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Erklärungen BGH/GBA

2 StE 1/01 StB 4 und 5/01

1. Ein Strafverfahren darf grundsätzlich nur durchgeführt werden, wenn feststeht, daß die erforderlichen Prozeßvoraussetzungen vorliegen und Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen. Die erforderlichen Feststellungen hierfür sind im Wege des Freibeweises zu treffen.Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten zweifelhaft, ob ein Prozeßhindernis vorliegt, ist nach der Art des Prozeßhindernisses oder der Prozeßvoraussetzung zu differenzieren

2. Kann das Vorliegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht nach Aktenlage geklärt werden kann, sondern hängt es von Tatsachen ab, die die angeklagte Straftat betreffen, so muss deren Feststellung dem Strengbeweis in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

3. Für die Annahme einer mitgliedschaftlichen Beteiligung i.S.d. § 129 a Abs. 1 StGB genügt eine nur passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose Mitgliedschaft nicht. Vielmehr ist es erforderlich, daß diese auf eine aktive Teilnahme am Verbandsleben gerichtet sein muß

4. Der Senat neigt dazu, auch bei einem Organisationsdelikt mehrere prozessuale Taten anzunehmen, wenn nur einzelne Betätigungen eines Mitglieds einer solchen Organisation (kriminelle oder terroristische Vereinigung, Verein i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG) Gegenstand der früheren Anklage und gerichtlichen Untersuchung waren und der Angeklagte nicht darauf vertrauen durfte, daß durch das frühere Verfahren alle Betätigungsakte für die Vereinigung erfaßt wurden

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeschuldigten und seiner Verteidiger am 30. März 2001 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts wird der Beschluß des Kammergerichts in Berlin vom 28. Februar 2001 aufgehoben.

2. Die Anklage des Generalbundesanwalts vom 28. Januar 2001 wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Kammergericht in Berlin eröffnet.

3. Die weitere Vollziehung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 1999

1 BGs 284/99 - wird angeordnet.

Gründe:

Der Generalbundesanwalt legt dem Angeschuldigten S. mit der Anklage vom 28. Januar 2001 zur Last, er sei von 1985 bis 1990 Rädelsführer der "Berliner Zelle" der "Revolutionären Zellen (RZ)" gewesen und habe an dem Sprengstoffanschlag in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1987 auf das Gebäude der Zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) in Berlin mitgewirkt. Wegen dieses Sachverhalts hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluß vom 15. Dezember 1999 - 1 BGs 284/99 - Haftbefehl gegen den bereits in anderer Sache in Haft befindlichen Angeschuldigten erlassen und die Notierung von Überhaft angeordnet. Diese wurde seit 15. Februar 2001 vollzogen.

Das Kammergericht hat mit Beschluß vom 28. Februar 2001 die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil das Verfahrenshindernis anderweitiger Rechtshängigkeit entgegenstehe, den Haftbefehl aufgehoben und die Freilassung des Angeschuldigten angeordnet.

Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:

In einem Verfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main (51 Js 118/96) war dem Angeschuldigten mit Anklage vom 16. November 1999 zur Last gelegt worden, er habe als Mitglied der "Revolutionären Zelle" Beihilfe zu dem Anschlag auf die Teilnehmer an der OPEC-Konferenz in Wien am 21. Dezember 1975 geleistet. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main beantragte die Staatsanwaltschaft, das Verfahren gemäß § 270 StPO an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu verweisen, weil die Beweisaufnahme den Verdacht ergeben habe, der Angeschuldigte sei jedenfalls seit Dezember 1975 bis zu seinem Ausstieg im Jahre 1990 ununterbrochen Mitglied der Revolutionären Zellen gewesen. Diesen Antrag hat die Strafkammer abgelehnt, da ein hinreichend wahrscheinlicher Tatverdacht für eine fortlaufende Mitgliedschaft nicht bestehe, vielmehr sei 1978 durch das Abtauchen des Angeschuldigten ins Ausland eine Unterbrechung mit der Folge einer neuen selbständigen Tat des § 129 a StGB für die Zeit nach seiner Rückkehr im Jahre 1985 erfolgt. Mit Urteil vom 15. Februar 2001 hat es ihn sodann wegen des angeklagten Tatvorwurfs freigesprochen; hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.

