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RZ / Rote Zora

Nach 1977

Ulrike MeinhofFür diejenigen, die es nicht erlebt haben, muss es gesagt werden: 1977 war für alle, die in den späten 60er und frühen 70er Jahren politisiert worden waren und einen Rest von Anstand bewahrt hatten, ein Jahr der Widersprüche, der Wechselbäder der vermeintlichen Durchbrüche und des großen roll back. 1976 der Tod von Ulrike Meinhof (und das Jahr von Entebbe), im April 77 das befreiende Attentat auf Buback und Mescaleros klammheimliche Freude, dann der Angriff der Schmidt-Regierung auf den "geistigen Sumpf des Terrorismus" (und gleichzeitig das Spiegel-Interview von HJK, und die Auseinadersetzungen um die RZ im Pflasterstrand mit den Fischers und Cohn-Bendits). Im gleichen Jahr auch: im Februar die dritte Brockdorf-Demo, mit der Spaltung in Bauplatzbesetzer und Friedenswillige, die Walpurgisnacht, in der die Frauen "sich die Nacht zurückeroberten", die ungeheure Aufrüstung der Bullen gegen die Kalkar -Demo im September, die Entsolidarisierungskampagne des Innenministers Maihofer, der deutsche Herbst. Ein Jahr, nach dem nichts mehr so war wie vorher.

GrohndeAuch die großen Massenkämpfe der AKW-Bewegung schienen im Aufgebot der Bullen erstickt zu werden. Gerade dies aber entsprach gewissermaßen einer "Standardsituation" in der Begründung des BK: dort einzugreifen, wo der offene Kampf an seine Grenzen gestoßen war. Das hieß hier, die Demoralisierung aufzuhalten, den Kampf von den Großbaustellen in die Städte zurückzutragen und zu dezentralisieren, die Aufmerksamkeit auf das gesamte Atomprogramm und seine militärischen Aspekte zu richten, den Überwachungsstaat anzugreifen. Der große Traum aber war: ein greifbarer Erfolg, am besten: Kalkar verhindern. Man stellte sich vor, dass die exemplarische Stillegung von Großprojekten - neben Kalkar die Startbahn West, das Aachener Klinikum, der Rhein -Main -Donau -Kanal -eine neue Qualität des Angriffs auf die Restrukturierungen im Modell Deutschland bedeuten würde. Auf einer neuen Ebene hätte das die Antwort auf den deutschen Herbst werden sollen.

Zwischen diesen Hoffnungen und der Wirklichkeit klafften Welten. In einer Zeit, in der man sich neu gefordert fühlte, war man schwach wie nie zuvor. In einem Interview aus dem Jahre 1980 treten diese Widersprüche deutlich hervor:

"Schwerpunkt der illegalen Aktionen sollten praktische Verhinderungsaktionen, Sabotage sein... Angriffspunkte sollten nicht die Standorte sein, sondern das Spinnennetz der Betreiber, Firmen und Institutionen, die den Bau der Atomkraftwerke überhaupt möglich machen. Malville und Kalkar bestätigten unsere Einschätzung von der Grenze der Massenmilitanz. Der deutsche Herbst, mit der Entführung von Schleyer und der Ermordung der drei Genossen in Stammheim, führte bei uns zu Verunsicherungen. Wir diskutierten die Perspektive illegaler Aktionen mit dem Gespenst der totalen Repression im Kopf. Die Auswirkungen waren unter anderem, dass wir eine Reihe von Aktionen, die wir geplant hatten, nicht durchführten. Zu diesem Zeitpunkt verließen einige Genoss/inn/en die RZ.

Die AKW-Bewegung war im Herbst 77 auf einem Tiefpunkt, massenmilitanter Widerstand schien unmöglich geworden und neue Formen des Widerstands waren kaum sichtbar. Bei uns führte der deutsche Herbst und die Krise der AKW-Bewegung dazu, dass wir andere als illegale Aktionen für unmöglich hielten und die politische Wirkung anderer Widerstandsformen unterschätzten."

