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Revolutionärer
Zorn Nr. 6 - Januar 1981
Denunziation und Ausgrenzung
Mit Denunziation und Ausgrenzung hatte die Linke - von wenigen
Ausnahmen abgesehen - auf die ersten Aktionen der RAF reagiert,
obwohl sich in ihnen wenigstens anfangs vor allem ihr eigenes Dilemma
widerspiegelte: was sollte der Phase moralischen Protests folgen,
dessen politische Kraft sich abgenutzt hatte? Daß Ulrike durch
Verrat aus den Reihen der nunmehr verbeamteten Linken (Rodewald
[15]) ans Messer geliefert
werden konnte, ohne daß es zum Eklat kam, eindrucksvoller
hätte sich der moralische Verfall nicht inszenieren lassen.
Selbst die "Solidarität mit den Opfern", die erst
den Tod von Holger Meins [16]
brauchte, um von der Wirklichkeit der Isolationsfolter in BRD- Knästen
überzeugt zu sein, stand auf tönernen Füßen;
schon einen Tag später - in Berlin war der Richter
Drenkmann erschossen worden - "erwies sich, was sie auch war,
nämlich Instrument der Spaltung." Und als schließlich
auch noch die radikale Frankfurter Spontiscene [18]
nach dem Tod von Ulrike 1976 entsetzt vor dem zurückschrak,
was ihre eigene Militanz zur Folge haben könnte, drehte sie
den Spieß kurzerhand um und münzte ihre Niederlage in
einen Generalaufwasch mit den bewaffneten Gruppen um: " Wir
fordern sie von hier aus auf, Schluß zu machen mit dem Todestrip,
runterzukommen von ihrer bewaffneten Selbstisolation, die Bomben
wegzulegen und die Steine und einen Widerstand, der ein anderes
Leben meint, wieder aufzunehmen." (Joschka Fischer [19]
1976). Wo die Fürsprecher eines so verstandenen Widerstandes
mittlerweile geendet sind, ist bekannt. Mit Steinen, die zum Werfen
gedacht waren, frieden sie heute ihr "anderes Leben" ein.
Vom "solidarisch" gemeinten Appell bis zur versuchten
Erpressung war es nicht mehr weit. Im Herbst 1977 formierte sich,
was bis dahin noch Tendenz war, zur gnadenlosen Offensive gegen
den "Terrorismus". Es schien, als würde sich diese
Linke unter dem Klima der Hemmungslosigkeit selbst die letzten Skrupel
vom Halse schaffen. Die Ventile waren geöffnet, endlich konnte
man sich ungezügelt Luft verschaffen. Da krochen einstige SPD'ler,
die die Früchte des großen Runs auf die akademischen
Planstellen nicht leichtfertig auf's Spiel setzen wollten, gleich
scharenweise vor dem staatlichen Gewaltanspruch zu Kreuze und boten
sich der Obrigkeit an, in die Bewegung zurückzukehren, um die
Wurzeln der Subversivität von unten aufzurollen. Da häuften
sich die erbärmlichen Gesten der Untertänigkeit, wurden
Ergebenheitsadressen und Loyalitätsbekundungen gleich zu Hauf
produziert, galt der Kniefall vor der Staatsgewalt als Zeichen der
Humanität angesichts des Schrecken, den der Versuch der Gefangenenbefreiung
verbreitete. Kaum einer, der um seinen Ruf zu fürchten brauchte,
wenn er wie selbstverständlich zur politischen Isolierung oder
gar persönlichen Denunziation der Organisationen und Militanten
des bewaffneten Widerstands anstiftete. Nicht nur der Lange Marsch
[20] sah sich in dieser
Situation (und danach) berufen, aus dem Innern der Linken heraus
eine ihrer Fraktionen zum Abschuß freizugeben und sich zum
Teil des staatlichen Programms der "Terroristenvernichtung"
zu erklären. Herbst 1977 - die letzten Schranken, wenn schon
nicht der Solidarität, so doch der moralischen Integrität
waren gefallen. Die Kluft zwischen der legalen Linken und den bewaffneten
Gruppen war unversöhnlich geworden, der politische Bruch schlug
in unverholene Feindseligkeit um.
Es ist nicht an uns, den Anteil der legalen Linken an dieser Entwicklung
aufzuzeigen. Die notwendige Selbstbesinnung ist sie sich selbst
wie anderen schuldig geblieben.