Das Kammergericht hält die Auffassung des Landgerichts für unzutreffend, weil eine Mitgliedschaft nach § 129 a Abs. 1 StGB auch bei längerer Untätigkeit fortbestehe und es im übrigen auch für die Zeit von 1978 bis 1985 konkrete Hinweise auf mitgliedschaftliche Betätigungsakte des Angeschuldigten gebe. Er habe damit der "(Gesamt-) Vereinigung Revolutionäre Zellen" von 1975 bis 1990 ohne Unterbrechung angehört, weshalb nur eine einzige Straftat nach § 129 a StGB vorliege, die bereits Gegenstand des Verfahrens bei dem Landgericht Frankfurt am Main sei und sich auch auf den tateinheitlichen Vorwurf des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion erstrecke.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts ist begründet.

I. Das Verfahrenshindernis anderweitiger Rechtshängigkeit ist nicht gegeben, weil der Angeschuldigte nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht von 1975 bis 1990 ununterbrochen der gleichen terroristischen Vereinigung angehörte und damit nicht vom Vorliegen einer einzigen Tat nach § 129 a StGB für den gesamten Zeitraum ausgegangen werden kann.

1. Der Senat hat im Verfahren auf die Beschwerde gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 210 Abs. 2 StPO in vollem Umfang zu überprüfen, ob die Voraussetzungen der Eröffnung nach § 203 StPO gegeben sind und insbesondere nicht das Prozeßhindernis anderweitiger Rechtshängigkeit entgegensteht.

Ein Strafverfahren darf grundsätzlich nur durchgeführt werden, wenn feststeht, daß die erforderlichen Prozeßvoraussetzungen vorliegen und Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen, die erforderlichen Feststellungen hierfür sind im Wege des Freibeweises zu treffen (vgl. Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 203 Rdn. 16, § 206 a Rdn. 28 ff., 59). Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten zweifelhaft, ob ein Prozeßhindernis vorliegt, ist nach der h.M. nach der Art des Prozeßhindernisses oder der Prozeßvoraussetzung zu differenzieren (vgl. BGHSt 18, 274, 277 f.; Überblick bei Paeffgen in SK-StPO 15. Lfg. § 206 a Rdn. 16 f.). In einigen älteren Entscheidungen ist zur Frage des Strafklageverbrauchs noch die Auffassung vertreten worden, daß hier der Zweifelssatz nicht anwendbar sei und nur eine nachgewiesene vorhergehende Verurteilung die erneute Aburteilung hindere (OGHSt 1, 207; BGH, Urt. vom 9. Oktober 1952 - 4 StR 124/52; Urt. vom 19. Februar 1954 - 2 StR 581/53). Diese Entscheidungen sind jedoch durch BGHSt 18, 274 überholt (vgl. BayObLG NJW 1968, 2118). Allerdings erfordert die Anwendung des Zweifelssatzes konkrete tatsächliche Umstände; bloß theoretische, nur denkgesetzlich mögliche Zweifel reichen nicht aus (vgl. Rieß aaO). Dabei ist es in aller Regel ohne praktische Bedeutung, ob dogmatisch von der Funktion der Prozeßvoraussetzung als Bedingung für die Zulässigkeit eines Sachurteils oder von der Anwendung des Zweifelssatzes ausgegangen wird (Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO 44. Aufl. § 206 a Rdn. 7).