Diese Retrospektive gab nur in Andeutungen wieder, was eigentlich geschehen war. Nach dem Unfall von Hermann Feiling im Juni 1978 war "die andere Fraktion" praktisch handlungsunfähig geworden. Die Jahre 1979 und 80 waren eigentlich eher Jahre einer Neugründung, und bald überwog eine neue Generation zahlenmäßig die alten GenossInnen. Die Neuen kamen z.B. aus der AKW-Bewegung oder aus den besetzten Häusern in Berlin, und sie hatten einen viel engeren Bezug zu diesen Themen als die Übriggebliebenen aus den 70er Jahren. Im Grunde gab es einen Bruch mit der 68er Tradition und einen "bewegungsorientierten" Neuanfang. Allerdings wurde dabei die Chance vertan, sich mit den Verstrickungen der 70er Jahre grundsätzlich auseinander zu setzen. Man hätte es dann heute leichter, von einem Neuanfang zu reden.

Vor allem der ausgiebige Revolutionäre Zorn Nr.6 spiegelt die Diskussionen um einen Neuanfang wieder, den Bruch mit der Linken, den Willen zum Wiederaufbau der Strukturen, den Bezug zur AKW- und Antikriegsbewegung. Er war das Manifest für die 80er Jahre. Er enthielt eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus. Er enthielt den ersten separaten Text der Frauen in den RZ, "Jedes Herz ist eine Zeitbombe". Und: der antiimperialistische Kampf war nun definitiv in die Metropole zurückgeholt:

"Gemeinsam ist der Feind, der in jedem radikal bis zum Ende durchgehaltenen Kampf sichtbar wird, das mörderische System des Imperialismus! Gemeinsam ist auch das Ziel: die weltweite Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen!
Das schließt Aktionen ein, in denen unsere Unterstützung der Befreiungsbewegungen zum Ausdruck kommt: Entscheidend aber ist, ob es uns gelingt, die 3. Welt in verstehbarer Weise anwesend zu machen, in den sozialen Auseinandersetzungen hier."

Startbahn HüttendorfWährend das Verhältnis zur AKW- Bewegung eher ein bemühtes, konstruiertes Verhältnis war, war das Verhältnis zur Berliner Häuserkampfbewegung von vornherein authentisch und es gab keinerlei Vermittlungsprobleme. Am besten realisiert aber war das Verhältnis zwischen Massenbewegung und Zellen zweifellos in der Frankfurter Bewegung gegen die Startbahn West. Ungeachtet der Fehlschüsse auf Karry, im Grunde eine Aktion alten Zuschnitts und der vergebliche Versuch, die eigene Krise mit einem Wumm zu lösen gelang nur wenig später dieser herausragende Zyklus, der ja auch ausführlich dokumentiert worden ist.

Dass dann ein Teil des dortigen Zusammenhangs aus der Kritik an der Vergrünung der Bewegungen den Schluss zog, sich lieber auf eine "proletarische Klassenlinie" zu beziehen als auf bürgerliche Initiativen, stieß in den anderen Gruppen auf Unverständnis. Spätestens 1983 aber, nachdem auch die Antikriegsbewegung pazifiziert war, wurde allen deutlich, dass die Bewegungsorientierung am Ende war. Ein breiter Strom ging in Richtung Grün und war durch niemanden aufzuhalten. Ohnehin war es vermessen gewesen, die Dynamik von Bewegungen mit den bescheidenen Mitteln der RZ wesentlich beeinflussen zu wollen. Es hatte eine propagandistische Tendenz bezüglich der Mittel gegeben, es gab ein paar politische Diskussionen. Man hatte seinen Beitrag geleistet, mehr nicht. Das Papier Krieg-Krise-Friedensbewegung aus dem Jahr 1983 reflektiert den Tatbestand: "Bewegung ist nicht alles" , man müsse vielmehr, eigene Fronten aufmachen". Dieses Papier, das auch die Billigung der Zora hatte, leitete eine Diskussion ein, die einerseits in den Entschluss zu einer Flüchtlingskampagne, andererseits in die Gentechnik-Kampagne der Zora mündete.

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