Herbst 1977 - Bruch zwischen der legalen und bewaffneten Linken
Wir selbst nahmen die Herausforderung an und erklärten, nicht
länger Teil dieser Linken zu sein. Wir vollzogen den Bruch,
indem wir über die Verkommenheit des Legalismus herfielen und
uns in der absoluten Notwendigkeit des beschleunigten Aufbaus illegaler
Strukturen bestärkt sahen. Der Wirksamkeit anderer Formen des
Widerstands als der des bewaffneten Kampfes schien angesichts der
Toten von Stammheim jeglicher Boden entzogen zu sein. Daß
wir uns mit dieser Verarbeitung des Geschehens selbst den Boden
unter den Füßen wegziehen würden, daß wir
im Begriff waren, Guerilla als eine von vielen Methoden des politischen
Kampfes zu verabsolutieren, ist uns erst geraume Zeit später
bewußt geworden. Denn in der Anerkennung des endgültigen
Bruches zwischen legaler Linken und bewaffneten Gruppen lag zugleich
das Eingeständnis des vorläufigen Scheiterns eines Konzeptes,
in dem das Verhältnis zu den autonomen Bewegungen, zu den Massenkämpfen,
zu den legalen politischen Kernen von Beginn an einen zentralen
Stellenwert hatte. Die entstandene Kluft war auch ein Signal, daß
wir uns mehr und mehr an den realen Prozessen vorbeigemogelt hatten
und an Ideen und Hoffnungen festhielten, die durch den tatsächlichen
Verlauf der 70iger Jahre zur Fiktion geworden waren.
1973, als eine Revolutionäre Zelle erstmals namentlich Verantwortung
für Aktionen übernahm, hatten wir uns am Ausgangspunkt
eines neues Aufschwungs von Massenbewegungen geglaubt, die die verschiedenen
Sektoren der Gesellschaft erfassen würde. Anzeichen gab es
zur Genüge: die Streikwelle, die auf Fabriken wie Hoesch, Mannesmann,
John Deere, Klöckner usw. überschwappte, signalisierte
eine für deutsche Verhältnisse neue Qualität in den
Kampfzielen und - formen, an den Fabriktoren der Kölner Ford-
Werke kristallisierten sich die Umrisse einer sich autonom organisierenden,
multinationalen Arbeiterklasse heraus. Gleichzeitig gärte es
in den Stadtteilen. Die Jugendbewegung hatte mit dem Kampf für
selbstverwaltete Jugendzentren wieder ein verbindendes politisches
Motiv gefunden, das bis in die kleinsten Provinzstädte widerhallte.
In den Hausbesetzungen kam der radikale Wille zum Durchbruch, sich
tatsächlich zu nehmen, was wir brauchten. Mit dem Schwarzfahren,
dem Ladenklau, dem Krankfeiern wurden andere Formen des Widerstandes
als eminent politisch entdeckt, die bis dahin lediglich privaten
Charakter hatten. Zur
gleichen Zeit entwickelte sich im rasanten Tempo mit der Frauenbewegung
eine neue gesellschaftliche Kraft, die vor 1975 in der Kampagne
gegen den § 218 ihren Höhepunkt als überregionale
Bewegung erlebte. Und nicht nur die nationalen, sondern auch die
internationalen Geschehnisse in der ersten Hälfte des Jahrzehnts
gaben Anlaß zu Optimismus. Vietnam, Kambodscha, Griechenland,
Angola, Mosambik, Spanien, Portugal stehen in dieser Periode als
Namen für eine siegreiche Perspektive antiimperialistischer
oder antifaschistischer Befreiungsbewegungen. Selbst in Chile schien
mit dem MIR eine politische/ militärische Kraft heranzuwachsen,
die stark genug sein würde, um die blutige Pinochet- Diktatur
wieder zu stürzen.
Diese Aussicht auf die bevorstehende Phase von Massenkämpfen
neuen Inhalts koppelte sich mit unseren eigenen Erfahrungen. Wir
wußten:
- Politik innerhalb der Normen formaler Demokratie blieb ohnmächtige
Politik. All jene Vorstellungen, die auf eine lange Phase von
Aufklärung und Propaganda bauten, ohne gleichzeitig Aktionsebenen
zu definieren, standen stets an der Schwelle zur Vereinnahmung.