Etwas anderes muß jedoch gelten, wenn das Vorliegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht nach Aktenlage geklärt werden kann, sondern von Tatsachen abhängt, die die angeklagte Straftat betreffen. Deren Feststellung muß dem Strengbeweis in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben (Loos, JuS 1979, 702; vgl. auch Rieß aaO § 203 Rdn. 8; Paeffgen aaO § 203 Rdn. 13). Würden solche Fragen bereits im Eröffnungsverfahren mit der erforderlichen Vollständigkeit geprüft werden, müßte ein unter Umständen wesentlicher Teil der Hauptverhandlung vorweggenommen werden, wobei der Angeklagte im Freibeweisverfahren eine schlechtere verfahrensrechtliche Position besitzt. Die - im Falle einer Verneinung eines Prozeßhindernisses - erforderliche Wiederholung dieser Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nach den Regeln des Strengbeweises würde nicht nur prozeßunökonomisch und für die Beteiligten zusätzlich belastend sein, sie würde auch die Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse in sich bergen und letztlich dem Prinzip des Strafverfahrens, wonach der Schwerpunkt in der Hauptverhandlung liegen soll, zuwiderlaufen (vgl. dazu Loos aaO: keine Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung, diese solle "Premiere", nicht "Reprise" sein). Daß eine solche doppelte Beweisaufnahme in hohem Maße unzuträglich sein kann, zeigt gerade das vorliegende Verfahren. Die abschließende Klärung der Frage, ob eine anderweitige Rechtshängigkeit gegeben sein könnte, würde auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zum prozessualen Tatbegriff eine umfassende Beweisaufnahme über die Einbindung des Angeklagten in die verschiedenen Ausformungen der "Revolutionären Zellen" in der Zeit von 1975 bis 1990 und über seine Tätigkeit im Zeitraum von 1978 bis 1985 voraussetzen. Dafür müßte neben zahlreichen anderen Beweiserhebungen der Zeuge M. umfangreich vernommen werden, dessen Glaubwürdigkeit die Verteidiger mit zahlreichen Einwänden in Frage stellen würden. Damit müßte ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung vorweggenommen werden, was hier voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen würde.

Diese Auffassung entspricht auch der Praxis des Bundesgerichtshofs in Revisionsverfahren, in denen die Frage des Vorliegens eines Strafklageverbrauchs von den bislang ungenügend aufgeklärten tatsächlichen Umständen der abgeurteilten Tat abhängt, etwa weil in Frage steht, ob ein Handel mit Betäubungsmitteln Teil einer bereits anderweitig abgeurteilten Bewertungseinheit ist. In solchen Fällen wird diese Frage nicht im Revisionsverfahren im Wege des Freibeweises geklärt, sondern die Sache zu erneuter tatrichterlicher Feststellung im Wege des Strengbeweises zurückverwiesen (BGH, Beschl. vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00).

Für die Frage der Eröffnung muß demnach eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür genügen, daß die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ein solches Verfahrenshindernis nicht ergeben werde.

2. Bei der "Revolutionären Zelle", der der Angeschuldigte von 1975 bis 1978 im Bereich Frankfurt am Main angehört hat, und der "Berliner Zelle der Revolutionären Zellen" im Tatzeitraum der Anklage zum Kammergericht von 1985 bis 1990 handelt es sich nach Aktenlage um unterschiedliche terroristische Vereinigungen. Eine den gesamten Zeitraum von 1975 bis 1990 und gleichzeitig auch die verschiedenen regionalen Gruppierungen umfassende einheitliche Vereinigung im Sinne des

§ 129 a StGB ("Gesamtvereinigung") war entgegen der Auffassung des Kammergerichts nicht gegeben. Zwar erscheint es grundsätzlich vorstellbar, daß sich eine terroristische Gruppierung in der Art organisiert und strukturiert, daß neben einzelnen regionalen Vereinigungen auch eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, die ihrerseits ebenfalls die Kriterien einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a StGB erfüllt, wobei einzelne Mitglieder sowohl der regionalen, als auch der Dach-Vereinigung angehören und sich an ihnen aktiv beteiligen können. Hier ergibt sich jedoch aus den Ermittlungen, daß nach der Umstrukturierung der "Revolutionären Zelle" im Zeitraum von 1976 bis 1981 keine solche Dach-Vereinigung vorhanden war, die selbst als terroristische Vereinigung nach § 129 a StGB angesehen werden könnte. Dazu wäre Voraussetzung gewesen, daß sich mehrere Personen zu einer Vereinigung zusammenschließen, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet war, bestimmte Straftaten der in § 129 a Abs. 1 StGB genannten Art zu begehen, wobei die Unterwerfung der Mitglieder unter eine organisierte Willensbildung notwendig ist, was innerhalb der Vereinigung bestehende, von den Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen voraussetzt (BGHSt 10, 16 f.; 28, 147 f.; 31, 202, 205).

