
die Gefahr ausgeht. Es ist gerichtsbekannt, daß Inhalte der Hauptverhandlung
von interessierten Kreisen in das Internet gestellt werden und so
allgemein zugänglich gemacht werden. Da eine wahrheitsgemäße Beantwortung
der gestellten Frage Rückschlüsse auf die Lebensumstände des Zeugen
M. nach der Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm zulassen und damit
die bestehende Lebensgefahr steigern könnte, ist dem Zeugen die
Antwort nicht zumutbar.
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