- Der repressive Staatsapparat hatte dazugelernt und war darauf
eingerichtet, den Massenwiderstand in die Grenzen seiner Handlungsmöglichkeiten
zu verweisen. Klandestinität war eine Basis gegen Repression.
- Subjektivität, der Wille zum revolutionären Handeln,
kann Berge versetzen.
- Das Unvorstellbare galt nicht mehr. Die Praxis der RAF, aber
auch etlicher anderer subversiver Kerne, hatte mit einem Tabu
aufgeräumt, das in diesem Land eine lange Tradition hat.
Die Organisation revolutionärer Gewalt gegen den totalitären
Gewaltanspruch des Staates in allen seinen Formen war wieder richtig
und möglich.
Vor diesem Hintergrund entstand ein Konzept bewaffneten Kampfes,
in dem die Stärkung der Masseninitiative durch klandestin operierende,
autonom und dezentral organisierte Gruppen der erste Schritt eines
langwierigen Angriffs auf die Macht sein sollte. "Was wir wollen,
ist die Gegenmacht in kleinen Kernen organisieren, die autonom in
den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen arbeiten, kämpfen,
intervenieren, schützen, die Teil von der politischen Massenarbeit
sind. Wenn wir ganz viele Kerne sind, ist die Stoßrichtung
für die Stadtguerilla als Massenperspektive geschaffen."
(Revolutionärer Zorn Nr. 1).
Die Kriterien, denen eine solche Praxis unterlag, nämlich
Orientierung an gesellschaftlichen Konflikten, Vermittelbarkeit
von Aktionen, Nachmachbarkeit, Verteidigung erkämpften Gegenmilieus,
zeigen, worum es uns schon damals ging: um das Bewußtsein
der Menschen, um die Zerstörung des Gefühls der Ohnmacht,
um Überwindung der Hoffnungslosigkeit, also um den Kampf gegen
jene spezifische Form der Verelendung, wie sie für die Metropole
charakteristisch ist.
Rückblickend
ist es leicht, hinter dieser Sorte von optimister Vorausschau auch
Naivität gegenüber der tatsächliche Bewegung revolutionärer
Prozesse zu vermuten. Unter dem Einfluß von Gruppen wie der
Gauche Proletarienne [21],
The Black Panther Party [22],
den Tupamaros [23],
der IRA [24], der ETA
[25] und dem Schwarzen
September [26], deren
Stärke vor allem darauf beruht, daß sie sich auf ein
zentrales, das Volk vereinendes politisches Motiv berufen können,
hatten wir sicherlich die Hindernisse unterschätzt, die der
Herausbildung einer Massenguerilla im Wege standen. Und auch die
Hoffnung, die Klassenbewegung wäre - einmal ins Rollen gekommen
- aus sich heraus fähig zu Kontinuität, erwies sich als
Illusion. Weder sollten sich die verschiedenen Bewegungen in jener
Gradlinigkeit fortentwickeln, die wir unterstellt hatten, noch sprang
aus der Initiative einer Handvoll "Kämpfer" der Funke
über, der den Steppenbrand hätte entfachen sollen. Die
Zeichen für die Vermassbarkeit illegaler Politik standen fürs
erste schlecht.