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Beschwerdebegründung vom 5. März 2001 unter Hinweis auf Fundstellen in dem publizistischen Organ "Revolutionärer Zorn" der "Revolutionären Zelle" im einzelnen belegt, hat sich die "Revolutionäre Zelle" im September 1976 in "Revolutionäre Zellen" umbenannt und mehrere einzelne selbständige, regional aufgeteilte Zellen mit eigenen Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen gebildet. Dabei wird zur Eigenständigkeit dieser Zellen betont, daß jeder selbst entscheiden kann" ... "ohne auf die Bestätigung oder das Dementi eines nicht vorhandenen ZK's zu warten" (Revolutionärer Zorn Nr. 5, April 1978). Dies belegt das Fehlen einer übergeordneten Vereinigung mit eigener Entscheidungsstruktur, der sich die einzelnen Mitglieder der Zellen unterworfen hätten. Dem entspricht, daß es nach der Aussage des Zeugen M., der zu der Zusammensetzung und Struktur der "Revolutionären Zellen" in dem fraglichen Zeitraum ab Mitte der 80-er Jahre umfangreiche und umfassende Angaben gemacht hatte, an überregionalen Tätigkeiten lediglich einmalige jährliche Treffen von Abgesandten der einzelnen Zellen gegeben hatte, die "Miez" oder auch "Asamblea" genannt wurden. Daß dort verbindliche Entscheidungen für die Durchführung von Straftaten im Sinne des § 129 a Abs. 1 StGB getroffen worden wären, die dann auch unter der Verantwortung einer solchen überregionalen Vereinigung verübt worden wären, hat er nicht berichtet; auch sonst fehlen dafür jegliche Anhaltspunkte. Daß die einzelnen Zellen gelegentlich zusammenarbeiteten, z.B. durch die Überlassung von Sprengstoff aus einem Diebstahl, oder daß sie ein einheitliches Symbol verwendeten, vermag daran nichts zu ändern, da dies die fehlenden Merkmale einer Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB für die angebliche "Gesamt-Vereinigung" nicht ersetzen kann.

Dabei kommt hinzu, daß mit der Umstrukturierung der "Revolutionären Zelle" auch ein inhaltlicher und programmatischer Wandel verbunden war, der zu Spaltungen und Trennungen führte, wie in der Beschwerdebegründung im einzelnen dargestellt und belegt wird. Bei dieser Sachlage braucht der Senat daher nicht zu entscheiden, ob die Frage der Fortdauer einer einheitlichen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegebenenfalls dann anders zu beurteilen ist, wenn sich eine Vereinigung aus taktischen Gründen einvernehmlich umstrukturiert und nahtlos ihre bisherigen Zwecke weiterverfolgt, sei es, daß sich eine bislang einheitliche Organisation in mehrere einzelne Vereinigungen aufspaltet oder umgekehrt bisher selbständige Gruppierungen sich zu einer einheitlichen Vereinigung mit gleichbleibender Zielrichtung zusammenschließen.

3. Zudem ist durch das Abtauchen des Angeschuldigten im August 1978 nach dem bisherigen Kenntnisstand seine mitgliedschaftliche Beteiligung an der "Revolutionären Zelle", der er bis dahin angehört hatte, beendet worden. Darin liegt eine Zäsur, die der Annahme einer einzigen Tat nach § 129 a StGB entgegensteht.

Der Angeschuldigte selbst erklärte hierzu in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen der Schilderung seines Lebenslaufes: "In der Zeit von August 1978 bis zur Wiederaufnahme meiner politischen Aktivitäten Mitte der 80er Jahre habe ich keine strafbaren Handlungen begangen und keiner verbotenen Organisation angehört." Mag diese Erklärung auch prozeßtaktischen Erwägungen entspringen, so stimmt sie jedenfalls insoweit mit den Ermittlungsergebnissen überein, als für die Zeit nach dem Abtauchen im August 1978 bis jedenfalls 1981 keinerlei Anhaltspunkte für eine Fortsetzung der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeklagten an der "Revolutionären Zelle" gegeben sind; solche hat auch das Kammergericht nicht festgestellt.

Wenn es gleichwohl diesem Umstand für die Fortdauer der Mitgliedschaft keine maßgebliche Bedeutung beimißt, weil nach BGHSt 29, 288, 294 die Mitgliedschaft auch in Zeiten fortbestehe, in denen gerade keine Tätigkeit entfaltet werde, wird es weder dem Sinn dieser Entscheidung, noch dem Begriff der mitgliedschaftlichen Beteiligung nach § 129 a Abs. 1 StGB gerecht. Danach genügt eben nicht eine nur passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose Mitgliedschaft, vielmehr ist erforderlich, daß diese auf eine aktive Teilnahme am Verbandsleben gerichtet sein muß (BGHSt 29, 114, 120 f.). Gerade weil in BGHSt 29, 288, 294 dieser Grundsatz unter Verweis auf die vorgenannte Entscheidung wiederholt wird, kann die nachfolgende Erwägung, die Mitgliedschaft bestehe auch in Zeiten, in denen keine Tätigkeit für die Vereinigung ausgeübt werde, nur dahin verstanden werden, daß es bei einer solchen aktiven Beteiligung naturgemäß zwischen den einzelnen Betätigungsakten zu Pausen kommen kann, die ohne Einfluß auf das Andauern der Mitgliedschaft bleiben. Daraus hat der Senat gefolgert, daß diese Tatbestandsstruktur dazu führe, daß sich die Strafbarkeit der mitgliedschaftlichen Beteiligung auf Jahre erstrecken könne (BGHSt 29, 288, 294). Umgekehrt durfte daraus das Kammergericht jedoch nicht den Schluß ziehen, daß selbst eine jahrelange Unterbrechung der aktiven Betätigung die Fortdauer der Mitgliedschaft im Sinne des § 129 a Abs. 1 StGB ohne weiteres unberührt lasse. Wenn das Kammergericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, daß der Wechsel des Angeklagten nach Berlin (nach mehreren Jahren) als "Wiederaufleben der zuvor ruhenden Mitgliedschaft" (BA S. 5) anzusehen sei, beschreibt es gerade nicht eine aktive, sondern allenfalls eine zwischenzeitliche passive Mitgliedschaft, die für die Erfüllung des Tatbestandes des § 129 a Abs. 1 StGB nach dem Wortlaut des Gesetzes und auch nach der Rechtsprechung nicht ausreicht.

Insofern ist die Tatbestandsstruktur des Organisationsdeliktes der mitgliedschaftlichen Beteiligung nach § 129 a Abs. 1 StGB dem Tatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB vergleichbar. Auch dort stellt sich das Problem, ob und unter welchen Voraussetzungen Zeiten der Inaktivität eines Agenten noch als tatbestandsimmanentes Verhalten anzusehen sind oder ob ein späteres erneutes Tätigwerden eine neue Tat im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt (vgl. dazu Rissing-van Saan in FS 50 Jahre BGH, S. 485 f.). So hat der Senat die vorübergehende "Abschaltung" eines Agenten für die Dauer eines Jahres nach der Enttarnung eines anderen Agenten zur Vermeidung einer Entdeckung als für eine geheimdienstliche Agententätigkeit typisch bewertet (BGHR StGB § 99 Ausüben 2). Ähnliches dürfte für das Mitglied einer terroristischen Vereinigung gelten, das sich etwa dem verstärkten Fahndungsdruck der Polizei nach einem spektakulären Anschlag durch ein vorübergehendes Untertauchen entzieht, um danach seine Tätigkeit wieder ungefährdet fortsetzen zu können. Dabei wird man aber ebenso wie bei der geheimdienstlichen Agententätigkeit für die Frage einer Tatbeendigung nicht allein auf die Dauer der zeitlichen Zäsur abstellen dürfen, sondern eine Gesamtbetrachtung der Umstände, insbesondere der Ausgestaltung der weiteren Beziehungen zu der Vereinigung anzustellen haben (vgl. Rissing van Saan aaO, S. 486). Hier ist zu berücksichtigen, daß der Angeschuldigte im August 1978 abtauchte, als gegen ihn wegen Mitgliedschaft in der "Revolutionären Zelle" ermittelt worden war, was zum Erlaß eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. September 1978 geführt hatte. Dies und der Umstand, daß bis 1981 keinerlei Anhaltspunkte für eine weitere Tätigkeit vorliegen, ferner daß der Angeklagte nach der oben dargelegten Umstrukturierung der "Revolutionären Zelle" nicht in seiner alten Frankfurter Gruppe, sondern in der "Berliner Zelle" aktiv geworden ist, belegt zur Überzeugung des Senats, daß er seine mitgliedschaftliche Betätigung mit dem Abtauchen beendet und danach an anderer Stelle und für eine andere Vereinigung neu aufgenommen hat.