Der Zerfall der Bewegung erwies sich als unaufhaltsam. Die sozialliberale
Einkreisung der Jugendrevolte von oben zeigte erste Wirkung:
Während sie der Mehrheit der mittelständigen Schichten
des Massenprotestes mittels Amnestie und Hochschulreform einen Weg
zurück offengehalten hatten, um sich so langfristig deren Fähigkeiten
zu sichern, präsentierte sie sich eine Etage tiefer von ihrer
rüderen Seite. Mit Bullenrazzien und einstweiligen Verhaftungen
machte sie allen verfrühten Hoffnungen darauf, daß die
eroberten Freiräume (wie das Georg- von- Rauch- Haus) [27]
schon Bastionen einer neuen Gesellschaft seien, ein rasches
Ende. An die Stelle der radikalen Utopie, die Phantasie, Selbstbestimmung,
Entschlossenheit bedeutet hatte, trat nüchterne Realpolitik,
in deren Folge die Auflösung der Einheit der Bewegung ihre
verklärende Bemäntelung erfuhr. Die neuen/alten Organisationen
hatten sich zu Instrumenten des Angriffs auf die antiautoritären
Inhalte und Verhaltensweisen der Revolte entwickelt, der Prolet
war zur Waffe geworden, mit der Aufsässigkeit und Anpassungsverweigerung
zurechtgewiesen wurden. Mit der rückwärtsgewandten Selbstproletarisierung
des studentischen Teils der 68er- Generation waren Disziplin, Opferbereitschaft,
Geduld ebenso in die Scene zurückgekehrt wie Monogamie und
der FaÁon- Schnitt. Die langfristigen Früchte mühseliger
Aufbauarbeit wurden verrissen, während die Orientierung am
unmittelbaren Erfolg, eine der entscheidenden Triebfedern der APO,
als kleinbürgerlich denunziert wurde. Entdeckt war der Teilbereich,
die Abteilung in der Fabrik, die Gewerkschaftsgruppe, der Straßenzug,
eine Schule, ein Jugendheim, eine Obdachlosensiedlung. Aber über
die Behauptung, daß es Widerstand nur durch seine Teilbereiche
gibt, geriet in Vergessenheit, daß diese nur durch den gesamten
Widerstand bestehen und überleben können. Der jeweilige
Erfahrungsbereich wurde so zum Nabel der Welt, die selektive Wahrnehmung
zum Fundus, aus dem die gesamte Weisheit gelöffelt wurde.
Natürlich können das nur grobe Kennlinien sein. Dennoch
markieren sie eines: die objektive Entwicklung hatte einer Praxis
bewaffneten Widerstands teilweise den Boden entzogen, der Bezugpunkt,
der Adressat unserer Politik - die Jugendrevolte - hatte sich in
die Basisprojekte aufgelöst und darüber fundamentale Elemente
des ursprünglichen Selbstverständnisses preisgegeben,
ein gemeinsamer Nenner, Voraussetzungen des inneren Kontaktes zwischen
Guerilla und Bewegung, existierte nicht mehr. Für uns, die
wir ungeachtet dessen an dem Ziel einer Massenguerilla festhielten,
bedeutete dieser Prozeß zweierlei:
1.
Mit der Zersplitterung der Bewegung reduzierte sich die Bedeutung
gesellschaftlicher Konflikte, in denen die Linke präsent war,
auf Auseinandersetzungen, die nur in den seltensten Fällen
wenigstens lokale Ausmaße erreichten. Ob nun die Forderung
nach einer Klimaanlage in einer Fabrik oder die Propaganda gegen
ein Sanierungsprojekt in einem Stadtteil oder Ärger über
einen besonders miesen Vermieter - all diese Aktivitäten wurden
nicht mehr als Teil eines Ganzen begriffen, sondern waren Ausdruck
weitgehend isolierter und gruppenspezifischer Interessen. Da es
hunderte solcher Konflikte gab, mußten Aktionen zwangsläufig
einen gewissen Grad an Beliebigkeit haben. Die typische Auseinandersetzung,
innerhalb derer bewaffnete Politik ihre Funktionen und konkrete
Wirksamkeit hätte faktisch unter Beweis stellen können,
war eine leere Wunschvorstellung. Da theoretische Verpflichtung
und praktische Möglichkeiten ohnehin in einem disproportionalen
Verhältnis standen, stieg die Tendenz, auf symbolische Interventionen
auszuweichen. Benennbare konkrete Zielsetzungen gerieten in den
Hintergrund, während das Argument, es ging um den Nachweis,
daß illegaler Widerstand in diesem Land überhaupt möglich
ist, zunehmend an Gewicht gewann. Kontinuität entwickelten
wir nicht am einzelnen "Fall", sondern anhand der Tatsache,
daß es von Zeit zu Zeit und hier wie dort überhaupt mal
wieder brannte und krachte. Erschwerend wirkte sich aus, daß
eine personelle Verbindung zu den verschiedensten Gruppen und Initiativen
unter den gegebenen Bedingungen nahezu ausgeschlossen war, wir folglich
mehr und mehr von Diskussionen abgeschnitten und auf indirekte Informationen,
also Zeitungen, Flugblätter, "Zuträger" angewiesen
waren, um die Objekte, die Zielrichtung, die Form und den Zeitpunkt
von Aktionen zu bestimmen. Klar, daß sich damit das Risiko
erhöhte, ungenau, abstrakt, unverständlich zu bleiben.