4. Unabhängig von den vorgenannten Erwägungen neigt der Senat in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGHSt 29, 288 ff.) dazu, auch bei einem Organisationsdelikt mehrere prozessuale Taten anzunehmen, wenn nur einzelne Betätigungen eines Mitglieds einer solchen Organisation (kriminelle oder terroristische Vereinigung, Verein i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG) Gegenstand der früheren Anklage und gerichtlichen Untersuchung waren und der Angeklagte nicht darauf vertrauen durfte, daß durch das frühere Verfahren alle Betätigungsakte für die Vereinigung erfaßt wurden (Urt. des Senats vom heutigen Tage - 3 StR 342/00, vgl. dazu Krauth in FS für Kleinknecht, 1985, S. 215, 229 ff.). Der 2. Strafsenat hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die uferlose Ausdehnung der Kognitionspflicht des Tatrichters durch den prozessualen Tatbegriff bei derartigen langgestreckten Delikten (Organisationsdelikte, Dauerdelikte, Bewertungseinheiten) dessen Leistungsfähigkeit übersteige und eine den Grundsätzen des Strafverfahrens widersprechende Verlagerung von Ermittlungstätigkeit in das gerichtliche Hauptverfahren zur Folge habe. Gleichzeitig würden die auch dem Schutz des Angeklagten dienenden Verfahrensinstitute wie Anklage und Eröffnungsverfahren ausgehöhlt (BGHSt 43, 252, 257).

II. Da der Angeschuldigte im übrigen der angeklagten Tat hinreichend verdächtig ist, war die Anklage des Generalbundesanwalts zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor dem Kammergericht zu eröffnen. Im einzelnen wird hierzu auf die Anklage und das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 210 Abs. 3 Satz 2 StPO, die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts zu eröffnen, keinen Gebrauch gemacht.

III. Der Aufhebung des Haftbefehls nach § 120 Abs. 1 StPO wird durch die vorliegende Beschwerdeentscheidung die Grundlage entzogen. Gemäß § 207 Abs. 4 StPO ordnet der Senat die weitere Vollziehung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters vom 15. Dezember 1999 an. Der dringende Tatverdacht beruht auf der umfangreichen Aussage des Zeugen Tarek M.. Es besteht weiterhin neben dem Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO der Haftgrund der Fluchtgefahr, nachdem der Angeschuldigte bereits im August 1978 zur Vermeidung seiner Festnahme untergetaucht, einige Jahre später zwar wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, aber hier illegal bis zum vermeintlichen Verjährungseintritt gelebt hatte. Dies belegt die Gefahr, daß er sich auch jetzt dem nunmehr drohenden Strafverfahren durch Flucht entziehen werde. Diese Gefahr wird nicht dadurch ausgeräumt, daß er nach dem Nichteröffnungsbeschluß und der Aufhebung des Haftbefehls sich verfügbar gehalten hat, da er bislang darauf hoffen konnte, von einem weiteren Strafverfahren verschont zu bleiben. Unter den gegebenen Umständen kann gegenwärtig der Fluchtgefahr auch nicht durch Maßnahmen nach § 116 StPO begegnet werden. Da der Angeschuldigte innerhalb der "Berliner Zelle" eine führende Rolle eingenommen hat a auch in maßgeblicher Weise an den begangenen Taten beteiligt war, hat trotz der zwischenzeitlichen Beendigung der Tätigkeit dieser Vereinigung des Zeitabstandes zwischen den Taten und ihrer Verfolgung eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe zu erwarten.

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