Und selbst in den Fällen, wo Aktionen der Guerilla Erfolg hatten,
wo sie auf Zustimmung und Sympathie stießen, also populär
waren, zogen wir nur selten die richtigen Schlußfolgerungen.
Fixiert auf eine - nicht existente - Einheit der Bewegung liefen
wir dem falschen Adressaten hinterher, statt zu registrieren, in
welchen Teilen der Gesellschaft bewaffnete Politik tatsächlich
Hoffnungen und Kraft freisetzen konnte. Die einseitige Ausrichtung
am Stand von Bewegungen, ohne gleichzeitig den sozialen Bezugspunkt
der eigenen Praxis zu definieren, hatte zur Folge, daß wir
die tatsächliche Bedeutung solcher Aktionen wie die gegen Kaußen,
das Verteilen von Fahrscheinen und Sozialscheinen etc. nur selten
angemessen zu werten wußten.
2.
Als Folge dieser Schwierigkeiten wie aber auch als Kritik an dem
Zerfall der Linken, der sich mit erschreckender Ignoranz und Gleichgültigkeit
gegenüber gesellschaftlichen Prozessen paarte, die sich jenseits
der eigenen Unmittelbarkeit durchsetzten, veränderte sich die
Stoßrichtung unserer Aktionen. Statt sich an dem zu orientieren,
was die Bewegungen machten, gingen wir dazu über, die Bewegungen
an dem orientierten zu wollen, was wir für politisch brisant
und notwendig hielten. Durch eine exemplarische Praxis sollten verlorengegangene
Inhalte wieder ins Bewußtsein gerückt, frühere Gemeinsamkeiten
wieder benannt werden. Die Kampagne gegen die Fahrpreiserhöhungen
in verschiedenen Städten der BRD und Westberlin steht für
den Versuch, die Linke dadurch zu remobilisieren, daß an alte
"Traditionen" angeknüpft und zugleich die Möglichkeit
der Wiederaufnahme dieser Traditionen mittels neuer, nämlich
illegaler Methoden demonstriert wurde. Gleiches galt für die
internationalistischen wie für die "staatsfeindlichen"
Aktionen - mit ihnen sollte jene antiimperialistische und antiinstitutionelle
Dimension des Massenprotestes wieder in Erinnerung gerufen werden,
die die Linke auf dem Marsch an die Basis weitgehend hinter sich
gelassen hatte.
Mit der Veränderung der Stoßrichtung unserer Aktionen
änderte sich unter der Hand auch das organisatorische Selbstverständnis.
Wir begriffen uns zunehmend weniger als integrierter Teil einer
Bewegung, ohne jedoch gleichzeitig zu reflektieren, daß wir
uns unmerklich in der Rolle der selbsternannten Avantgarde wiederfanden.
Die Enttäuschung über die Entwicklung der Linken verschaffte
sich Raum in einem uneingestandenen globalen Führungsanspruch
gegenüber eben dieser Linken. Das ursprüngliche Selbstverständnis
"endlich Subjekt sein zu wollen in diesem Kampf" anstatt
"andere in den jeweiligen Bereichen agitieren zu müssen
und können" (Revolutionärer Zorn 1) geriet in den
Hintergrund angesichts der als vordringlich empfundenen Aufgabe,
die Kontinuität der Bewegung gerade in den Zeiten ihrer Zersplitterung
aufrechtzuerhalten. Fortan ging es deshalb weniger darum, innerhalb
der Aktivitäten der Linken zu wirken, als auf die Linke einzuwirken;
in der Tendenz wurde die eigene Linie zur einzigen Linie, wurden
die Aktionen zu Appellen, die Erklärungen zu Vorwürfen;
aus Vielfalt drohte Unvereinbarkeit zu werden, aus Differenzen Gegensätzlichkeiten,
aus unterschiedlichen Prioritäten Rangstufen in einer Hierarchie
politischer Wertigkeit. So trugen die internen Prozesse aus sich
heraus zu jener Auseinanderentwicklung von Bewegung und illegaler
Gruppe bei, die im Herbst 77 ihren einstweiligen Höhepunkt
erreichte.
Gerade
in einem Land wie der BRD - einem Land mit ohnehin nur schwach entwickelter
Klassen- und Massenbewegung - kann ein solcher Auseinanderfall bedeuten,
daß die Guerilla buchstäblich auf dem Trockenen sitzt.
Zu keinem Zeitpunkt war die Kluft zwischen legaler und illegaler
Linken größer und für die Herrschenden somit die
Gelegenheit günstiger, der Guerilla mit integrativen wie repressiven
Maßnahmen "das Wasser abzugraben", das deren politische,
moralische und logistische Existenzbedingung ist. Kein Wunder also,
daß sich der heimliche Innenminister Herold [28]
gerade in dieser Situation eines Kitson [29]
erinnerte und einen neuen Akzent in der "Terrorismus"-
Bekämpfung setzte: nun gelte es, das "terroristische Umfeld"
lahmzulegen, den Sumpf auszutrocknen, um dann in einem zweiten Schritt
die auf sich gestellten illegalen Kerne endgültig abzuräumen.
Wir können hier nur bruchstückhaft beschreiben, in welche
Sackgasse eine Gruppe zu geraten droht, die das Problem ihrer Basis
vernachlässigt.
Als eine Tendenz innerhalb der Bewegung lebt die Guerilla vom wechselseitigen
Austausch mit dieser und zwar in einem wesentlich umfassenderen
Sinn als dem der bloßen materiellen Unterstützung. Die
Basis in der Linken gibt dem Einzelnen den notwendigen moralischen
Rückhalt, wie sie der Gruppe insgesamt erst ihren perspektivischen
Zweck verleiht. Zerbricht dieser Zusammenhang, so reduziert sich
der Kampf um ein menschenwürdiges Leben schnell auf einen Kampf
um's nackte Überleben. Die Organisation, ursprünglich
nur Mittel zum Zweck, rückt in den Mittelpunkt; ihrem Erhalt
wird alles andere nachgeordnet:
(1) Die Sorgfalt und Verantwortung gegenüber jedem einzelnen
Militanten werden dem Zwang zur Reproduktion geopfert. Durch persönlichen
Einsatz muß er wettmachen, was die Struktur nicht mehr gewährleistet.
Es mag paradox klingen, ist in der Tendenz aber dennoch real: bei
dem Versuch zu überleben, geht die Gruppe das Risiko ein, ihre
letzten Kräfte zu verschleißen.
(2) An die Stelle von Kontinuität, Zeichen der Stärke
einer Guerilla, treten sporadische Anschläge oder das große
Schweigen, da ihre Kräfte durch den Zwang zur Selbstversorgung
zunehmend anderweitig gebunden sind. Das Dilemma gipfelt in der
gleichermaßen falschen Alternative, daß politische Aktionen
entweder gänzlich abgeblasen werden, um den Bestand der Gruppe
zu sichern oder aber quasi als Ausgleich zur fehlenden Kontinuität
das Spektakel gesucht wird.
(3)
Obwohl die Lösung des Dilemmas wesentlich von der Überwindung
des Bruchs mit der Bewegung abhängt, tendiert die Gruppe zum
entgegengesetzten Extrem: sie sondert sich ab, nicht nur weil ihr
nun die Zeit für den inneren Kontakt fehlt, sondern auch, weil
sich aus der Not heraus der eigene Maßstab verschiebt. Alles,
was läuft, wird daran gemessen, ob es der eigenen Gruppe zugute
kommt oder nicht. Das linke Spektrum wird in zwei Lager geteilt:
wer uns hilft, ist Freund; wer uns Unterstützung versagt, ein
Gegner. Da sie über den eigenen Horizont kaum noch hinausschaut,
verliert die Gruppe mit der Zeit den Sinn für tatsächliche
politische Entwicklungen und damit überhaupt die Möglichkeit,
ihre Isolierung zu überwinden. Die zwangsläufige Folge
sind Ausweichmanöver:
- die fehlende politische Unterstützung wird durch den Versuch
einer technischen Spezialisierung ausgeglichen;
- dem Verschleiß an Kräften folgt die Auflösung
der autonomen und dezentralen Strukturen, um als zentralisierte
Gruppe überhaupt noch handlungsfähig zu sein;
- angewiesen auf Unterstützung geht die Gruppe "Bündnisse"
ein und riskiert dabei den Verlust ihrer Autonomie, gerade weil
sie in der Regel ein Produkt der Schwäche sind.
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